30.7.06

Vokabular der Unwahrheit

Haben Sie die Meldung auch gelesen? „Wut auf Israel: Bewaffneter erschießt Frau in jüdischem Zentrum“ oder „‚Wütend auf Israel’: Schießerei im jüdischen Zentrum in Seattle“ lauteten die Schlagzeilen, nachdem ein „muslimischer Amerikaner“ respektive ein „US-Bürger pakistanischer Herkunft“ eine Frau erschossen und fünf weitere verletzt hatte.* Sprache kann verräterisch sein, auch wenn es auf den ersten, flüchtigen Blick nicht so wirkt. Der Täter hatte, folgt man diesen Headlines, also offenbar ein Motiv für sein Handeln; eines, das er selbst nannte und das zunächst einmal rational wirkt, auch dann, wenn man sein Vorgehen nicht teilt: „Wut auf Israel“ soll es gewesen sein, die diese tödlichen Folgen hatte. Natürlich heißt das niemand ernsthaft gut, der noch halbwegs bei Trost ist, aber das ist nicht der Punkt. Denn die entscheidende Frage wird gar nicht erst gestellt: Warum drang der Mann ausgerechnet ins jüdische Zentrum von Seattle ein und tötete und verletzte dort Menschen; was hat dieses Zentrum mit Israel zu tun? Die Antwort: Nichts – es sei denn, man macht jeden auf dieser Welt lebenden Juden zwangsläufig zum Repräsentanten des jüdischen Staates und jede jüdische Einrichtung – gleichgültig, ob beispielsweise Synagoge oder Zentrum – automatisch zur diplomatischen Vertretung Israels, nimmt Juden also in Sippenhaftung, weil sie per se für das verantwortlich sein sollen, was der israelische Staat unternimmt, unabhängig davon, ob sie dessen Linie nun teilen oder nicht. Diese Sichtweise setzt jedoch die Annahme einer jüdischen Weltverschwörung voraus – und ist daher nicht erst seit gestern lupenrein antisemitisch. Doch dieser Erkenntnis verweigerten sich die deutschen Medien einmal mehr; die Deutsche Presse-Agentur gliederte die mörderische Attacke sogar in ihre Aufzählung von „Protesten gegen die israelischen Angriffe“ ein:
„In Australien wurde Ministerpräsident John Howard am Rande einer Kundgebung attackiert. Demonstranten mit libanesischen und palästinensischen Fahnen schlugen mit Fäusten auf sein Auto und bewarfen es mit Steinen. In Seattle an der US-Westküste eröffnete ein Amerikaner arabischer Abstammung in einem jüdischen Zentrum angeblich aus Wut über die Nahostgewalt das Feuer.“
Was Howard sich in den Augen der als „Demonstranten“ verharmlosten militanten Israelhasser konkret zuschulden kommen lassen haben soll, bleibt gänzlich im Dunkeln oder wird einfach als bekannt vorausgesetzt, während der Antrieb des Judenmörders in den USA unversehens in der „Nahostgewalt“ auf- und also untergeht. Doch das ist nichts Ungewöhnliches für die Berichterstattung über Israel, die auch dort, wo sie sich vermeintlich neutral gibt, letztlich Position gegen den jüdischen Staat bezieht. Claudio Casula hat in seinem brillanten Beitrag „So wird man Nahostkorrespondent“ eindrucksvoll die Mechanismen aufgezeigt, die diesbezüglich greifen, und dargestellt, wie man mit scheinbar unverdächtigen Begriffen einen Sachverhalt so vernebelt, dass Ursache und Wirkung schließlich überhaupt nicht mehr auseinander zu halten sind. Denn „die Sache ist ganz einfach: Israel ist die stärkere Partei in diesem Konflikt (Bad Guy), die Palästinenser die Underdogs (Good Guy). Nach diesem Muster biegen wir die Ereignisse vor Ort zurecht.“ Und so wird etwa aus einem Terroranschlag ein „Angriff“ oder „Zwischenfall“, eine Militäraktion gegen Terroristen mutiert zur „blutigen Vergeltung“, und Diktatoren geraten zu „charismatischen Führern“.

Victor Davis Hanson (Foto) hat nun in der National Review gewissermaßen ein Update der Aufklärung über das „Vokabular der Unwahrheit“ vorgenommen, weil auch die Berichterstattung über die israelische Selbstverteidigung gegen die Hizbollah die vertrauten Schemata aufweist. Dieses Wörterbuch sei im Folgenden auch einem deutschsprachigen Publikum näher gebracht.**
Ein „Waffenstillstand“ würde eintreten, wenn die Hizbollah die entführten Israelis frei ließe und aufhörte, Raketen abzuschießen; er würde jedoch niemals auf eine einseitige Beendigung der israelischen Bombardierungen folgen. Vielmehr werden wir internationale Appelle erst hören, wenn die Raketen der Hizbollah beinahe aufgebraucht sind.

„Zivilisten“ im Libanon haben Munition in ihren Kellern und ziehen das Feuer vorsätzlich an; in Israel sind sie in Bunkern, um genau das zu vermeiden. Israel verwendet Präzisionswaffen, um zu verhindern, dass Zivilisten getroffen werden; die Hizbollah schießt wahllos Raketen auf Israel ab, um sicherzustellen, dass sie getroffen werden.

Der Begriff „Kollateralschaden“ bezieht sich meistens auf Opfer unter den menschlichen Schutzschilden der Hizbollah; er kann niemals verwendet werden, um den Tod von Zivilisten in Israel zu beschreiben, weil dort alles per se ein Ziel ist.

Das Wort „Gewaltspirale“ wird benutzt, um diejenigen zu verunglimpfen, die angegriffen werden, aber nicht gewinnen sollen.

Das Adjektiv „vorsätzlich“ findet im Kontext der Genauigkeit israelischer Bomben Anwendung; es bezieht sich nie auf Raketen der Hizbollah, die dafür bestimmt sind, alles zu zerstören, was sie können.

Eine „Missbilligung“ wird gewöhnlich gegen Israel ausgesprochen, von denen nämlich, die selber Nichtkombattanten abgeschlachtet oder die Erlaubnis dazu gegeben haben – wie etwa die Russen in Grosny, die Syrer in Hama oder die UNO in Ruanda und Darfur.

„Unverhältnismäßig“ bedeutet, dass die Aggressoren der Hizbollah – deren primitive Raketen nicht besonders viele israelische Zivilisten töten können – verlieren, während die ausgeklügelte Reaktion der Israelis tödlich für die Kombattanten ist. Siehe auch „exzessiv“.

Jedes Mal, wenn Sie das Adjektiv „exzessiv“ hören, verliert die Hizbollah gerade. Jedes Mal, wenn Sie es nicht hören, verliert sie nicht.

„Augenzeugen“ sind in der Regel keine, und ihre Aussagen werden nur gegen Israel zitiert.

Der Terminus „tiefe Betroffenheit“ wird von Europäern und Arabern verwendet, die privat einräumen, dass es für den Libanon keine Zukunft gibt, solange die Hizbollah nicht zerstört ist – und das sollte vorzugsweise von „Zionisten“ erledigt werden, die man leicht dafür beschuldigen kann, es getan zu haben.

Der Ausdruck „unschuldig“ bezieht sich oft auf Libanesen, die zur Bevorratung von Raketen beitragen oder neben welchen leben, die das tun. Selten bezieht er sich auf angegriffene Israelis.

Die „Kämpfer” der Hizbollah tragen keine Uniform, und ihr vorrangiges Ziel sind nicht die Israelis, die welche tragen.

„Multinational“, wie in „multinationale Truppen“, bedeutet für gewöhnlich: „Dritte Welt-Söldner, die mit der Hizbollah sympathisieren“. Siehe auch „Peacekeeper“.

„Peacekeeper“ bewahren keinen Frieden, sondern ergreifen Partei für die weniger westlichen Kriegsteilnehmer.

„Vierteltonner“ umschreiben das, was man in anderen, nicht-israelischen Truppen als „500-Pfund“-Bombe kennt.

Die Vokabel „schockiert“ wird erstens von Diplomaten benutzt, die das nun wirklich nicht sind, und sie richtet sich zweitens nur gegen die Antwort Israels, niemals gegen die Angriffe der Hizbollah.

Ein „Einsatz der Vereinten Nationen“ meint Aktionen, gegen die Russland oder China kein Veto einlegen würden. Die Funktionäre dieser Organisation gucken in der Regel dabei zu, wie sich Terroristen vor ihren Augen bewaffnen. Sie sind fast immer schuld an Dingen, für die sie andere anklagen.
* Das Foto zeigt Menschen in der Nähe des jüdischen Zentrums nach dem Amoklauf
** Übersetzung: Liza.

29.7.06

Indyfadamedia

Nahezu täglich rotten sich derzeit Tausende in Old Europe zusammen, um in so genannten Antikriegs- oder Friedensdemos ihren Hass gegen Israel auf die Straße zu tragen. Einträchtig marschieren Islamisten und Linksradikale, Neonazis und Friedensbewegte Seit’ an Seit*; der Antisemitismus als weltanschauliche Klammer nivelliert die politischen Unterschiede, die es in anderen Fragen noch geben mag. Man verteilt Pamphlete, hält erregte Ansprachen und gibt Parolen von sich, die in der Regel mindestens indirekte Aufrufe zum Judenmord darstellen. Wer sich diesem Furor in den Weg stellt, wird auch schon mal mehr als nur verbal attackiert. Manifestationen für Israel sind demgegenüber selten, und sie verzeichnen zumeist eher dürftigen Zuspruch. Eine Ausnahme stellte die gestrige Demonstration „Für Israel – und sein Recht auf Selbstverteidigung“ in Berlin dar (zweites bis viertes Foto**), zu der – je nach Quelle – zwischen 1.000 und 2.000 Menschen kamen. „Erstaunlich viele Israelis, viele Berliner Juden, aber auch andere mit Israel solidarische Menschen schritten am Freitag vom Steinplatz in Charlottenburg zum Wittenbergplatz, wo die größte Demonstration für Solidarität mit Israel ihren Abschluss fand“, berichtet Samuel Laster in Die Jüdische, und er ergänzt: „Zahlreiche Verwandte mitdemonstrierender Israelis sitzen seit nunmehr 17 Tagen in Luftschutzkeller, mehr als 1.800 Katjuscha- und andere Raketen wurden auf Israel gefeuert, es gab bisher im Norden Israels Dutzende zivile Todesopfer, hunderte Verletzte, seit am 12. Juli um 9 Uhr früh ein Raketenregen begann und zwei israelische Soldaten von der Hizbollah entführt wurden.“

Wenn man im Internet nach Berichten über Aktivitäten sucht, an denen nicht gleich Zehntausende beteiligt waren, ist man oft auf kleinere Seiten, Foren, Blogs und Portale angewiesen, deren Seriosität sich recht unterschiedlich ausnimmt. Eines dieser Netzwerke ist das linke, per Selbstdefinition „unabhängige Medienzentrum“ Indymedia, auf dessen Website allerlei bewegte Menschen ihre Ansichten veröffentlichen können und das auch tun. Mehrere Moderatoren schauen gelegentlich nach dem Rechten, löschen schon mal einen Eintrag oder Kommentar; grundsätzlich halten sich die Eingriffe jedoch in Grenzen – man ist ja schließlich basisdemokratisch und herrschaftsfrei. Weitgehend ungefiltert sind daher im so genannten Open Posting-Bereich Stellungnahmen zu allen möglichen Themen zu lesen, die aufrechte Linke beschäftigen: von der Tierbefreiung bis zu Aufmärschen von Neonazis, von Hausbesetzungen bis zum Befreiungskampf der indigenen Bevölkerung in Chiapas. Und natürlich haufenweise Statements zum Nahen Osten, eins übler als das andere; wer Anschauungsmaterial dafür benötigt, wie linker Antisemitismus funktioniert, wird hier im Übermaß bedient. Gelegentlich verirren sich zwar auch einmal Beiträge auf die Seite, die Partei für Israel ergreifen – doch die sind zumeist, so sie denn nicht von den Moderatoren in den virtuellen Papierkorb verschoben werden, eher als Provokation für den Indymedia-Mainstream gedacht, und die Meute der User macht sich auch stets mit Schaum vor dem Mund über solche Texte her und erbricht sich in die Kommentarspalten.

Dass die erwähnte Berliner Demonstration in diesem Portal nicht unerwähnt bleiben würde, war zu erwarten; was ein Schreiber respektive eine Schreiberin unter der Überschrift „Protest gegen Nationalistendemo in Berlin“ aus diesem Anlass jedoch in die Tastatur hämmerte, verdient eine ganz besondere Würdigung. „Prov. antirassitischer Zusammenschluss Berlin“ steht dort als Verfassername, wobei diese Selbstbezeichnung nicht nur ihrer eigenwilligen Orthografie wegen darauf schließen lässt, dass man erstens im weiteren Verlauf des Postings mit dem Allerschlimmsten zu rechnen hat und dass zweitens „Prov.“ vermutlich eher für „provinzieller“ steht denn für (das mutmaßlich beabsichtigte) „provisorischer“. Und die Befürchtungen erweisen sich unmittelbar als berechtigt (Rechtschreibung, Zeichensetzung und Grammatik hier und im Folgenden selbstverständlich im Original): „Heute, am 28.07.06, marschierten über 700 eurozentrische NationalistInnen unter dem Motto ‚Für die israelische Selbstverteidigung’ durch Berlin-Charlottenburg.“ Und welche „eurozentrischen NationalistInnen“ waren das wohl so? Diese: „An der Demo nahmen Sexisten wie Michelle Friedmann“ (der sich kurz zuvor einer Geschlechtsumwandlung unterzogen haben muss und demzufolge der Korrektheit halber wohl eher als „Sexistin“ zu bezeichnen gewesen wäre), „religiöse Fanatiker wie die Partei Bibeltreuer Christen (PBC)“ (eine zwar obskur-frömmelnde, aber kleine und eher harmlose Gruppierung), „rassistische Schreibtischtäter wie die Redaktion Bahamas“ (deren „Rassismus“ unter anderem darin besteht, die Zwänge und Zumutungen des Islam als solche zu benennen und sie nicht als „multikulturelle Bereicherung“ zu verbrämen) „und BelizistInnen wie die Freie Deutsche Jugend (FDJ) teil“ (die zwar so heißt wie die DDR-Organisation, bei der sich aber jedem aufrechten Stahlhelmsozialisten die proletarisch frisierten Nackenhaare sträuben würden).

Gleichwohl blieb dieses sinistre Konglomerat aus Juden, Christen, Antideutschen und Kommunisten nicht unter sich, denn: „Am Rande des chauvinistischen Aufzuges zeigte sich revolutionär- antiimperialistscher Protest.“ Sollte die RAF tatsächlich noch leben? Fast scheint es so: „Um 17 Uhr formte sich am Steinplatz der Aufmarsch. Eine ca. 5-köpfige Gruppe von jüdischen PazifistInnen hielten ein Schild mit der Auftschrift ‚Nicht in unserem Namen! Für einen gerechten Frieden!’ hoch. Ihnen wurde durch eine Allianz von Demonstrationsanmeldern und Polizei das Wort verboten. Auch eine kleine Gruppe von älteren MitbürgerInnen mit pazifistischen Plakaten wie ‚Stoppt den Krieg!’ wurde von der Polizei weggedrängt.“ Die Schergen des Schweinesystems als Büttel der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung – dass man das noch erleben darf! Aber ein echter „Prov. antirassitischer Zusammenschluss“ lässt sich selbstverständlich nicht einschüchtern: „Nachdem der Aufmarsch mit den üblichen unreflektiert-nationalistischen Parolen wie ‚Was wir wollen ist nicht viel: Solidarität mit Israel!’ den Breitscheidplatz erreicht hat, begann eine Gruppe von etwa sieben Leuten diesen chauvinistischen Spuk etwas zu stören und ziegte sich durch Parolen solidarisch mit der unterdrückten arabischen Bevölkerung im Nahen Osten.“ Wenn sieben Leute Solidarität mit Unterdrückten ziegen, handelt es sich vermutlich um die nämlichen Geißlein, deren Parolen stets nach „Mäh!“ klingen, weil sie mehr gar nicht hervorzubringen imstande sind. Und da der Wolf vielhundertfach größer war, kam bald Ohnmacht über die Herde: „Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: nach Rufen wie ‚Scheiß Kommunistenschweine’ und ‚Haut ab, ihr Terroristenfreunde’ folgten Parolen wie ‚USA-Antifa’ und ‚Nazis raus!’, obwohl die Gruppe sichtlich zur Hälfte aus MigrantInnen bestand und der Großteil von ihnen linken Aktivitäten nachgeht.“

Aus den Ziegen wurden plötzlich Schweine und daraus schließlich Nazis – und das, obwohl man vorher extra noch mal das Rassenkundelehrbuch aus dem Regal „älterer MitbürgerInnen mit pazifistischen Plakaten“ geholt und sein subversives Grüppchen mit einer „sichtlichen“ Quote an „MigrantInnen“ bestückt hatte, die bekanntlich schon aus biologischen Gründen keine Faschos sein können, sondern quasi naturwüchsig „linken Aktivitäten nachgehen“, wie man das etwa von den netten Ausländern der Hizbollah, der Hamas und des Islamischen Djihad kennt. Aber es half nichts: „Schnell eilte die Polizei zur Hilfe vertrieb aggressiv den emanzipatorischen Widerstand und trennte sie durch eine ‚Apatheitskette’ die arabischstämmigen und europäischstämmigen GegendemonstrantInnen.“ Deutsche Polizisten, Mörder und Faschisten – nur knapp davon entfernt, die „Apatheitskette“ in eine veritable Apatheitsmauer zu verwandeln wie die Juden auf der heiligen palästinensischen Erde, doch immerhin entschlossen zu verhindern, dass die arabischen und europäischen Stämme sich emanzipieren und zu deutschen Eichen werden, deren Wurzeln selbst von den finstersten Zionisten nicht mehr gekappt werden können. Aber der Krieg ist noch nicht verloren, sondern nur eine Schlacht: „Ungefähr zwanzig PolizistInnen ‚schützten’ die 700 MarschierendInnen“ – auch der Feind will politisch korrekt beim Namen genannt werden, selbst wenn’s sichtlich schwer fällt – „vor den mittlerweile zehn GegendemonstrantInnen. Im Laufe des Aufmarsches überbewachten ungefähr sieben Polizeiwagen die zahlenmäßig weit unterlegenen AntirassistInnen. Die ApartheidsgegnerInnen wurden von der deutschen Polizei bis in die Untergrundbahn verfolgt“, also auch noch an der Flucht mit einem klandestinen Transportmittel gehindert. Der pure Faschismus! Mindestens!

Tatendrang und Tapferkeit sind dennoch gänzlich ungebrochen: „Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass auf Grund der massiven Eskalation im Nahen Osten es in Zukunft weiterhin zu nationalistischen Aufmärschen kommen wird und das der emanzipatorisch- antiimperialistische Widerstand nicht vor den Toren Berlins halt machen darf und von linksradikaler, kommunistischer und antiimperialistischer Seite solchen rassistischen Manifestationen Einhalt gebietet werden muss.“ Gäbe es Gebote, geböte man ihnen Gewähr im Gebiete vor den Gemäuern Berlins. Doch wer gebietet sie, wenn es die geborenen Kämpfer des emanzipatorisch-antiimperialistischen Widerstandes nicht dürfen? Auf die Antwort darf man schon jetzt gebannt sein. Verzeihung: gespannt.

Update: Der inkriminierte Indymedia-Beitrag wurde heute Nachmittag „aufgrund der Moderationskriterien“ von den Moderatoren „versteckt“, warum auch immer – unter dem üblichen Niveau dort veröffentlichter Beiträge und Kommentare zum Nahostkonflikt lag er jedenfalls nicht. Da der Text hier jedoch ohnehin vollständig zitiert wurde, bleibt der Nachwelt dieses Prachtexemplar linksdeutschen Wahnsinns erhalten.

* Wie in Berlin am vergangenen Sonntag (Foto ganz oben)
** Ein Dank ergeht an Planet Hop für die Bilder von der Demonstration

28.7.06

Gerüchteköche

Es gehört seit jeher zum Arsenal antisemitischer Stereotypie, die Existenz einer jüdischen Rachsucht zu behaupten; gewandelt haben sich im Laufe der Zeit lediglich die Ausdrucksformen dieses Ressentiments. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ – das ist seit Jahren die Formel, mit der Israel regelmäßig „alttestamentarischer Härte“ geziehen wird, die gewissermaßen vorzivilisatorisch, also barbarisch sei. Dass das Bibelzitat dabei seines eigentlichen Sinnzusammenhangs entkleidet wird – denn es ist, in seinen Kontext eingebettet, ein Plädoyer für die Verhältnismäßigkeit der Mittel und gerade nicht für ein blindes Zurückschlagen –, nehmen seine antiisraelischen Adepten nie zur Kenntnis, aber warum auch? Die Botschaft kommt stets an – auch jetzt wieder, wenn Israel zum Vorwurf gemacht wird, „unverhältnismäßig“ gegen die Hizbollah vorzugehen. Wie demgegenüber die erwünschte Verhältnismäßigkeit gegenüber einem Feind auszusehen hätte, dessen Daseinszweck nur eine Verhältnismäßigkeit kennt – nämlich die vollständige Vernichtung all dessen, was er für jüdisch hält –, das ergibt sich mehr indirekt – durch die Forderung nach einem Waffenstillstand und Verhandlungen, vulgo: nach der Kapitulation vor dem antisemitischen Terror –, als dass es expressis verbis ausgeführt würde.

Was am israelischen Vorgehen unverhältnismäßig ist, wissen die Friedensfreunde nicht nur hierzulande dafür umso besser: „Angriffe gegen die Zivilbevölkerung“ beispielsweise. Mag Israel vor militärischen Maßnahmen noch so deutliche Warnungen an die Bewohner von Gebieten aussprechen, in denen die Hizbollah ihre Hochburgen und militärisch wichtigen Stellungen hat; mögen für Hilfsgüterlieferungen Korridore geöffnet werden, die die Terrororganisation für ganz andere Zwecke nutzen kann – nichts ändert sich am Bild des rücksichtslosen Aggressors, der mit blinder, zerstörerischer Wut auf alles zielt, was sich nicht wehren kann. Kaum einmal ist die Rede davon, dass die Hizbollah die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten selbst gar nicht vornimmt, sondern nur Kämpfer gegen die Ungläubigen kennt; dementsprechend selten liest man auch, dass diese Mördertruppe mit Vorliebe und der Zustimmung der Bewohner private Häuser als Waffenverstecke und Stützpunkte nutzt, um von dort aus ihre Raketen abzufeuern; wenige Verfechter des prinzipiell antiisraelischen Völkerrechts weisen darauf hin, dass es die Gotteskrieger sind, die dieses Recht ungezählte Male gebrochen haben, bevor Israel reagierte. Kurz: Es ist bestenfalls gelegentlich ein Thema, dass es sich bei der Hizbollah nicht um eine reguläre Armee handelt, sondern um Rackets mit einer Art Partisanentaktik – eine Tatsache, die es Israel beträchtlich erschwert, zwischen vermeintlichen und tatsächlichen Zivilisten zu unterscheiden, zumal 87 Prozent der Libanesen angeben, die Hizbollah zu unterstützen; 70 Prozent finden außerdem die Entführung der beiden israelischen Soldaten richtig.

Doch das kümmert die Freunde der Verhältnismäßigkeit verhältnismäßig wenig, und seit vier Beobachter einer der UNIFIL zugeordneten UN-Einheit – die übrigens laut dem Bericht eines ihrer Angehörigen von der Hizbollah regelmäßig als Schutzschild beansprucht wurde! – durch eine israelische Bombe getötet wurden, ist ihre Empörung noch größer. „Krieg gegen die UNO“, erboste sich wie gewohnt die inoffizielle Beilage der Nationalzeitung namens junge Welt, so, als gebe es nun noch eine dritte Front. Es half nichts, dass der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert sofort sein aufrichtiges Bedauern ausdrückte: Der UN-Generalsekretär Kofi Annan, dieser „tragische Flop“ (Michael Wolffsohn), sprach dennoch von „Absicht“, reagierte also wie ein trotziges Kind, über dessen Sandburg ein Gleichaltriger gestolpert ist. Dabei lohnt sich ein genauerer Blick auf die nämliche Truppe der Vereinten Nationen, die ausgeschrieben United Nations Interim Force in Lebanon bedeutet. 1978 gegründet – nach eigenem Bekunden, um „Israels Abzug aus dem Libanon zu beaufsichtigen, den internationalen Frieden und die Sicherheit wieder herzustellen und der libanesischen Regierung zu helfen, ihre effektive Autorität auf dem Gebiet wieder herzustellen“ –, paktiert sie seitdem mal de facto, mal offen mit der Hizbollah, wie die Publizistin Gudrun Eussner in einem brillanten Beitrag herausarbeitete:
„[Die UNIFIL] sieht passiv zu, wie die Hizbollah in den letzten sechs Jahren ein riesiges Waffenlager von 10.000 bis 15.000 Raketen anlegt, Tunnels gräbt, sich entlang der Grenze zu Israel einrichtet und dabei die dort lebende Bevölkerung als Geisel nimmt. [...] Die UNIFIL ist an der Südgrenze im Einsatz, als Hizbollah-Terroristen sich nach Israel aufmachen, um Soldaten der IDF zu entführen und anschließend mit dem Raketenbeschuss auf Israel weiterzumachen, mit Raketen, die es gemäß Beschluss der UNO gar nicht besitzen dürfte. [...] Die Hizbollah hat jede Berechtigung, von den UNIFIL-Truppen Unterstützung zu erwarten, profitieren doch einige Mitglieder dieser Friedenstruppe für gutes Geld davon, als menschliche Schutzschilde gegen Israel und als Mittäter bei Entführungen von Soldaten zu wirken. Die beiden am 12. Juli entführten israelischen Soldaten sind nicht die ersten, die unter den wohlwollenden Blicken von UNIFIL gekidnappt werden.“
Denn vier Mitglieder dieser UN-Einheit ließen sich bereits im Oktober 2000 sogar von der Hizbollah dazu bestechen, bei der Entführung von drei israelischen Soldaten behilflich zu sein, während mehrere Dutzend UNIFIL-Soldaten dabei zusahen. Doch auch damit ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht – und das ist durchaus wörtlich zu nehmen: An UNIFIL-Stationen weht schon mal einträchtig die UN-Flagge neben der der Hizbollah (Foto oben). „Kurz, die rührende Geschichte, die den Europäern verkauft wird, stimmt hinten & vorn nicht, was aber niemanden in den deutschen Medien stört, sondern die traurige Geschichte vom Überfall der Israelis auf einen friedfertigen UNIFIL-Posten wird, ergänzt durch die noch traurigere Mitteilung, die Israelis verlören durch ihren Bodenkrieg viele Soldaten, in jeder stündlichen Nachricht wiederholt“, resümiert Eussner.

Doch es geht sogar noch ärger. „Schießt Israel Giftgranaten?“, schlagzeilte der Berliner Kurier am 24. Juli und ergänzte: „Diesen schlimmen Verdacht haben jetzt Journalisten geäußert, die aus dem Libanon und Gaza berichten. Ärzte erklärten ihnen: Viele Leichen weisen typische Verletzungen von Phosphor oder sogar Giftgas auf!“ Das Blatt zitierte dazu einen dieser Mediziner, den Leiter eines Krankenhauses in Beirut: „Uns wurden gestern acht mumienartige Leichen in mein Krankenhaus eingeliefert. Die toten Körper zweier Kinder zeigten keinerlei von einer Explosion stammende Wunden. Ich habe den Eindruck, dass ein giftiger Stoff über die Haut in die Körper gelangte. Der Tod folgt darauf mit fast 100-prozentiger Sicherheit.“ Gleiches habe „Dr. Juma Al Sakka vom Gaza Al Shifa Hospital“ zu Protokoll gegeben. Woher der „Eindruck“ (!) kommt, den der Beiruter Arzt hat, erklärte die Zeitung so:
„Einen Hinweis auf weißen Phosphor oder sogar Giftgranaten lieferte die israelische Armee selbst mit einem Foto [Bild links] aus Avivim an der Nordgrenze. Ein [israelischer] Soldat trägt eine ungewöhnliche Waffe. Ein Militärspezialist erklärte: Das ist eine FMU-Thermowaffe – ein Artilleriegeschoss, das speziell für Gas und Phosphor konstruiert ist. Es gehört zu den präzisen Laserwaffen, die die USA Israel in großen Mengen geliefert haben. Und die Israel nun verstärkt nachgefragt hat. Die US-Armee hat diese Phosphorwaffen bereits im Irak mit verheerender Wirkung eingesetzt. Dieses Geschoss kann für jede Art von Giftgas verwendet werden.“
Verschiedene Medien übernahmen sowohl diese Darstellung als auch das Bild, das „israelische Soldaten bei der Verladung von Giftgas-Granaten“ zeige. Für die Linke Zeitung stand daher fest: „Dieses Foto beweist den Einsatz chemischer Waffen im Libanon. Die auf dem Foto erkenntlichen Personen können eindeutig der israelischen Armee zugeordnet werden.“ In der jungen Welt war der notorische Rainer Rupp ganz in seinem Element und wusste, was für Nazis die Juden doch sind: „Besonders makaber sind vor dem Hintergrund der Shoa Berichte aus den USA, dass Israel in Südlibanon auch Giftgas einsetzt.“ Sogar die Amis, die für die Rupps dieser Welt sonst eigentlich nur lügen, gäben es also zu: „Ein Mitarbeiter des militärischen Nachrichtendienstes der USA hatte die Waffen als chemische Bomben identifiziert.“ Ergo: „Dies würde Berichte aus dem Südlibanon erklären, wonach die betroffene Bevölkerung nach israelischen Angriffen über Übelkeit und Erbrechen klagte“ – aber offenbar doch nicht über „fast hundertprozentige“ Tote. Nun, das könnte daher kommen, dass es sich bei den Waffen auf dem angeblichen Beweisfoto gar nicht um Giftgas-Granaten handelt, sondern um Minenbrecher der Marke Carpet (Foto unten), die unter die Rubrik Mehrzweckwaffen fallen, wie dem Wayne Madsen Report (WMR) vom 22. Juli zu entnehmen ist – auf den sich jedoch diejenigen beriefen, die von einem Giftgasangriff schrieben. In dem Report heißt es wörtlich: „Obwohl die Granate als Anti-Landminen-Bombe firmiert, kann ihr Laderaum auch die Chemikalien enthalten, die für Thermobomben sowie Phosphor- und Chemiewaffen verwendet werden.“ Kann – muss aber nicht. Und auch in Bezug auf die Waffe, die auf besagtem Foto zu sehen ist, ist der WMR auf Spekulationen angewiesen.

Zweifelhaft ist darüber hinaus der behauptete israelische Gasangriff auf den Gazastreifen, von dem der Berliner Kurier berichtete und den zuvor schon die islamistische Milli Gazete sowie die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti kolportiert hatten: „Israel setzt beim Beschuss des Gaza-Streifens chemische und radioaktive Kampfstoffe ein. Das geht aus einer Studie hervor, die das palästinensische Gesundheitsministerium von arabischen Massenmedien veröffentlichen ließ.“ Zuverlässige Quellen, fürwahr. Aber wer, seinem Wahn folgend, „den israelischen Invasoren“ einen „Vernichtungsdrang“ unterstellt – wie Werner Pirker in der jungen Welt – und daher fordert: „Wenn das Existenzrecht des Staates Israel in der Verhinderung des Selbstbestimmungsrechtes anderer Völker begründet ist, dann muss es tatsächlich in Frage gestellt werden“, dem ist jede Propaganda lieb und teuer. Mehr noch: Die Katastrophe, vor der er warnt, sehnt er in Wahrheit herbei; es ist der antisemitische Reflex, der ihn in die Juden das hineinprojizieren lässt, was er selbst erträumt: Apokalypse und Vernichtung. Das teilt er mit seinen islamischen Gesinnungsgenossen, und deshalb schwärmt Pirkers Kollege Rupp auch in den schrillsten Tönen von den tapferen Kämpfern für eine judenfreie Welt: „Als heldenhafter Verteidiger gegen die israelischen Aggressoren ist Hizbollah in der ganzen arabischen Welt zu einem Symbol des Widerstands und der Hoffnung geworden, sogar bei nicht wenigen libanesischen Christen, mit denen Hisbollah auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet gut zusammenarbeitet.“

Dieser tiefbraune Brei aus Steinzeitkommunisten, Islamisten und Neonazis kocht, wie man feststellen darf, nicht bloß auf der Straße über, sondern auch in Redaktionsstuben. Wenn es gegen Israel geht, werden politische Gegensätze unwesentlich bis irrelevant und ist der Ruf nach Frieden bloß ein Synonym für einen Krieg gegen den jüdischen Staat. Auch deshalb hat Thomas von der Osten-Sacken Recht, wenn er schreibt: „Einen faulen Frieden, wie ihn die Europäer wünschen, einen Frieden, der keiner ist, weil er keine Probleme löst, den wünsche ich niemandem. Möge man mich deshalb einen Bellizisten nennen.“

Hattips: Thomas Borowsky, Bernd Dahlenburg, Niko Klaric & Honestly Concerned

27.7.06

Deutsche Selbstgespräche

Es ist ein alter Trick in der Politik, für die Maßnahmen, die man zu ergreifen gedenkt, und für die Ziele, die man anstrebt, erst einmal Testballons steigen zu lassen und die Reaktionen zu sondieren. Nicht anders verhält es sich mit der Diskussion, die über die Frage „Germans to the front?“ entbrannt ist – eine Frage, die einmal mehr niemand anders gestellt hat als die Deutschen selbst: „Wenn wir gefordert werden, wenn wir übereinstimmend auch von allen Nationen gebeten werden“, dann könne und wolle sich Deutschland der Teilnahme an einer Friedenstruppe nicht verweigern, sagte beispielsweise Verteidigungsminister Franz Josef Jung (Foto), der der CDU angehört. Auch sein Parteikollege, der Außenexperte Eckart von Klaeden, war der Ansicht, ein solcher Einsatz der Bundeswehr könne „prinzipiell nicht ausgeschlossen“ werden. Und der Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag, Volker Kauder, sekundierte: „Wenn es um den Frieden im Nahen Osten geht, sollte man überhaupt nichts ausschließen. Wir müssen gerade auch als Deutsche einen Beitrag für den Frieden dort leisten.“ Von einer „besonderen Verantwortung“ und „Verpflichtung“ Israel gegenüber war die Rede und davon, dass man ein „robustes Mandat“ benötige. Sogar für den Fall, dass es Kritik an solchen Vorschlägen geben sollte, hatte man vorgebaut: Kauder beispielsweise wollte „nicht den dritten Schritt vor dem ersten machen“, und Jung betonte, die Frage einer deutschen Beteiligung stelle sich „im Moment nicht“; vor einer etwaigen Mission müssten erst „bestimmte Voraussetzungen geklärt sein“, und außerdem sei die Bundeswehr durch zahlreiche Auslandseinsätze bereits „besonders herausgefordert“.

Die Herren haben nur ein Problem: Sie würden zwar gerne gefordert oder gebeten werden und „Voraussetzungen klären“, aber das passiert einfach nicht; ihre Äußerungen entsprangen schlicht reinem Wunschdenken. Zwar ließ Jigal Palmor, Sprecher des israelischen Außenministeriums, via ZDF verlautbaren: „Die Offiziellen aus Deutschland haben bereits eine konstruktive Rolle gespielt bei der Lösung von Geiselnahmen, bei einzelnen Vorfällen, wo Soldaten entführt wurden. Es ist jetzt an der Zeit, wo die gleichen Funktionäre aus Deutschland tätig werden könnten.“ Doch dieses Statement bezog sich nicht, wie man es bei der Bundesregierung und in den deutschen Medien heraushören zu können glaubte, auf einen Einsatz der Bundeswehr, sondern knüpfte an Gefangenenaustausche zwischen Israel und der Hizbollah an, die in der Vergangenheit über den Bundesnachrichtendienst (BND) abgewickelt worden waren – jenen Auslandsgeheimdienst, der auch jetzt wieder mit den Hufen scharrt, um direkt mit der Hizbollah, Syrien und dem Iran verhandeln zu können, und von dem nicht zuletzt Hizbollah-Führer Hassan Nasrallah in den höchsten Tönen schwärmt.

Noch dreister als ihr Regierungspartner trieben es die Sozialdemokraten. Heidemarie Wieczorek-Zeul etwa bezeichnete sowohl im Tagesspiegel als auch in der ARD-Sendung Christiansen die israelische Selbstverteidigung als „völkerrechtlich inakzeptabel“ – was sie selbstverständlich nur als gut gemeinten Rat unter Freunden verstanden wissen wollte. Das wird die Israelis in den Luftschutzkellern gewiss herzlich gefreut haben. Der SPD-Generalsekretär Hubertus Heil und der Fraktionsvize Walter Kolbow forderten allen Ernstes das „sofortige Ende aller Kampfhandlungen“ und einen „bedingungslosen Waffenstillstand“. Kolbow hatte zuvor bereits eingeklagt, die „demokratisch gewählte Hamas-Regierung“ endlich anzuerkennen, darüber hinaus die „Besatzung der palästinensischen Gebiete und den Siedlungsbau“ als „Völkerrechtswidrigkeit“ bezeichnet und den „Einmarsch in den Libanon und die Bombardierung der libanesischen Infrastruktur“ eine „Überreaktion“ genannt.

Der Parteivorsitzende Kurt Beck wiederum fand deutsche Soldaten im Nahen Osten „nicht mehr undenkbar“ und knüpfte damit nahtlos an seinen Vorgänger Gerhard Schröder an, der bereits vor vier Jahren laut über einen Einsatz auch mit „militärischen Mitteln“ nachgedacht hatte – und das auch noch auf einer Kommandeurtagung der Bundeswehr. „Fragen wie die, ob dann auch Bundeswehrangehörige aus den nach Wehrmachtsgenerälen benannten Kasernen ausrücken müssten oder ob die im Ernstfall notwendigen Schüsse auf israelische Militäreinheiten ebenfalls zur Traditionspflege deutscher Soldaten zählen, ließ Beck unbeantwortet“, deutete Richard Gebhardt in der Jungle World eine historische Einordnung der sozialdemokratischen Pläne an und bemerkte zu den Äußerungen von Heil und Kolbow: „Bezeichnend sind Zeitpunkt und Anlass der Kritik. Diese blieb zum Beispiel aus, als noch vor der Entführung israelischer Grenzsoldaten die Hizbollah israelische Wohngebiete mit Katjuscha-Raketen unter Beschuss nahm und so das Völkerrecht brach. Ohnehin ist der sozialdemokratische Bezug auf das Völkerrecht eine Floskel, nicht erst seit die damalige rot-grüne Bundesregierung die Bombardierung Belgrads und der jugoslawischen Infrastruktur unterstützte.“

Deutliche Worte kamen auch und vor allem von Vertretern jüdischer und israelischer Instanzen. Avi Primor (Foto), ehemaliger Botschafter Israels in Deutschland, stellte klar: „Israel wird nicht in Waffenstillstandverhandlungen eintreten, solange das Gebiet im Südlibanon, von dem aus die Hizbollah Raketen auf Israel abschießt, nicht unter Kontrolle der libanesischen Regierung ist. Wir verlangen eine Waffenruhe, die sichert, dass aus dem Südlibanon nicht mehr auf Israel geschossen wird.“ Und Robert Guttmann, Präsident der Zionistischen Organisation Deutschland (ZOD), kritisierte, die Vorhaben der Sozialdemokraten bedeuteten „eine Aufmunterung und sogar eine Aufforderung an terroristische Gruppen wie Hizbollah, ihre Ziele künftig durch Kidnapping, Bomben, Raketen und Mord noch schneller zu erreichen“. Israel werde dadurch nicht nur in Gefahr gebracht; vielmehr werde seine Vernichtung „vielleicht in fünf, vielleicht in zehn Jahren damit festgeschrieben“. Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland wies den Gedanken an einen Bundeswehreinsatz zurück: „In Israel leben immer noch, glücklicherweise, eine ganze Reihe von Shoa-Überlebenden. Und ich weiß nicht, wie die es finden würden, wenn nun deutsche Truppen gegen einen sein Land verteidigenden israelischen Soldaten vorgehen müssten“, sagte sein Generalsekretär Stephan Kramer.

Der deutschen Sehnsucht nach mehr Gewicht in der Welt und dem Versuch, die USA im Nahen Osten zurückzudrängen, scheinen also einstweilen die Grenzen aufgezeigt; skandalös genug ist dieses deutsche Selbstgespräch jedoch auch so: Dem Staat, der infolge der Shoa gegründet wurde, mit Forderungen nach einem Niederlegen der Waffen zu begegnen – noch dazu, während er sich zum wiederholten Male dem Versuch seiner Auslöschung widersetzen muss und sich Tausende seiner Bürger in Luftschutzbunkern ängstigen – und deutsches Militär auch nur diskutabel machen zu wollen, dazu bedarf es schon einer gehörigen Portion Dreistigkeit und Unverfrorenheit. Hinzu kommen die traditionell hervorragenden politischen und ökonomischen Beziehungen Deutschlands zu arabischen Regimes, die Juden im Allgemeinen und Israel im Besonderen nichts als Tod und Verderben wünschen, aber vom Kritischen Dialog, dem Appeasement gegenüber dem Islamismus, profitieren. Die Normalität, die man sich nach Auschwitz im Land der Täter erträumt, kann es nicht geben.

Diese Einsicht wird jedoch hartnäckiger denn je verweigert, zumal beim Fußvolk, das sich noch weit ungenierter spreizt als seine politische Vertretung. Nach einer Umfrage des Spiegel* antworteten 63 Prozent der Deutschen auf die Frage „Israel versucht die Angriffe der radikalislamischen Hizbollah auszuschalten. Halten Sie die israelischen Angriffe auf den Libanon durch das Recht auf Selbstverteidigung für gerechtfertigt, oder hat Israel kein Recht dazu?“ mit „kein Recht“; nur 22 Prozent befürworteten die israelischen Militärmaßnahmen. Es gehört hierzulande zum guten Ton, dem jüdischen Staat großzügig ein Existenzrecht zuzuerkennen, das bei keinem anderen Land der Welt auch nur in Frage stünde. Wenn dieses Existenzrecht jedoch in praxi verteidigt wird, lässt die Generosität rapide nach, und es zeigt sich, dass es kein Widerspruch ist, an den Jahrestagen der Reichspogromnacht auf die Straße zu gehen oder mit Betroffenheitsmiene das Holocaust-Mahnmal in Berlin aufzusuchen und gleichzeitig neurotisch Israel übelster Menschenrechtsverletzungen zu zeihen – schließlich ist nur ein toter Jude ein guter Jude. Gideon Böss brachte es in seinem Weblog angemessen sarkastisch auf den Punkt: „Schuld am Hizbollah-Angriff auf Israel sind die Israelis, denn sie hätten versuchen sollen, sich vor dem Militärdienst zu drücken, was aber nicht geht, weil Israel im Gegensatz zu Deutschland kein antifaschistisches Land ist und die Israelis im Gegensatz zu den Deutschen keine Pazifisten, weswegen sie jetzt kriegslüstern die libanesischen Ressourcen im Auftrag der amerikanischen Juden erobern, damit diese ihre Vormacht weiter festigen können.“

„Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder“, hatte Paul Spiegel zu Lebzeiten den Pazifismus der Feinde Israels charakterisiert, der sich dieser Tage immer öfter, immer widerwärtiger und immer zahlreicher artikuliert. Eine Melange aus Islamisten, Linksradikalen, Friedensbewegten und Neonazis marschiert in zahlreichen deutschen und europäischen Städten auf, geeint durch den antisemitischen Hass auf Israel. Mehrere Tausend waren es allein am vergangenen Sonntag in Berlin (Foto), die Transparente mit Parolen wie „Israel trinkt das Blut unserer Kinder aus den Gläsern der Vereinten Nationen!!!“, „Stop Holocaust in Palestina und Libanon“ oder „Iran braucht Atomwaffen zur Verteidigung gegen die Imperialisten!“ zeigten und „Tod, Tod, Israel!“ sowie „Kindermörder Israel!“ skandierten. Auf einer Bremer Friedensdemonstration wurden Passanten mit Kippa bespuckt und beschimpft; einige Tage zuvor bereits gab es „Vernichtet Israel“-Transparente. In Saarbrücken „stürmten mehrere Dutzend Teilnehmer“ eine antisemitischen Kundgebung unter „Juden raus!“-Rufen und „in Lynchstimmung“ und prügelten auf proisraelische Gegendemonstranten ein, wie die Antifa Saar berichtet. Beim Zentralrat der Juden in Deutschland treffen vermehrt Drohbriefe ein, und die Kieler Initiative Verteidigt Israel erhält E-Mails mit Sätzen wie „Bin nicht für die Nazis oder sowas, aber auf Zionisten scheisse ich mit Anlauf. Wir werden euch Juden-Liebhabern den Arsch aufreissen!!! (Schonmal von ein paar Maskierten mit nem Teleskop-Schlagstock verdroschen worden ??) Vielleicht kommen wir auch zu euer tollen Demo und werfen euch Wixxern nen Brandsatz vor die Füße...“ (Rechtschreibung und Interpunktion im Original).

Bekundungen für Israel sind dagegen erschütternd wenige zu verzeichnen, aber es gibt sie. 300 Menschen folgten beispielsweise am vergangenen Freitag einem Aufruf von I like Israel (ILI). Unter der Federführung von Café Critique und der Redaktion der Zeitschrift Bahamas rufen mehrere Dutzend Gruppierungen für den morgigen Freitag zu einer Kundgebung „Für Israel – und sein Recht auf Selbstverteidigung“ in Berlin auf, am Samstag bestückt unter anderem die Hamburger Studienbibliothek ihren Tisch,** und der Bund jüdischer Jugendlicher und Studenten Köln (BjJSK) mobilisiert die „Solidarität mit Israel – Für Frieden – gegen den Terror von Hizbollah und Hamas“ zu einer Demonstration am Sonntag in Köln.*** Es werden vermutlich nicht viele sein, die dem deutschen Selbstgespräch entkommen und dem jüdischen Staat seine Unterstützung erweisen wollen, aber das soll niemanden, der genau das möchte und in der Nähe wohnt, davon abhalten, sich den Aktionen anzuschließen. Im Gegenteil.

* Printausgabe vom 24. Juli 2006 (nicht online abrufbar)
** Ab 14 Uhr auf dem Gänsemarkt (nicht online abrufbar)
*** Um 16 Uhr auf der Domplatte (nicht online abrufbar)

Hattips: Wolfgang Müller, Sven Quenter

25.7.06

Subjektive Objektive

Dieses Foto ging um die Welt: Israelische Kinder bemalen Raketen mit Sprüchen wie „To Nasrallah with love“ oder „From Israel“. Raketen, die wenig später auf Hizbollah-Stellungen fliegen würden. Der Aufschrei war und ist groß: Während im Libanon Kinder sterben, schreiben ihre Altersgenossen auf der anderen Seite lachend zynische Sprüche auf tödliche Waffen. Wo immer dieser Tage Kundgebungen stattfinden – mal offen antisemitische, mal als Friedensdemo getarnte –, wird die Aufnahme des israelischen AP-Journalisten Sebastian Scheiner herumgereicht und in die Luft gehalten. „Kindermörder Israel!“, skandieren die Adepten des antisemitischen Furors, nur noch etwas lauter als vorher. Denn ihre ressentimentgeladene Attacke ist diesmal mit Blick auf das Alter der israelischen Mädchen zweideutig gemeint.

Ein solches Bild emotionalisiert, mehr als jeder Zeitungsbericht; es scheint die Realität abzubilden. Es konnte gar nicht lügen, und daher schien es eindeutig und unzweifelhaft, dass es sich bei den Israelis um ein grundverdorbenes Volk handeln muss, das ohne Rücksicht auf Verluste blind um sich schlägt und sich daher über die Angriffe der Hizbollah nicht beschweren darf. Die Wucht, die die Wirkung des Fotos verursachte, trieb Lisa Goldman zur Suche nach seinen Hintergründen. Und wie so oft zeigte sich, dass die Abbildung eines kleinen momentanen Ausschnittes eben nicht das darstellt, was sie darzustellen scheint. Goldman beschreibt die Situation in Kiryat Shmona, einer israelischen Stadt direkt an der Grenze zum Libanon, die unter Dauerbeschuss durch Hizbollah-Raketen steht und menschenverlassen wirkt. Die Bewohner fliehen, wenn sie können, oder sie suchen Schutz in ihren Häusern und in den Schutzkellern.

Als eine neue Armeeeinheit in Kiryat Shmona ankommt und die Verteidigung Israels an einer besonders gefährlichen Stelle übernimmt, reist ein veritabler Tross Journalisten hinterher. Als Soldaten und Reporter eintreffen, wagen sich zum ersten Mal seit fünf Tagen wieder Kinder aus den Kellern, angelockt auch durch den Rummel, den sie in der Geisterstadt als Attraktion empfanden, nicht zuletzt wegen der Medienschaffenden aus dem In- und Ausland. Lisa Goldman beschreibt, was dann geschah:
„Offenbar schrieben einige der Eltern in Hebräisch und Englisch Botschaften an [den Hizbollah-Führer] Nasrallah auf die Raketen. ‚To Nasrallah with love’, schrieben sie an den Mann, dessen Name für sie ein teuflisches Bild im Fernsehen war – den Mann, der den Israelis in Reden, die auf ‚Al Manar’ und im israelischen Fernsehen liefen, spottend sagte, dass die Hizbollah sich darauf vorbereite, noch mehr Raketen auf sie zu feuern. Dass er glücklich darüber sei, dass sie leiden. Die Fotografen versammelten sich um die Mädchen. Zwölf von ihnen. Wissen Sie, wie viel das ist? Eine Menge. Und sie alle hielten ihre langen Kameraobjektive in die Szenerie, immer und immer wieder den Auslöser betätigend.

Die Eltern gaben die Stifte ihren Kindern, und diese malten kleine israelische Fahnen auf die Gehäuse der Raketen. Fotografen sind auf der Suche nach reißerischen Bildern, und was wäre reißerischer als niedliche, unschuldige kleine Kinder, die den Kontrast zur Hässlichkeit des Krieges bilden? Immer weiter klickten die Kameras, und ich glaube, diese Kinder müssen sich wie Stars gefühlt haben, vor allem durch die Abwechslung, die auf die Mischung aus Langeweile und ständiger Angst folgte, resultierend aus dem Abwarten des [Hizbollah-] Bombardements in den Bombenschutzräumen.“
Goldman sprach mit dem Fotografen Sebastian Scheiner, der bereitwillig Auskunft gab, aber nicht zitiert werden wollte. Dafür schilderte Shelly Paz, Reporterin bei der israelischen Tageszeitung Yedioth Ahronoth, ihre Beobachtungen:

„Keiner von den Eltern oder den Kindern drückte irgendeinen Hass auf das libanesische Volk aus. Niemand drückte irgendeine Befriedigung darüber aus, dass Libanesen sterben – wie auch Israelis sterben. Ihre Botschaften waren an Nasrallah (Foto links) gerichtet. [...] Sie dachten, die Raketen seien gleichbedeutend damit, dass die anderen Raketen aufhören, die auf meinem Haus landen. Die Raketen werden den Mann mit dem Turban davon abhalten, uns mit der Ermordung zu drohen.“

Goldman kritisiert die Aktion dennoch als „kindisch“ und „leere Geste“, als „dumme Sache“ in einer emotionalen Stresssituation. Die Eltern hätten nicht verstanden, wie sie möglicherweise interpretiert werden können. Noch schärfer geht die Autorin jedoch mit der heftigen Resonanz auf das Foto ins Gericht:
„Ich habe mir die letzten zwei Tage Gedanken über dieses Bild und den Sturm der Reaktionen gemacht, die es auslöste. Ich mache mir Sorgen über das Klima des Hasses, in dem Leute auf das Foto gucken und automatisch das absolut Schlimmste annehmen – um es dann zum Dehumanisieren und Viktimisieren zu gebrauchen. Ich frage mich, warum so viele Menschen Befriedigung aus dem Glauben zu ziehen scheinen, dass kleine israelische Mädchen mit Stiften in ihren Händen – keinen Waffen, sondern Stiften – böse sind oder von einer bösen Gesellschaft hervorgebracht wurden. Ich frage mich, wie diese Leute sich fühlen würden, wenn Israelis ein Foto eines palästinensischen Kindes, das auf einer Hamas-Demonstration eine Sprengstoffgürtel-Attrappe trägt, ansehen müssten und daraus schlössen, dass alle Palästinenser – nein, alle Araber – böse sind.“
Es steht zu bezweifeln, dass die tatsächlichen Hintergründe eines Bildes, das binnen kürzester Zeit Karriere gemacht hat, in Deutschland und Europa auf nennenswertes Interesse stoßen – zumal bei denen, deren antisemitischer Hass auf Israel ohnehin notwendig faktenresistent ist und die sich manisch über den angeblichen Beleg für etwas freuen, wovon sie ohnehin längst ausgegangen sind und für das es daher gar keine Beweise braucht. Für diejenigen jedoch, die noch der Aufklärung zugänglich und nicht völlig vernagelt sind, hat Lisa Goldman eine wertvolle Recherche angestellt.

Übersetzung: Liza, Hattip: Hayo W.

24.7.06

Prantls Praxis

„Der pazifistische Impuls, den der jüngste israelische Abwehrkrieg in Deutschland und Europa mobilisierte, ist unüberlegt oder verlogen, in jedem Fall aber kontraproduktiv, provoziert er doch in seiner Konsequenz lediglich die noch schlimmere Schlacht“, befand der Publizist Matthias Küntzel in einem Kommentar. Im Grunde genommen hat er damit Recht – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass diese „schlimmere Schlacht“ auch tatsächlich als eine solche begriffen wird und nicht als eine, die der (un-) heimlichen Sehnsucht der Pazifisten in Politik, Medien und auf der Straße entspricht: der Sehnsucht nach einem Ende des jüdischen Staates. „In dem Vorwurf, die Militäraktionen Israels seien unverhältnismäßig, können sich heutzutage die alten Mordfantasien am besten verbergen. Die Rettung von Jüdinnen und Juden galt hierzulande immer schon als unverhältnismäßig“, brachte Café Critique auf den Punkt, wie das antijüdische Ressentiment auf der Höhe der Zeit aussieht, zumal in Deutschland. „Wie weit darf Israel gehen?“, gab beispielsweise Sabine Christiansen gestern Abend in einer weiteren Folge ihrer unerträglichen Talkshow das Unschuldslamm – und blieb wie selbstverständlich die Antwort schuldig, als Josef Tommy Lapid, ehemaliger israelischer Justizminister, in seinem ersten Statement in dieser Sendung die nur allzu nahe liegende Gegenfrage stellte: „Warum heißt das Thema dieser Sendung eigentlich nicht: Wie weit darf die Hizbollah gehen? Oder die Hamas?“

Doch darum geht es hierzulande einfach nicht, denn auf der Agenda steht etwas ganz anderes: Etwas, das Heribert Prantl in seinem heutigen Kommentar in der Süddeutschen Zeitung – Linksliberaler und geachteter Journalist, der er ist – so formuliert: „Bomben auf Beirut, Krieg im Gaza-Streifen, Hunderttausende auf der Flucht. Welche und wie viel Israel-Kritik ist in diesen Tagen in Deutschland erlaubt?“ Sein Beitrag ist mit „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ überschrieben – eine bloße Koketterie, wie Prantl gleich zu Beginn versichert:
„Die Überschrift dieses Artikels ist antisemitisch. Sie findet sich, als Chiffre für Rachsucht und Vergeltung, Hochmut und Vernichtungswut, in jedem zweiten bösen Kommentar gegen Israel – ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn’. Diese Regel steht im Alten Testament, und wer diesen Satz zur Erklärung der Situation im Südlibanon oder im Westjordanland gebraucht, unterstellt damit eine jüdische Mentalität, die von Moses bis Ehud Olmert reicht. Der biblische Satz wird so zur Formel für einen angeblich religiös-genetischen Defekt; und aus der Formel wird ein politisches Deutungsmuster dergestalt: ‚... so steht es im Alten jüdischen Testament, und so praktizieren es die Israelis.’“
Der Süddeutsche hat seine Lektion gelernt. „Welche und wie viel Israel-Kritik ist in diesen Tagen in Deutschland erlaubt?“, fragt er im Vorspann, ohne im weiteren Verlauf näher auszuführen, wer es denn eigentlich sein soll, der verfügen könnte, was denn nicht mehr „erlaubt“ ist. Es ist ein, nein: der taktische Trick par excellence aus dem Repertoire des modernen Antisemitismus. Denn „Israel-Kritik“ verbietet definitiv niemand – ganz im Gegenteil: Sie ist in Deutschland majoritär –, und dennoch glaubt eine Mehrheit, die sich als unterdrückte Minderheit wähnt, sehr genau zu wissen, welche Instanzen da aktiv werden: Der Zentralrat der Juden in Deutschland beispielsweise, die israelische Botschaft oder auch die jüdischen Gemeinden. Die Macht, die ihnen zugeschrieben wird, haben sie nicht, und dennoch halluziniert man Tabus, die niemand in die Welt gesetzt hat, um sie desto lustvoller brechen zu können. Auch Prantl tut das, nur stellt er sich ein bisschen geschickter an als die meisten seiner Landsleute, wenn er gleich im Anschluss großzügig konzediert, dass nun mal nicht alles gehe. Doch bevor die Fangemeinde aufhört zu lesen, bekommt sie ein Zückerchen verabreicht:
„Desaströse israelische Politik wird also als Ausfluss angeblich jüdischer Charaktereigenschaft verurteilt. Kritik solcher Art gibt es an den USA nicht, auch wenn die US-Regierung völkerrechtlich fast so jenseits von Gut und Böse agiert wie die israelische.“
Dass israelische Politik „desaströs“ und „jenseits von Gut und Böse“ ist, ist für Prantl ein unhintergehbares Faktum, ein Gemeinplatz, und gleich darauf folgt die nächste Lüge, die darin besteht, die Existenz eines Antiamerikanismus schlicht zu leugnen – und damit exakt diejenigen zu bedienen, die dieses Ressentiment hegen und pflegen und doch allen Ernstes der Ansicht sind, niemand außer ihnen – schon gar nicht „die da oben“ – traue sich, diesem kulturlosen und kriegsgeilen Pack mal so richtig die Meinung zu geigen. Flankiert wird das Ganze durch einen scheinbar nebensächlichen Verweis darauf, dass sich weder Israel noch die USA um das Völkerrecht scherten – ein Recht jedoch, das „die Kräfte, gegen die [Israel] vorgeht, [...] längst und ungezählte Male gebrochen haben, ungestraft von den internationalen Organisationen und nationalen Regierungen, die so viel vom Völkerrecht reden. Und so stellt die wirkliche Bedrohung Israels immer nur unter Beweis, dass dieses Recht nicht wirklich existiert“ (Café Critique). Unmittelbar darauf lässt der Kommentator wiederum eine vermeintliche Konzession an diejenigen folgen, die die „Israel-Kritik“ des Antisemitismus zeihen:
„Zahn um Zahn – die inflationäre (und falsche) Verwendung dieses Satzes (der eigentlich für die Verhältnismäßigkeit der Mittel plädiert) ist ein Beispiel dafür, wie Israel-Kritik sich auflädt, wie sie mit Stimulantien für negative Assoziationen arbeitet.“
Prantl hat durchaus nicht Unrecht, wenn er das biblische Zitat in seinen Kontext zurückführt und seinen falschen Gebrauch als Beleg für das antisemitische Stereotyp der „jüdischen Rachsucht“ bringt, auch wenn er das Wort Antisemitismus tunlichst zu vermeiden versucht ist und – Klientel ist Klientel – lieber umständlich von „Stimulantien für negative Assoziationen“ schreibt, so, als handle es sich dabei um ein beliebiges Vorurteil oder sogar nur um einen bösen Traum und nicht um ein mörderisches Ressentiment. Aber das muss er auch, denn seine Intention ist eine ganz andere: Es gilt, die vorgeblich bloß schwarzen Schafe auszusortieren, die einem prinzipiellen Bedürfnis schlechte Publicity verschaffen; gleichwohl läuft die Herde schon in die richtige Richtung:
„Derer bedarf man nicht, um Israels Aggression im Libanon zu kritisieren, die sich als Rekrutierungshilfe für die Hizbollah erweisen wird. Man darf, muss es beklagen, dass Israel sich seine Feinde selbst züchtet und zur Verewigung eines mörderischen Konflikts beiträgt. Gegen islamistischen Fanatismus hilft israelische Selbstfanatisierung nicht. Und das Recht auf Selbstverteidigung kann nicht dazu führen, internationale Regeln wie den Schutz der Zivilbevölkerung außer Kraft zu setzen.“
Der Kommentator kommt also zur Sache: Israel sei selbst schuld, weil es „sich seine Feinde selbst züchtet“, „zur Verewigung eines mörderischen Konflikts beiträgt“ und eine „Selbstfanatisierung“ betreibe. Demgemäß reagieren die Hizbollah und die Hamas also bloß auf israelisches „Unrecht“; Antisemitismus erscheint so als eine zwar vielleicht verwerfliche, aber doch irgendwo verständliche und letztlich legitime, weil rationale Antwort auf angeblich erlittene Erniedrigung – und nicht als Ausdruck eines irrationalen Wahns, der der Juden gar nicht bedarf. Der Vorwurf der „Verewigung eines mörderischen Konflikts“ wiederum gemahnt an Ahasver, den „Ewigen Juden“ – ein uraltes Klischee aus dem Arsenal des christlichen Antisemitismus. Und auf das Recht auf Selbstverteidigung könne Israel sich schon gleich gar nicht berufen, weil es ja den „Schutz der Zivilbevölkerung“ bekanntlich „außer Kraft“ gesetzt habe – gerade so, als sei es nicht die Hizbollah, die „mit ihrer extremistischen Djihad-Agenda nicht nur die beiden israelischen Soldaten gekidnappt [hat], sondern den Libanon und die ganze Region“ (Mark Regev, israelischer Regierungssprecher), sondern Israel selbst. Doch was stört’s den Baum, wenn die Sau sich an ihm reibt und man recht eigentlich doch allerbesten Willens ist:
„Solche Mahnung gehört zu der Solidarität mit Israel, wie sie der Zentralrat der Juden in Deutschland fordert. Solidarität verlangt nicht ein ‚Ja und Amen’ zu Israels Politik in toto, wie das der Zentralrat gerne hätte, und schon gar kein ‚Bravo’, wie es sich der israelische Botschafter in Deutschland erwartet. Einen solchen Solidaritätszuschlag kann es nicht geben.“
Es ist kaum mehr als sechzig Jahre her, als man in Deutschland definierte, wer Jude ist. Heute definiert man hierzulande ganz selbstverständlich höchstselbst, wer Antisemit ist – und da exkulpiert man zunächst einmal 82 Millionen Deutsche, deren politische Vertretung schließlich dafür gesorgt hat, dass der größte Massenmord der Geschichte mit dem größten Mahnmal der Welt abgegolten wurde. Das lässt man sich von Zentralräten oder Botschaftern nicht klein reden. Mehr noch:
„In der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland haben sich die Gewichte bei der Bewertung des Nahost-Konflikts dramatisch verschoben: Vor fast vierzig Jahren, im Sechs-Tage-Krieg, trieb die Angst um das bedrohte Israel die Menschen zu Sympathie-Demonstrationen auf die Straße. Von dieser Sympathie ist nicht viel übrig geblieben; daran ist nicht allein Antisemitismus schuld. Heute dominiert die pauschale Verurteilung Israels. Zur notwendigen Korrektur dieser Schieflage tragen Forderungen nach bedingungsloser Solidarität mit Israel nicht bei. Israel-Kritik ist geboten.“
Wenn der jüdische Staat Maßnahmen zu seinem Schutz ergreift, tut er das in dem Wissen, dass das nicht nur seinen Feinden missfällt, sondern auch denen, die sich als seine Freunde ausgeben, es aber nicht sind. Israel weiß, dass es sich im Zweifels-, das heißt Kriegsfall nur auf sich selbst verlassen kann, und die deutschen und europäischen Reaktionen bestätigen dieses Wissen – desto mehr, je überheblicher und oberlehrerhafter sie ausfallen:
„Solidarität mit Israel misst sich nicht an der Lautstärke von Kritik oder Beifall, sondern am deutschen und europäischen Beitrag zur Befriedung in Nahost. Praktische Solidarität wäre es, sich um einen Gefangenaustausch zu kümmern.“
Kurz: Die beste Hilfe für Israel wäre das Appeasement mit seinen Feinden, ginge es nach den Prantls dieser Welt. Gut, dass sie vorerst nur schreiben und leichten Herzens überlesen werden können.

Die Fotos entstammen einer antisemitischen „Demonstration gegen den israelischen Angriffskrieg auf den Libanon und im Gazastreifen“ in Berlin vom 21. Juli 2006, zu der „kurzfristig innerhalb von ein paar Tagen verschiedenste Gruppen und Zusammenhänge der linken Antikriegs- und Friedensbewegung und der palästinensischen Gemeinde sowie libanesische und arabische Vereine aufgerufen“ hatten, wie es bei Indymedia, dem linksdeutschen Intifada-Portal, formuliert wurde.

22.7.06

Wessen Flüchtlinge?

Groß ist hierzulande die Empörung darüber, dass der jüdische Staat sich strikt weigert, „den Vorbereitungen zur eigenen Liquidierung zuzusehen und bei der UNO Resolutionen einzureichen“ (Café Critique, Wien), sondern stattdessen das Heft selbst in die Hand genommen hat und das durchzusetzen bemüht ist, was die UN-Resolution 1559 als Ziel ausgegeben hat, die Mitglieder der Vereinten Nationen aber nie auch nur ansatzweise zu realisieren versucht haben: die Entwaffnung der Hizbollah und der Hamas, zweier Terrororganisationen also, deren erklärtes und irreversibles Ziel die Vernichtung Israels ist. 75 Prozent der Deutschen finden das israelische Vorgehen gleichwohl „unangemessen“, und die Medien spucken Gift und Galle darüber, dass die „internationale Kritik Israel kalt lässt“ und UN-Generalsekretär Kofi Annan „abgeschmettert“ wird. Nahezu einhellig lastet man hierzulande der israelischen Regierung an, im Libanon ein Flüchtlingsdrama zu verursachen und auch ansonsten keine Rücksicht auf Zivilisten zu nehmen. Aus der ohnehin nur scheinbaren Äquidistanz – die immer schon eine Parteinahme gegen Israel war – ist längst eine offene Anklage an den jüdischen Staat geworden; sie lautet auf „Führung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges“ und verweigert sich der Einsicht, dass es nicht Israel, sondern die Hizbollah ist, die „mit ihrer extremistischen Dschihad-Agenda nicht nur die beiden israelischen Soldaten gekidnappt [hat], sondern den Libanon und die ganze Region“, wie es der israelische Außenamtssprecher Mark Regev formulierte.

Dieses Kidnapping besteht nicht zuletzt in einer Militarisierung der libanesischen Gesellschaft; im islamistischen Kosmos gibt es keinen Unterschied zwischen Zivilisten und Kombattanten, weil das Ziel einer Welt ohne Juden den – auch militärischen – Einsatz aller Muslime erfordert und diese als untrennbare Einheit von Kämpfern begreift, deren Lebenszweck und Daseinsberechtigung in der Eliminierung von Ungläubigen bestehen soll. Kurz: Für die Islamisten sind alle Kombattanten, Freunde wie Feinde. Das macht es für Israel nicht leichter, die Hizbollah zu entwaffnen, denn nicht selten kommt deren Nachschub an Waffen und Raketen aus privaten Wohnhäusern. An die Bevölkerung der Gebiete, in denen die Hizbollah aktiv ist, erging deshalb die Aufforderung, ihre Häuser zu verlassen. Es ist die schiitische Terrorgruppe und nicht die israelische Armee, die die Folgen davon zu verantworten hat. Gleiches gilt für den Flüchtlingsstrom in Israel, von dem hierzulande kaum einmal liest. „Auch bei uns hat ein signifikanter Teil der Bevölkerung Wohnungen verlassen. Die Leute sind aus der Gefahrenregion geflüchtet“, sagte Außenamtssprecher Regev, und der Spiegel kommt nicht umhin festzustellen: „30 bis 50 Prozent der Bevölkerung Nordisraels haben in der vergangenen Woche ihre Wohnungen verlassen, um den Katjuscha-Raketen zu entgehen. In Nordisrael leben rund 1,5 Millionen Menschen.“

„Der deutsche Pazifismus ist verlogen“, resümiert Matthias Küntzel die hiesigen Reaktionen auf Israels Verteidigung. „Die Schlussfolgerung aus Hitlers Vernichtungskrieg – ‚Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!’ – wurde einst gezogen, damit ein antisemitischer Krieg nie wieder möglich wird. Was heute davon übrig geblieben ist – ‚Nie wieder Krieg gegen Faschismus!’ –, stellt die historische Erfahrung auf den Kopf“, schreibt er und fragt sich: „Was, um Himmels willen, ist am Vorgehen der israelischen Streitkräfte eigentlich verkehrt?“ Die Hizbollah sei anders denn mit Gewalt nicht von ihrem Tun abzuhalten und werde ihre Waffen auch nicht freiwillig abgeben; zudem zeitige das israelische Vorgehen bereits Erfolge und habe zur „historischen Zäsur des 15. Juli“ geführt: „Erstmals in der Geschichte des Nahostkonflikts distanzierte sich die überwiegende Mehrheit der Arabischen Liga von dem ‚gefährlichen Abenteurertum’ der schiitischen Angreifer. Niemals zuvor wurden die Hizbollah und der Iran (sowie indirekt die Hamas) derart desavouiert.“

Küntzels Beitrag ist noch nicht online abrufbar. Lizas Welt dokumentiert ihn nachfolgend.


Der deutsche Pazifismus ist verlogen

Eine Anmerkung zum iranisch-israelischen Krieg

Von Matthias Küntzel

Ungeduldig zog ich gestern Die Zeit und die Jüdische Allgemeine aus dem Briefkasten. Ich wollte wissen, ob Israels Offensive gegen die Marionetten des Iran wenigstens hier unterstützt und endlich ein „Bravo Israel!“ zum Ausdruck gebracht wird. Bravo Israel! – weil dieses Land einen gerechten Kampf im eigenen Interesse und im Interesse der gesamten westlichen Hemisphäre führt. Der Islamismus hat Israel an zwei Fronten angegriffen, um seinem erklärten Kriegsziel – „Vorherrschaft und Vernichtung“ (Josef Joffe) – näher zu kommen. Dieser Bedrohung seiner Existenz musste Israel entgegentreten. Doch dies ist nur der eine Aspekt. So wie die Besetzung des Gazastreifens und des Südlibanons nicht die Ursache, sondern lediglich der Anlass für den islamistischen Terror war, so ist der Nahostkonflikt für Teheran nicht die Ursache, sondern lediglich der Ansatzpunkt, um langfristig mit dem Westen und dessen säkularer Orientierung aufzuräumen.

Ahmadinedjad macht auch aus seinem erweiterten Programm keinen Hehl. Als der iranische Präsident im Oktober 2005 die Eliminierung Israels erstmals lautstark propagierte, fügte er hinzu: „Wir stehen inmitten eines historischen Krieges, der seit Hunderten von Jahren andauert“ – ein Krieg also, der keineswegs mit dem Nahostkonflikt begann. „Der gegenwärtig in Palästina stattfindende Krieg“, so Ahmadinedjad weiter, sei nichts weiter als „die vorderste Front der islamischen Welt gegen die Welt der Arroganz.“ Die vorderste Front ist niemals die einzige Front, wie zuletzt die Botschaftszerstörungen aus Anlass der dänischen Karikaturen bewiesen. Ahmadinedjad fährt fort: „Wir müssen uns die Niedrigkeit unseres Feindes bewusst machen, damit sich unser heiliger Hass wie eine Welle immer weiter ausbreitet.“

Dieser „heilige Hass“ ist bedingungslos. Er lässt sich durch keine Variante jüdischen oder nicht-jüdischen Verhaltens – sofern es sich nicht um die totale Unterordnung unter Scharia und Koran handelt – abmildern. Diesem „Hass“ ist mit Israels Vernichtung kein Genüge getan. Auch die Welt des Unglaubens – die Welt der „Arroganz“ gegenüber Gott – soll dran glauben. Der genozidale Hass soll sich unaufhaltsam wie eine Welle und „immer weiter“, letztlich global, ausbreiten. Als Hilfsmittel kündigt die iranische Führung die Entsendung tausender schiitischer Selbstmordattentäter in alle Himmelsrichtungen an. Wenn sich heute die Frauen und Männer der israelischen Streitkräfte unter Einsatz ihres Lebens dieser islamistischen Apokalypse an „vorderster Front“ entgegenstellen, schulden wir ihnen dann nicht zumindest unseren Dank?

Bravo Israel! – auch für Art und Weise, mit der die Regierung Olmert bislang ihre militärische Offensive in eine politisch transparente Strategie einzubinden verstand. Jeder Schritt ist nachvollziehbar: Zum einen erkennt Israel den Libanon als souveränen Staat an, der deshalb für den Überfall der Hizbollah vom 12. Juni 2006 die Verantwortung trägt. In der Tat gehören der libanesischen Regierung ein Mitglied und zwei Sympathisanten der Hizbollah an, darunter der libanesische Außenminister Fawzi Salloukh, der anlässlich der Konferenz der Arabischen Liga am 15. Juli 2006 unzweideutig das Anliegen der Hizbollah im Namen seines Landes vertrat (1). Zum anderen ist Israels Kriegsziel klar definiert: „Wir praktizieren [...] originäre Selbstverteidigung“, erklärte Regierungschef Ehud Olmert am 17. Juli 2006 vor der Knesset. „Wir kämpfen um das Recht auf ein normales Leben.“ (2)

Deshalb werden mit den Kampfmaßnahmen folgende Einzelziele verfolgt: a) Umsetzung der UN-Resolution 1559 (Entwaffnung der Hizbollah), b) Umsetzung der UN-Resolution 5241 (alleinige Kontrolle des südlichen Libanon durch die offizielle libanesische Armee), c) bedingungslose Rückgabe der entführten israelischen Soldaten. Diesen Zielen ist die israelische Kriegsführung untergeordnet: Die Infrastruktur des Libanon wird zerstört, sofern sie für die Aufrüstung und Kriegsführung der Hizbollah relevant ist. Mit Flugblättern und Radiosendungen wird die libanesische Zivilbevölkerung vor Einsätzen in Wohngebieten (die die Hizbollah gezielt als militärische Stützpunkte nutzt) gewarnt. Während die Hizbollah mit Streubomben auf israelische Bevölkerungszentren zielt, um möglichst viele Unschuldige zu töten, sucht Israel die Zahl der zivilen libanesischen Opfer so gering wie möglich zu halten, auch wenn dies die Einsätze erheblich erschwert.

Dennoch war von einem „Bravo Israel!“ in den gestrigen Leitartikeln der Zeit und der Jüdischen Allgemeinen keine Rede. Stattdessen sah letztere Israel – so die fatalistische Schlagzeile – „In der Falle“. Zwar räumt Chefredakteur Christian Böhme ein, dass Israel kaum anders habe reagieren können, als es reagierte. „Dennoch kann man Israel einen Vorwurf machen: Es hat sich in eine Falle locken lassen, ist den Terroristen auf den Leim gegangen.“ Die eigentlichen Profiteure, deren Pläne nunmehr aufgegangen seien, „sitzen in Teheran und Damaskus, reiben sich angesichts der Gewalt fröhlich die Hände und haben an einem Ende des blutigen Konflikts kein Interesse.“ (3) Doch gebe es im finsteren Tunnel auch ein Licht: „Eine Pufferzone im Süden Libanons könnte ein diplomatischer Ausweg sein.“

Noch skeptischer äußerte sich Die Zeit. Unter der Schlagzeile „Gefährdet und gefährlich. Die Welt muss Israel helfen, sich zu wehren – aber auch, Maß zu halten“ schreibt Michael Thumann: „Israelische Streitkräfte attackieren den Libanon – aber schwächen sie damit die libanesische Hizbollah wirklich?“ Hizbollah-Chef Nasrallah „setzt auf Israels Fehler. [...] Ihm behagt auch das Zurückgleiten des Libanons in den Dunstkreis Syriens.“ Als Ausweg schlägt auch Thumann eine hoch gerüstete UN-Friedenstruppe im südlichen Libanon vor. Sein Beitrag endet mit dem Plädoyer für einen Waffenstillstand: „Im Libanon entscheidet sich, ob Teherans Einfluss in der Region wächst oder schrumpft. Iran ist noch aus jedem Krieg seit dem 11. September erfrischt hervorgegangen. Eine Waffenruhe kann dieses Muster brechen.“ (4)

Beide Leitartikel vermitteln den Eindruck, als habe sich Israel mit seiner massiven militärischen Antwort auf ein gefährliches Gleis begeben, das es so schnell wie möglich wieder verlassen sollte, da der Krieg in erster Linie seinen Gegnern nützt. Die Legitimität des israelischen Vorgehens wird zwar nicht durchgängig bestritten, dessen Ratio jedoch massiv in Frage gestellt. Statt „Bravo Israel!“ ein „Auweia Israel!“ Doch was, um Himmels willen, ist am Vorgehen der israelischen Streitkräfte eigentlich verkehrt?

Erstens ist das Ziel, Israel zu vernichten, für genozidale Islamisten nicht verhandelbar, betrachten sie doch ihr Zerstörungswerk als eine religiöse Pflicht. Sie sind es, die tagaus, tagein den Antisemitismus, ihre Märtyrerideologie und den Kult des Selbstmordattentats propagieren und Israel wie den Westen insgesamt mit ihren Kriegserklärungen überziehen. Wenn sie mit Raketen angreifen, hilft nur militärische Gewalt.

Zweitens wird die Hizbollah ihre Waffen genauso wenig freiwillig abgeben wie die Hamas. Also setzt selbst schon die Realisierung des zweifelhaften Vorschlags, den Südlibanon durch „robuste“ UN-Truppen zu sichern, die gewaltsame Entwaffnung der Terror-Organisation voraus. Je länger sich Israel auf diese Aufgabe konzentrieren kann, desto größer ist die Aussicht auf einen befriedeten Libanon und einen länger anhaltenden Frieden. Demgegenüber ist die Forderung nach Waffenstillstand gleichbedeutend mit der Fürbitte, die Hizbollah doch bitte schön zu verschonen und zu retten. Deren Führer Nasrallah könnte aus seinem Loch auftauchen und seinen Leuten sagen, dass sie zwar Verluste erlitten, doch ihre Würde verteidigt hätten. Er könnte auf die Finanzzusagen des Iran für den Wiederaufbau der zerstörten Schiiten-Gebiete verweisen und erklären, das nunmehr der Hizbollah der wichtigste Repräsentant arabischer Interessen und die Vernichtung der Juden auf später verschoben sei. Bei sofortiger Waffenruhe ist die Fortsetzung und Intensivierung des Krieges garantiert.

Drittens aber sind schon jetzt die segenreichen Auswirkungen der israelischen Gegenwehr erkennbar, einer Gegenwehr, deren Massivität die Hizbollah und deren Hintermänner überraschte und überrumpelte. Während der besonders von Deutschland gepflegte Kritische Dialog die Mullah-Diktatur und die antisemitischen Terror-Gruppen immer nur stärker gemacht hatte, setzte das entschlossene israelische Vorgehen binnen weniger Tage einen grundlegenden Paradigmenwechsel im Nahen Osten in Gang. Da ist zum einen die historische Zäsur des 15. Juli 2006: Erstmals in der Geschichte des Nahostkonflikts distanzierte sich die überwiegende Mehrheit der Arabischen Liga von dem „gefährlichen Abenteurertum“ der schiitischen Angreifer. Niemals zuvor wurden die Hizbollah und der Iran (sowie indirekt die Hamas) derart desavouiert.

Auch die bisherigen Reaktionen der „arabischen Straße“ deuten darauf hin, dass Israel den richtigen Moment und das richtige Mittel nutzte. Während auf dem Höhepunkt der Zweiten Intifada im Frühjahr 2002 etwa zwei Millionen Menschen zwischen Rabat und Bahrein auf die Straßen gingen, um Solidarität mit der Hamas zu fordern, blieb es letzten Freitag, trotz der massivsten israelischen Militäraktion seit 24 Jahren, vergleichsweise ruhig. „Ich habe selten solch einen Aufstand, in der Tat eine Intifada gegen die Neandertaler unter den muslimischen Imamen, jenen turbanbedeckten bärtigen Männern erlebt, wie letzte Woche“, begeistert sich Youssef Ibrahim in der New York Sun. „Der Führer der Hizbollah, Scheich Hassan Nasrallah wollte 350 Millionen Araber in den Krieg gegen Israel hineinziehen. Doch er erntete ein schallendes ,Nein’.“ (5) Darüber hinaus hat sich inzwischen auch der libanesische Ministerpräsident Fuad Siniora deutlich von der Hizbollah und ihrem Terrorismus distanziert – eine Folge der Schwächung jener Organisation, die ihn bislang erfolgreich unter Druck zu setzen verstand.

Last but not least hat auch der iranische Patron der Hizbollah auffällig kläglich reagiert. Während Ahmadinejad noch am Vorabend des 12. Juli großspurig Israels bevorstehende Vernichtung ankündigte, verschlug ihm der israelischen Konterangriff am nächsten Morgen ganze 48 Stunden lang die Sprache. Am 14. Juli erklärte er kleinlaut, dass ein israelischer Angriff auf Syrien die „schärfste Antwort“ des Iran zur Folge haben werde – den gleichzeitig stattfindenden Angriff auf seinen engsten Verbündeten im Libanon erwähnte er nicht. (6) Schlagartig hatten sich die markigen Sprüche aus Teheran und Damaskus als substanzlos entpuppt: Keines dieser Länder setzte sich aktiv für die Verteidigung seiner Freunde von der Hizbollah ein. Auf diese Weise hat Israels Waffengang den geradezu unangreifbar erscheinenden Nimbus des Mahmoud Ahmadinedjad lädiert.

Natürlich schließen die politischen Erfolge, die heute bereits zu verzeichnen sind, diverse unangenehme Überraschungen für die Zukunft nicht aus. Verzweifelt bemüht sich die Muslimbruderschaft, den „Verrat“ der Arabischen Liga anzuprangern und die Kräfte des Umsturzes in Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien zu organisieren. Werden sie erfolgreich sein? Verzweifelt hat sich auch die iranische Führung auf Durchhalteparolen umgestellt. „Gut gemacht, Nasrallah“, rief am 18. Juni 2006 Gholam-Ali Haddad Adel, der Sprecher des iranischen Parlaments, auf einer Solidaritätskundgebung aus. „Dieser Religionsgelehrte [Nasrallah] brüllt wie ein Löwe und in seinen Adern kocht das Blut des Imam Khomeini. [...] Heute erleben wir die Befreiung Palästinas. [...] Der Krieg hat soeben erst begonnen.“ (7) Wird die iranische Führung die absehbare militärische Niederlage ihres Verbündeten schlucken oder – mit der Gefährlichkeit eines angeschossenen Tigers – sich in eine Art Endkampf hineinfantasieren und ihre wohlpräparierten Selbstmordbomber in den Libanon und die europäischen Hauptstädte schicken? Welche Folgen aber würde solch iranische Offensive bei europäischen Appeasern zeitigen?

Wie immer die Sache ausgehen mag – Israel konnte nicht besser handeln, als es bislang gehandelt hat. Auch deshalb erklärte das amerikanische Repräsentantenhaus in dieser Woche mit 410 zu 8 Stimmen seine uneingeschränkte Solidarität. Es ist wahrhaftig nicht angenehm, zu sehen, wie Beirut in Trümmern geschossen wird, und zu wissen, dass Zivilisten beider Seiten und israelische Soldaten verwundet werden oder sterben. Noch schrecklicher aber ist die Vorstellung, Iran könnte aus diesem Krieg als Sieger hervorgehen und seine Angriffe in Zukunft potenzieren.

Der pazifistische Impuls, den der jüngste israelische Abwehrkrieg in Deutschland und Europa mobilisierte, ist unüberlegt oder verlogen, in jedem Fall aber kontraproduktiv, provoziert er doch in seiner Konsequenz lediglich die noch schlimmere Schlacht. Die Schlussfolgerung aus Hitlers Vernichtungskrieg – „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“ – wurde einst gezogen, damit ein antisemitischer Krieg nie wieder möglich wird. Was heute davon übrig geblieben ist – „Nie wieder Krieg gegen Faschismus!“ –, stellt die historische Erfahrung auf den Kopf.

Israel darf im Krieg gegen die Hizbollah nicht zum Einlenken gezwungen werden, sondern muss ihn gewinnen. So wie die Hizbollah ihren Krieg stellvertretend für den Iran führt, so bekämpft Israel den genozidalen Islamismus stellvertretend für die westliche Welt. Dass diese westliche Welt Israel nicht in den Rücken fällt, sondern dessen Stellvertreter-Kampf offensiv verteidigt und materiell sowie moralisch unterstützt, ist die Mindestforderung, die man von den aufgeklärten Stimmen Europas erwarten darf – auch von der Jüdischen Allgemeinen und der Zeit.

Anmerkungen:
(1) Vgl. Evelyn Gordon, The innocent bystander myth, in: Jerusalem Post (JP), 19. Juli 2006.
(2) http://www.mfa.gov.il/MFA/Government/Speeches+by+Israeli+leaders/20006
(3) Christin Böhme, In der Falle, in: Jüdische Allgemeine, 20. Juli 2006.
(4) Michael Thumann, Gefährdet und gefährlich, in: Die Zeit, 20. Juli 2006.
(5) Youseff Ibrahim in: http://www.nysun.com/article/36110. Weiter schreibt Ibrahim: „Als Israel den Entschluss fasste, Krieg gegen die priesterliche Mafia von Hizbollah und Hamas zu führen, öffnete es ein neues Kapitel im Diskurs des erweiterten Mittleren Ostens. Israel stellt zu seiner Überraschung fest, dass eine riesige, gar nicht mal so schweigsame Mehrheit der Araber einverstanden ist, wenn gesagt wird, ,Genug ist genug’.“
(6) MEMRI Special Dispatch Series No. 1204 und No. 1205, 13. und 14. Juli 2006.
(7) MEMRI Special Dispatch Series, No. 1210, July 21, 2006.