31.3.06

Just good friends

Wächst jetzt zusammen, was zusammengehört? Gar bei der Fußball-Weltmeisterschaft? Nein, nicht Ost und West, das hatten wir schon 1990 – da machte man sich hüben wie drüben nächtens zur Jagd nach allem auf, was nicht arisch genug aussah, nachdem man erst die Mauer und dann auch noch die besten Mannschaften des Globus zur Strecke gebracht hatte. Vielmehr geht es um diese Liaison:
„Nach Erkenntnissen von Verfassungsschützern planen NPD und Neonazis mehrere Demonstrationen, um sich mit dem judenfeindlichen Staatspräsidenten Irans, Mahmud Ahmadinedschad, zu solidarisieren.“
Eigentlich hat man in diesen Kreisen ja was gegen Kanaken, aber wenn die wiederum was gegen Juden haben, sind sie eigentlich ganz okay. Und rassekundlich lässt sich das bestimmt auch irgendwie verkaufen.* Nur die Medien können’s kaum glauben und vermuten hinter dieser Packelei bloß ein etwas übersteigertes Geltungsbedürfnis:
„Die rechtsextreme Szene will während der Fußball-Weltmeisterschaft mit gezielten Provokationen Aufmerksamkeit erregen.“
Das scheint ein Wert an sich zu sein. Aber die wollen eigentlich nur spielen. Doch das zumindest organisiert: Provoziert wird nämlich gezielt – als ob das sonst nur en passant und absichtslos geschähe. Ergo lautet die Botschaft: Nicht reizen lassen; die hören auch wieder damit auf, wenn man sie nicht beachtet. Je nach Opportunität lässt man so einen Aufmarsch aber auch mal zu und knüppelt ihn entweder vor laufender Kamera werbewirksam zusammen oder bittet – wie am 8. Mai 2005 – die besseren Deutschen, sich dem Treiben in den Weg zu stellen, damit hinterher rührende Bilder um die Welt gehen können, wie sauber das postnazistische Land doch seine Geschichte verarbeitet hat. Außerdem ist ja Die Welt zu Gast bei Freunden, und da stören solche Manifestationen im Land des Aufstands der Anständigen etwas mehr als sonst.

Differenzen zwischen den Faschos und ihrem neuen Lieblingsbartträger dürften übrigens in Bezug auf die Frage bestehen, wie man die Juden am besten los wird. Der Vorschlag Ahmadinedjads, sie aus Israel zu vertreiben und dafür in Europa anzusiedeln, wird bei den Neonazis nämlich eher keine Sympathie finden. Aber da ist ja noch das Atomprogramm, das schon schlagkräftigere Argumente zu bieten hat. Wie auch immer: Erst mal getrennt marschieren, dann vereint schlagen. Und das gleich mehrmals:
„Fünf Aufmärsche hätten NPD und Neonazis bereits angemeldet, sagten Verfassungsschützer dem Tagesspiegel. Am 10. Juni, dem ersten Tag nach Beginn der WM, wollten die Rechtsextremisten in Gelsenkirchen demonstrieren. Vier weitere Märsche seien zwischen dem 3. Juni und dem 25. Juni in Thüringen angemeldet. Wahrscheinlich werde die Szene eine ganze Serie von Demonstrationen während der WM inszenieren.“
Und dann diejenigen dagegen mobilisieren, die kein Problem damit haben, dass der Iran bei der Weltmeisterschaft mitspielt, sondern die nur dann aufhorchen, wenn Rechtsradikale sich – aus wenig überraschenden Gründen – mit den Mullahs gemein machen wollen. Ohne den braunen Haufen à la NPD, DVU und Kameradschaften vernachlässigen oder verharmlosen zu wollen, sei doch darauf hingewiesen, dass der Iran derzeit eine erheblich größere Bedrohung für Juden im Allgemeinen und für Israel im Besonderen darstellt als deutsche Neonazis. Wer aber nur den Finger hebt, wenn letztere sich in Bewegung setzen, macht seine Gegenkundgebung letztlich zu einer mullahfreundlichen Angelegenheit.

Ohnehin trifft man auf den rituellen Antifa-Kundgebungen gerne auch die sympathischen Zeitgenossen, die sozusagen den Iran vor seinen angeblich bloß falschen Freunden in Schutz nehmen wollen. Gut möglich daher, dass irgendwo Oskar Lafontaine auftaucht, für das Recht des Iran auf Atomenergie streitet und das damit begründet, dass Israel das schließlich auch in Anspruch nehme und es außerdem Gemeinsamkeiten der Linken mit dem Islam gebe. Worin in solchen Fällen ernsthafte Differenzen zu den Demonstranten auf der anderen Seite bestehen sollen, ist eine Frage, vor deren Beantwortung immer alle weglaufen, die man darauf anspricht. Die besseren Argumente kommen da eindeutig von den wenigen, die sich von vornherein für einen Ausschluss des Iran von der WM ausgesprochen haben, auch während der Spiele ihr Missfallen kund tun wollen und darüber hinaus ganz sicher keine Neigung haben, Naziaufmärsche einfach geschehen zu lassen.

Aber vielleicht erhalten sie ja doch noch unerwarteten Zulauf. Gute Gelegenheiten dazu gäbe es schon vor der Weltmeisterschaft, etwa am kommenden Samstag im westfälischen Hamm. Dort spricht Michel Friedman auf Einladung der Otmar-Alt-Stiftung zum Thema „Freiheit ist mehr als ein Wort“. Weil man aber nichts Schönes haben kann, macht sich ein Kameradschaftliches Bündnis Hamm dicke und trommelt unter der Parole „Gegen Drogen und Zwangsprostitution! Friedman keine Plattform bieten!“ gegen den Vortrag.** Neben allerlei anderen Ungeheuerlichkeiten findet sich im Aufruf der ordentlichen Deutschen auch dieser Satz:
„Zusätzlich ist Friedman Stellvertreter eines Volkes, welches es mit der Freiheit der Palästinenser auch nicht so genau nimmt.“
Das ist die conditio sine qua non für jeglichen Protest: Partei zu ergreifen nicht nur gegen eine Versammlung von rechten Kotzbrocken, sondern gleichzeitig für Friedman und für Israel. Wer meint, an dieser Stelle über „Drogen“ und „Zwangsprostitution“ debattieren zu sollen, oder wem das Objekt des Angriffs egal oder sogar zuwider ist, möge daheim bleiben oder sich fragen, was er eigentlich substanziell gegen die rechte Prozession hat. Immerhin scheint es ein paar Aufrechte zu geben, die erkannt haben, dass man hier nicht mit den obligatorischen Langweilerparolen auf Faschofang gehen darf, sondern dass es schon ein bisschen mehr sein muss als „Nazis raus!“. Ihr Aufruf wird übrigens im linken Spucknapf Indymedia in gewohnter Qualität kommentiert. Beispielhaft sei nur der Anfang der Ergüsse des Lesers „Ehrlich“ zitiert: „Ich kann die ganze Aufregung um Herrn Friedmann gar nicht verstehen, letztendlich hat er doch selber für den Wirbel gesorgt. Es heisst ja auch nicht aus Spass, wer im Glashaus sitzt ...“ (Orthografie im Original)

Bei solchen Linken braucht es keine Rechten mehr.

* Die altiranische Form der Länderbezeichnung Iran bedeutet übersetzt „Land der Arier“. Danke an Aram Ockert für den Hinweis.
** Das Ganze ist unter www.demo-hamm.tk und www.kb-hamm.tk nachzulesen. Von Lizas Welt führen keine Links auf Internetseiten von Nazi-Gruppierungen, daher muss, wer starke Nerven hat und sich dem Ekel stellen will, die Adressen schon selbst eingeben.

Die Fotos zeigen eine Neonazi-Kundgebung „Gegen israelische und US-amerikanische Kriege“ vom 15. Januar 2005 in Nürnberg.

30.3.06

Die rasenden Reporter

Na, das ist doch mal was, auch wenn es reichlich spät kommt: Der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) haben sich gestern in einer gemeinsamen Stellungnahme scharf gegen das Ansinnen gewandt, auf äußeres Drängen oder qua Selbstzensur den Abdruck islamkritischer Berichte und Cartoons in den Medien zu unterlassen. Insbesondere kritisierten die beiden Organisationen die Strafanzeige der Union of European Turkish Democrats (UETD) gegen die Tageszeitung Die Welt, die die Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung Jyllands Posten veröffentlicht und verteidigt hatte. DJV und VDZ forderten die zuständige Staatsanwaltschaft Köln auf, das Verfahren gegen das Blatt unverzüglich einzustellen. In einer Meldung der Presseagentur ddp hieß es dazu:
„Der Zeitschriftenverband VDZ wertete die Strafanzeige der UETD als ‚Einschüchterungsversuch mit dem Ziel, Journalisten und Redaktionen bereits im Vorfeld von einer möglichen Berichterstattung abzuhalten’. Der von Anhängern des Islam verehrte Prophet Mohammed sei letztlich eine Figur des religiösen und somit öffentlichen Lebens, über die im Rahmen der vom Bundesverfassungsgericht gesteckten Grenzen berichtet werden dürfe, erklärte der Verband. Medienanwalt Johannes Weberling riet Verlagen, sich gegen ein absolutes Verbot der Berichterstattung zu wehren. Weberling sagte, die Häuser sollten sich das Vorgehen der UETD und anderer islamischer Vereinigungen nicht bieten lassen und dagegen vorgehen. Eine wahrheitsgetreue Berichterstattung über Ereignisse des öffentlichen Lebens müssten auch gläubige Menschen grundsätzlich hinnehmen. Auch der DJV vertrat die Auffassung, der Abdruck der umstrittenen Karikaturen sei ‚journalistisch sauber’.“
Sie wundern sich ob solch deutlicher Worte? Sie wundern sich zu Recht. Natürlich gibt es eine solche Erklärung nicht. Der DJV hatte vielmehr Anfang Februar den Abdruck der Propheten-Cartoons gerügt: „Veröffentlichungen in Wort und Bild, die das sittliche oder religiöse Empfinden einer Personengruppe nach Form und Inhalt wesentlich verletzen können, sind mit der Verantwortung der Presse nicht zu vereinbaren.“ Die Zeitung Die Welt hätte nach Ansicht der Verbandes darauf achten müssen, „dass sie nicht gegen muslimische Grundsätze verstößt“. Von nennenswerten Protesten gegen diese skandalöse Form zensorischen Wirkens ist nichts bekannt.

Die zitierte Meldung des ddp ist trotzdem echt – zumindest fast. Es wurden lediglich ein paar Wörtchen ausgetauscht: In der Nachricht ging es nicht um Propheten-Cartoons, sondern um die anstehende Hochzeit Günther Jauchs, und nicht um eine türkische Vereinigung, sondern um die Anwälte des Fernsehmoderators, die per Schreiben an die Medien wissen ließen, dass ihr Mandant keine fetten Lettern in der Presse über seine Eheschließung wünsche. Das war es, was der Zeitschriftenverband einen „Einschüchterungsversuch mit dem Ziel, Journalisten und Redaktionen bereits im Vorfeld von einer möglichen Berichterstattung abzuhalten“ nannte.

Vermutlich kann er dabei durchaus auf die Zustimmung des deutschen Publikums zählen. Es sei dahin gestellt, ob das gleich auf die Barrikaden steigt, wenn ihm die Schmonzette um seinen Millionärmacher vorenthalten wird. Aber die Empörung wird absehbar größer sein als darüber, dass sich nur wenige trauten, die Jyllands Posten-Bilder zu bringen, und noch mehr der Meinung waren, dem islamistischen Mob auch noch Verständnis zollen zu sollen.

Dabei ist die Sache so leicht: Auf blasphemische Einlassungen sollte man bestehen. Aber ohne Jauch geht’s auch.

29.3.06

Palästina an der Leine

Es gibt schon richtig gruselige Veranstaltungen in Deutschland. Seit dem 24. März und noch bis zum kommenden Samstag steigt in Hannover das Festival für Kultur und Politik in Palästina, dem man den irgendwo zwischen infantil und größenwahnsinnig anzusiedelnden Titel Filistina gegeben hat. Das Ganze ist aber nicht bloß die Angelegenheit irgendeines besonders hemdsärmeligen Palästina-Grüppchens, sondern wird außerdem von städtischen und regionalen Einrichtungen unterstützt, die gewiss auch ein paar Euro haben springen lassen. Federführend beteiligt an der Idee und ihrer Umsetzung ist Raif Hussein, Vizepräsident der Palästinensischen Gemeinde Deutschlands, Alphatier der örtlichen Palästina-Initiative und Gründer von Najdeh e.V., einer sich selbst als „soziale Hilfsorganisation für die Palästinenser“ deklarierenden Organisation, der es um die „Situation der Palästinenser im besetzten Palästina und im Exil“ geht, die also – darin der Hamas ähnlich – gleichsam staatliche Aufgaben wahrnimmt und mit dieser repressiven Form der Wohlfahrt selbstverständlich ein politisches Anliegen verbindet.

Filistina hat allerlei zu bieten: Klavierkonzert und „Palästina kulinarisch“, einen Film mit den „Girls of Jenin“ und einen Workshop – inklusive abschließender Podiumsdiskussion – namens „Der Westen und die arabische Welt“, noch einen Film, ein Theaterstück, eine Ausstellung mit dem Titel „Palästina, Alltag unter Besatzung“ (die den „Kanon der festgeschriebenen Bilder aufbrechen und den Blick auf die prekäre Lage und den Alltag der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten lenken [will], der seit 36 Jahren von der israelischen Besatzung bestimmt wird“), eine Lesung zu der Frage, ob es in Ramallah Diskos gibt, und schließlich und endlich ein Konzert mit Liedern „zum großen Teil aus eigener Feder“, und falls nicht, sind es „vertonte Texte libanesischer und palästinensischer Dichter: zeitgenössische Poesie vertont in melodischer arabischer Rhythmik“. Was man sich unter „zeitgenössischer Poesie“ in Ländern wie den vorgenannten auszumalen hat, ist wohl am ehesten dem Genre der „in melodischer arabischer Rhythmik“ vorgetragenen Schauermärchen zuzurechnen, und auch die anderen Veranstaltungen verheißen vor allem heftige Attacken auf Intellekt und Emotionshaushalt – das Festival ist ein öffentlich gefördertes Tribunal gegen Israel, auch wenn es am Wochenende endet. Und einmal mehr wird deutlich, wie hegemoniefähig Kulturrelativismus daherkommt – als völkischer Spuk.

Ein paar Aufrechte gibt es, die ein Problem mit dieser antisemitischen Folklore haben. Sie heißen Gruppe Antikrauts, wirken in Hannover und haben sich zu dem Workshop und der folgenden Debatte begeben, um die traute Eintracht zu stören. Beim einen wie beim anderen Event nämlich waren Referenten am Werk, die aus ihrem Hass auf Juden im Allgemeinen und auf Israel im Besonderen keinen Hehl machen: Der Antiimp-Opa Karam Khella, der bestreitet, dass sich der iranische Atomsprengkopf Ahmadinedjad je antisemitisch geäußert hat; der ehemalige Vizepräsident von Möllemanns Deutsch-Arabischer Gesellschaft, Aref Hajjaj, der zwischen „moderaten und radikalen Islamisten“ trennen möchte und die Hamas nicht nur wegen ihrer Suppenküche zu den Ersteren zählt; schließlich der Bonner Politologe Kinan Jaeger, der der Ansicht ist, im Islam herrsche in Wirklichkeit keine antisemitische Massenmobilisierung; vielmehr zeichne er sich durch „intakte Familienverhältnisse“, „Gastfreundschaft“ und „Spendenbereitschaft“ aus. Ein Trio Infernale, ohne Zweifel.

Die Antikrauts wollten Flugblätter gegen diese bizarre Veranstaltung verteilen und bekamen dafür den geballten Volkszorn zu spüren: Ein Mitglied von Husseins Palästina-Initiative trachtete die Aktivisten handgreiflich an der Verbreitung ihrer Ausarbeitung zu hindern, der Moderator entzog ihnen das Wort bei kritischen Beiträgen, sie wurden als „Faschisten“ beschimpft und erhielten zusätzlich noch eine kostenlose Lektion in Rassenkunde von einigen Anwesenden, die versicherten, sie könnten gar keine Antisemiten sein, weil sie ja qua Erbanlage selbst Semiten seien. Canossa lässt grüßen.

Da das Flugblatt der Gruppe nicht online verfügbar ist, soll es hier in Gänze dokumentiert werden.*

Filistina 2006: Volksfest der Antisemiten

Sie besuchen eine Veranstaltung zum Thema „Der Westen und die arabische Welt“ im Rahmen des Filistina-Festivals 2006, veranstaltet von der Palästina-Inititative des Raif Hussein. Vielleicht sind Sie mit dem Antisemitismus dieser Initiative und der heutigen Referenten vollkommen einverstanden, dann sind Sie Teil des Problems und nicht Ziel unserer Aufklärungsbemühungen, da wir wissen, dass Antisemiten sich schlichtweg nicht aufklären lassen wollen, da ihre Projektionen für ihr Bild von sich und der Welt eine Leidenschaft darstellen, durch die sie eine Identität zu gewinnen glauben, die darin besteht, das Projizierte, die Nicht-Identität, zu verfolgen und zu vernichten. Nun lassen die Juden nicht mehr einfach so über sich verfügen, da sie als notwendige Konsequenz aus dem im Holocaust kulminierten Antisemitismus einen Staat gründen konnten, der diesem Anspruch der Antisemiten auf Verfügung und Vernichtung entgegensteht. Daher ist heute Israel das primäre Ziel der Aggressionen der Antisemiten in aller Welt.

Der Initiator: Raif Hussein, Berufspalästinenser

Im Interview mit der völkischen Tageszeitung junge Welt vom 4. Februar dieses Jahres (1) verurteilt der Vizepräsident der Vertretung des derzeit aggressivsten antisemitischen Kollektivs der Welt, der Palästinenser, die „Widerstandsstrategie“, wie er es nennt, der per Volkswillen zur Regierung des Terrors aufgestiegenen Mörderbande der Hamas, welche in ihrer Organisationscharta erklären, was die Deutschen spätestens seit Adolf Hitler wissen, dass die Juden hinter allen Kriegen und Übeln in der Welt stecken, hinter Kapitalismus wie Kommunismus, um die Weltherrschaft zu erlangen, was in der Charta mit den Protokollen der Weisen von Zion „belegt“ wird (2). Die Selbstmordattentate, dieses Sein zum Tode, deren erklärtes Ziel es ist, im Namen Allahs und des palästinensischen Volkskollektivs, also aufgrund von Aberglauben, möglichst viele Juden in Stücke zu reißen, diese beste deutsche Tradition, verurteilt Hussein nicht etwa aufgrund ihrer barbarischen Raserei, aufgrund des wahllosen Tötens von Menschen, weil sie Juden sind, nein, er verurteilt sie, weil sie „der palästinensischen Sache mehr geschadet“ haben „als alles andere in den vergangenen 40 Jahren“ (3), also aus dem selben Grunde wie ein Mohamed Mahathir, ehemaliger malaysischer Ministerpräsident, Selbstmordattentate ablehnt, da sie für einen langangelegten Endkampf der Muslime gegen die Juden hinderlich und kontraproduktiv seien (4). Also aufgrund eines Antisemitismus der Vernunft, der schon die Initialisierung des deutschen Vernichtungsprogrammes war.

Hussein möchte aber nicht vorschnell pauschalisieren: So differenziert er innerhalb der Hamas, die sich auf das Töten von Juden eingeschworen hat, zwischen Gemäßigten und Radikalen, also zwischen Leuten wie Hussein, Mahathir und Hitler einerseits und den ungestümen Suizidbombern andererseits. Der Westen allerdings, so weiß Hussein, wolle die Hamas und damit das Volk nur erniedrigen, also in ihrem erhabenen islamischen Ehrgefühl verletzen, wenn er darauf dränge, Israel anzuerkennen, wodurch die Radikalen gestärkt würden. Was ja nur heißen kann, dass die Existenz Israels, und also der Juden, das islamische Ehrgefühl verletzt, und daher aus Gründen der Würde Israel vernichtet werden müsse. Er wünscht sich also ein „Über-Auschwitz“ (Amery). Weiter spricht er von einer Apartheidmauer, womit er die Sicherheitsbarriere meint, die bereits viele willige Massenmörder von ihren Taten abgehalten hat. In Verdrehung seiner eigenen Wünsche brandmarkt er damit Israel als rassistisch und faschistisch.

In einem Interview der Rechtspopulisten vom Linksruck (5) bezeichnet er Israel überdies als „koloniales Projekt“, womit er durchblicken lässt, dass er Israel erstens keine lange Lebenszeit mehr gewähren möchte, da ein Projekt nur etwas Vorübergehendes ist, und zweitens wärmt er die Mär der jüdischen Weltverschwörung auf, indem er Israel zur nur jüdischen Kolonie degradiert, was ja heißen muss, dass es dazu noch das entsprechende jüdische Imperium geben müsse, welches in der antisemitischen Fabulation letztlich die ganze Welt sei, im engeren sich aber aktuell meist auf die USA konzentriert. Da dem Antisemiten die jüdische Schuld immer schon a priori feststeht, weiß auch Hussein, dass es Israels schuld sei, dass die Hamas neben den besorgten Geldern aus Europa nun auch großzügig vom Iran fürs Judenmorden belohnt wird. Was die Antisemiten den Juden antun wollen, das behaupten sie als jüdische Machenschaft, so wollen Nationalsozialismus und Islamismus die Weltherrschaft, und behaupten darum, die Welt vor einer jüdischen Weltherrschaft zu retten. So ist Hussein auch Unterzeichner eines Aufrufs zur Bildung einer internationalen Komitees für den Schutz des palästinensischen Volkes (6) vor der „schleichenden ethnischen Säuberung“, des „Völkermordes“, den die Israelis angeblich an den Palästinensern vollziehen würden, wobei doch die Wahrheit ist, dass die meisten Palästinenser durch andere Palästinenser bei internen Machtkämpfen und beim Vollzug von islamischen Strafen gegen Sünder und vermeintliche Kollaborateure ihres Lebens beraubt werden.

Karam Khella: Mufti des Antiimperalismus

Karam Khella (Foto) ist Stichwortgeber von Generationen deutscher Antisemiten, ihren Antisemitismus zeitgemäß als Antizionismus zu übertünchen, den Nationalsozialismus nicht dort zu verorten, wo er seine tatsächlichen ideologischen und tatkräftigen Erben hat, also im arabisch-islamischen Lager, sondern auf die Opfer des Antisemitismus selbst, auf die Juden und ihren Staat, zu projizieren, um sich selbst zu entlasten und die Fortführung des antisemitischen Krieges zu heiligen. So redet Khella unermüdlich von einem „jüdischen Faschismus“ und bezeichnet Israel als „ein einziges Kontinuum des Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ (7), womit er nach wie vor voll im Zeitgeist liegt, meinen doch die meisten Deutschen, Israel sei der neue Nazistaat (8) und die größte Gefahr für den Weltfrieden (9), mit anderen Worten: „Die Juden sind unser Unglück!“ (Treitschke, Hitler). Khella glaubt, die USA hätten im Zuge ihres Weltherrschaftsstrebens das künstliche Israel errichtet, dessen Funktion die Unterdrückung von authentisch-organischen Völkern sei (10).

Khellas Idiotie reicht soweit, dass er auf einer Veranstaltung des AStA Hamburg im Jahre 2000 gar behauptete, die Juden würden aus Israel schon von alleine verschwinden, wenn Frieden geschlossen werde, da es ihnen „dort zu heiß“ sei. Khella tritt auch als Holocaust-Revisionist auf: Über den Nazi-Verbrecher und eliminatorischen Antisemiten, dem Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, der bewirkte, dass tausende jüdische Kinder in die Gaskammern von Auschwitz kamen, und der muslimische SS-Divisionen auf dem Balkan aufstellte, erklärt Khella: „1940 (hat) Husseini einen richtigen Schritt gemacht. [...] Er ist nach Deutschland gefahren, um Druck auf die Nazis auszuüben, mit politischen Mitteln, aufzuhören mit dieser Verfolgung, die Probleme schafft. [...] Husseini hat die Palästinafrage islamisch legitimiert, hat versucht, muslimische Freunde zu gewinnen und so kann ich mir gut vorstellen, dass er diese Funktion auch in anderen islamischen Gemeinden auf dem Balkan getragen hat.“ (11)

Khellas Äußerungen deuten darauf hin, dass er durchaus informiert ist und dass er mit der Unterstützung und Beteiligung des Muftis am antisemitischen Vernichtungskrieg der Deutschen vollkommen einverstanden ist. Der Mufti hatte im November 1943 erklärt: „Araber und Mohammedaner! [...] Das, was die Deutschen uns annähert und uns auf ihre Seite bringt, ist die Tatsache, dass Deutschland in kein arabisches oder islamisches Land eingefallen ist und seine Politik seit Alters her durch Freundschaft den Mohammedanern gegenüber bekannt ist. Deutschland kämpft auch gegen den gemeinsamen Feind, der die Araber und Mohammedaner in ihren verschiedenen Ländern unterdrückte. Es hat die Juden genau erkannt und sich entschlossen, für die jüdische Gefahr eine endgültige Lösung zu finden, die ihr Unheil in der Welt beilegen wird.” (12)

So bitten wir Sie, den werten Leser, so Sie noch bei Verstande und nicht schon dem Antisemitismus völlig verfallen sind, den Antisemiten in Wort und Tat entgegenzutreten. Hussein und Khella sind nur zwei, wenn auch exponierte und sonderlich eifrige Beispiele eines Phänomens, dass etwas sehr allgemeines hat, nämlich dadurch, dass die bestehenden Verhältnisse den in diesen Verhältnissen seienden Menschen anders erscheinen, als sie tatsächlich sind. Das Alltagsbewusstsein der Menschen, die durch Wert und Recht sich im Unwesen gesellschaftlicher Vermittlung befinden, wodurch der Selbstwiderspruch der Gattung konstituiert und reproduziert wird, ist hochgradig verschwörungstheoretisch und antisemitisch. Wo aber der Antisemitismus siegt und seinen Vernichtungswunsch realisieren kann, kommt der Mensch seinem Ende immer näher.

Gruppe Antikrauts, Hannover

Anmerkungen
* Diskussionen über Filistina sind möglich beim Anti-Defamation-Forum Berlin.
(1) Junge Welt, 04.02.2006: „Palästina wird ganz sicher kein zweites Afghanistan“
(2) Hamas-Charta (englische und deutsche Auszüge)
(3) Ebenso der heutige Referent Aref Hajjaj in seiner Erklärung als Vizepräsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft des verstorbenen Antisemiten Jürgen Möllemanns vom 5. März 2002: „Selbstmordattentate, jene aus der Sicht der palästinensischen Sache wahrlich kontraproduktive Form des Kampfes“
(4) Mahathir erhielt für seine Endkampf-Forderung stehende Ovationen von den versammelten islamischen Staatsführern auf dem islamischen Gipfeltreffen in Kuala Lumpur am 16. Oktober 2003. Vgl. Frankfurter Rundschau und diesen Blog
(5) Linksruck Nr. 214, 8. Februar 2006: Naher Osten: Frieden heißt Gerechtigkeit.
(6) Aufruf zur Bildung eines Komitees für den Schutz des palästinensischen Volkes
(7) Karam Khella (1988): Der Imperialismus sitzt in den Köpfen der Linken, in: Redaktion Arbeiterkampf (Hg.): Deutsche Linke zwischen Israel und Palästina, Hamburg, S. 19
(8) Wilhelm Heitmeyer (Hg., 2005): Deutsche Zustände. Folge 3, Frankfurt
(9) EU Commission (2003): Iraq and Peace in the World. Flash Eurobarometer 151, November 2003
(10) Karam Khella (1987): Jederzeit, überall, mit allen Waffen. Imperialismus heute, Theorie und Praxis Verlag, Hamburg
(11) Karam Khella (1989): Zionismus und palästinensischer Widerstand, Wien, S. 71 ff., zit. nach: Matthias Küntzel (2002): Djihad und Judenhass. Über den neuen antijüdischen Krieg, Freiburg, S. 154
(12) Klaus Gensicke (1988): Der Mufti von Jerusalem: Amin El-Husseini und die Nationalsozialisten, Frankfurt

28.3.06

Löwenfutter

Sprechen Sie mal einen Ihnen als repräsentativ erscheinenden Deutschen an und fragen Sie ihn, woran er spontan denkt, wenn er den Terminus „englische Fußballfans“ hört. Vermutlich bekommen Sie ein Stakkato aus Wörtern wie Stiernacken, Fettsteiße, Ganzkörpertätowierungen, Randalebrüder und Komasäufer zu hören. Man hält die Anhänger von der Insel hierzulande für unzivilisiertes Pack, das mit geröteten Köpfen und in Horden ins Land einfällt, die Biervorräte vernichtet, alles kurz und klein schlägt und ohn’ Unterlass antideutsches Liedgut schmettert. „Nur du kannst es verhindern!“, lautete vor nicht allzu langer Zeit der Slogan eines Werbespots, in dem ein angeblich typisch englischer Fußballrowdy abwechselnd der Lächerlichkeit preis gegeben und als besonders abstoßendes Exemplar der Sorte Mensch in Szene gesetzt wurde. So etwas kommt an in Deutschland, vor allem bei denen, die keine Urlaubserlebnisse von Malle oder den Kanaren erzählen können, ohne sich über britische Feriengäste zu echauffieren wie sonst allenfalls noch über Bürgerinnen und Bürger der Niederlande.

Genau diese in deutschen Breitengraden so unbeliebten Fußballfans und ihre Mannschaft werden von Lizas Welt unterstützt, grundsätzlich und bei der anstehenden Weltmeisterschaft im Besonderen. Ein ausführlicher Blick in den (englischsprachigen) WM-Guide für die mitreisenden Anhänger des Three Lions-Teams – herausgegeben von der Football Supporters’ Federation und mit dem wundervollen Titel Free Lions versehen – spürt den Charme auf, den auch die Zielgruppe dieser Broschüre hat, ganz anders, als es das hiesige Klischee will. Auf 148 farbigen Seiten hat die Fanvereinigung allerlei nützliche Informationen für diejenigen zusammengestellt, die es mit dem Weltmeister von 1966 halten und sich die Spiele der englischen Elf im Stadion ansehen möchten. Dazu gehören neben den obligatorischen kurzen Auflistungen von Anlaufstellen und Hinweisen auf Reisemöglichkeiten vor allem detaillierte Porträts der Städte, in denen die englische Auswahl ihre Spiele auf jeden Fall (Vorrunde), eventuell (Erreichen des Achtelfinals) und mit Sicherheit nicht (weil es der Spielplan nicht vorsieht) bestreiten wird.

Und hier sind eine Reihe echter Highlights dabei – historische und gegenwartsbezogene Fakten, die man in einem deutschen Reiseführer, wenn überhaupt, unter ferner liefen finden würde. So heißt es etwa zu Nürnberg gleich zu Beginn:
„Nürnberg ist überraschend pittoresk, trotz der Tatsache, dass es berühmt war für die Rolle, die es im Zweiten Weltkrieg als Nazipropagandazentrale und Ort für Massenaufmärsche in Luitpoldhain spielte. [...] Aufgrund seiner Bedeutung in der Nazibewegung und angesichts seiner Verantwortlichkeit für einen großen Teil der Produktion von Flugzeugen, U-Booten und Waffen wurde es durch Alliiertes Bombardement in Schutt und Asche gelegt (‚reduced to rubble’) und war danach Schauplatz der berühmten Kriegsverbrecherprozesse. [...] Jetzt hat es aber eine merklich weltoffenere Atmosphäre.“
Klare Ansage also, damit man als geschichtsbewusster Zuschauer auch noch einmal nachlesen kann, wo man eigentlich gerade sein Rostbratwürstchen verzehrt. Unvorstellbar, dass sich die Stadt Nürnberg in einem Prospekt als Erstes auf diesen Teil ihrer Geschichte beziehen würde – und genau deshalb hat der WM-Guide schnell die ersten Punkte gesammelt. Weitere kommen beim Kapitel „Köln“ hinzu. Erst wird auf den Dom, den Karneval und den CSD hingewiesen, und dann sind der örtliche Gerstensaft und die gleichnamige Mundart an der Reihe:
„Die Stadt ist bekannt für ihr Bier, ‚Kölsch’ genannt. ‚Kölsch’ ist auch die Bezeichnung des lokalen Dialekts, was zu dem bekannten Witz führte, dass ‚Kölsch’ die einzige Sprache ist, die man trinken kann. Wer sagte da, die Deutschen hätten keinen Sinn für Humor?!“
Doch danach geht es ans Eingemachte respektive auch hier an die jüngere Historie. Die Zahl der Luftangriffe der Royal Air Force wird exakt benannt, wie man auch Bombenabwürfe, Zerstörungsgrad und Opferzahlen beziffert hat. Das Ganze orientiert sich an genauen Fakten, wobei man aus der Art der Aufzählung sowohl eine Kritik als auch eine gewisse Bewunderung lesen kann. Vielleicht wird das aber auch einfach den Lesern überlassen.

Oft kurze, aber knackige Darstellungen der anderen WM-Städte haben noch mehr Höhepunkte zu bieten; Berlin sei, so heißt es etwa, „im Vergleich zu anderen Teilen Deutschlands bemerkenswert entspannt und liberal“, und zu Gelsenkirchen ist zu lesen, dass die Stadt „nur für ihre Zechen wirklich berühmt ist“. Die Verfasser des Büchleins lassen erst gar keine Illusionen aufkommen, informieren wirklich gut und sind gleichzeitig im besten Sinne unterhaltsam. Zum Schluss gibt es auf zwei Seiten einen kleinen Überblick über die nützlichsten deutschen Wörter und Sätze, zu denen neben dem üblichen „Danke“ und „Bitte“ auch „Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht“ („Ref, we know where your car is“) und „Der Schiedsrichter braucht einen Blindenhund“ („The referee needs a guide dog“) gehören.

Insgesamt konterkartieren die Ausführungen in Free Lions auf eine sehr subtile und souveräne Art das Vorwort des ohnehin nicht besonders geschätzten englischen Nationaltrainers Sven Göran Eriksson (Foto rechts), der die Fans inständig anfleht, sich doch bitte zu verhalten, wie es sich Zu Gast bei Freunden gehört:
„Diese [sportliche] Rivalität darf den Rahmen anständigen Benehmens nie verlassen. Deutschland wird ein fantastischer Gastgeber sein – und wir müssen respektvolle Botschafter für unser Land und unseren Fußball sein. Insbesondere rufe ich euch dazu auf, während der Weltmeisterschaft jedweden antideutschen Gesang zu vermeiden. Das Lied, das wir wirklich nicht hören wollen, ist das über die ‚10 deutschen Bomber’“.
Warum eigentlich nicht?, wird sich dessen ungeachtet eine Reihe von Supportern denken und das Anliegen zurückweisen, den bekannten ironischen Verhaltenstipp And don’t mention the war! wörtlich zu nehmen; zumindest war das in der Vergangenheit bei ähnlichen Appellen – etwa vor Qualifikationsspielen in Deutschland – immer so. Außerdem hat der Song Ten German Bombers wirklich eine klare antifaschistische Aussage, und da ist es nicht einzusehen, warum er nicht zum Besten gegeben werden darf.

Inzwischen gibt es – nicht zuletzt als Reaktion auf Erikssons Aufruf – das legendäre Lied als ausgesprochen gut gemachtes und sehenswertes Video (inklusive MP3) zweier Berliner Combos, wenn auch der Schluss des Streifens insoweit reichlich ärgerlich ist, als er deutlich über das Ziel hinausschießt: Man verbrennt einfach keine Fahnen, egal welche, schon gar nicht in Deutschland; diese Form politischen Wirkens überlässt man besser per se Nazis und Islamisten. Der Film wäre auch ohne diese Sequenz ausgekommen und hätte dadurch noch an Qualität gewonnen. Trotzdem: Anschauen!


Update: Manchmal bekommt man in mancherlei Hinsicht schneller Recht als erwartet. Die Deutsche Presse-Agentur verbreitete heute eine Meldung, die die Überschrift „Englands Massenblätter schüren den ‚Britskrieg’“ trug und so begann:
„Englands Massenpresse beginnt sich wieder auf die ‚Krauts’ einzuschießen und hat sogar den Geist von Adolf Hitler durch das WM-Quartier der englischen Fußballer spuken lassen. Monate vor der Weltmeisterschaft feiern nationalistische Übersteigerungen in den Boulevardblättern Urstände mit dem Versuch, einen neuen ‚Fußball-Krieg’ gegen den deutschen Gastgeber anzuheizen. Böse Erinnerungen an die Europameisterschaft 1996 auf der Insel werden wach, als Hurra-Patriotismus und anti-deutsche Kampagnen sogar das britische Unterhaus beschäftigten.“
Ein ganz übles Gesocks also, das man hier im Sommer zu erwarten hat, lautet wohl die Botschaft. Das dazu gehörige Foto (rechts) soll diese Befürchtung ganz offensichtlich illustrieren. In dem dpa-Beitrag kommen dann ausführlich die besorgten und mahnenden Stimmen – das besonnene England also – zu Wort, die vor einer Eskalation warnen und bedauern, dass die Appelle des englischen Fußballverbands nicht zu fruchten scheinen. „In England ist die Sorge groß, dass die Deutschen auf den bisweilen merkwürdigen britischen Humor und die dummen Sticheleien wieder hereinfallen und damit die Urheber noch mehr reizen“, behauptet die Presseagentur – um dann den Times-Autor Simon Barnes zu zitieren, dessen Ausführungen sie augenscheinlich nicht so wirklich begriffen hat:
„Das Unverständnis der Deutschen für den britischen Naziulk ist für Autor Barnes ‚die größte kulturelle Kluft’ zwischen den Ländern. Die seltsame Form des schwarzen Humors und selbst die dümmsten Witze seien Ursache dafür, dass die Briten gegen Diktatoren und Extremisten gefeit seien, meinte Barnes: ‚Es gibt etwas an Hitler, an den Nazis und an allen Formen von Diktaturen, das in britischen Augen ebenso komisch ist wie lüsterne Pfarrer, Bananenschalen, Schwiegermütter oder Schotten.’“
Das versteht man in Deutschland, wo Samstagabendcomedys im Privatfernsehen als ultimative Unterhaltung gelten, tatsächlich nicht. Aber deshalb ist den Spaßbremsen gegenüber noch lange kein Appeasement gefragt. Ganz im Gegenteil.

Übersetzung der Passagen aus Free Lions: Liza

27.3.06

Der Ernst des Lebens

Wann immer irgendwo in dieser Welt etwas passiert, das hierzulande von einem gewissen Interesse ist, schlägt die Stunde so genannter Experten. Das müssen nicht wirklich welche sein; sie brauchen bloß von anderen Kennern der Szene zu solchen erklärt zu werden, vorwiegend durch Interviews und mittels Gastbeiträgen in Zeitungen. In Kürze nun wählen die Bürgerinnen und Bürger Israels ein neues Parlament, und auch diese Begebenheit ruft nicht bloß eine gesteigerte Aufmerksamkeit hervor, sondern auch und vor allem diejenigen auf den Plan, des der Mund übergeht, wes das Herz voll ist. Uri Avnery etwa ist so einer, der hier dann wieder die Seiten mit Ansichten füllen darf, die dort kaum jemand lesen mag. Recht gefragt sind aber auch und vor allem diejenigen in Deutschland lebenden Juden, deren Positionen einigermaßen quer zur Linie des Zentralrats liegen, die sich also durch ein besonderes Maß an Unabhängigkeit und Unbequemlichkeit auszuzeichnen scheinen – und doch nur das zu sagen haben, was hier ohnehin die meisten denken, die gleichwohl vor Kühnheit zitternd die Hand zum Applaus rühren, wenn ihnen einer ihre Bodenlosigkeiten mit einer Unbedenklichkeitsbescheinigung quittiert.

Der Kölner Stadt-Anzeiger, dieses Blatt aus dem Hause der Arisierungsgewinnlerfamilie Neven Du Mont, hat zwecks Anklage gegen Israel den 76-jährigen Ernst Tugendhat zum Gespräch gebeten, mithin einen, der erstens qua Herkunft (jüdisch), zweitens qua Profession (Philosoph) und drittens qua Biografie (Emigration der Familie in die Schweiz 1938, Rückkehr nach Deutschland 1949) eine besondere Glaubwürdigkeit und Integrität zu vermitteln scheint, wenn er Position zu Themen bezieht, über die man in diesen Breitengraden zwar längst Bescheid weiß, für deren Erörterung man jedoch immer noch Kronzeugen in Anschlag zu bringen vorzieht. Um den Schein der journalistischen Neutralität zu wahren und gleichzeitig seine ganze Scheinheiligkeit bereits zu Beginn preis zu geben, steigt der Interviewer mit dieser Frage ein:
„Herr Tugendhat, hat Israel mit dem Abzug aus dem Gaza-Streifen nicht ein positives Signal gesendet?“
Das scheinbar harmlose Wörtchen „nicht“ zeigt an, dass man Tugendhats Haltung zum jüdischen Staat selbstverständlich schon lange kennt und bloß so tut, als widerspräche man ihm. Eine Steilvorlage also, die der Befragte dann auch dankbar verwandelt: Einerseits sehe es so aus, als ob Ariel Sharon, der „Scharfmacher“, für eine friedliche Lösung sei; andererseits sei das Ganze ohnehin bloß ein Ablenkungsmanöver gewesen, weil er gleichzeitig „die Siedlungspolitik im Westjordanland weiterhin extrem forciert“ habe:
„Das nichterklärte Ziel dieser Politik kann nur die Annexion sein: den Palästinensern wird der Garaus gemacht, und der Westen lässt das zu.“
Annexion? Den Garaus gemacht? Das wirft selbst beim Kölner Stadt-Anzeiger Fragen auf, der Form halber zumindest:
„Besorgen die Wahlergebnisse in Palästina nicht?“
So kann man die Tatsache, dass die Hamas von ihrer Vernichtungsdrohung Israel gegenüber nicht ein Jota zurückgenommen hat und den organisierten Judenmord nun bloß in ein demokratisches Gewand kleidet, natürlich auch formulieren. Aber Tugendhat nimmt daran gar keinen Anstoß:
„Israelis und Palästinenser schaukeln sich gegenseitig hoch. Der Sieg der Hamas scheint zum Teil auf die Korruption der Fatah zurückzugehen, aber er ist Teil der unversöhnlichen israelischen Politik. Wenn die Lage ausweglos wird, nimmt der Fanatismus überhand.“
Der übliche Schmonzes von der Gewaltspirale* also, deren Auslöser stets in Gestalt der „unversöhnlichen israelischen Politik“ daherkommt, die demnach für den Wahlausgang in den Palästinensergebieten verantwortlich ist, weil sie deren Stimmberechtigte in eine „ausweglose Lage“ getrieben hat, in der der „Fanatismus“ zwar „überhand“ nimmt, prinzipiell aber verständlich ist – und den Gesprächsführer der Zeitung auf eine Idee bringt:
„Sollen die Deutschen also mit Lichterketten auf den Straßen für die Palästinenser demonstrieren?“
Wie Anfang der 1990er Jahre gegen die Rechtsradikalen, geht die beabsichtigte Assoziation, die aus den Juden von gestern die Nazis von heute macht und aus den Palästinensern die neuen Juden, denen man – learned by history – mit Kerzen heimleuchtet. Doch da bremst der Tugendhat ein wenig:
„Nein, das wäre übertrieben. Wer in Deutschland die gegenwärtige Politik Israels kritisiert, kann es nur, wenn er deutlich macht, dass er keine antisemitischen Motive hat, und das ist vielleicht nicht leicht.“
Offen bleibt zunächst, warum dieses Unterfangen „vielleicht nicht leicht“ ist: Liegt es daran, dass die erdrückende Mehrheit in Deutschland kaum verhohlene antisemitische Motive für ihre „Israel-Kritik“ hat? Oder doch eher daran, dass es angeblich Kräfte gibt, die diese „Kritik“ mit unlauteren Mitteln zu sabotieren suchen? Wohl eher letzteres:
„Aber wir Juden unsererseits dürfen nicht meinen, dass wir wegen des Holocaust nicht kritisiert werden dürfen. Wer verfolgt wurde, erwirbt dadurch nicht das Recht, andere zu verfolgen. Wenn man aus einem Haus herausgeworfen wurde, gibt es einem nicht das Recht, in ein anderes Haus einzubrechen.“
Keiner dieser Sätze ist für sich genommen falsch, und doch ist das Ganze, wie immer, weit mehr als die Summe seiner Teile, nicht zuletzt deshalb, weil der Philosoph sich absichtsvoll auf die Ebene des Gerüchts begibt und wohl nicht grundlos die Nennung von Ross und Reiter schuldig bleibt: Welche Juden meinen denn, „wegen des Holocaust nicht kritisiert werden [zu] dürfen“? Wer behauptet, aufgrund der Verfolgung, des „Rauswurfs aus einem Haus“ – übrigens ein bemerkenswertes Synonym für den nationalsozialistischen Massenmord – das Recht zu haben, „in ein anderes Haus einzubrechen“? Die Spekulation darauf, dass die Leser einer deutschen Lokalzeitung schon wissen, wer gemeint ist, und der Verzicht auf eine Konkretisierung solcher Vorwürfe befeuert das postnazistische Raunen über die Juden, die noch aus ihrer Vernichtung Kapital zu schlagen wissen.

Dem Journalisten des Kölner Blattes kommt das jedoch nicht in den Sinn, und stattdessen behilft er sich mit der Frage nach dem „Beitrag“, den die Palästinenser „an dem Prozess zu leisten“ hätten – was Tugendhat gar nicht bestreiten möchte, aber auch das nur, um die palästinensischen Eliminationsdrohungen 1967 enden zu lassen – „bis dahin mussten die Israelis wirklich fürchten, von den Arabern ‚ins Meer geworfen’ zu werden“ –, um also die heutigen Ausrottungspläne à la Hamas und Islamischer Djihad entweder nicht ernst oder nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen und umgekehrt noch einmal den jüdischen Staat ob seiner vorgeblichen Verfehlungen nach dem Sechstagekrieg zu geißeln:
„Damals wäre nach meiner Meinung ein echter Friede machbar gewesen: eine ausgewogene Zwei-Staaten-Lösung. Diese Chance ist von Israel nicht wahrgenommen worden. Stattdessen hat es das Territorium der Unterlegenen militärisch besetzt gehalten.“
Was sowohl die suicide attacks als auch den Erfolg der Hamas offenbar hinreichend erklärt und den Fragesteller zu der geschichtsbewussten Nachfrage „Die zionistischen Juden sind der Auslöser des Konflikts?“ veranlasst, die Tugendhat nicht etwa inne halten, sondern im Gegenteil noch weiter ausholen lässt:
„Das ist das weiter zurückreichende Problem, vor dem man ebenfalls nicht die Augen verschließen sollte. Man meint heute, Juden und Zionisten seien ungefähr dasselbe.“
Wer „man“ eigentlich ist, der da Juden und Zionisten „ungefähr“ synonym verwendet, sagt der Denker nicht – vielleicht deshalb, weil er zwar weiß, dass er in einem Land lebt, wo diese Unterscheidung in der Regel ohnehin nicht getroffen wird, das damit verbundene Ressentiment jedoch durchaus nützlich sein kann:
„Aber der um 1900 entstandene Zionismus war eine spezielle, nationalistische Ausdeutung des Judentums, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von der Mehrheit der Juden, die sich entweder religiös oder assimilatorisch verstanden, abgelehnt wurde. Erst im Jahr 1944 gewann der Zionismus in den maßgebenden jüdischen Organisationen der USA die Mehrheit. Aber viele Juden stehen dem Zionismus auch heute distanziert gegenüber.“
Diese „spezielle, nationalistische Ausdeutung des Judentums“, die „erst im Jahr 1944 [...] in den maßgebenden jüdischen Organisationen der USA die Mehrheit“ gewonnen und der „viele Juden [...] auch heute distanziert gegenüber“ stehen sollen – der Zionismus also –, war in allererster Linie eine Reaktion auf den europäischen Antisemitismus und die damit verbundenen gescheiterten Assimilationsbestrebungen der Juden, kurz gesagt also das Programm der wohl einzigen nationalen Befreiungsbewegung, die bis heute einen fortschrittlichen Charakter beanspruchen kann. Selbst Tugendhat stellt nicht völlig in Abrede, dass diese Bewegung – ganz im Gegensatz zu anderen – nicht bloß auf den eigenen Vorteil bedacht war:
„Es gab freilich innerhalb des Zionismus – und so auch heute in Israel – immer auch Gruppen, die für eine echte Verständigung mit den Palästinensern eintraten, das heißt für Gleichberechtigung.“
Denn zu vielfältig waren von Beginn an die Strömungen des Zionismus, der stets einen im besten Sinne des Wortes pluralen Charakter hatte. Doch dem Wissenschaftler ist diese Erkenntnis bloß trügerischer Schein:
„Und doch kann man nicht die Augen davor verschließen, dass der Zionismus schon seinem Wesen nach nationalistisch und daher potenziell nach außen aggressiv war.“
Da lacht das Herz der Antiimperialisten und Friedensbewegten, die immer wussten, dass Zionismus und Faschismus eigentlich das Gleiche sind:
„Das lag schon in der Ausgangsidee, in Palästina nicht einfach einzuwandern, sondern dort einen eigenen Staat zu gründen. Man kann doch verstehen, dass so eine Vorstellung, die sich nur aus dem damaligen europäischen Kolonialbewusstsein erklären lässt, für die Araber inakzeptabel war.“
Der Verrat an der Aufklärung, die Pogrome in Russland, die Dreyfus-Affäre in Frankreich – all das firmiert bei Tugendhat also unter dem Begriff „europäisches Kolonialbewusstsein“, und die „Vorstellung“, die für „die Araber inakzeptabel“ gewesen sein soll, unterstellt diesen nicht nur eine prinzipielle Hartnäckigkeit gegenüber jedweder Form gesellschaftlichen Fortschritts, sondern konstruiert und legitimiert aufs Neue die Mär vom Judenstaat als giftigem Stachel im arabischen Fleisch. Doch solcher Argumente bedarf es wohl, wenn man eine gerade geschichtliche Linie bis heute ziehen möchte, die „die Araber“ ausschließlich als erdverbundene Autochthone und zionistische Juden als notorische Störenfriede begreift, die andere von ihrer angestammten Scholle vertreiben wollen. Da stutzt auch der Kölner Stadt-Anzeiger ein wenig und hakt nach: „Ist der Zionismus nicht eine Konsequenz aus dem Holocaust?“ Ist er historisch gesehen natürlich nicht, was Tugendhat auch so sagt, aber nur, um die Sache dann zu verschlimmbessern:
„Die maßgebende zionistische Einwanderung in Palästina erfolgte vor dem Holocaust und war nicht eine Reaktion auf die Ausrottungspolitik der Nazis, sondern auf das allgemeinere Phänomen des Antisemitismus, noch mehr in Osteuropa als in Deutschland. Man kann also nur sagen: der Zionismus war eine verständliche, aber gewiss nicht ‚notwendige’ Konsequenz aus dem Antisemitismus.“
Was mit „maßgebend“ gemeint sein soll, lässt der Philosoph im Unklaren; an Zahlen kann er zumindest nicht gedacht haben, sonst bräche seine Theorie nämlich in sich zusammen wie ein Kartenhaus: Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten gab es vier Alijot, in der Tat überwiegend aus Osteuropa infolge der von Tugendhat als „allgemeineres (!) Phänomen (!) des Antisemitismus“ verniedlichten Pogrome und Judenverfolgungen. Die fünfte Alija, also die aus der Machteinsetzung der Nazis resultierende, war jedoch die zahlenmäßig stärkste und allemal „eine Reaktion auf die Ausrottungspolitik der Nazis“. „Maßgebend“ waren die vorherigen Alijot jedoch insoweit, als sie in der Tat eine Konsequenz aus dem Antisemitismus zogen – und nicht nur eine „verständliche“, sondern eine zwingend notwendige in einer Welt, die Juden die Assimilation versagte, sie mit gnadenloser Verfolgung überzog und ihnen – zumal nach der Shoa – nur einen Weg offen ließ: den der Gründung eines eigenen, wehrhaften Nationalstaats in einer nationalstaatlich verfassten Welt. Wer genau diese Welt als falsche ganze respektive ganz falsche begreift und, wie Tugendhat in seinem abschließenden Statement, den Juden stattdessen erneut die Assimilation oder einen recht verstandenen Kommunismus als Lösungsvorschläge unterbreitet, liegt damit vielleicht nicht falsch, delegitimiert aber die unbedingte und alternativlose Notwendigkeit, schon für das Hier und Jetzt eine Möglichkeit der – auch bewaffneten – Abwehr antisemitischer Angriffe zu haben und zu behalten.

Die ZEIT pries vor zweieinhalb Jahren Ernst Tugendhat anlässlich des Erscheinens seines letzten Buches Egozentrizität und Mystik mit den Worten, dieser habe „seinen Ruf nicht zuletzt durch zwei sehr seltene Eigenschaften erworben: einmal durch die Fähigkeit, Argumente mit einem hohen Maß an Verstehbarkeit auszustatten, und außerdem durch die Bereitschaft, Positionen begründeter Einwände wegen zu revidieren“. Um die Halbwertzeit von Tugendhats Fähigkeit, „Argumente mit einem hohen Maß an Verstehbarkeit auszustatten“, muss man sich in Anbetracht solcher Interviews gewiss keine Sorgen machen. Die Bereitschaft des Belobigten, seine „Positionen begründeter Einwände wegen zu revidieren“, steht hingegen auf dem Prüfstand.

* Bei Statler & Waldorf finden sich lesenswerte Gedanken zu diesem Ideologem, seinen Voraussetzungen und Folgen.

25.3.06

Traum-Tänzer

Wenn man hierzulande einen braucht, den man als Kronzeugen vorschicken kann, um Israel an den Pranger zu stellen, schreit einer meist als Erster „Ich!“: Uri Avnery. Nicht nur das Wochenblatt Freitag lässt ihn daher immer gerne zu Wort kommen:
„Der bemerkenswerteste Vorgang der gegenwärtigen Wahlkampagne in Israel ergibt sich aus einem Wort, das in ihr nicht vorkommt: das Wort ‚Frieden’.“
Erwischt! Mal wieder! Während die Hamas endlich den Judenmord demokratisiert, geben sich andere immer noch bockig und stur:
„Was sagt das über die israelische Öffentlichkeit im Jahr 2006 aus? Es besagt, dass die große Mehrheit der jüdischen Israelis nicht an Frieden glaubt. Frieden wird als Traum wahrgenommen, als etwas, das nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Eine Partei, die über Frieden spricht, gerät in den Verdacht, in einer Phantasiewelt zu leben. Noch schlimmer, man könnte vermuten, sie liebe die Araber. Was könnte entsetzlicher sein?“
Dass zu einem solchen „Frieden“ durchaus zwei gehören, weiß der alte Kämpfer natürlich auch. Da er aber die eine Seite gar nicht verdächtigt, etwas anderes zu wollen als ein harmonisches Zusammenleben mit ihren jüdischen Nachbarn, muss es halt, wie gehabt, die andere sein, die die Verwirklichung des „Traums“ beständig sabotiert:
„Woran aber glauben die Israelis? Sie wollen einen jüdischen Staat mit einer jüdischen Mehrheit, die so groß wie nur irgend möglich sein soll. Darin besteht Übereinkunft zwischen allen jüdischen Parteien. Sie glauben daran, die endgültigen Grenzen Israels unilateral festschreiben zu können, ohne mit den Palästinensern zu reden. Die haben, wie jedermann weiß, soeben die Hamas gewählt und wollen uns ins Meer werfen.“
Was Avnery natürlich nicht ernst nimmt, wo doch die wirklichen Terroristen im israelischen Staatsapparat sitzen, ganz Palästina eine einzige Friedensbewegung ist und höchstens ab und zu mal die Stube ausfegen muss, wie der wackere Völkerverständiger weiß: „Wer seine Kameraden an eine feindliche Besatzung ausliefert, ist ein Verräter und wird umgebracht.“ Da sekundiert der künftige palästinensische Innenminister Sa’aid Siam mit dem größten Vergnügen:
„Wir werden niemals einen Palästinenser wegen seiner politischen Zugehörigkeit oder weil er sich der Besatzung widersetzt festnehmen. Ich bin nicht in die Regierung gegangen, um die sicherheitsrelevante Zusammenarbeit wiederzubeleben oder die Siedler und die Besatzung zu schützen. Ich bin beigetreten, um unsere Leute und unsere Kämpfer zu schützen.“
Die neue Regierung unter Hamas-Führung werde nicht nur von der Verhaftung von Terroristen absehen, sie werde sogar versuchen, die antiisraelischen Aktivitäten der verschiedenen Organisationen zu koordinieren, umriss Siam den Plan:
„Gespräche mit den verschiedenen Splittergruppen werden in der Zukunft in den Apparaten stattfinden, in entschiedener Art und Weise und zur rechten Zeit.“
Auf die Splittergruppe Avnery kann die Hamas dabei zählen. Vielleicht zahlt sie ihm sogar ein Beraterhonorar; mit den Zuwendungen der EU müsste da ja ein bisschen was zu machen sein. Möglicherweise lässt sie ihm aber auch seinen Posten als Korrespondent der antiimperialistischen Kampfpresse, damit er dort weiterhin zuverlässig die antiisraelische Propaganda befeuern kann. Als Botschafter des Friedens, versteht sich. Weil über den in Israel ja niemand reden will. Außer Uri, versteht sich.

Hattip: Doro

24.3.06

Do it again, Wonti!

Die Älteren unter uns erinnern sich bestimmt noch an die Sendung Bitte melde dich!, die SAT.1 zwischen 1992 und 1998 ausstrahlte und fraglos einen kriminellen Anschlag auf die Sinnesorgane und jede Form guten Geschmacks darstellte. Konzipiert wurde sie seinerzeit vom einfach nicht von der Bildfläche verschwinden wollenden Frank Elstner und – schlimmer noch – moderiert von Jörg Wontorra (Foto), dieser früher omnipräsenten Obernervensäge, die aber auch heute noch bei jeder Übertragung eines Spiels der Champions League mit Nachdruck beweist, wie sie zu ihrem Spitznamen Vonterror gekommen ist. Reality-TV nannte man diese Quälerei, deren Zweck sogar bei Wikipedia nachzulesen ist, staubtrocken, wie es sich für ein Lexikon gehört: „Inhaltlich ging es hauptsächlich darum, Emotionen darzustellen.“ So kann man es auch ausdrücken.

Gäbe es das Ganze noch, wäre Jürgen Klinsmann in den letzten Monaten sicher ein heißer Kandidat gewesen. Mehrere sorgsam ausgesuchte Deutschlandfans hätten im Studio tränenüberströmt ihre Appelle an den Vorturner der nationalen Elitekicker gerichtet, doch bitte wieder nach Hause zu kommen. Da die Sendung aber schon seit acht Jahren nicht mehr läuft und längst durch noch derbere Formate ersetzt worden ist, müsste man heutzutage wohl schwerere Geschütze auffahren. Anzulehnen wäre sich an jene Anhänger der hiesigen Eleven, die dem Fußball-Bundestrainer beim Länderspiel vergangenen Mittwoch gegen die amerikanische Auswahl ein Ultimatum stellten (Foto). Wontorra, das wäre doch was für Sie. Viel besser als die Champions League!

Eine respektable Quote dürfte jedenfalls gewiss sein, zumal die Zielgruppe für eine solche Show recht groß wäre: Von denjenigen, die bei diesem Titel an den Schlager „Ganz oder gar nicht“ des nicht alternden Wolfgang Petry denken müssen, bis zu anderen, die mit der Parole eher die verblichene RAF in Verbindung bringen: Schwein oder Mensch, Teil des Problems oder Teil der Lösung. Kurz: USA oder Deutschland. Man müsste sich nur gut überlegen, welche Maßnahme den jeweiligen Prüfling ereilen soll, wenn er sich falsch entscheidet, und da ist äußerste Vorsicht geboten. Denn was passiert, wenn man gegen die nationale Formierung stinkstiefelt, durfte schon die Titanic bei der Vergabe der Weltmeisterschaft erfahren, obwohl ihre Behauptung, sie habe die WM nach Deutschland geholt, so falsch überhaupt nicht war. Immerhin ist eine schöne CD herausgekommen, auf der neben -zig anderen Highlights auch der wundervolle Satz „Wir diffamarieren, wen wir wollen“ seine Geburt erfuhr.

Dabei hat sich Klinsmann längst entschieden, besser gesagt: Es gab für ihn gar keinen Konflikt. Er lebt in den USA und ist ein Deutscher, der seine Herkunft nie zu leugnen trachtete. Im Grunde spielen sich bizarre Szenen ab: Da darf etwa Franz Beckenbauer im ZDF nonchalant und unwidersprochen dem Kerner stecken, man habe dafür gesorgt, dass keine Transparente ins Stadion kommen, die sich wie auch immer kritisch zum Chefcoach positionieren. Natürlich ist das ein Skandal, weil es selbstverständlich genauso das Recht gibt, zu klatschen, wie man auch pfeifen darf. Darüber hinaus sind solche Maßnahmen ohnehin nur ein Kampf um eine Beseitigung sämtlicher Fraktionen, obwohl auch deren großes Ziel der maximale Erfolg bei der nationalen Pflichtübung Weltmeisterschaft ist und sie lediglich über den Weg dorthin streiten wollen. Es gibt keinen Gegensatz zwischen dem DFB, der Nationalmannschaft und den Medien hier und dem Fußvolk dort. Dass Klinsmann die falschen Feinde hat und man sich daher bei aller Kritik an den autoritären Sanktionen à la Beckenbauer auch nicht groß ärgern muss, die falsche Kritik am Hauptübungsleiter vorenthalten bekommen zu haben, ändert nichts daran.

Genauso wenig drückt das nach dem USA-Spiel entflammte Scharmützel zwischen Klinsmann und der Presse prinzipielle Differenzen aus; dem Bundestrainer wie den Medien geht es ausschließlich darum, möglichst am 9. Juli den Pokalgewinn feiern zu können. Beide Seiten kennen keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche. Die Auseinandersetzungen über den besten und effektivsten Weg, die Reihen mit aller Macht und möglichst lückenlos zu schließen – denn genau darum geht es bei dem Zoff –, sind daher eine reichlich unappetitliche Veranstaltung. Teile der Medien – wie etwa BILD und die Münchner tz – sind dem DFB-Trainer mit unsäglichen Argumenten auf die Pelle gerückt, und der wiederum wehrte sich gleichsam in der rüpelhaften Art eines Kurvenfans, der wahlweise der Polizei oder den Schiedsrichtern zuruft: „Ihr macht unsern Sport kaputt!“ Als Reaktion darauf kriegte Klinsmann heute neuerlich sein Fett weg: „Sonderling“ (Frankfurter Rundschau), „schlechter Verlierer“ (Süddeutsche Zeitung), „Sektierer“ (Berliner Zeitung), „der Selbstgerechte“ (taz).

Man weiß nicht so genau, ob man in diesem Kampf um die größte Ganovenehre irgend jemandes Partei ergreifen soll. Vermutlich ist es besser, sie sich selbst zu überlassen, denn ansprechbar für eine grundlegende Kritik der Nation dürfte niemand von ihnen sein. Die muss man dann halt selbst erledigen, auch wenn einem keiner zuhören mag.

23.3.06

Umma statt Emma

Eins kann man der Zeitung mit dem neckischen Kürzel taz ganz sicher nicht nachsagen: Dass sie sich nicht in all den Jahren seit ihrer Gründung stets als Vorkämpferin für Frauenrechte & Gleichberechtigung ins Gefecht geworfen hätte. Wie sehr (nicht nur) deren Verständnis von menschlicher Emanzipation jedoch auf den Hund gekommen ist, zeigt sich immer dann besonders nachdrücklich, wenn es als Fortschritt in Sachen Geschlechtergerechtigkeit gepriesen wird, dass Frauen den gleichen Mist zu erzählen willens und in der Lage sind wie Männer. Ein fürwahr prächtiges diesbezügliches Beispiel findet sich in der vorgestrigen Ausgabe des Erzeugnisses aus der Berliner Kochstraße, nämlich ein Interview von deren Israel-Korrespondentin Susanne Knaul mit der künftigen palästinensischen Frauenministerin Maryam Saleh (Foto), 1953 geboren und bis zu ihrer Nominierung für dieses Amt als Professorin an der Al-Quds Universität tätig – genauer gesagt an der Fakultät für Islamstudien im Bereich Da’wa (was übersetzt so viel bedeutet wie „Aufruf zum Islam“) und Religionsprinzipien.

Eine Akademikerin wird also Ministerin in einer islamischen Regierung – wenn das nicht unglaublich progressiv klingt: Kinder & Karriere, Bildung & Beruf, die reinste Selbstverwirklichung, fast wie bei den Grünen. Da hat sich der jahrzehntelange Kampf gegen den zionistisch-faschistischen Siedlerstaat und für das freiheitsliebende palästinensische Volk doch mal so richtig gelohnt. Außerdem sieht man, dass das mit der Hamas eigentlich gar nicht so schlimm sein kann wie von manchen befürchtet, wenn sie sich neben Suppenküchen und Judenmord sogar ein Frauenministerium leistet. Und Saleh gibt sich auch gleich ausgesprochen problembewusst und zielorientiert: „Das palästinensische Volk lebt in einer tiefen Misere. Wir müssen Armut und Arbeitslosigkeit bekämpfen, und wir wollen den Konflikt beenden.“

Hört sich gut an, oder? Einsichtsvoll, moderat und zugleich kämpferisch. Und dann ist die gute Frau noch nicht einmal Mitglied der Regierungspartei! Aber nur deshalb: „Die Hamas erlaubt Frauen keine Mitgliedschaft.“ Schon hier müssten die linksdeutschen Träume eigentlich platzen wie Seifenblasen – wenn es nicht ausgesprochen nachvollziehbare Argumente für diese Regelung gäbe: „Denn die Mitglieder laufen Gefahr, von der Besatzungsarmee verhaftet oder exekutiert zu werden.“ Das heißt also, dass die Verordnung der Hamas sogar eine ganz besonders frauenfreundliche Maßnahme darstellt. Wenn es nun aber doch einer „Scharia-Expertin“ wie Saleh im Kabinett bedarf, bietet der Parlamentarismus allerlei Kniffe, um die Besatzungsarmee auszutricksen: „Ich wurde Mitglied der Partei Veränderung und Reform. Die Hamas hat mich auf die Liste der Kandidaten gesetzt.“ Dort gehört sie auch hin, denn: „Die Hamas repräsentiert meine Vorstellungen.“ Als da wären: „Das Rückkehrrecht für die Flüchtlinge, das Ende der Besatzung, Veränderung und Reform. Die Korruption, die sowohl Folge der Besatzung sein kann als auch Ergebnis von einseitigen Entscheidungen der früheren Regierung, muss ein Ende haben.“

All das dürfte vor allem in der EU fraglos ungeteilten Beifall finden, und nicht nur bei antiimperialistischen Kampfeinheiten und Friedensgrüppchen, sondern auf allerhöchster politischer Ebene. Dass diese Forderungen jedoch bloß diplomatisch verklausuliert auf das ersehnte Ende Israels abstellen, könnte längst bekannt sein. Denn alleine das Ziel eines „Rückkehrrechts für die Flüchtlinge“ – deren Status sich auf ähnliche Weise vererbt wie beim Bund der Vertriebenen – bedeutet nicht weniger als das Setzen auf die demografische Waffe, weil konventionelle bisher nicht zum gewünschten Erfolg geführt haben.

Die Interviewerin könnte das wissen, wenn sie es denn wissen wollte, aber Susanne Knaul fragt Saleh stattdessen lieber nach der Zweck-Mittel-Relation zur Beseitigung Israels: „Die Hamas verfolgte bislang (!) den Weg der Gewalt und des Märtyrertodes, um die Besatzung zu beenden. Wie stehen Sie dazu?“ Eine echte journalistische Meisterleistung: „Gewalt“ und „Märtyrertod“ sind demnach nicht Ausdruck eines irrationalen antisemitischen Wahns, sondern ein „Weg“, der zu einem bestimmten, rationalen und allemal legitimen „Ziel“ – der „Beendigung der Besatzung“ nämlich – führen soll und nicht etwa zur Vernichtung Israels. Für so viel Verständnis ist die künftige Frauenministerin natürlich dankbar: „Jeder Mensch hat die Pflicht, um seine Freiheit zu kämpfen, wenn er unterdrückt wird. Das ist in unserer Religion, im Islam, so. Das ist nichts Schlechtes. Jedes Land wird seine Söhne in den Kampf zur Verteidigung schicken, wenn es besetzt ist. Ich lehre meine Kinder, ihr Heimatland zu lieben. Auch wenn die Mütter die Kinder nicht unmittelbar zum Märtyrertod anhalten, dann verstehen die Söhne doch, dass der Kampf ihre Pflicht ist.“

„Freiheit“ von „Unterdrückung“ und „Besetzung“ meint in dieser Sichtweise eine Welt ohne Juden. Das wussten schon die Nazis, die daher ihre „Söhne in den Kampf zur Verteidigung“ schickten, dazu ihre Kinder lehrten, „ihr Heimatland zu lieben“ und sich darauf verlassen konnten, dass die Söhne verstehen, „dass der Kampf ihre Pflicht ist“. Doch auf diesen Gedanken kommt die Journalistin selbstverständlich nicht, weshalb sie im Anschluss daran bloß wissen möchte, ob die Hamas gewillt sei, auf Gewalt zu verzichten und Israel anzuerkennen, ganz so, als ob Maryam Saleh das nicht längst verneint hätte. Und sie kontert dementsprechend auch mit einer Gegenfrage: „Warum stellt ihr keine Bedingungen an Israel, uns anzuerkennen? Arafat und Abbas haben Israel längst anerkannt, umgekehrt aber erkennt Israel nicht die Palästinenser und ihre Rechte an, wie das Rückkehrrecht der Flüchtlinge.“

Hier hakt die taz-Reporterin doch noch einmal nach, sei es, weil sie es als Journalistin nicht besonders mag, keine direkte Antwort zu bekommen, sei es – was kein bisschen weniger wahrscheinlich sein muss –, weil sie einer Bekräftigung der Aussage mit Sympathie entgegen sieht: „Sie sind also nicht bereit, die Bedingungen zu akzeptieren?“ Und gibt sich schließlich zufrieden, als Saleh zu Protokoll gibt: „Sobald Israel Palästina in den Grenzen von 1967 anerkennt, die Siedlungen auflöst und den Mauerbau einstellt, können wir über Schritte in Richtung Frieden nachdenken.“ Großzügig, nicht wahr? Zumindest ein Teil der Hamas hat rasch eine Form, sagen wir, zielgruppenorientierter Diplomatie erlernt, mit der sich ihre europäischen Gesprächspartner in der Regel zufrieden geben: Wenn Israel alles tut, um dem Terror schutzlos ausgeliefert zu sein, also faktisch der Möglichkeit seiner Liquidation zustimmt, ist man auf palästinensischer Seite generös bereit, „über Schritte in Richtung Frieden nach[zu]denken“ – einen Frieden, den der jüdische Staat nicht erleben würde, weil er es gar nicht soll.

Zum Schluss des Gesprächs wagt Susanne Knaul noch zwei Vorstöße in Richtung „Kleiderordnung für Frauen“ sowie „Ehegesetze, das Heiratsalter und Polygamie“. Heiße Eisen also, doch Maryam Saleh gelingt es souverän, sich an ihnen nicht die Finger zu verbrennen. In Bezug auf die Kopftuchfrage lässt sie wissen, man mache „Vorschläge“, und „jedem bleibt selbst überlassen, dem zuzustimmen oder nicht. Wir werden niemanden zum Kopftuch zwingen“. Außerdem sei das vollkommen zweitrangig, denn: „Das Problem ist, dass wir noch immer unter Besatzung leben. Es geht jetzt nicht um den Aufbau eines islamischen Staates, sondern um unsere Unabhängigkeit. Anschließend können wir unsere Agenda neu überdenken.“ Genau wie die „Schritte in Richtung Frieden“, vermutlich.

Es ist ein Charakteristikum islamischer Gesellschaften und Rackets, dass sie ihre Nöte, Probleme und Schwierigkeiten niemals als hausgemacht begreifen, sondern der Existenz eines angenommenen äußeren Feindes zwingend bedürfen, sollen nicht Repression, Jenseitsbezogenheit, Armut und eklatante gesellschaftliche Widersprüche irgendwann dazu führen, dass ihnen der ganze Laden selbst um die Ohren fliegt. Auch der „Kampf gegen die Korruption“ hat nur das Ziel, für die Einheit der Umma schädliche Partikularinteressen zum Verschwinden zu bringen. Es braucht solche Menschen wie Maryam Saleh, um das Modell Islam als attraktive Alternative zur westlichen Dekadenz erscheinen zu lassen – auch und gerade für Frauen. Im taz-Interview lobpreist die palästinensische Frauenministerin denn auch geradezu überschwänglich die großen Freiheiten des weiblichen Geschlechts unter dem Allmächtigen: „Im Islam ist es für ein Mädchen möglich, schon im Alter von 16 Jahren zu heiraten. Sie muss nicht, aber sie kann. Manche Politikerinnen wollen das Alter hochsetzen. Solche Gesetze gibt es nicht einmal in westlichen Ländern.“ Zwangsverheiratung? Vermutlich eine Erfindung der zionistischen Presse! Und was, bitteschön, ist denn gegen Polygamie einzuwenden? Nichts: „Manchmal ist eine Frau unfruchtbar oder kann die Bedürfnisse ihres Mannes nicht befriedigen. In diesem Fall kann der Mann mehr als eine Frau haben.“ Um die Bedürfnisse von Frauen geht es schließlich nicht, wo kämen wir sonst hin? Außerdem: „Das ist gut, weil es die Frauen schützt, denn der Mann würde sonst fremdgehen.“ So bleibt wenigstens der Kreis der Konkurrentinnen überschaubar und der Zickenkrieg aus – diese Probleme verstehen sie bei einem kulturrelativistischen Post-68-Blatt nur zu gut. Schließlich: „In westlichen Ländern kann ein Mann zehn Frauen haben, mit denen er nicht verheiratet ist. Wer schützt hier die Rechte der Frauen?“

Das fragt sich gewiss auch die taz und daher nicht mehr nach. Vergessen Sie Ayaan Hirsi Ali, Necla Kelek, Nasrin Amirsedghi, Serap Cileli oder Seyran Ates. Es lebe die Hamas, Vorkämpferin für den Feminismus und gegen das Patriarchat!

22.3.06

Ein Kämpfer im Herzen der Bestie

Noch ein kleiner Nachtrag zum Thema Antirassismustag, weil er so wunderbar passt. Just gestern nämlich machte einmal mehr Londons linker Bürgermeister Ken Livingstone so richtig von sich reden. Eigentlich steht er ja noch unter Beobachtung: Anfang dieses Monats war über ihn zunächst ein vierwöchiger Zwangsurlaub verhängt worden, nachdem der Rote Ken vor knapp einem Jahr eine Interviewbitte des Journalisten Oliver Finegold vom Evening Standard erst mit den Worten „Haben Sie daran gedacht, sich behandeln zu lassen? Was haben Sie angestellt? Waren Sie ein deutscher Kriegsverbrecher?“ ausgeschlagen und auf Finegolds Erwiderung, er sei Jude und fühle sich durch solche Fragen beleidigt, schließlich entgegnet hatte: „Sie benehmen sich wie ein Aufseher in einem Konzentrationslager.“ Die Sperre wurde jedoch von der Justiz ausgesetzt, bis über Livingstones Berufung entschieden ist.

Am Dienstag nun nutzte der Bürgermeister diese Freiheiten ganz ungeniert und holte zum nächsten Schlag aus: Bei seiner wöchentlichen Pressekonferenz griff er die Brüder David und Simon Reuben scharf an. Ihnen gehören 50 Prozent eines Konsortiums, das das Olympische Dorf für die Spiele in London 2012 bauen soll. Livingstone warf den beiden Unternehmern – in Indien geborene Kinder jüdischer Iraker – vor, die Atmosphäre in diesem Syndikat „vergiftet“ zu haben, weshalb sie „zurück in den Iran gehen und da ihr Glück mit den Ayatollahs versuchen“ sollten.

Im Unterschied zu Deutschland, wo man den Protest etwa gegen die Umwandlung einer ehemaligen Synagoge in eine Erlebnisgaskammer jüdischen Organisationen und Menschen aus Israel und den USA überlässt, reagieren in Großbritannien auch noch andere mit dem gebotenen Entsetzen auf solche antisemitischen Tiraden. Der konservative Stadtrat Brian Coleman beispielsweise übte deutliche Kritik: „Der Bürgermeister ist antisemitisch, und wir wissen das in London. Das ist die extremste Bemerkung, die er bislang gemacht hat.“ Er habe mit seiner schockierenden und empörenden Äußerung die gesamte jüdische Gemeinde grob beleidigt und sehe sich nun möglicherweise einem neuerlichen Verfahren gegenüber. Halb so wild fand die Invektiven hingegen die britische Commission for Racial Equality: Man werde der Sache nicht nachgehen, denn „sie fällt nicht in unseren Aufgabenbereich“.

Ganz offensichtlich ist man dort mehr damit befasst, Antirassismus im Sinne der UN zu praktizieren. Das dürfte allemal im Interesse von Ken Livingstone liegen, der schon nach dem allerersten Schock über die Londoner Anschläge am 7. Juli letzten Jahres rasch wusste, dass sie eigentlich auf das Konto von Tony Blair respektive „der westlichen Regierungen“ gingen, „die mit unterschiedslosem Abschlachten von Menschen ihre außenpolitischen Ziele durchzusetzen versuchen, so wie wir es auch gelegentlich bei der israelischen Regierung erleben, die ein Gebiet, von dem ein Terrorangriff ausgegangen ist, bombardiert, egal wie viele Verluste dies unter der Zivilbevölkerung, bei Frauen, Kindern und Männern, verursacht“. Kein Wunder, dass etwa Livingstones deutscher Gesinnungsgenosse Rainer Rupp (junge Welt) zu solchen Statements erleichtert schrieb: „Gut, dass der erklärte Irak-Kriegsgegner und Blair-Kritiker kein Muslim ist. Zu leicht könnte er als ‚Hassprediger’ diffamiert, inhaftiert und außer Landes geschafft werden.“

Zum Beispiel zu den Ayatollahs. Dann fehlte er zwar als Kämpfer im Herzen der Bestie, doch fände er dort garantiert sein Glück. Wenn auch vielleicht kein irdisches.

21.3.06

Allahs Merchandising

Bevor das noch ganz in Vergessenheit gerät: Heute ist – besser gesagt: war – Antirassismustag. Genauer gesagt: der Internationale Tag für die Beseitigung der Rassendiskriminierung. So heißt der ganz offiziell bei den Vereinten Nationen respektive deren Hochkommissar/in für Menschenrechte (OHCHR), und zwar seit 1966. Klingt ganz ernst, ziemlich entschlossen und vor allem schwer offiziell. Nun kann man über Sinn und Unsinn derartiger Aktionstage, offizieller zumal, ohnehin schon trefflich streiten; zumeist werden bloß ein paar mahnende, staatstragende Worte betroffen dreinschauender Figuren des öffentlichen Lebens durch den virtuellen Raum gejagt, und damit hat sich die Sache.

Im Falle des Antirassismustages ist es allerdings noch ein bisschen ärger. Denn das Hochkommissariat – das Leon de Winter treffend „einen der schlechtesten Witze der jüngeren Geschichte“ nennt und einen „Klub, der [...] die Ehre und den Stolz der schlimmsten Tyranneien und Diktaturen verteidigt“ – liegt ganz auf der prinzipiellen UN-Linie, und die war seit eh und je proarabisch und antizionistisch. Als Rassismus gilt bei den Vereinten Nationen in erster Linie daher das, was Israel mit den erdverbundenen Autochthonen veranstaltet, und auf die Uno-Resolution 3379 aus dem Jahr 1975, bei der Zionismus allen Ernstes als Rassismus verurteilt wurde, verweisen die arabischen Brüder und Schwestern genauso inbrünstig wie ihre europäischen, bevorzugt bei der Linken anzutreffen Fans.

Gegen Israel gerichtete UN-Beschlüsse gibt es sonder Zahl, aber selbst für eine Tischvorlage zum Thema Antisemitismus reicht es selbstverständlich nicht. Einen unnachahmlichen Beleg dafür, wie es bei dieser Vereinigung zugeht, lieferte etwa die Antirassismuskonferenz im südafrikanischen Durban Anfang September 2001. Dort beschimpften die Teilnehmer Israel als „rassistischen Staat“ und „Apartheidsregime“; eine Demonstration gegen Rassismus am Konferenzort hielt nicht am Rathaus, sondern zog bis zur Synagoge weiter, „wo dann von Demonstranten die ‚Protokolle der Weisen von Zion’ verteilt wurden und Plakate zu sehen waren, auf denen Hitler gezeigt wurde, der sagt: ‚Wenn ich gewonnen hätte, gäbe es heute kein Israel und kein palästinensisches Problem!’“, wie Shimon T. Samuels vom Simon-Wiesenthal-Center berichtete. Vier Tage nach dem Ende der Versammlung wurde solcherlei Antirassismus übrigens so richtig aktiv: zwei Flugzeuge ins World Trade Center, eins ins Pentagon und noch ein weiteres, das sein eigentliches Ziel verfehlte. Durban dürfte die Verantwortlichen und Exekutoren dieses Massenmordes noch einmal zusätzlich gepusht haben.

Was soll man von der Untergliederung einer Organisation wie der UN also schon erwarten, wenn der Antirassismustag ansteht? Dieses: ein Plakat (Foto oben), in dem uns auf Englisch zunächst mitgeteilt wird: „Rassismus nimmt viele Formen an“. Und dann sehen wir ein schwarzes Puzzle – könnte ein Völkergeflecht symbolisieren sollen – sowie einen kleineren roten Legostein, der aber recht aggressiv daherkommt (vom Dunkeln ins Licht übrigens) und das arme Geduldsspiel zu bedrohen scheint. Die Assoziationen, die dieser Appell hervorrufen soll, sind so offensichtlich, dass man den Urhebern dieses Druckwerks noch nicht einmal unterstellen möchte, sie hätten vielleicht zumindest subtil handeln wollen. Wenn das also mal keine Antwort auf den Cartoon-Jihad sein soll: Rassistische Dänen haben die Umma beleidigt (was die Islamische Glaubensgemeinschaft kürzlich auch der Hohen Kommissarin für Menschenrechte per offizieller Beschwerdeeingabe gegen Dänemark schriftlich gab). So mutiert ein harmloses Kinderspielzeug zum Symbol für einen kleinen, aber mächtigen Aggressor, der die friedliche muslimische Welt – noch aus Einzelteilen bestehend, aber schon beim Zusammenfügen – attackiert. „Ich hab es so satt mit den politischen Eliten der UN, der EU und des Restes der Dhimmi-Welt“, schilderte Leon de Winter in diesem Zusammenhang nachvollziehbar sein Gefühlsleben.

So viel also zum Thema Antirassismustag. Mit einem gewissen Hohn könnte man noch auf die Ähnlichkeit des OHCHR-Logos mit dem arabisch geschriebenen Wort Allah hinweisen. Wer das jetzt albern findet, sei an zwei jüngere Fälle erinnert, in denen Produkte vom Markt genommen wurden, weil sie grafische Elemente enthielten, die nach just diesem Schriftzug ausgesehen haben sollen und daher von Muslimen als Beleidigung ihrer Religion betrachtet wurden: Vor sechs Jahren musste Nike ein Paar Schuhe zurückrufen (links im Foto), weil auf der Fersenseite ein Logo zu sehen war, das angeblich dem Wort Allah (rechts im Foto) ähnelte*. Und im vergangenen Jahr stellte Burger King den Verkauf einer Eiskremsorte ein, weil die Umrisse des Produkts auf der Verpackung (Fotomitte) den Namen des Herrn verschriftlichten, wie beklagt wurde. Wenn man das schon so sehen will, hätte man auch im OHCHR-Signet einige frappante Übereinstimmungen zu konstatieren. Es ist unwahrscheinlich, dass das in der arabisch-muslimischen Welt wirklich noch niemandem aufgefallen ist. Eher schon wird man dort diese Symbolik begrüßen. Sie ist ja schließlich: antirassistisch.

* Leser Aram Ockert weist in diesem Zusammenhang auf eine Boykott-Kampagne der hinlänglich bekannten Website Muslim-Markt gegen das US-amerikanische Unternehmen hin: „Die kalligrafische Schrift lässt keinen Zweifel daran, dass hier der Eigenname der Prächtigkeit Allahs mit Füßen getreten werden soll.“ Was zu beweisen war.