30.4.06

Goodbye to a Magpie

Seine Profikarriere endete, wie sie achtzehn Jahre und drei Tage zuvor begonnen hatte: mit einem Tor. Als Siebzehnjähriger hatte Alan Shearer seinerzeit bei seinem Debüt für Southampton sogar gleich drei Treffer gegen Arsenal markiert; nun beschloss er seine großartige Laufbahn vor wenigen Tagen durch ein Goal beim 4:1 seines Klubs Newcastle United im Lokalderby gegen Sunderland AFC (Foto). Eigentlich hätte erst am Saisonende Schluss sein sollen – nach dem letzten Ligaspiel gegen Chelsea und dem Abschieds-Testimonial am 11. Mai gegen Celtic nämlich –, doch Sunderlands Julio Arca machte Shearer mit einem Foul einen Strich durch die Rechnung: Ein Bänderriss sorgte dafür, dass der Torjäger bereits jetzt in den Ruhestand treten muss. „Das war’s, es ist vorbei. Es ist enttäuschend, aber ich beschwere mich nicht – ich hatte eine große Karriere. Tief drinnen wusste ich, als ich aus dem Stadion humpelte, dass das wahrscheinlich das Ende war, und ich glaube, die Fans wussten das auch. Sie wissen, dass ich nicht liegen bleibe, wenn ich nicht wirklich schwer verletzt bin“, sagte Shearer dem Newcastle-Fanzine True Faith. „Hoffentlich kann ich den Anstoß beim Testimonial noch ausführen – aber es gibt viele Menschen, die weit schlechter dran sind als ich.“

Einer jedoch wird möglicherweise tief durchatmen, dass Alan Shearer nun die Fußballschuhe im Schrank verstaut: Sir Alex Ferguson, ewiger Trainer des Ligakonkurrenten Manchester United. Jahrelang hatte er seinen Spielern vor Begegnungen seines Klubs gegen Newcastle drei Ratschläge mit auf den Weg gegeben:
„1. Lass Shearer niemals das Tor sehen. 95 Prozent seiner Schüsse von außerhalb des Sechzehners gehen auf den Kasten. 2. Lass Shearer am langen Pfosten niemals aus den Augen. Er wird über dich steigen und dich lächerlich machen. 3. Lass Shearer niemals vor dir an den Ball. Dann kannst du die Kugel kurz darauf aus dem Netz holen.“
Vor zehn Jahren wollte Ferguson Shearer deshalb zu ManU lotsen – doch der entschied sich für einen Wechsel von seinem damaligen Verein Blackburn Rovers – die er 1995 mit sensationellen 34 Toren zu deren erster Meisterschaft und auch seinem einzigen Titel geschossen hatte – zu seinem absoluten Lieblingsklub, den Magpies. „Mein Traum als Kind war es, für Newcastle zu spielen und Tore im St. James’ Park zu schießen. Es macht nichts, dass ich dort nie einen Pokal gewonnen habe, denn ich bin meinen Weg gegangen und habe den Traum gelebt. Für diesen Klub zu spielen, bedeutete mir alles“ ,fasste Shearer nach seinem definitiv letzten Match noch einmal die Gründe zusammen, 1996 auf viel Geld verzichtet und stattdessen einem Herzenswunsch gefolgt zu sein. Newcastle ließ sich den Transfer damals 15 Millionen Pfund kosten – das war zu jener Zeit die höchste Summe, die je für einen Wechsel gezahlt wurde.

Mit 206 Toren in 404 Partien ist der 35-jährige Rekordtorschütze des Vereins; insgesamt brachte er es in seiner Karriere als Fußballprofi sogar auf 409 Einschüsse in Ligaspielen und auf 30 Treffer in 63 Länderspielen für England – darunter das Siegtor beim 1:0 gegen Deutschland (Foto) während der Europameisterschaft 2000 (das die Three Lions zwar leider nicht vor dem Ausscheiden bewahrte, den Deutschen immerhin jedoch ebenfalls das vorzeitige Aus bescherte). Dabei waren die Voraussetzungen für Alan Shearer gar nicht mal so berauschend, als er mit 15 Jahren in der Jugend des FC Southampton begann, wie der kicker zu berichten weiß:
„‚Wir machen deinen rechten Fuß zur Waffe’, versprach ihm Jugendcoach Dave Merrington. ‚Bald wird dein rechter wie der linke von Puskas sein.’ – ‚Wer ist denn Puskas?’ – ‚Er war ein großer ungarischer Stürmer mit dem besten linken Fuß der Welt.’ – ‚Aha.’ Extraschicht um Extraschicht verfolgte Shearer dieser komische Puskas. Und der ungarische Geist machte ihn zum besten englischen Stürmer seiner Generation.“
Die großen Trophäen blieben dem Topscorer zwar versagt, aber bereut hat er es trotzdem nie, nicht zu einem ganz großen Verein gegangen zu sein. Und die Fans dankten es ihm – nicht zuletzt mit einem legendären T-Shirt, das die Aufschrift trug: „Jesus rettet. Und Shearer trifft im Nachschuss.“ Außerdem sind die Perspektiven für den so treffsicheren Stürmer durchaus annehmbar:
„Endlich habe er vor einem Spiel mal Pommes und Burger essen dürfen. Bald wird der beliebteste Sohn Newcastles dann wohl auf deren Trainerbank sitzen. Und weiter diese verdammte Trophäe jagen. Ohne die rechte Puskas-Klebe.“
Ein Großer geht. Einer, den man vermissen wird.

Übersetzung: Liza; Hattip: Tobias Kaufmann

29.4.06

It’s Zombie time

Was, so fragt man sich, kann man am bevorstehenden Kampftag der Arbeiterklasse – der dieses Jahr lohnabhängigenfreundlich auf einen Montag fällt und somit das Wochenende verlängert – eigentlich Vernünftiges anstellen? Ausschlafen vor allem! Außerdem vielleicht, schönes Wetter vorausgesetzt, einen Ausflug machen, die Seele baumeln und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen.

Traditionsbewusste Proletarier und andere kampferprobte Zeitgenossen jedoch nutzen den 1. Mai für allerlei Manifestationen. Landauf, landab ruft es nach Arbeit für alle, und um diesem schnöden Anliegen, das sich selbst Zweck ist, ein bisschen mehr Attraktivität zu verleihen – zumal an einem Feiertag –, werden ausgefallene Rahmenprogramme ausgetüftelt und angeboten. Alleine in Berlin findet sich das komplette Spektrum – von der obligatorisch-rituellen Randale „für eine andere Welt“ bis hin zum „Run for the future“ des DGB. Nur hier und da verweigern sich ein paar versprengte Aufrechte derlei Zumutungen – die oft genug auch noch mit wüsten Attacken gegen „amerikanischen Raubtierkapitalismus“, „Neoliberalismus“, „israelische Besatzungspolitik“ oder „Kriegstreiberei“ (nein, nicht die des Irren von Teheran – wo kämen wir da hin?) einhergehen – und stellen Rückwärtsgewandtheit und regressive Bedürfnisse linksdeutscher Kämpfer und ihres Anhangs mit guten Gründen an den Pranger.

Die Bonner Gruppen Verein freier Menschen und Never Again! erläutern in einem Flugblatt, warum die Linke sie an Zombies erinnert, was sie von deren Etatismus und Identitätshuberei halten und weshalb die Mai-Aufzüge Ausdruck einer Selbstentmündigung sind. Da die Druckschrift nicht im Netz zu finden ist, soll sie hier in Gänze dokumentiert werden.

Nie wieder Arbeit!
Der 1. Mai, oder: Land of the Dead

Als arbeiterbewegter Linker hat man in diesem Land schon seit geraumer Zeit nichts mehr zu lachen. All die über die Jahre erkämpften und lieb gewonnenen rechtlichen, sozialen und materiellen Güter werden mit Verweis auf marktwirtschaftliche Sachzwänge wieder einkassiert. Der in der korporatistischen Nachkriegsrepublik regelrecht eingeschlafene Klassenkampf erscheint als wieder aufgenommen, nur will das überlieferte, leicht angestaubte Bild der Akteure nicht länger auf die Gegenwart zutreffen. Angesichts des objektiven Fehlens von zylindertragenden und zigarrerauchenden Erzkapitalisten in Zweispännern ist der Gegner auch gar nicht so leicht auszumachen; aber dass es einen Gegner gibt, gilt zumindest als gewiss, anders ist die verkehrte Welt des Kapitalismus nicht recht zu rationalisieren.

Dass die gegenwärtige Gesellschaft in ihrer Substanz und Entwicklung nicht auf persönliche Entscheidungen einzelner übermächtiger Menschen zurückgeführt werden kann, sondern einer mittlerweile verallgemeinerten Eigenlogik, einer zwanghaften und selbstzweckhaften, somit subjektlosen Verwertung des Werts unterworfen ist, spielt nach wie vor in linksdeutschen Analysen kaum ein Rolle. Stattdessen werden konsequent Heuschrecken, Fremdarbeiter und andere nebulöse Unmenschen für all jenes verantwortlich gemacht, was mit dem Weltverständnis einer etatistischen Linken nicht erfasst werden kann: Dass die eigene Existenz und die ihr noch verbliebene Würde (= Arbeitskraft) nicht mehr gebraucht werden, da die allgemeine gesellschaftliche Reproduktion sich in Zeiten eines globalisierten Kapitalismus und der mikroindustriellen Revolution mehr und mehr jenseits proletarischer Wertarbeit vollzieht. Trotz stetig wachsender Produktionskapazitäten immer irrsinnigeren Reichtums gerät – zunehmend auch in den industrialisierten Zentren – die bloße Reproduktion des nackten Lebens in Gefahr. Und der ungeschminkte Anblick des Kapitals offenbart im Gegenzug auch die ungeschminkte Begriffslosigkeit (nicht nur) der deutschen Linken.

Weil der Wandel der Welt nicht verarbeitet wird, müssen die altvorderen Begriffe herhalten, auch wenn diese eigentlich noch nie zugetroffen haben. So wird mal wieder der Staat als angeblich bewährter Krisenretter zum Hort der Emanzipation umgelogen. Er soll den „ungezügelten“, gar „raubtierhaften“ Kapitalismus zurücktransformieren in eine harmlose soziale Marktwirtschaft. Dem Sozialstaat, für Unzählige eine existenzielle, aber eben auch rein instrumentelle Errungenschaft, wird an seinem Sterbebett ein emanzipatorischer Gehalt zugeschrieben, den dieser nie inne hatte und haben konnte. Sein fortschrittlicher Wesenszug – konkreter Rechtsanspruch statt willkürlicher, paternalistischer Wohlfahrt – wird indes zum Wesen des Staates selbst verklärt. Aus einer verständlichen Angst und Abneigung heraus, sich der ideellen Gesamtzumutung des liberalisierten Marktes preiszugeben, verlangt der vereinzelte Einzelne nach Schutz durch den bevormundenden Zwangsapparat des Staats sowie nach Unterwerfung des Individuums unter die Gemeinschaft. Diese beiden Gedanken sind aufs engste mit einander verwoben.

Denn im selben Maße, wie die Fetischisierung des Staates einer freiwilligen Versklavung gleicht, ist die Wiederentdeckung der Gemeinschaft ein „Eingang in die selbst verschuldete Unmündigkeit“ (Gerhard Scheit). Der Glaube an das höhere, nach innen verbindende Prinzip dient nicht zuletzt der gleichzeitigen Veräußerung von Verantwortlichkeit: Da Staat und Volk als Gutes, weil irgendwie Organisches und Sorgendes ausgemacht sind, kann die Schuld für die Krise nur hinter dem Horizont liegen; bei Hedgefonds und multinationalen Konzernen, bei Sozialschmarotzern und Ausländern, in den USA, bei den Juden und „denen da oben“. Die eigene Aufopferung wird stolz als Dienst am Ganzen verstanden, nicht als die blinde Reproduktion von elenden Verhältnissen, die sie ist.

Wenn also am 1. Mai mit vereinten Kräften vor allem eines gefordert wird: „Arbeit, Arbeit, Arbeit!“, so veranschaulicht die Linke nicht mehr als ihre Rückwärtsgewandtheit und ihre regressiven Bedürfnisse. Arbeit wird noch im Augenblick ihrer objektiven Überwindung als ahistorische Naturnotwendigkeit, als Bedingung gesellschaftlichen Fortschritts und als unerlässliche Formierung des Charakters wahrgenommen. Deswegen macht man sich lieber keine Gedanken über die Etablierung einer emanzipatorischen Gesellschaftsformation jenseits von Staat und Kapital, von äußerem wie innerem Zwang in der sinnlos arbeitenden Gemeinschaft, oder wenigstens in einem Anflug von Reflektion, über die Vorzüge einer Loslösung von jener identitären und staatstragenden Großveranstaltung des „Tags der nationalen Arbeit“. Stattdessen werden schwülstige Appelle an die Politik bis zum Erbrechen wiederholt, dass eine andere Welt möglich sei; angesichts der Kategorien, von denen diese hohle Formulierung ausgeht – Nationalstaat, Sozialstaat, Vollbeschäftigung – erscheint eine andere Welt zwar weder möglich noch wünschenswert. Doch die Moral ist mit ihnen.

Der 1. Mai ist der Feiertag einer Linken, die nichts mehr zu feiern hat. Diese Linke ist begrifflich tot, ein Zombie, der wie einbetoniert auf seinem verherrlichenden und verharmlosenden Arbeitsstandpunkt verharrt, gerne auch noch von Klassenkampf und „Scheißkapitalisten“ fabuliert und gleichzeitig sich dem klammheimlich geliebten Staate anzubiedern versucht, während er behutsam ins Museum verfrachtet wird.

Schleierei

Da kündigt der Mahmud Ahmadinedjad an, ab sofort bei Männerspielen auch Frauen ins Stadion zu lassen und ihnen gar „die besten Plätze“ in einem eigenen Block zu reservieren, damit es im Land der Mullahs wieder gesitteter zugeht – und, Schwupps, wird die Arena plötzlich gar zur männerfreien Zone: Sechshundert ausschließlich weibliche Fans sahen sich gestern eine Premiere an. Zum ersten Mal durfte das iranische Frauen-Nationalteam zu Hause spielen, und zwar anlässlich eines, ja doch, Freundschaftsspiels gegen eine Auswahl aus Deutschland, genauer gesagt aus – na? – richtig: Kreuzberg. Die Partie sollte ursprünglich bereits im vergangenen November über die Bühne gehen, doch das Ganze verschob sich noch um ein halbes Jahr.

Männlichen Zuschauern war der Zutritt zu dem Spiel verboten, obwohl beide Teams mit Schleier und im Trainingsanzug antraten. Schiedlich-friedlich 2:2 unentschieden endete der Kick im Teheraner Ararat-Stadion, und der Tagesspiegel mutmaßt, die Gäste hätten mit anderer Spielkleidung wohl gewonnen:
„Die Berliner Mannschaft hatte beim Spiel Probleme mit den ungewohnten Schleiern. Besonders bei hohen Bällen kam es öfters zu unplatzierten Kopfbällen. Proteste gegen die ungewohnte Spielkluft wurden aber nicht eingelegt.“
Im Gegenteil – das tut frau doch gerne für die Völkerverständigung:
„Die Deutschen spielen an diesem Samstag im selben Stadion auch noch gegen die iranische U21-Frauennationalelf.“
Bis dahin haben die islamischen Tugendterroristen im iranischen Staatsapparat allerdings noch einiges zu tun, damit sich nicht wiederholt, was sich bei der ersten Begegnung zutrug:
„In der Halbzeitpause kam es zu einem Zwischenfall, als viele Fans zur Pop- und Technomusik aus den Stadionlautsprechern tanzen wollten. Iranische Funktionärinnen stoppten die Musik und forderten die Zuschauerinnen auf, umgehend mit dem Tanzen aufzuhören.“
Was die Kreuzbergerinnen jedoch nicht davon abhielt, das Spiel fortzusetzen und auch die zweite Hälfte zu bestreiten; vermutlich hatte man so etwas ohnehin schon geahnt. Aber derlei geht halt als Multikulti durch, als Folklore gewissermaßen, die nun mal hinnehmen müsse, wem es um Respekt vor anderen Kulturen und Toleranz zu tun sei. Bei so viel anrührendem Miteinander wird selbst der Tagesspiegel schwach, der seinen Beitrag über das Gastspiel der Deutschen bei Freundinnen (Foto) durchaus affirmativ als „historisches Fußballspiel“ apostrophiert und am Ende gar allen Ernstes befindet, Ahmadinedjads eingangs erwähnte Anordnung könne „für frischen Wind“ sorgen.

Unterdessen quittierte der so Gelobte die Anerkennung, die ihm in den deutschen Medien für seine vermeintlich frauenfördernde Maßnahme entgegengebracht wird, mit einem Statement, das hierzulande gewiss ausgesprochen gerne gehört wird:
„Der iranische Staatschef Mahmud Ahmadinedjad hat den Deutschen ein falsch verstandenes Schuldbewusstsein bescheinigt. Der Krieg sei seit mehr als 60 Jahren zu Ende, aber wenn man nach Deutschland komme, sehe man deutlich, dass sich ‚dieses zivilisierte Volk’ immer noch für die Verbrechen der Nazis im Zweiten Weltkrieg schuldig fühle, sagte der Präsident am Donnerstag in einer Rede, die live im Fernsehen übertragen wurde.“
An der Bonner Bertolt-Brecht-Gesamtschule hat man sich von so viel Schmeichelei jedoch nicht beeindrucken lassen und zwei Schülerinnen für zwei Wochen vom Unterricht suspendiert, die in einer Burka – also einer Ganzkörperverhüllung mit Sehgitter oder -schlitz – aufgelaufen waren. Schulleiter Ulrich Stahnke befand: „Hier wurde eine Grenze überschritten.“ Ob durch die Verschleierung nun wirklich der „Schulfrieden“ gestört wird, wie er meinte, oder ob es nicht in erster Linie darum zu gehen hätte, einen Verstoß gegen Universalismus und Aufklärung zu ahnden, sei an dieser Stelle nur deshalb vernachlässigt, weil der Schritt der Schule in jedem Falle richtig bleibt:
„Ob die Burka etwas mit Religion zu tun habe, sei hier nicht das Thema. ‚Im Unterricht müssen die Lehrer offen mit ihren Schülern kommunizieren können.’ Dies sei bei einer Burka nicht mehr der Fall.“
Die durchaus pragmatische Begründung des Rektors für den vorläufigen Schulverweis stellte also die Bildung der Schulpflichtigen über so etwas wie religiöse Gefühle, und das ist unbedingt zu begrüßen. Zudem kommt das plötzliche Burka-Tragen offenbar doch nicht ganz überraschend:
„Die Familie einer der beiden Frauen sei bei den deutschen Sicherheitsbehörden bekannt, hieß es in Bonn. Es gebe auch Kontakte zur früher ins Visier der Sicherheitsbehörden geratenen König-Fahd-Akademie in Bonn, die als Schule von Saudi-Arabien betrieben wird. Eine gezielte Provokation könne nicht ausgeschlossen werden.“
„Lehrer haben vormittags Recht und nachmittags frei“, geht eine Schülerparole. Der vierzehntägige Verweis – der aufgehoben wird, wenn die Schülerinnen wieder unverschleiert zur Schule kommen – wurde dann wohl an einem Morgen beschlossen.

Hattips: Doro & Clemens

Things we like (III)



Gesehen und aufgenommen in Brüssel von Spirit of Entebbe, an den ein herzliches Dankeschön ergeht.

28.4.06

Sittenpolizei!

Wenn Meldungen die Runde machen, drei iranische Nationalspieler hätten ihren Protest gegen einen Besuch Mahmud Ahmadinedjads bei der anstehenden Fußball-Weltmeisterschaft angekündigt, und außerdem dürften im Iran ab sofort auch Frauen ins Stadion gehen, hört sich das zunächst einmal nach guten Nachrichten an. Ein paar nicht ganz unwichtige Einschränkungen gäbe es da allerdings doch. Aber der Reihe nach.

Zunächst vermeldete die Deutsche Welle nachgerade euphorisch eine „Sportpolitische Revolution im Stadion“:
„Frauen erhalten laut Präsident Mahmud Ahmadinejad erstmals seit Gründung der Islamischen Republik die Erlaubnis, Männern beim Fußballspiel im Stadion zuzuschauen. Erstmals seit der islamischen Revolution vor 27 Jahren erlaubt die iranische Regierung somit Frauen wieder den Besuch im Stadion. Nach der Islamischen Revolution 1979 war ihnen der Zutritt zunächst mit der Begründung verwehrt worden, Sportlern in kurzen Hosen zuzusehen sei unkeusch. Später wurde das Verbot damit gerechtfertigt, dass Frauen vor der Pöbelsprache der Fans auf den Rängen geschützt werden müssten.“
Man kratzt sich erst einmal am Kopf. Seit Jahren schon vereitelt die iranische Polizei so ziemlich jeden Versuch von Frauen, sich die Kerle beim Kicken anzugucken, und das nicht selten mit brutaler Gewalt. Erst kürzlich endete das Bedürfnis zahlreicher weiblicher Fans, das Länderspiel des Iran gegen Costa Rica live sehen zu können, mit Knüppeln der islamistischen Staatsmacht und anschließenden Festnahmen. Das aktive Fußballspielen ist Frauen und Mädchen zwar nicht verboten, aber ihr Publikum muss – wenn überhaupt eines zugelassen ist – rein weiblich sein; das iranische Nationalteam spielt zudem ausschließlich auswärts, und dort müssen die Kickerinnen in einem Trainingsanzug und verschleiert auflaufen. Das soll jetzt also alles anders werden? Der Präsident hat das Wort:
„Nun zitierte ein Fernsehsprecher Ahmadinedjad [...], Frauen im Stadion förderten die Sittlichkeit. ‚Die Anwesenheit von Familien und Frauen wird die Manieren verbessern und zu einer gesunden Atmosphäre in den Stadien führen’, so Ahmadinedjad.“
Irgendwie war es klar, dass die Sache einen Haken haben musste, und der ist in diesem Fall sogar besonders krumm: Wenn man schon Weibsvolk zum Fußball lässt, hat es dort gefälligst die ihm ohnehin vom Islam zugedachte Rolle weiterzuspielen, nur diesmal eben etwas öffentlicher und angeblich auf den „besten Plätzen in den Stadien“ – doch weiterhin mit der unverrückbaren Maßgabe „Schnauze halten und die Männer machen lassen“:
„Allerdings sollen Zuschauerinnen getrennt von den männlichen Fans in den Stadien untergebracht werden.“
Und sich an die entsprechenden Kleidervorschriften halten, wäre noch zu ergänzen. Sie sind schließlich der Förderung der Sittlichkeit verpflichtet und für eine gesunde Atmosphäre verantwortlich, da kommt es nicht so gut, wenn sie im Beckham-Trikot die Welle machen und noch nicht einmal verheiratet sind.

Ahmadinedjad verkauft seinen Entschluss jedoch als echte Liberalisierung, die allerdings vor allem taktischer Natur ist, der enge Grenzen gesetzt sind und die angesichts des wachsenden Drucks auf den Iran eine lässliche und verschmerzbare Konzession für ihn darstellt. Der iranische Präsident will offenbar – zumal vor der Weltmeisterschaft – dem allmählich heftiger werdenden Protest etwas den Wind aus den Segeln nehmen und darüber hinaus gewissermaßen Zückerchen an die fußballbegeisterte Bevölkerung verteilen. Viel kostet ihn dieser Schritt nicht, und vor allem darf und kann er nicht darüber hinwegtäuschen, was die Pläne der Mullahs sind und wie unverhohlen sie in aller Öffentlichkeit geäußert werden.

Doch selbst diese maue Maßnahme geht so manchem Ajatollah viel zu weit. Ahmadinedjad löste mit ihr nämlich „einen Proteststurm bei führenden Geistlichen der Islamischen Republik“ aus. Frauen im Stadion sei „gegen die islamischen Grundsätze“, hieß es dort:
„Großajatollah Safi Golpajegani rief Ahmadinedjad auf, die Entscheidung zurückzunehmen. ‚Nach islamischer Ansicht ist der Blick einer Frau auf einen Mann, auch wenn dabei keinerlei Vergnügen im Spiel ist, nicht zulässig’, sagte der Geistliche nach Angaben der Nachrichtenagentur ISNA. Fasel Lankarani, ebenfalls Großajatollah, warnte, die Anwesenheit von Frauen in den Stadien könne zu ‚sozialen Unsittlichkeiten, wie sie aus der westlichen Welt bezeugt sind’, führen. Auch der Anführer der iranischen Islamisten, Ajatollah Messbah Jasdi, und das von Ahmadinedjads Abadgaran-Partei beherrschte Parlament schlossen sich der Kritik an.“
Man darf gespannt sein, welche Mannschaft der islamischen Sittenpolizisten schließlich die Punkte einfährt beim Spiel Not gegen Elend im Kampf gegen den Abstieg.

Bliebe also noch die Nachricht von den drei iranischen Nationalspielern, die gegen einen möglichen Trip des Irren von Teheran zur Weltmeisterschaft protestieren. Nein, es dreht sich leider nicht um Ali Karimi, Mehdi Mahdavikia und Vahid Hashemian, drei bekannte iranische Bundesligaprofis. Denn die haben schon öfter verlautbaren lassen, „dass man Sport von Politik hundertprozentig trennen sollte“, den Mullahs also nicht ans Bein pinkeln dürfe. Bei den drei Regimegegnern handelt es sich vielmehr um ehemalige Spieler, die in den 1970er Jahren fußballerisch aktiv waren: Hassan Nayeb-Agah, Bahram Mavadat und Asghar Adibi. Die gaben in Berlin eine Pressekonferenz, auf der Nayeb-Agah sagte:
„Lasst das iranische Regime die Weltmeisterschaft nicht auf die gleiche Art und Weise missbrauchen, wie es Hitler mit den Olympischen Spielen 1936 getan hat.“
Die Ex-Profis kündigten außerdem Protestaktionen an – „Wir planen Demonstrationen in verschiedenen deutschen Städten, wenn der Präsident kommt“ –, auch für den Fall, dass diese von den deutschen Behörden verboten werden. Das ist bekanntlich alles andere als unwahrscheinlich und begründet daher weitere Einwände:
„‚Die jüngsten Verhandlungen der deutschen Behörden mit den Mullahs sind eine Schande’, sagte Nayeb-Agah.“
Er und seine zwei früheren Mitspieler sind Mitglieder des Nationalen Widerstandsrats des Iran und stehen den Volksmujaheddin nahe. Beide streben den Sturz des islamistischen Regimes an, sind jedoch ideologisch dem Ba’thismus zuzuordnen, vertreten die wenig sympathische Idee eines islamischen Sozialismus, sind Israel und den USA – vorsichtig gesagt – nicht gerade durchweg freundlich gesonnen und wurden von Saddam Hussein unterstützt. Sowohl die USA als auch die EU führen den Rat als terroristische Organisation. Gleichwohl ist Asghar Abidi selbstverständlich zuzustimmen, wenn er befindet:
„Es ist ein Recht der Iraner und aller anderen hier, gegen Ahmadinedjads Anwesenheit zu protestieren und deutlich zu machen, dass solch ein Krimineller hier nichts zu suchen hat.“
Mag seine Organisation auch gewiss nicht die erste Anlaufstelle sein, wenn es darum geht, Mitstreiter für das Vorhaben zu finden, dem Mullah-Regime und seinem Vorsteher die Umsetzung ihrer Pläne zu sabotieren: Gegen diese deutliche Stellungnahme der ehemaligen Fußballspieler ist nichts einzuwenden. Zumal dann nicht, wenn sowohl die FIFA als auch die maßgeblichen politischen Instanzen hierzulande wenig Probleme mit der Visite eines Holocaust-Leugners und vernichtungswütigen Antisemiten haben.

Hattip: Ivo

26.4.06

Wider ein zweites 1936!

Während der deutsche Innenminister dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedjad bei der Weltmeisterschaft im Sommer ein guter Gastgeber sein will und sein Staatssekretär – ein vormaliger BND-Präsident – mit den Mullahs bereits Details verhandelt, wie etwaige Gegner einer solchen Stippvisite am effektivsten zu bekämpfen sind, hat das Simon Wiesenthal Center eine Protestaktion ins Leben gerufen, mit der die FIFA aufgefordert wird, einen Besuch Ahmadinedjads zu unterbinden. Ob sich die Fußball-Uno dazu durchringen kann, ausnahmsweise einmal nicht Israel zu attackieren, sondern etwas Sinnvolles zu tun, sei dahingestellt. Dem Weltfußballverband zu verdeutlichen, dass man einen eliminatorischen Antisemiten und Holocaustleugner für eine unerwünschte Person hält, ist gleichwohl eine gute Idee.

Lizas Welt
hat den englischsprachigen Aufruf und das Protestschreiben an den FIFA-Präsidenten Joseph Blatter ins Deutsche übersetzt.


Am Holocaust-Gedenktag: Verhindert den Besuch des iranischen Präsidenten bei der Weltmeisterschaft in Deutschland!

Während heute, am Holocaust-Gedenktag*, Millionen Menschen auf der ganzen Welt der sechs Millionen Juden gedenken, die von den Nazis während des Zweiten Weltkriegs ermordet wurden, gibt es einen Führer, der sich der Vollendung von Adolf Hitlers Vision verschrieben hat.

61 Jahre nach dem Ende der Shoa ruft Irans Präsident Mahmud Ahmadinedjad zur Vernichtung Israels auf, wie er auch fortwährend das jüdische Volk verunglimpft und den Nazi-Holocaust als „Mythos“ bezeichnet.

In dieser Woche startete das Simon Wiesenthal Center umgehend eine Protestaktion, nachdem es von den Plänen des iranischen Präsidenten erfuhr, der Weltmeisterschaft in Deutschland im Juni beizuwohnen. Wir bitten Sie, sich unserer Kampagne anzuschließen und sie zu unterstützen. Es muss verhindert werden, dass der Präsident des Iran Ehrengast bei einem der prestigeträchtigsten Sportereignisse der Welt ist.

Der iranische Präsident setzt seine gefährliche und aufhetzende Kampagne gegen Israel und die Juden fort, während er zur nuklearen Bewaffnung des Iran drängt. Die internationale Gemeinschaft muss zeigen, dass eine solche Politik Konsequenzen hat. Wenn es Ahmadinedjad erlaubt wäre, bei der Weltmeisterschaft vom VIP-Bereich zu sitzen, würde das bittere Erinnerungen an die Olympischen Spiele 1936 heraufbeschwören, als sich die Führer des Dritten Reichs in Berlin im VIP-Bereich aufhielten – ein Schritt, der ihnen Gestalt und Anerkennung in der Welt verschuf.

Ironischerweise wird die iranische Nationalmannschaft im Nürnberger Stadion spielen, nur einen Steinwurf entfernt vom Ort der ersten Naziaufmärsche. Und während Nürnbergs Bürgermeister hofft, den Besuch verhindern zu können, bereitet er die Stadt auf Demonstrationen für Ahmadinedjad und auf Aufmärsche von Neonazis vor, die einen Geistesverwandten aus Teheran begrüßen zu können hoffen.

Bitte unterstützen Sie uns dabei, den Präsidenten des Weltfußballverbands FIFA, Herrn Joseph S. Blatter, zu drängen, Präsident Ahmadinedjad vom Besuch der Spiele auszuschließen, solange er nicht seine Äußerungen zurückzieht, mit denen er den Nazi-Holocaust leugnet und zur Auslöschung des Staates Israel aufruft.

Ahmadinedjads Besuch wäre eine Schändung der Erinnerung an die von den Nazis ermordeten Juden, würde ihr Leiden verhöhnen und nur das gefährliche iranische Regime ermutigen.

Geben Sie heute unserer dringenden Kampagne Ihre Stimme. Wenn Sie hier klicken, schicken Sie einen Brief direkt an Herrn Joseph Blatter, mit dem Sie ihn auffordern, etwas zu unternehmen. Wenn Sie die Petition unterschrieben haben, leiten Sie sie bitte an Ihre Freunde, Familie und Kollegen weiter.

Bitte helfen Sie dabei, diese eilige Kampagne zu unterstützen. Ihr Beitrag wird uns behilflich sein, unsere äußerst wichtige Arbeit in Ihrem Interesse fortsetzen zu können.


Der Brief an den FIFA-Präsidenten: Verhindern Sie den Besuch des iranischen Präsidenten bei der Weltmeisterschaft!

Herrn Joseph S. Blatter
Präsident der Federation Internationale de Football Association

Ich schließe mich dem Simon Wiesenthal Center an und bitte Sie in Ihrer Funktion als Präsident der FIFA, den Besuch des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedjad bei der kommenden Weltmeisterschaft in Deutschland in diesem Juni zu verhindern.

Der iranische Präsident hat öffentlich die Zerstörung Israels gefordert und ist ein erklärter Holocaustleugner, der den Nazi-Holocaust als „Mythos“ bezeichnet hat. Die internationale Gemeinschaft des Sports darf es einer solchen Person nicht erlauben, im VIP-Bereich eines der prestigeträchtigsten Sportereignisse der Welt zu sitzen. Seine Anwesenheit würde schmerzhafte Erinnerungen an die Olympischen Spiele 1936 in Berlin hervorrufen, als Führer des Dritten Reiches im VIP-Bereich saßen – ein Schritt, der ihnen Gestalt und Anerkennung in der Welt verschuf.

Es wäre in der Tat ein Witz, wenn die FIFA es passend fände, Israel für einen Luftangriff auf ein leeres Fußballfeld im Gazastreifen – das von Terroristen zu Trainingszwecken benutzt wurde – zu verurteilen, es ihr aber die Stimme versagen würde, wenn es um den Protest gegen einen Förderer des Genozids und Holocaustleugner geht, der im VIP-Bereich der Weltmeisterschaft Platz nehmen will.

Auch wenn die letzte Entscheidung, Präsident Ahmadinedjad nach Deutschland einzuladen, nicht die der FIFA war, ist es äußerst wichtig für eine Organisation, die der Fairness und Gleichheit verpflichtet ist, sich aus dieser Frage nicht herauszuhalten. Ein Schweigen wird diesen gefährlichen Demagogen nur weiter ermutigen.

Handeln Sie jetzt!

* Yom Ha’Shoah, dieses Jahr am 25. April

25.4.06

Palästinensisches Elfmeterschießen

Es gibt Werte und Worte, die hierzulande traditionell einen positiven Klang haben, weil sie sozusagen unter die Rubrik deutsche Sekundärtugenden fallen; man schätzt sie in der Gesellschaft, beim Fußball, in den eigenen vier Wänden – und durchaus auch bei anderen:
„Die von der radikal-islamischen Hamas geführte Palästinenserregierung will mit einer neuen Spezialeinheit Disziplin und Ordnung durchsetzen. Innenminister Said Siam sagte in Gaza, die Truppe werde die Polizei bei Einsätzen unterstützen. Sie solle die Anarchie in den Palästinensergebieten beenden.“
So verlautbarte es die Deutsche Presse-Agentur, und selbst diese vermeintlich neutrale Meldung spiegelt dabei die so unbeirrbare wie aberwitzige Ansicht wider, die Hamas könnte qua Zähmung als Regierungspartei irgendetwas Konstruktives und Weiterführendes zuwege bringen. Kurz darauf erfährt man dann immerhin – von einem anderen Mediendienst –, wer das Sondereinsatzkommando leiten soll:
„Der neue palästinensische Innenminister hat [...] einen berüchtigten Extremisten zu seinem wichtigsten Mitarbeiter ernannt und die Bildung eines Sicherheitsdienstes aus Mitgliedern militanter Gruppen angekündigt. Hamas-Minister Siad Siam beförderte Jamal Abu Samhadana, Chef eines ‚Volkswiderstandskomitees’, zum Generaldirektor. Sein Komitee ist verantwortlich für zahlreiche Raketenangriffe auf Israel aus den vergangenen Wochen.“
Samhadana (Foto oben) hat mit der Fatah – die die Polizei- und Sicherheitsapparate bislang dominiert – noch eine Rechnung offen, nachdem er von ihr infolge eines Dienstvergehens als Offizier entlassen worden war. Unter der Hamas wurde er nun zum Oberst befördert – und zeigte gleich Tatendrang: Die neu zu gründende Truppe werde sich aus der „Elite der Freiheitskämpfer und Djihadisten“ rekrutieren. Das war natürlich ein glatter Affront gegen Mahmud Abbas, der daraufhin auch gleich
„sein Veto gegen eine umstrittene Personalentscheidung der Hamas-geführten Regierung eingelegt [hat]. [...] Abbas veröffentlichte am Freitag ein Dekret, in dem er die Berufung von Jamal Abu Samhadana [...] ablehnte“.
Was wiederum für ordentlich Zündstoff sorgte, denn derlei Konflikte darf es eigentlich gar nicht geben:
„Hamas-Chef Chaled Maschaal warf daraufhin den führenden Fatah-Politikern vor, Versuche des Westens zu unterstützen, die neue Hamas-Regierung zu isolieren. Die Fatah beschuldigte die Hamas im Gegenzug, sie wolle einen Bürgerkrieg provozieren.“
Eine Unterstützung von „Versuchen des Westens“ heißt im Klartext „Kollaboration mit dem zionistischen Feind“, also die Kapitulation vor den alle Palästinenser bedrohenden finsteren Mächten. Ein harter Vorwurf, und daher erinnerte sich auch der ach so gemäßigte Abbas rasch seiner vaterländischen Pflichten:
„Nach den schwersten innerpalästinensischen Zusammenstößen seit Monaten wollen die radikal-islamische Hamas und die Fatah-Organisation von Präsident Mahmud Abbas gemeinsam für eine Entspannung der Lage sorgen. Nach einer Krisensitzung unter ägyptischer Vermittlung versicherten beide Seiten, alle gegenseitigen Provokationen einzustellen. Der palästinensischer Außenminister Mahmud Sahar sagte, dass die Hamas und die Fatah sich um eine Beilegung der Auseinandersetzung bemühten. ‚Ausländische Regierungen, die israelische Besatzungsmacht und andere’ hätten ein Interesse daran, die palästinensische Regierung bloßzustellen, so Sahar.“
Da ist der Herr Präsident (Foto) aber gerade noch mal dem Vorwurf entronnen, ein Insurgent zu sein. Seine Parteigänger jedoch traten quasi zum Elfmeterschießen gegen die Konkurrenz an:
„Nach Angaben von Augenzeugen stürmten Fatah-Anhänger das von der Hamas geführte Gesundheitsministerium, Personenschützer des Minister eröffnete daraufhin das Feuer. Drei Menschen wurde dabei verletzt. Am Samstag waren bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der Hamas und der Fatah in Gaza 21 Menschen verletzt worden. Studenten bewarfen sich vor der Universität in Gaza-Stadt mit Steinen, Sicherheitskräfte konnten die Lage nicht beruhigen. Die Lage eskalierte, als sich bewaffnete Männer einmischten und das Feuer eröffneten.“
Da wird die neue Spezialeinheit also gut was zu tun haben. Um was für einen Haufen es sich dabei handelt, erfährt man in deutschen Medien allerdings nicht; dafür muss man schon die Jerusalem Post lesen. Die informiert beispielsweise darüber, dass ihr Vorgesetzter Samhadana viele Jahre lang von Israel gesucht wurde, weil er in Attentate gegen Soldaten der IDF und jüdische Siedler involviert war. Dass sein Volkswiderstandskomitee, dessen Gründer er bereits war, unter anderem für einen Angriff im Gazastreifen auf ein US-amerikanisches Diplomatencorps im Jahre 2003 verantwortlich gewesen ist, bei dem drei Amerikaner getötet wurden. Und dass Samhadana nun ein Ensemble führt, das aus mehreren tausend Hamas-Militanten bestehen, parallel zu den offiziellen Repressionsorganen der Palästinensischen Autonomiebehörde existieren und nur erlesene Kombattanten umfassen soll, wie ein der Hamas zugehöriger Sprecher des palästinensischen Innenministeriums ankündigte:
„Die Streitmacht wird die Elite unserer Söhne der Freiheitskämpfer einschließen, die heiligen Krieger und die besten Männer, die wir haben.“
Man möge diese Einlassungen bitte nicht als bloß pathetische Phrase abtun: Sie sind vollkommen ernst gemeint. Dass es sich bei den zu erwartenden Aufräumaktionen um das Begleichen alter Rechnungen unter Schurken handelt, macht die Sache eher noch schlimmer. Denn es lässt sich schwerlich behaupten, die Fatah gebe einen Widerpart, der seinen Namen auch verdient. Vielmehr geht es um die Beseitigung sämtlicher Fraktionen, auch wenn sie alle ein großes gemeinsames Ziel verfolgen – die Zerstörung Israels nämlich – und sich lediglich um den geeignetsten Weg dahin zoffen. Ernsthafte Widersprüche existieren jedenfalls nicht.

Übersetzung aus der Jerusalem Post: Liza; Hattip: Honestly Concerned

24.4.06

Konformismus als Kunst

Woran eine Landsmannschaft sich erfreut oder: Eine contradictio in adiecto – Kabarett in Deutschland nach dem NS. Der Fall Hagen Rether (Jahrgang 1969) aus Essen/Ruhrgebiet. Ein Gastbeitrag von Peter Harris.

Wer kürzlich beim Zappen ein paar Minuten den schwäbisch-deutschen Kabarettisten Mathias Richling (Foto) die aktuellsten Scheiben wischen sah, wusste, wo er respektive sie sich befindet: zu Gast bei Freunden im deutschen Fernsehen. Endlich mal Nichtdenken! Die Amerikanische Revolution wurde da von Richling mit Verve in althergebrachter, neurechter Diktion an den Pranger gestellt, und man erinnert sich, dass der Topos des bösen Amerikaners schon im 19. Jahrhundert seine Blüten trieb, nach 9/11 jedoch in nachgerade endemischem Maße anstieg. Aber schon zu früheren bundesrepublikanischen Zeiten entfaltete er seine Wirkungsmächtigkeit, beispielsweise Anfang 1979, als die US-amerikanische TV-Serie Holocaust in deutschen Stuben über die Mattscheiben flimmerte. Plötzlich wollten deutsche und österreichische Nazis – wie in der Faschopostille Sieg aus Vorarlberg oder wir selbst aus Koblenz, dem wohl bekanntesten nationalrevolutionären Blatt – intensiv von den Indianern sprechen, um eine Auseinandersetzung mit der Shoa zu unterbinden; ja, die amerikanischen Ureinwohner dienten als praktisches Hilfsmittel, um Erinnerungsabwehr und sekundären Antisemitismus noch weiter in der politischen Kultur zu verankern. Man denke in diesem Zusammenhang an die Agitationen eines Henning Eichberg, aber auch an die Traktate eines Rolf D. Winter – vor allem mit seinem Buch „Ami go home“ bis heute Basisliterat konformistischer Sozialdemokraten, von Antiimps und Nazis – oder an die Ausführungen eines Karl Heinz Deschner, der den antisemitischen Topos Moloch auf die USA anwendet und damit auch rechtsaußen Beifall findet; man rufe sich also all das in Erinnerung, wenn Kabarettist Richling die USA anklagt, vor 200 Jahren die Indianer ausgerottet und heute deshalb kein „Fremdenproblem“ zu haben, woran sich – darin soll die Pointe bestehen – Deutschland doch orientieren möge. Gab es früher mit Siggi Zimmerschied („Auschwitz’n“) oder Matthias Deutschmann („Hitler on the Rocks“) und ihren beißenden, gleichsam antideutschen, Ressentiments entlarvenden und Gesellschaftskritik künstlerisch vermittelnden Stücken noch rühmliche Ausnahmen von der Regel, so gerieren sich heute vor allem junge, aufstrebende Nachwuchskünstler als Sprachrohr des Mainstreams und bedienen sich dabei der neuen lingua franca Europas (Andrei Markovits), des Antiamerikanismus.

Die Geschichte der politischen Kleinkunst nach 1945 wäre also an sich eine größere Untersuchung wert. Exemplarisch seien hier nur einige Anmerkungen zum derzeitigen deutschen Trendkabarettisten Hagen Rether – geboren in Rumänien, aufgewachsen in Freiburg im Breisgau und wohnhaft in Essen – gestattet. Rether ist unter anderem Preisträger des renommierten Passauer Scharfrichterbeils 2004 und letztjähriger Gewinner des Förderpreises des Handelsblatts Düsseldorf mit Namen Sprungbrett. Wer so reüssiert in einem Land wie diesem, muss dem Volk gehörig nach dem Maul reden. Oder gerade nicht? Rethers Kritik des Authentizitismus eines Herbert Grönemeyer zumindest ist tatsächlich nicht unkomisch und eine durchaus gelungene Persiflage auf den peinlichen und allzeit betroffenen Bochumer Sänger mit Sendungsbewusstsein. Dass Grönemeyer jedoch – wie viele Deutsche – ein eifernder und geifernder Antiamerikaner ist, moniert Rether keineswegs; vielmehr haben die beiden Barden hier durchaus eine gemeinsame Quelle.

Und der Mainstream schlägt sich nonstop auf die Schenkel, wenn Rether (Foto) loslegt: Schon sein Outfit finden ganz normale Deutsche urkomisch und provokativ – Anzug, weißes Hemd und eine rote Armbinde, die natürlich an die NSDAP erinnern soll, doch stattdessen mit dem Logo des Arbeitsamts versehen ist. Ob sich Rether dann über den amerikanischen Präsidenten lustig macht – dessen Mutter „einst George W. unter Schmerzen geboren“ habe, „und alle hätten gedacht, das Kind sei gesund“ –; ob er in widerwärtiger Anbiederung an den Djihadismus meint, die Terroranschläge am 11. März 2002 in Madrid hätten in München stattgefunden, wäre Angela Merkel damals schon Kanzlerin gewesen; ob er den alt- und neonazistischen Topos Trizonesien aufwärmt und dabei – um das gegenwärtige Ressentiment auf die USA gerade energiepolitisch hochzukochen – den Irak meint, der dreigeteilt sei, nämlich in „Diesel, Super und Normal“ (hierzulande ist der Benzinpreis noch immer einer der wichtigster Indikatoren für die Stimmung im Land, weit wichtiger als das Abschlachten von Juden durch Palästinenser in Israel oder das versuchte Totschlagen eines schwarzen Deutschen in Potsdam); ob er noch einen antipolnischen Witz reißt, den er Harald Schmidt abgeschaut hat – „Dass im Irak polnische Soldaten eingesetzt sind, bedauerte Hagen Rether. Denn die Museen in Bagdad seien schließlich geplündert worden, bevor die Polen dort eintrafen“: Für all das ist Rether der tosende Applaus seines Publikums gewiss. Denn er bedient deutsche Ressentiments, wo er nur kann – und inszeniert seine Stücke dabei stets als Bruch vermeintlicher Tabus, die doch nur behauptet werden, um sie dann auf- und angreifen zu können. So geriert sich Rether als mutiger Rebell, wo er bloß puren Konformismus zu bieten hat.

So etwas freut auch die Landsmannschaft Siebenbürgen, der Rether ein Interview gegeben und die zudem einen ausführlichen Bericht über sein aktuelles Programm Liebe publiziert hat:
„Dass sich Rether aber auch einen Zeitgenossen vom Kaliber eines Michel Friedman vornimmt, das hat man in Deutschland so noch nicht gesehen. Friedman das für ihn abgewandelte Lied des armen jüdischen Milchmanns Tevje aus dem Musical ‚Anatevka’ singen zu lassen (‚Wenn ich nicht so reich wär, deidel, didel, deidel, didel, deidel, die’) – das ist, gelinde gesagt, ein Stückchen wiedergefundene Normalität im heutigen deutsch-jüdischen Nebeneinander.“
Da kann man schon mal in euphorisches Schwelgen geraten:
„Eine Nachricht, die Werbung, der entlarvende Spruch eines Politikers, ein Modewort. Alles wird mit großer Lust am pointierten Formulieren zerpflückt, gewendet, kommentiert und mit messerscharfer Logik ad absurdum geführt. Das Ganze akustisch angereichert mit improvisierten Tonfolgen zwischen Klassik und Moderne, Jazz und Boogie-Woogie. Keine Frage, mit Rethers kurzweilig-intelligenter, oft hochpolitischer Pianoplauderei ist das deutsche Musikkabarett im 21. Jahrhundert angekommen. Dazu gehört vielleicht auch der unverkrampftere Umgang mit bisherigen Tabuthemen: ‚Israel, ein ganz normaler Apartheidstaat’. Kein Antisemitismus, nirgends. Selten eine klügere Missbilligung jüdischer Politik gehört.“
Dieser neonazistische Antisemitismus – Israel erscheint als Beispiel für „jüdische Politik“! – passt zu den deutschen Verhältnissen insgesamt und keineswegs nur zu einer notorischen Vertriebenenvereinigung. In dem Interview mit den Landsmannschaftlern betreibt Rether zwar keine direkte Heimattümelei – was bei einem Exklusiv-Interview für eine revanchistische Organisation inkonsistent und abstrus anmutet –, doch er hat Mitgefühl mit den Ausgesiedelten:
Waren Sie seither noch mal in der alten Heimat?

Ich war einmal als Neunjähriger in Rumänien. Das Elend dort hat mich schockiert. Mir wurde schnell klar, dass das mit mir nichts zu tun hatte. Die Leute taten mir leid, aber ich muss da nicht sein. Ich bin auch kein Dritte-Welt-Tourist.

Emotional also –


...eher Ablehnung. Vielleicht, weil ich so erzogen worden bin. Man war glücklich, endlich hier zu sein. Ich kenne da so viele schreckliche Geschichten von den Großeltern und Eltern, die da gelitten haben, jahrzehntelang.“
Sigmund Freud hätte seine helle Freude an einem Fall wie Rether, wenn dieser sagt: „Früher wollten sie heim ins Reich, heute reich ins Heim.“ Deutsches Kabarett nach Auschwitz will beides.

23.4.06

Recht so, Völker!

Es riecht derzeit allenthalben wieder stark nach „Deutschland, einig Friedensbewegung“. Die USA intensivieren ihre Bemühungen, dem iranischen Atomprogramm ein Ende zu bereiten, bevor es zu spät ist – und so etwas löst in diesen Breitengraden den obligatorischen antiamerikanischen Reflex aus. Die Deutschen haben – im Parlament wie auf der Straße, als Regierung wie als sich oppositionell Dünkende – längst das Völkerrecht entdeckt und mit ihm zuletzt den Sturz eines der mörderischsten Nachkriegsregime für ungesetzlich erklärt. Nun steht der nächste Akt an: Im Iran präsidiert ein Mann, der die Shoa leugnet, Israel vernichten will und zu diesem Behufe Atomwaffen benötigt. Der Sachverhalt könnte klarer nicht sein; was, in Dreiteufelsnamen, ist bitte von einem Völkerrecht zu halten, das derlei massenmordsgefährliche Ambitionen unter Kuratel stellt?

Zu diesem eigenartigen juristischen Mittel, seiner Hüterin – den Vereinten Nationen nämlich – und seinem deutschen Anhang befand Gerhard Scheit treffend:
„Gegenseitige Abschreckung vermag [...] womöglich Verträge und die Einhaltung von Konventionen zu garantieren, aber nur, wenn die Konstellation der Staaten gerade günstig ausbalanciert ist. Die UNO, die darum nichts anderes als bloße Resultante wechselseitiger Bedrohung sein kann, hervorgegangen aus dem einstigen Bündnis gegen Deutschland, [...] wird nun jedoch von der neuesten deutschen Ideologie als globaler Gesetzgeber verklärt, dem es allein ums reine Recht ginge. Aus solcher Perspektive können die Staaten gar nicht mehr als Staaten wahrgenommen werden, sondern immer nur – analog zu den Bürgern innerhalb des Staats – als Subjekte, Völkerrechtssubjekte, oder eben ungeschminkt: als Völker. Was als Recht zwischen ihnen angesprochen wird, dient in letzter Instanz zum Vorwand, sie genau so zu betrachten: also von Völkern, nicht von den einzelnen Individuen auszugehen; was als Souverän über ihnen behauptet wird, erweist sich als expandierendes Machtvakuum, das der Destabilisierung Vorschub leistet: Völkergemeinschaft als United Rackets.“
Eines dieser Rackets hat in den palästinensischen Gebieten gerade die Wahlen gewonnen und trachtet Israel nach der Zerstörung; ein weiteres bemüht sich fieberhaft um eine dafür geeignete, nachhaltige Bewaffnung. Aber es gibt einen ganzen Haufen Menschen, die für so etwas die juristische Legitimation bereithalten und das auch noch als Friedensdienst begreifen. Einer von ihnen ist Altkanzler; er gehört zu den wenigen, die nach ihrer Karriere als Politiker eine Laufbahn als gefragte Intellektuelle einschlagen zu sollen meinten. Er gibt eine Wochenzeitung heraus und wird gerne gefragt, wenn Deutschland so seine Sorgen hat. Und er findet immer klare Worte. Helmut Schmidt* (Foto oben) auf die Frage, ob die iranische Atompolitik eine Gefährdung darstelle:
„Nein, das ist keine akute Bedrohung des Friedens.“
Es sei nun mal nicht zu vermeiden, dass die Zahl der Atommächte steigt; der Nichtverbreitungsvertrag sei deshalb definitiv gescheitert – da könne man halt nichts machen:
„Außerhalb des Nichtverbreitungsvertrags gibt es kein Völkerrecht, das einem Staat verbietet, nukleare Waffen zu haben. Es ist eine zwangsläufige Entwicklung, die dazu führen kann, dass wir in 20 Jahren 12 Nuklearmächte haben werden.“
Und wenn eine davon der Iran ist – so what?
„Ahmadinedjad ist mit seinem ungezügelten, unkontrollierten Temperament und seinen aggressiven Reden sicherlich gefährlich. Das hat aber mit der atomaren Frage wenig zu tun. Die Iraner haben schon seit längerer Zeit nach ziviler Nutzung des Atoms gestrebt; dazu sind sie als Partner des Nichtverbreitungsvertrags berechtigt. Für eine denkbare Entwicklung nuklearer Waffen würden sie noch mehrere Jahre benötigen. Diese Frage sollte man nicht mit der Person des iranischen Präsidenten vermischen.“
Der eliminatorische Antisemitismus des Irren von Teheran ist also Ausdruck eines „ungezügelten, unkontrollierten Temperaments“ und nicht etwa eine Überzeugung; eine schwer beherrschbare Gefühlsregung mithin, aber keine Gesinnung – Schmidt gelingt eine wirklich beachtlich dreiste Verharmlosung dieses islamistischen Judenhassers. Und das allfällige Gerede von der „zivilen Nutzung“ der Atomenergie gemahnt an das Diktum Theodor W. Adornos (Foto): „Ein Deutscher ist ein Mensch, der keine Lüge aussprechen kann, ohne sie selbst zu glauben.“ Das tut er jedoch mit aller Konsequenz, und die wiederum kennt ihren Weg:
„Wir sollten gelassener sein, und insbesondere Washington sollte sich zurücknehmen.“
Dort pfeift man glücklicherweise auf den nassforschen Ratschlag eines ehemaligen Wehrmachtsoffiziers, der kaum verhohlen deutlich macht, dass er die Kapitulation 1945 immer noch nicht verwunden hat:
„Es soll ja in den USA Leute geben, die an militärische Sanktionen denken. Ich kann davor nur warnen. Amerika kann jeden Krieg führen und fast jeden Krieg gewinnen, aber es kann mit dem Chaos nicht umgehen, das anschließend entsteht.“
Das ist eine Grundsatzausführung, die sich mitnichten nur auf die letzten Konfliktfälle – Schmidt nennt explizit den Irak und Afghanistan – bezieht, sondern den Vereinigten Staaten „überall, wo militärisch eingegriffen worden ist“, ein Versagen auf der ganzen Linie bescheinigt. Aus dem früheren Kanzler spricht der ganze gekränkte Stolz eines Deutschen, der für Führer, Volk und Vaterland in den Krieg gezogen ist und es bis heute entwürdigend findet, von kulturlosen Yankees ausgebremst worden zu sein. Diese alte Rechnung begleicht man am besten dadurch, dass die früheren Alliierten nun des Rechtsbruchs geziehen werden – und damit ex post auch gleich die Legitimation verlieren, den Nationalsozialismus niedergerungen zu haben:
„Weil man verhindern wollte, dass weitere Staaten sich nuklear bewaffnen, hätten die Begründer des Nichtverbreitungsvertrags, der im Prinzip gut war, sich selber an ihn halten müssen. Das haben aber weder Amerika noch Russland getan.“
Denn eine Atommacht ist eine Atommacht ist eine Atommacht:
„Die Großmächte haben hingenommen, dass sich Israel und später Pakistan und Indien nuklear bewaffnet haben.“
Alles irgendwie das Gleiche: ein Staat, der sich infolge der Shoa ins Leben gerufen hat und der sich gegen seine Feinde mit allem Recht der Welt zur Wehr setzt, und Länder, die zu diesen Feinden gehören. Es ist diese nicht mal besonders subtile Form der Bagatellisierung von Auschwitz, die stets einen wichtigen Bestandteil der Argumentation gegen die Verhinderung des iranischen Atomprogramms darstellt: Was Israel darf, dürfen andere schon lange. Juden kriegen keine Extrawurst gebraten. Zumal die da unten angefangen haben. So reden deutsche Intellektuelle, die nicht nur keinen Unterschied zwischen Leviathan und Behemoth sehen mögen und können, sondern bereits die Frage, ob Diplomatie beim Iran ausreiche, aus Zumutung empfinden: „Ich weiß gar nicht, was man verhindern will.“ Woraus folgt: „Wir Deutschen sind gar nicht gefragt, Amerika muss sich fragen.“

Zum Beispiel, ob das mit der Neuauflage der „Koalition der Willigen“ wirklich eine so gute Idee ist. Das verneinen neben Schmidt noch andere deutsche Geistesgrößen heftig, und zwar in allen Fraktionen: In der Union hält man den Begriff für „unbrauchbar“ und daher lieber zur UNO; die Sozialdemokraten klagen eine „Koalition der Vernünftigen“ ein und stellen damit klar, wer auf der anderen Seite der Barrikade steht; die FDP hält das Ganze für ein Frustfoul, und bei den Grünen ruft es nach einer „Koalition der Kriegsunwilligen“, zumal die US-Außenministerin „das Tischtuch mutwillig zerschnitten“ habe. Lafontaine wollte ohnehin schon längst mit Ahmadinedjad geplaudert haben, doch der hatte bislang keine Zeit.

Die wenigen Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslager forderten: „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ Die beiden Ultimaten hatten einen unmittelbaren Zusammenhang, der „Nie wieder ein faschistischer Krieg!“ meinte. In Deutschland ist dieser untrennbare Konnex jedoch mittlerweile aufgelöst in einem ganz anderen „Nie wieder“-Konsens: „Nie wieder Krieg gegen den Faschismus!“ Um nicht missverstanden zu werden: Wenn es andere Optionen als militärische geben sollte, um zu verhindern, dass der Iran seine Vorhaben in die Tat umsetzen kann, sind diese selbstverständlich vorzuziehen. Aber das muss man denen, die eine Gefahr nicht nur erkennen, sondern auch bannen wollen, nicht erzählen. Sie wissen es bereits, und sie versuchen ihr Möglichstes, auch wenn man diese Bemühungen hierzulande bereits als Teil einer Kriegsvorbereitung begreift.

* Zu Schmidt und seiner Liebe zum Islam siehe auch die ausgezeichneten Ausführungen auf Kritiknetz.
Hattips: Doro & Si Vis Pacem, Para Bellum

21.4.06

Notdürftige Helfer

Undank ist der Welt Lohn: Da versuchen es die Palästinenser zur Abwechslung mal mit Demokratie, indem sie ihrer favorisierten Partei bei den Wahlen die satte Mehrheit verschaffen, und dann drehen Israel, die USA und sogar die bisher nibelungentreue Europäische Union einfach den Geldhahn zu, bloß weil es ihnen nicht passt, dass die Hamas auch in der Regierung die Vernichtung des jüdischen Staates propagiert und (Selbst-) Mordanschläge von Minderjährigen in israelischen Restaurants sozusagen als conditio sine qua non ihrer Verteidigungspolitik begreift. Nicht wenige deutsche Kommentatoren haben da großes Mitleid und glauben genau zu wissen, dass das Wahlvolk doch bloß die Korruption beseitigt und mehr Suppenküchen haben wollte, die Hamas also als gemeinnützigen Wohlfahrtsverband betrachtet und nicht als Judenmörderbande. Dummerweise besteht zwischen diesen beiden Eigenschaften aber ein ganz ähnlicher Zusammenhang wie zwischen dem NS-Winterhilfswerk, deutsch-völkischem Antikapitalismus und eliminatorischem Antisemitismus. Bloß kommt da nicht drauf, wer partout Israel für eine vorgeblich drohende Hungersnot in den palästinensischen Gebieten verantwortlich machen will, die sich – sollte es sie denn geben – vermeiden ließe, wenn sich dort die Erkenntnis durchsetzen würde, dass das Töten von Juden doch keine Lebensversicherung ist und auch den Bauch nicht voller macht.

Darauf dürften zumindest die Hauptfinanziers der Palästinensischen Autonomiebehörde letztlich setzen, wenn sie jetzt aus gutem Grund ihre Gelder zurückhalten. Aber es muss doch noch Menschen auf dieser Welt geben, die echte Solidarität zeigen! Und nicht bloß bei den notorischen Judenhasservereinen in Europa wie der Antiimperialistischen Koordination (AIK) in Wien, die die Hamas zu so etwas Ähnlichem wie bilateralen Verhandlungen einladen will. Sondern auch bei den arabischen Brüdern und Schwestern, die doch bei jeder Gelegenheit wortgewaltig beteuern, wie sehr sie auf der Seite des palästinensischen Volkes stehen. Aber in punkto „Alternativ-Hilfszusagen“ (Deutsche Welle) sieht es bei denen gerade ziemlich schlecht aus:
„Die arabischen Außenminister einigten sich kürzlich bei der Arabischen Gipfelkonferenz in Khartum (Foto oben) auf monatliche Hilfen in Höhe von 55 Millionen Dollar. Qatar hat nun 50 Millionen im Monat zugesagt, hierbei aber seinen Anteil an der in Khartum vereinbarten Summe eingerechnet. 50 weitere Millionen (möglicherweise gar 100 Millionen) will der Iran beisteuern, sonst aber fehlt es an offiziellen Zusagen aus den arabischen und islamischen Ländern der Region.“
Die Betteltour des palästinensischen Außenministers Mahmud Sahar (Foto links) war also von nur mäßigem Erfolg gekrönt, weil monatlich mindestens 170 Millionen Dollar benötigt werden. Doch in Syrien beispielsweise erreichte Sahar lediglich die Ankündigung seines Amtskollegen, ein Spendenkonto einzurichten; Jordanien lud ihn gar wieder aus – und auch andernorts gab es kaum etwas zu holen. Doch selbst die wenigen Zusagen sind nicht verlässlich:
„Viele Versprechen bleiben Papier und werden nicht in klingende Münze umgewandelt. Sie werden in erster Linie aus propagandistischen Gründen gemacht, so wie der Aufruf in Algerien, das Land solle eine Tagesproduktion an Erdöl den Palästinensern zur Verfügung stellen. Oder die Aufrufe an die Bevölkerungen der arabischen und islamischen Staaten, für die Palästinenser zu spenden.“
Ein Fünkchen Hoffnung glimmt aber trotzdem noch, und zwar – hätt’ man’s gedacht? – in Europa. Während sich alles noch darüber erregt – oder auch amüsiert –, dass der abgewählte italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi seine Niederlage einfach nicht hinnehmen will, klingelt sein Nachfolger gleich mal bei den Freunden durch, von Wahlsieger zu Wahlsieger sozusagen:
„Als erster hochrangiger Politiker der Europäischen Union hat der künftige italienische Ministerpräsident Romano Prodi (Foto rechts) mit dem palästinensischen Regierungschef Ismail Hanija von der radikal-islamischen Hamas-Bewegung telefoniert. [...] Das Büro Hanijas teilte mit, der palästinensische Regierungschef habe Prodi für das Telefongespräch gedankt und ihn gebeten mitzuhelfen, dass die Kontakt- und Finanzsperre des Westens gegen die neue palästinensische Regierung aufgehoben wird.“
Wenn der Oskar Lafontaine das mitbekommt, wird er sicher auch gleich zum Hörer greifen. Zumal jetzt, da er seinen geplanten Iran-Besuch verschieben musste, „nachdem aus Teheran bis zum Osterwochenende keine konkreten Vorschläge für ein Besuchsprogramm vorlagen“. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und vielleicht ist später sogar „ein Gespräch mit Irans Präsident Mahmud Ahmadinedjad“ drin. Mit dem kann der Oberlinksparteinik dann sicher auch ganz intensiv „Informationen über die ‚verschiedenen Kräfte’ im Iran sammeln“. Einstweilen muss es der Austausch mit der Hamas tun.

Die jedenfalls würde sich darüber gewiss einen Sprengstoffgürtel um den Bauch freuen. Und dass Lafontaine kneift, ist nicht zu erwarten; schließlich gilt es ja, Schnittmengen zwischen seiner Linken und dem Islam zu eruieren, dessen Anhänger so gebeutelt sind. Ein Silberstreifchen für sie ist jedoch auch aus einem anderen Teil Europas zu vermelden:
„Ein britisches Gefängnis baut seine neuen Häftlingstoiletten künftig so, dass moslemische Gefangene auf dem Klo nicht Richtung Mekka sitzen müssen. Das Londoner Brixton-Gefängnis erhalte zwei neue Toilettenblocks, bei deren Bau ‚alle Religionen berücksichtigt’ würden, sagte eine Sprecherin des Innenministeriums am Donnerstag. Geistliche Führer hätten den Behörden zuvor mitgeteilt, dass es für moslemische Gefangene nicht zumutbar sei, in Richtung der heiligen islamischen Stätte zu sitzen, während sie das Örtchen benutzen.“
Ein echter Friedensdienst also. Der außerdem gute Chancen auf Platz drei bei den Wahlen zum Parolenparlament hat: Nach „Ficken für den Frieden“ und „Saufen gegen Rechts“ käme dann „Kacken für Mekka“. An die Urnen!

Hattips: Gesine, Doro & Jonny

Das Double

Das womöglich schönste Fußballlied aller Zeiten ist eine mit viel Selbstironie versehene Hommage an das Team mit dem Drei-Löwen-Trikot. Es hätte so nicht entstehen können, wäre da nicht das legendäre Wembley-Tor (Foto unten) gewesen, das England bei der Weltmeisterschaft 1966 im eigenen Land beim Endspiel gegen die Deutschen auf die Siegerstraße brachte – es blieb der bislang einzige WM-Titel. Football’s coming home heißt diese wunderbare Hymne, die 1996 kreiert und deren Text zwei Jahre später modifiziert wurde. In ihr wird liebevoll dem Namensgeber des Pokals für den Weltmeister gehuldigt:
„Three Lions on a shirt,
Jules Rimet still gleaming.
No more years of hurt,
No more need for dreaming.“
Der so besungene Franzose Rimet war FIFA-Präsident von 1921 bis 1954; in seine Amtszeit fiel auch die allererste Weltmeisterschaft, die im Jahre 1930 in Uruguay ausgetragen wurde. Der nach ihm benannte Pokal (Foto links) ging genau vierzig Jahre später in den Besitz Brasiliens über, als Belohnung für den dritten Weltmeisterschaftsgewinn. Vier Jahre zuvor, im März 1966, war die Trophäe aus den Räumen einer Briefmarkenausstellung in London gestohlen worden. Kurz vor den Titelkämpfen sorgte das natürlich für einen peinlichen Skandal. Der Cup wurde schließlich noch rechtzeitig aufgespürt – vom Hund eines Werftarbeiters.

Als Konsequenz daraus ließ England eine Kopie des Kelchs mit der griechischen Siegesgöttin Nike anfertigen. Nobby Stiles hielt dieses Double als erster Spieler in der Hand – er hatte nach dem siegreichen WM-Finale riskante Freudentänze mit dem Original vollführt; Polizisten drückten ihm dann diskret das Abbild in die Hand, um Schlimmeres zu verhüten.

Von da an nahm das Unheil seinen Lauf. Schon bei der nächsten Weltmeisterschaft vier Jahre später rätselte man, was nun echt und was nur nachgebildet war. Und es machte die Runde, dass Brasilien möglicherweise gar nicht das Original zu seinem Eigentum rechnen konnte, sondern bloß eine auch noch deutlich billigere Kopie. 1983 wurde der Pokal dann zu allem Überfluss erneut gestohlen – aus einer Vitrine im Hauptsitz des Brasilianischen Fußballverbands. 1997 ersteigerte ihn jedoch plötzlich die FIFA – wie das? Und den richtigen oder den falschen?

Dieser Geschichte ging Simon Kuper für die Weltwoche nach. Herausgekommen ist ein brillanter, spannender und höchst unterhaltsamer Beitrag, der hiermit ausdrücklich zur Lektüre empfohlen sei. Und wer nicht lesen mag, kann sich auch die zehnminütige Audio-Datei anhören (etwa 9 MB).

Hattip: David Harnasch

20.4.06

Das Dilemma des Blätterwalds

In Tel Aviv sterben bei einem Selbstmordattentat eines 16-jährigen (!) Terroristen neun Menschen, und die Hamas verleiht dem Ganzen staatliche Weihen: Es habe sich um einen „Akt der Selbstverteidigung“ gehandelt, ließ die Organisation verlautbaren. Nachdem in etlichen deutschen Medien zuvor die durch nichts zu rechtfertigende Prognose dominierte, die antisemitische Terrorvereinigung werde durch die Regierungsverantwortung gezwungen, sich zu mäßigen und Israel wenigstens de facto anzuerkennen, durfte man gespannt sein, wie das Presseecho in Deutschland nach dem ersten suicide bombing seit dem Amtsantritt der Hamas ausfallen würde.

Beginnen wir mit dem Appetizer, nämlich einem Kommentar in einem nicht ganz unbedeutenden Regionalblatt. Lutz Heuken ringt sich zwar noch zu der Feststellung durch, dass seit dem Wahlsieg der Mordbande „religiöser Fanatismus, nationalistischer Hass und Todessehnsucht quasi zur Staatsideologie erhoben“ werden – wiewohl unter der Fatah bekanntlich auch nicht gerade das Gegenteil in Amt und Würden war –, kommt dann aber unverblümt zur Sache:
„Auch wenn es für den Terror der Hamas keine Rechtfertigung gibt, sollte sich Israel fragen, woher all der Hass auf palästinensischer Seite kommt. Denn die Fanatiker wurden ja demokratisch gewählt. Auch die Israelis müssen umdenken; auch sie tragen Verantwortung für die verzweifelte Lage.“
Es gibt zwar keine Rechtfertigung, aber irgendwie gibt es sie doch, und sie heißt: Israel. Mit demokratisch gewählten – und also allemal legitimen – Fanatikern kennt man sich in Deutschland außerdem aus. Der hiesige hasste die Juden nämlich auch. Die mussten daraufhin ebenfalls „umdenken“ und „Verantwortung für die verzweifelte Lage“ tragen. Das Ergebnis ist bekannt.

Das war also schon mal nix. Schauen wir daher weiter, in die Tageszeitung für den sozialdemokratisch-protestantischen Studienrat. Die überschreibt den Kommentar ihrer Andrea Nüsse mit „Im Würgegriff“. Und wer da wen zu strangulieren droht, wird sogleich ohne viel Federlesens ausgesprochen:
„Die bereits stark eingeschränkte Bewegungsfreiheit innerhalb der Palästinensergebiete soll weiter beschränkt werden. Auch Mitglieder der Regierung können ermordet werden, falls Israel das für nötig hält. Und drei Ministern und Abgeordneten der Hamas, die aus Ost-Jerusalem stammen, soll die Aufenthaltsgenehmigung in ihrer Heimatstadt entzogen werden. Dies ist eine der schärfsten und symbolträchtigsten Waffen, über die Israel verfügt. Denn systematisch versucht Israel die Zahl der Palästinenser im besetzten Ost-Jerusalem gering zu halten oder zu reduzieren, um den Streit um die Stadt durch demografische Fakten zu lösen.“
Heute schreibt man demografisch, wenn man rassistisch meint und die Palästinenser für ein Volk ohne Raum hält, das nicht genügend Auslauf hat, weshalb es halt manchmal seinen Aktionsradius ein bisschen ausdehnen muss – etwa bis nach Tel Aviv –, um dort „den Streit durch demografische Fakten zu lösen“. Doch die Verfasserin der Anklageschrift ist noch nicht fertig:
„Die vom [israelischen] Kabinett beschlossenen Maßnahmen töten nicht. Aber sie stärken den Würgegriff um die Gurgel der Palästinenser. Gaza ist laut UN-Angaben bereits von einer Hungersnot bedroht, weil Israel seit Januar kaum Waren in das abgeriegelte Gebiet hineinlässt. 150.000 staatliche Angestellte werden kein Gehalt bekommen, weil Israel palästinensische Steuergelder zurückhält und der Westen seine Zahlungen einstellt. Eine Politik der Nadelstiche, die in der Vergangenheit jeweils zu neuer Gewalt führte.“
Womit geklärt wäre, wer die Schuld an der ganzen Misere hat. Die Hamas jedenfalls schon mal nicht. Vielmehr ist es – na klar – Israel, das dafür verantwortlich zeichnet, mit Vernichtungsdrohungen und -anschlägen konfrontiert zu sein – weil es sich weigert, sich auf seine Feinde einzulassen, die ihm Tod und Verderben wünschen. Die Sage von der israelischen Strategie des Aushungerns hält sich übrigens besonders hartnäckig – so lange, dass man sich schon fragt, wo die Hungersnot denn nun eigentlich bleibt.

Das war also auch nix. Dann vielleicht die Zeitung für Deutschland, hinter der ja immer ein kluger Kopf steckt. Der heißt in diesem Fall Jörg Bremer und sorgt sich rührend um Israel:
„Eigentlich müsste Israels Interesse sein, die islamistische Hamas und ihre Regierung zu schwächen und zugleich die säkulare palästinensische Gesellschaft zu stärken. Eigentlich müsste Israel interessiert sein, einen Partner in der Autonomieregierung aufzubauen, um nicht neuerlich in eine einseitige Abzugspolitik zu verfallen, die mit zur Stärkung der terroristischen Hamas-Bewegung beitrug.“
Bleibt die israelische Armee, heißt es allerweil, die Besatzung trage zur „Stärkung des Terrorismus“ bei. Zieht sie sich zurück, passiert vermeintlich paradoxerweise das Gleiche. Und nie wird die „säkulare palästinensische Gesellschaft“ gestärkt, egal, welchem „Partner“ Israel gerade gegenübersitzt. Ob das nicht doch vielleicht...? I wo:
„Die Hamas [...] verspricht Waffenruhe und ein Ende der Korruption der PLO-Clique. Warum ist Israel nicht die faktische Ruhe wichtiger als ein nur deklarierter Frieden? Warum will Israel lieber korrupte Fatah-Eliten akzeptieren?, fragen die Hamas-Wähler.“
Und nicht nur die, sondern auch der Herr Korrespondent, der nämlich bestätigen kann, dass das Ende der von ihm favorisierten „faktischen Ruhe“ auf das israelische Konto geht:
„Der von Israel betriebene Totalboykott, der selbst den zweifellos schwachen, aber von Israel auch nie gestärkten Präsidenten Abbas einschließt, droht die Palästinenser zu Sozialhilfeempfängern zu machen, abhängig von den ‚humanitären Gütern’, die Israel in den Gazastreifen lässt.“
Da sind sich die beiden Frankfurter Blätter also einig. Beim größeren der beiden kriegen als Dreingabe aber auch die Amis noch ihr Fett weg respektive die unverhohlene Häme des Jörg Bremer entgegengeschleudert:
„Wenn eine Regierung Demokratisierung in der arabischen Welt durchsetzen will, muss sie auch die möglichen Ergebnisse ertragen können. Die palästinensischen Wahlen haben Vorbildfunktion in der Region.“
Demokratie ist machbar, Herr Nachbar, achtundsechzigert es da ausgerechnet aus dem bürgerlichen Blatt, das den Volkswillen zur ultima ratio erhebt, die über jeden Zweifel erhaben ist. Es folgen noch ein paar Absätze über Ehud Olmert, der einer „fragwürdig großen Koalition“ vorstehe – werden satte Mehrheiten sonst nicht umstandslos begrüßt? –, bevor es schließlich noch ein Bonbönchen für die Anzeigenkundschaft gibt:
„Es kann keine bis 2008 einseitig gezogenen Grenzen geben, wie [Olmert] es andeutete. Schon bald braucht die palästinensische Nation, die, anders als andere arabische Gesellschaften, einen Mittelstand hat, eine Perspektive jenseits des Sozialhilfeniveaus. Die säkulare Gesellschaft, die private Wirtschaft muss gegen Islamismus und Kulturverarmung gestärkt werden.“
Vielleicht hilft dabei eine Abokampagne der Zeitung für Deutschland in den Palästinensergebieten?

Allmählich gerät man ins Frösteln bei so viel Kaltschnäuzigkeit. Mal sehen, was Springer zu bieten hat. Jacques Schuster hat Anmerkungen zu „Israels Ratlosigkeit“ und stellt zu Beginn klar, dass das Hamas-Regime „alle Extremisten ihres Einflussbereiches zu Terrortaten“ ermuntert habe. Das hört sich schon anders an als das zuvor Gelesene. Und den Israelis wird bescheinigt, „gemäßigt“ reagiert zu haben, wenn auch in erster Linie aus Unklarheit darüber, „welche Strategie sie im Umgang mit der Hamas verfolgen sollen“. Schuster schildert das Dilemma aus seiner Sicht:
„Lässt Israel den Fluss von Geldern in die Gebiete zu, sorgt es dafür, dass sich die Lebensverhältnisse der Palästinenser unter einer Regierung verbessern, die nur Tod und Terror will. Unterbricht Israel aber den Finanzstrom und zerstört damit die ohnehin schwächlichen staatlichen Strukturen, bricht die palästinensische Autonomie zusammen. Unter diesen Umständen stiege die Zahl der Extremisten; Israels Sicherheit nähme ab.“
Die Zwangsläufigkeit, mit der sich nach einem Zusammenbruch der „palästinensischen Autonomie“ die Attacken auf Israel häufen sollen, erfährt keine Begründung. Gewiss ist es nicht sonderlich wahrscheinlich, dass sich in den Autonomiegebieten bei einem Zusammenklappen der von Islamisten geführten Staatsmacht ausnahmsweise einmal die Erkenntnis durchsetzen würde, um wie viel besser auch das eigene Leben sein könnte, wenn der antisemitische Terror ein Ende hätte. Doch Schusters Einschätzung ist weniger durch diese Annahme geprägt als vielmehr in letzter Konsequenz ein weiteres Plädoyer dafür, trotz allem den Geldhahn für die Hamas wieder zu öffnen – widrigenfalls die Feinde Israels noch zahlreicher würden. Dieser Automatismus enthebt die Palästinenser der Verantwortung für ihr Tun und schiebt die Rechenschaftspflichtigkeit für die weitere Entwicklung komplett auf Olmert und sein Kabinett.

Der Bringer war dieser Kommentar also auch nicht. Bleibt die große Überregionale aus München, normalerweise ein hoffnungsloser Fall, wenn es um Israel geht. Thorsten Schmitz darf ran, und das gleich zwei Mal. Die Überschrift – „Mord als Staatsräson“ – verspricht erstaunlicherweise durchaus mehr als befürchtet. Und auch der Beginn des Beitrags lässt hoffen:
„Das Gute an der palästinensischen Autonomiebehörde ist die Klarheit, die von ihr ausgeht: Sie wird von der Terrorgruppe Hamas geführt, die Israels Existenzrecht und somit jegliche Friedensverhandlungen ablehnt. Jassir Arafat hatte es stets verstanden, die Weltöffentlichkeit hinters Licht zu führen. Die Hamas aber lässt nun keinen Zweifel mehr an ihren Absichten.“
Diese Zweifel gab es bereits vorher nicht; wer erst jetzt zu der Einsicht gelangt, um was für eine Gruppierung es sich da handelt, muss zwangsläufig zuvor daran geglaubt haben, sie könnte auch anders sein, als sie schon immer war. Aber das muss man vielleicht auch verstehen – hier schreibt ein enttäuschter und betrogener Liebhaber, dem etwas unsanft die Augen geöffnet wurden. Vielleicht ist es aber noch nicht zu spät:
„Der Terroranschlag am Ostermontag, exekutiert von der Palästinenser-Miliz ‚Islamischer Heiliger Krieg’, wird von der Hamas als ‚Recht auf Selbstverteidigung’ gerechtfertigt. Darin drückt sich das menschenverachtende Weltbild der Hamas aus, das von der kruden Annahme geprägt ist, der Boden der Nahost-Region werde durch die bloße Besiedlung durch Juden verunreinigt.“
Man gratuliert – nur wer sich ändert, bleibt sich treu, auch wenn die Terrorcrew das anders sieht und man sich darob fragt, warum deren Antisemitismus just dann vom Autor dieser Zeilen bemerkt wird, wenn er zur in der Tat völlig offenen Staatsräson und nicht mehr hinter einer vorgeblichen Verzweiflungstat versteckt wird. Doch Thorsten Schmitz scheint ein wenig vor seiner eigenen Erkenntnis zu erschrecken:
„Was sonst bleibt Israel übrig, als sich von den Palästinensern in einseitigen Schritten zu trennen, einem Nachbarn, der das Morden zur Staatsräson verklärt? Andererseits werden die Palästinenser durch die diplomatische Isolation und finanzielle Kastration geradezu in die Arme des iranischen Staatschefs Mahmud Ahmadinedjad getrieben. Der sät mit seinen haarsträubenden Aussagen den Hass gegen Israel.“
Da weiß einer doch, zu was entmannte Araber in der Lage sind: Sie rennen zum Eunuchen, der den schrillsten Ton angibt. Auch hier wird also von einer Unvermeidlichkeit ausgegangen, die sich bisweilen durchaus gar nicht einstellte: Palästinensische Terroranschläge finden sehr häufig statt, wenn Verhandlungen geführt werden, die einen gewissen Erfolg zu zeitigen drohen; hingegen blieb der allseits fast schon beschworene Flächenbrand auch dann aus, als etwa Scheich Yassin ins ersehnte Paradies befördert wurde.

Einen Tag später jedoch haben sich die Prioritäten bei Thorsten Schmitz wieder verschoben; nun favorisiert er eine härtere Gangart:
„Wie kann die internationale Staatengemeinschaft eine Regierung unterstützen, die das Töten zur Staatsräson erhebt? Sie muss die palästinensischen Islamisten stattdessen isolieren, damit sie kapitulieren.“
Denn die haben gar nicht „das Wohlergehen von 3,5 Millionen Palästinensern“ im Sinn, sondern institutionalisieren stattdessen das Töten. Und auch Abbas traut der Kommentator plötzlich nicht mehr über den Weg:
„In der üblichen, kalten Sprachregelung der Autonomieregierung verniedlichte er das Attentat als ‚schädlich für die palästinensischen Anliegen’. Er konnte sich nicht zu der Erklärung durchringen, dass das Töten anderer Menschen einfach falsch ist.“
Das Dilemma vom Vortag wird noch einmal aufgegriffen, jetzt aber anders gewichtet:
„Die Isolation mag die Palästinenser in die Arme Irans und Syriens treiben, andererseits: Wie kann die internationale Staatengemeinschaft eine Regierung unterstützen, die das Töten zur Staatsräson erhebt?“
Eben. Und vielleicht muss man auch gar nicht davon ausgehen, dass ohne Islamisten nichts läuft:
„In der Isolierung der Hamas liegt auch eine kleine Chance für die Zukunft. Ohne Geld kann Hamas die Angestellten der Autonomieregierung nicht mehr entlohnen, fehlt es an Arbeit und Materialien. Letztlich wird Hamas kapitulieren und es wird zu Neuwahlen kommen.“
Man wird sehen, ob er Recht hat; völlig abwegig ist Schmitz’ These zumindest nicht. Interessant wird aber auch sein, zu beobachten, ob die Zeitung wenigstens bei solchen Erkenntnissen bleibt. Das wäre doch mal ein echter Fortschritt.

Hattip: Doro