29.1.08

Brechts Erben bei den Mullahs

Das Berliner Ensemble wird ab dem 11. Februar an drei aufeinander folgenden Abenden Bertolt Brechts Stück Mutter Courage und ihre Kinder bei einem Theaterfestival im Iran aufführen. Der Intendant der Hauptstadtbühne, Claus Peymann, will dieses Unternehmen als Zeichen gegen die vermeintlichen Kriegspläne der USA verstanden wissen: „Man sollte Teheran besuchen, bevor es zerbombt ist.“ Etwa 50 Demonstranten protestierten am vergangenen Samstag gegen das anstehende Gastspiel bei den Mullahs: Sie verteilten Flugblätter im Theater am Schiffbauerdamm, der Spielstätte des Ensembles.

Man kann wohl davon ausgehen, dass Peymann (Foto) und seine Truppe nach ihrem Auftritt ein ähnlich zufriedenes Fazit ziehen werden wie die Osnabrücker Symphoniker, die im vergangenen Sommer ebenfalls in der iranischen Kapitale waren: „Ich schaue in die erste Reihe. Dort sitzen die kulturellen Vertreter des Landes. Sie haben ein Lächeln im Gesicht“, schrieb einer ihrer Musiker in seinem „Teheraner Tagebuch“, das seinerzeit täglich in der Neuen Osnabrücker Zeitung erschien. „Wir spüren, wie sehr Musik in der Lage ist, die Herzen der Menschen zu erreichen. Wir feiern bis drei Uhr früh. Das Osnabrücker Symphonieorchester ist jetzt vielleicht das glücklichste Orchester der Welt.“ Sie strahlten damals mit den Repräsentanten des iranischen Regimes um die Wette, die Kulturschaffenden aus der niedersächsischen Friedensstadt, denen nicht nur kein Sterbenswörtchen der Kritik an den Mullahs über die Lippen kam, sondern die im Gegenteil noch peinlich genau darauf achteten, dass die Kopftücher ihrer Musikerinnen nur ja akkurat sitzen.

Auch Claus Peymann und sein Berliner Ensemble (BE) werden in dem islamischen Land, so viel ist sicher, nichts von sich geben, was die Mächtigen in Teheran auch nur ansatzweise stören könnte. Weder deren Vernichtungspläne gegenüber Israel noch die Hinrichtungen im Land werden ein Thema sein. Ganz im Gegenteil darf das Regime auch das Gastspiel der Berliner Theatraliker als zärtliche Geste der Solidarität begreifen, die den „kulturellen Vertretern des Landes“ ein „Lächeln ins Gesicht“ zaubern soll. Der Publizist Tjark Kunstreich analysierte auf einer Konferenz mit dem Titel „Der Westen und der iranische Krieg gegen Israel“, die das Bündnis gegen Appeasement am vergangenen Wochenende in der Berliner Humboldt-Universität veranstaltete, welches die Beweggründe des Ensembles für seine Reise nach Teheran sind und warum es dort gerade Brechts Mutter Courage gibt. Kunstreich sagte unter anderem:
„Dass Peymann Teheran, das er schon 2002 mit seiner Inszenierung von Shakespeares Richard II. heimsuchte, noch einmal besuchen will, ‚bevor es zerbombt wird’, weist ihn ja schon als Katastrophentouristen vom Schlage der Mutter Courage aus, die der Armee hinterher zieht, um Geschäfte zu machen. Von der Marketenderin unterscheidet sich der Intendant aber dadurch, dass die Geschäfte, die er macht, ideologischer Natur sind; um Geld und Existenz geht es ihm nicht. Der Besuch des Berliner Ensembles im Mullahstaat dementiert die Behauptung Brechts, beim Krieg gehe es nur um Geld – vielmehr lenkt diese Behauptung davon ab, warum unter Umständen ein Krieg unvermeidbar ist, indem sie alle Gründe, die in der Sache selbst liegen, als Vorwände für das Eigentliche, die pekuniären Interessen, vom Tisch wischt. Die iranische Führung droht mit der Vernichtung Israels – den USA geht es nur um den Profit; der Iran bastelt an einer Atombombe – den USA geht es nur um den Profit; islamfaschistische Rackets terrorisieren Frauen – den USA geht es nur um Profit, und so weiter und so weiter und so fort.“
Im Anschluss an die Konferenz zogen rund 50 Teilnehmer zu der Spielstätte des Berliner Ensembles, dem Theater am Schiffbauerdamm, und protestierten dort gegen den anstehenden Auftritt von Peymanns Combo im Iran. Dabei verteilten sie ein Flugblatt an die Theatergäste, das im Folgenden dokumentiert werden soll.


Bündnis gegen Appeasement (Berlin)

Willkommen in Teheran


Am 11. Februar ist es so weit, dann zieht Mutter Courage ihren Karren an drei Abenden über die Bühne der Vahdat-Halle, mit 1.200 Plätzen eine der größten Aufführungshäuser Teherans. Das Berliner Ensemble ist zu Gast beim Fadjr-Theaterfestival, einer jährlichen Veranstaltung mit internationalem Renommee. Bei der Vorstellung der Spielzeit 2007/08 behauptete er [Claus Peymann, der Intendant des Ensembles], er wisse, dass sein Vorhaben von der Bundesregierung nicht gewünscht werde. Aber, so Peymann, „man sollte Teheran besuchen, bevor es zerbombt ist“. Das Stück, das Brecht kurz vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges schrieb, soll geschichts- und publicityträchtig kurz vor Ausbruch des von Peymann prophezeiten Krieges zur Aufführung kommen.

Die Behauptung, der Besuch des BE in Teheran sei seitens der Bundesregierung unerwünscht, ist ja nicht nur eine weitere Lüge des ewigen Antiimperialisten, die ihm das schon leicht gammelige Hautgout der Opposition verleihen soll, obwohl er schon längst der Intendant der Berliner Republik ist und sein Antiimperialismus, für den er Jahrzehnte gekämpft hat, der Mainstream. Selbstverständlich hat die Bundesregierung nichts gegen die Reise des Berliner Ensembles; der Kulturaustausch ist von den Sanktionen ausgenommen – jenen Sanktionen, mit deren Einhaltung es die Bundesregierung ohnehin nicht sehr genau nimmt. Aber es ist dieser Hauch von Subversion, ohne den Peymann und mit ihm andere, die deutsche Kultur dem iranischen Publikum näher bringen wollen, nicht auskommen können. Es wäre nicht sonderlich spannend, in ein Land zu fahren, das nicht von den USA zum Feind erklärt worden ist, vor allem, weil man dann zu erklären hätte, wie man zu den Verhältnissen im Iran steht. So steht man jedoch ganz vorne in der Front Europas gegen Amerika.

Zugleich empfinden diese deutschen und europäischen Kultur-Botschafter es ebenfalls als subversiv, im Iran aufzutreten. Zum Regime, das von ihren Auftritten profitiert, pflegen sie ein Verhältnis der Äquidistanz, als gingen sie die Verbrechen der Mullahs nichts an. Der Schleier des Respekts vor dem anderen, den sich die beteiligten Frauen stellvertretend für die Nation überziehen, lässt noch ein Augenzwinkern zu, das alles doch nicht so zu meinen. Mutter Courage in Teheran ist deswegen ungeheuer pragmatisch; abgesehen von einigen sehr anzüglichen Bemerkungen, die aber von der Sorte sind, wie sie im Iran noch zugelassen werden, ist es vor allem die Tatsache, dass alle Frauen schon ein Kopftuch tragen und reichlich verhüllt daher kommen, die kaum eine Veränderung der Inszenierung nötig macht. Die Schauspielerinnen brauchen ihre Kostüme nicht einmal auszuziehen, dann haben sie auch außerhalb des Aufführungsorts kein Problem.

Auffällig ist, dass das Berliner Ensemble ein großes Herz für Juden hat – für tote Juden, wie einschränkend gesagt werden muss. Im BE steht die Dramatisierung des Tagebuchs der Anne Frank auf dem Spielplan, und kaum eine deutsche Gedenkbetriebsnudel ist noch nicht hier aufgetreten. Die iranische Vernichtungsdrohung gegen Israel befördert jedoch nicht die Solidarität mit den Bedrohten, sondern die Hinwendung zu denen, die sich auf einen weiteren Massenmord vorbereiten. Das war in Deutschland noch nie ein Widerspruch, und im Hinblick auf die abnehmende Konjunktur des Gedenkens ist es eigentlich folgerichtig, dabei mitzuhelfen, dass es wieder tote Juden und erneute deutsche Schuld gibt: Wieder könnte man schuldzerfressen und verantwortungsgeil der Welt ein weiteres Mal erklären, dass man es diesmal aber richtig macht.

Dass Peymann lieber nach Teheran fährt als nach Tel Aviv, bevor es zerbombt wird, ist aber nicht nur eine erinnerungsökonomische Notwendigkeit, es ist auch biografische Konsequenz eines unverbesserlichen Deutschen. Im Jahre 2002 spekulierte Peymann im „Philosophischen Quartett“ des ZDF darüber, dass es doch einen „wahrhaftigen Grund“ geben müsse, „dass alle Welt die Amis hasst“. Wie können die Deutschen „Vasallen eines neuen Roms sein, das Dresden und jetzt auch Afghanistan platt gemacht hat und uns derzeit an den Rande eines Vierten Weltkriegs bringt, nachdem es den Dritten als Kalten mit den Kommunisten ausgetragen hat“, fragte er sich. „Mit Bush und Sharon ist die Finsternis gekommen“, war er sich schon damals sicher. Dass niemandem auffällt, wie nahe die Sprache Peymanns sich an die des Horst Mahler anschmiegt, ist schon erstaunlich; aber wer von allen und vor allem von sich selbst für den größten Theatermann im deutschsprachigen Raum gehalten wird, der darf es sich offenbar leisten, zu reden wie ein Nazi. Und so nimmt es wenig wunder, dass mit dem iranischen Präsidenten dem Intendanten eine Lichtgestalt erschienen ist, um die Finsternis zurückzudrängen.

In diesem Sinne wünschen wir dem Berliner Ensemble und seinem Intendanten eine gute Reise! Vielleicht ergibt sich ja auch die Möglichkeit, an einer öffentlichen Hinrichtung teilzuhaben oder neue Erkenntnisse über den Holocaust zu gewinnen.


Update 5. Februar 2008: Das Komitee gegen deutsche Kultur im Iran und anderswo ruft zu einer Protestkundgebung gegen Claus Peymanns Kollaboration mit dem antisemitischen Terror-Regime im Iran auf. Diese Kundgebung findet am Freitag, 8. Februar 2008, um 18.30 Uhr statt – unmittelbar vor der Premiere von Peymanns Inszenierung von Shakespeares Richard III. –, und zwar vor dem Berliner Ensemble am Bertolt-Brecht-Platz 1 in Berlin-Mitte.

23.1.08

Wo die Erde eine Scheibe ist

Über den linken Antisemitismus in Deutschland ist inzwischen einiges zu Papier gebracht worden, und wer dessen Existenz in Gegenwart und Vergangenheit noch immer in Abrede stellt, darf als besonders borniertes Exemplar gelten. Denn an geradezu erdrückenden Beispielen mangelt es nicht – sei es nun die Bombe, die von den Schwarzen Ratten/Tupamaros Westberlin am 9. November 1969 im jüdischen Gemeindehaus deponiert wurde (und glücklicherweise nicht zündete), sei es der Protest des SDS und anderer antizionistischer Gruppen gegen den Besuch des israelischen Außenministers Abba Eban im Februar 1970, sei es die Entführung einer Air France-Maschine nach Entebbe, bei der zwei Mitglieder der Revolutionären Zellen mit deutscher Gründlichkeit jüdische Passagiere von den nichtjüdischen selektierten, bevor eine israelische Spezialeinheit der Geiselnahme am 4. Juli 1976 ihr Ende bereitete. Linke Gruppierungen und Organisationen haben oft genug gezeigt (und tun es weiterhin), dass der Judenhass nicht nur bei den Rechten ein festes Zuhause hat. Die Tarnung als „Antizionismus“ oder „Israelkritik“ war und ist dabei nie mehr als Camouflage.

In Österreich sieht es nicht anders aus; auch dort zogen und ziehen Linke regelmäßig mit Vehemenz gegen Israel zu Felde, stets in der unerschütterlichen Überzeugung und mit dem chronisch guten Gewissen, als fortschrittliche Menschen gar nicht antisemitisch sein zu können. Wie unsinnig das war und ist, mag exemplarisch ein Vorfall illustrieren, der sich am 8. Mai 1978 in Wien zutrug und über den die Tageszeitung Kurier seinerzeit wie folgt berichtete:*
Linksradikale störten Feier im Messepalast
Paradeiser und Eier gegen Israel

Mit einer Saalschlacht endete Sonntagabend eine Festveranstaltung der jüdischen Jugend Österreichs zum 30-jährigen Bestandsjubiläum Israels im Wiener Messepalast: Unbemerkt von vor und im Gebäude postierten Ordnungshütern hatte sich ein knappes Dutzend Linksradikaler unter die etwa 1.000 Festgäste gedrängt. Als dann der israelische Botschafter Dr. Avigdor Dagan das Rednerpult betrat, sausten plötzlich faule Eier und Paradeiser [österreichischer Ausdruck für Tomaten] durch die Luft.

Umrahmt war die Kanonade von blitzartig entfalteten Transparenten, auf denen die Linken gegen das „imperialistische Israel“ zu Felde zogen, und von Sprechchören, in denen für die PLO Partei ergriffen wurde. Während der israelische Diplomat – er war von einem Ei auf die Schuhe getroffen worden – fluchtartig die Tribüne verließ, versuchten von der jüdischen Jugendorganisation bereitgestellte Saalordner die ungeladenen Gäste zur Tür hinauszudrängen.

Auch die Polizisten griffen schließlich ein: es kam zu einem handfesten Tumult, wobei es den linken Hauptakteuren gelungen sein dürfte, das Gebäude zu verlassen. Es gelang der Polizei jedenfalls nicht, die Eier- und Paradeiserschmeißer zu identifizieren. Verständlich, da sie ja ihre Wurfgeschosse zur Gänze verfeuert hatten. Drei Transparentträger hatte es nicht rechtzeitig geschafft, zu flüchten. Sie wurden festgenommen und auf freiem Fuß wegen Störung der Ruhe und Ordnung und Veranstaltungsstörung angezeigt.

Unklar ist nur, wie es den Unruhestiftern trotz Polizeisicherung und Eintrittskartenzwanges gelingen konnte, mit den nicht ganz kleinen Spruchbändern in den Festsaal zu kommen. Die Veranstaltung wurde schließlich um 21 Uhr ohne weitere Zwischenfälle abgeschlossen. Für die Störaktion übernahm Montagnachmittag ein bislang unbekanntes „Nahostkomitee Wien“ die Verantwortung.
Doch in Zwischenwelt, der von der Theodor Kramer Gesellschaft drei bis vier Mal pro Jahr herausgegebenen Zeitschrift für Literatur des Exils und des Widerstands, fand sich in der Dezemberausgabe des vergangenen Jahres ein erstaunlicher Aufsatz, in dem rundweg und hartnäckig bestritten wird, dass es so etwas wie linken Antisemitismus überhaupt gibt; namentlich die Achtundsechziger erhalten dort einen glatten Freispruch. Karl Pfeifer hat den Beitrag gelesen und kam aus dem Staunen kaum mehr heraus.


Karl Pfeifer

Flat earther
in der Zwischenwelt?

Auf einer englischen Website fand ich kürzlich den Ausdruck political flat earther, den man leider nur unzureichend ins Deutsche übersetzen kann. Schreibende, die offensichtliche Tatsachen leugnen, könnten als flat earther charakterisiert werden, als Menschen also, die glauben, dass die Erde eine Scheibe ist. Unter dem Kürzel „K.K.“ erschien unlängst in der Wiener Zeitschrift Zwischenwelt ein Artikel, in dem der unübersehbare Antisemitismus auch unter Linken während der Regierungszeit Bruno Kreiskys geleugnet respektive verharmlost wird und dessen Autor daher als Beispiel für einen flat earther gelten kann. „K.K.“ schreibt unter dem Titel „Verstreutes/Linker Antisemitismus“:*
„Die 68er Bewegung war tout en tout anti-antisemitisch, der Antisemitismus markierte den Protestierenden wesentlich die Umrisse dessen, was sie nicht mehr hinnehmen wollten. Alle empirischen Untersuchungen bestätigen dies: Die Periode 1967 bis etwa 1976 brachte einen signifikanten Rückgang offen eingestandener Verleugnung der Shoah und ein vermehrtes Bekenntnis zu den Werten der Demokratie mit sich. Jene, denen an der 68er Bewegung deren Antisemitismus das Auffällige ist, stellen die wirkliche Geschichte auf den Kopf.“**
Ich bezweifle, dass „K.K.“ einen signifikanten Rückgang der offenen Leugnung des Holocausts in Österreich während der siebziger Jahre mit Fakten belegen kann. Im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) finden sich im Gegenteil viele Beweise, dass die Holocaustleugnung gerade in diesem Zeitraum zunahm. Aber sei es, wie es ist: Wer den Antisemitismus auf die Leugnung des Holocausts reduziert, versteht von ihm ohnehin nicht viel. Untersuchungen der österreichischen Soziologin Hilde Weiss haben übrigens nachdrücklich gezeigt, dass der Antisemitismus in der Zeit, als Bruno Kreisky Bundeskanzler war, nicht rückläufig war.

Wie aber kann in einer dem Exil und dem Widerstand gewidmeten Zeitschrift ein derartiger Text erscheinen? Allein im siebten Band von Jean Amérys Werken (Aufsätze zur Politik und Zeitgeschichte, Klett-Cotta 2005) befinden sich sieben Beiträge, die als Reaktion auf den Antisemitismus in der 68er-Bewegung in der Zeit von 1969 bis 1977 erschienen sind. Offensichtlich hat „K.K.“ sich mit Jean Améry jedoch nicht befasst – was für einen Autor von Zwischenwelt allemal ein Armutszeugnis ist. „K.K.“ behauptet zudem:
„Doch richtete sich die 68er-Bewegung, zumindest soweit ich sie selber erfahren habe und mitverantworten muss, nicht nur gegen den Popanz längst ausgehöhlter höherer Werte und gegen die Unselbständigkeit von Menschen in lebenslangen Hörigkeitsverhältnissen, sondern ebenso gegen jenes postfaschistische Arrangement, in dem der antisemitische Affekt an die politische und kulturelle Struktur delegiert und das Wissen über das Geschehene dem Schweigen überantwortet war.“
Tatsächlich gab es 1965 linke Demonstrationen gegen die antisemitischen Ausfälle von Taras Borodajkewicz, der NSDAP-Mitglied war und von der ÖVP protegiert wurde. Doch als ein paar Jahre später Bruno Kreisky und seine Helfer, die fast alle zu den Achtundsechzigern zählten, mit antisemitischen Sprüchen und Unterstellungen Simon Wiesenthal angriffen, da schwieg – mit wenigen ehrenvollen Ausnahmen – diese Generation. So wie ihre Eltern und Großeltern schwiegen sie, mit dem wichtigen Unterschied, dass man in der Nazizeit durch Widerstand sein Leben gefährdete. Barbara Kaindl-Widhalm (1990), Leopold Spira (1981), Ruth Wodak (1990) und Margit Reiter (2001) setzten sich mit dem Antisemitismus in der österreichischen Linken und in der 68er-Bewegung kritisch auseinander und wiesen nach, dass es diesen gibt und wie er sich manifestiert.

„K.K.“ wird doch beispielsweise nicht behaupten wollen, dass der Überfall von Maoisten auf die 30-Jahr-Feier Israels in der Wiener Messehalle 1978 (siehe die Kurier-Meldung im Vorspann dieses Beitrags und auf dem zweiten Bild von oben; zum Vergrößern auf das Foto klicken), an der auch eine Reihe von Holocaustüberlebenden wie Simon Wiesenthal teilnahm, ein Akt der zulässigen Kritik am Zionismus war? Und erst vor kurzem entdeckte ich in der Zeitschrift der trotzkistischen GRM, Rotfront, unter dem Aufruf „Für einen sozialistischen arabischen Osten“ einen Davidstern aus Hakenkreuzen (November 1973; drittes Bild von oben) und eine antisemitische Karikatur, die Golda Meir zeigt (März 1973, Bild rechts). Weiterhin behauptet „K.K.“:
„Nicht mehr gemein machen wollten sich die ‚68er’ mit der in der Adenauer-Ära geläufigen Bewunderung der Israelis als den ‚Preußen des Nahen Ostens’ und der fragwürdigen Bejahung des ‚Judenstaates’ als einer ‚Lösung der Judenfrage’. Doch war die Einstellung zu Israel in der 68er-Bewegung keine entscheidende, die Geister trennende Frage.“
„K.K.“ bezeichnet die antiisraelische Haltung der Achtundsechziger also als legitime und verständliche Reaktion auf das, was in Deutschland staatsoffiziell und nicht zuletzt auch in der Springerpresse vertreten wurde (und was ja in der Tat mehr als problematisch war – man erinnere sich nur daran, wie die Bild-Zeitung den Sechstagekrieg als „Blitzkrieg“ feierte, oder wie sich Staberl in der NKZ für Israel begeisterte). Die Achtundsechziger als „Anti-Philosemiten“ sozusagen – als Antizionisten eben, was „K.K.“ offenbar unproblematisch findet. Die Tatsache, dass es unter Linken vor 1967 eine vollkommen unkritische Haltung gegenüber Israel gab, die dann bei vielen unmittelbar in eine feindliche Haltung umschlug, die so manchen Achtundsechziger auch in Österreich dazu veranlasste, sich antisemitischer Stereotypen zu bedienen – das ist für „K.K.“ anscheinend völlig normal und wird nicht hinterfragt.

Wenn sich „K.K.“ im Folgesatz auch noch zu der Behauptung versteigt: „Entscheidend war die entschiedene Ablehnung des Antisemitismus“, dann kann ihm tatsächlich bestätigt werden, ein politischer flat earther zu sein, weil er den Judenhass nur auf der rechten Seite des politischen Spektrums bemerkt und vor seinem linken Pendant die Augen verschließt.

* Nur in der Printausgabe verfügbar.
** Zwischenwelt – Literatur, Widerstand, Exil. 24. Jg., Nr. 3 (Dezember 2007), Seite 34.

19.1.08

Mistvolk im Weltbürgerkrieg

Vor ein paar Monaten saß ich in einer S-Bahn, die mich aus einer deutschen Großstadt in den eine gute Dreiviertelstunde entfernten Ort bringen sollte, in dem meine Eltern wohnen. Zwei oder drei Stationen, nachdem ich zugestiegen war, betraten eine junge Frau und ein junger Mann den Waggon, in dem ich saß, und nahmen auf der Doppelbank rechts von mir Platz. Er begann sofort, in einem Mischmasch aus Deutsch und Türkisch auf sie einzureden, erst noch verhältnismäßig zurückhaltend, dann immer lauter. Es fielen Beleidigungen wie „Flittchen“, „Schlampe“ und „Fotze“. Ich brauchte eine Weile, um zu verstehen, dass die beiden Geschwister waren und kein Pärchen, wie ich ursprünglich dachte. Seine Vorhaltung: Sie laufe herum „wie eine Nutte“ und lasse sich mit deutschen Männern ein. Ihre Reaktion: genervtes Schweigen, in schnellem Wechsel unterbrochen von energischem Widerspruch auf Türkisch, Platzwechseln und Telefonaten mit dem Handy. Die anfangs noch zahlreichen anderen Fahrgäste, die die Tiraden zwangsläufig mitanhören mussten, taten so, als ob sie nichts bemerkten, während sich umgekehrt der junge Mann bei der ausführlichen Beschimpfung seiner Schwester nicht daran störte, dass jeder seine Invektiven mitbekam.

Es zeichnete sich ab, dass das Ganze so schnell kein Ende finden würde. Und während der Zug ganz allmählich leerer wurde und ich noch überlegte, welche Art der Einmischung wohl die effektivste sein könnte – und ob sie der jungen Frau überhaupt zupass käme –, grölte ein ziemlich angetrunkener Deutscher, vielleicht Anfang dreißig und in zerschlissenen Klamotten, durchs Abteil: „Geht das auch leiser? Wir sind hier nicht auf dem Basar!“, bevor er einen kräftigen Schluck aus seiner Bierflasche nahm. Das war für das teuer gekleidete Ehepaar Mitte siebzig, das mir inzwischen gegenübersaß, offenbar das Signal, sich nicht mehr anzuschweigen, sondern sich über das Pärchen mit Migrationshintergrund zu unterhalten, zunächst untereinander. Sie: „Unmöglich so was. Belästigen alle anderen Fahrgäste.“ Er: „Bei denen zu Hause kennt man so was wie Rücksicht nicht. Das ist ’ne ganz andere Kultur.“ Sie: „Die müssen sich aber anpassen, wenn sie hier sind.“ Er: „Das können die nicht. Da sind die anders als wir.“ Sie: „Dann sollen sie wieder zurückgehen, wo sie hergekommen sind, und uns in Ruhe lassen.“

Nun wachte auch mein unmittelbarer Sitznachbar auf – ein Endvierziger mit Halbglatze, Schnauzbart, schwarzer Lederjacke und Jeans – und sekundierte: „Man fühlt sich gar nicht mehr als Deutscher“, sagte er, und dann, mit Nachdruck in der Stimme: „Das ganze Rattenpack müsste man abschieben. Konsequent abschieben. Rein ins Flugzeug und ab nach Hause mit denen. Aber das darf man ja nicht laut sagen, sonst ist man gleich Rassist.“ Beifälliges Nicken des Ehepaares. Jetzt beugte sich eine Frau Mitte zwanzig herüber – kurze Haare, randlose Brille, Jeansjacke –, die in der Reihe hinter mir saß, und gellte: „Solche Kommentare kotzen mich echt an. Das ist typisch deutsch. Die regeln ihre Familienangelegenheiten schon untereinander und sind halt ein bisschen emotionaler dabei. Also, mich stört das nicht. Und Sie halten jetzt mal den Mund!“ Daraufhin keifte die Ehefrau etwas von „Das ist ja wohl das Letzte!“, der Ehemann presste mit rotem Kopf ein „Unverschämtheit!“ hervor, und die Halbglatze bekräftigte noch einmal: „Alle abschieben!“, während der junge Deutsch-Türke seiner Schwester unbeirrt und unvermindert eine Ausfälligkeit nach der anderen an den Kopf warf, bis beide schließlich eilig ausstiegen.

Ich saß derweil da wie paralysiert und war mir nicht sicher, ob ich mich nun schlecht fühlen sollte, weil ich zu alledem kein Wort gesagt hatte, oder froh sein durfte, inmitten dieser Irrenhaus-Freigänger meinen Mund gehalten zu haben. Schließlich waren sie alle auf engstem Raum beisammen: der islamische Macker, der Lumpenproletarier mit Herrenmenschenstatus, das Ehepaar aus der HJ- und BdM-Generation, der Blockwart und die kulturrelativistische Antirassistin. Wahrscheinlich hätte ich trotzdem aufstehen und der jungen Frau zur Seite springen müssen, auch wenn ich nicht absehen konnte, ob die das überhaupt will und ob das die Sache nicht noch ärger gemacht hätte. Vielleicht hätte ich sie auch alle zusammen gegen mich aufgebracht mit dem Israel-Button an meiner Umhängetasche aus den USA. Ich weiß es nicht und werde es auch nicht mehr herausfinden können, aber ich beanspruche mildernde Umstände. Schließlich war ich unbewaffnet.

Dieser Tage muss ich oft an dieses Erlebnis denken, wenn ich die erregten Diskussionen über „Jugendkriminalität“, „Migrantengewalt“, „Spießerprobleme“ und „Scheiß-Deutsche“ verfolge, die derzeit vom hessischen Wahlkampf bis zum Feuilleton alles beherrschen. In dieser vor allem über die Medien geführten Schlacht – und hier finde ich diese Vokabel tatsächlich einmal passend – wird schwerstes Gerät aufgefahren und beherzt aus allen Rohren geballert, wobei sich erfahrene Kombattanten ausgemachten Frischlingen gegenübersehen, bei denen man bislang gar nicht ahnte, zu welcher Form sie im Schützengraben auflaufen können. Zur erstgenannten Einheit gehören zweifellos solche Kampfschweine wie Koch und Schirrmacher, die mit Verve zum finalen Gefecht blasen. Der eine lädt gegen „kriminelle Ausländer“ sowie die drohende Wiederkehr des Kommunismus durch und würde gerne wieder die guten alten Erziehungslager einführen; der andere sieht allen Ernstes einen neuen „Weltbürgerkrieg“ heraufziehen, der für die Deutschen aber immerhin quasi den Vorteil hat, als potenzielle Opfer der Rolle des Tätervolks entkommen zu können, wenn sie das dräuende Armageddon denn überleben.

Deren Gegner wiederum schießen aus einer Ecke, von der man zwar wusste, dass sie regelmäßig noch die übelsten Völkeleien als kulturelle Eigenheit zu verniedlichen bereit ist oder diese als irgendwo doch verständliche Reaktionen auf vermeintlich oder tatsächlich erlittenes Unrecht begreift. Aber dass anlässlich der enthemmten Attacke zweier Migranten auf einen übereifrigen Pensionär selbst der saturierte Feuilletonchef einer Wochenzeitung für Oberstudienräte vor einem Lenin-Bild den Punker in sich entdeckt und das vormalige rotgrüne Regierungsblatt urplötzlich findet, dass die Deutschen ein „Mistvolk“ sind, ist dann doch bemerkenswert. Fast könnte man den Eindruck haben, dass der ultimative Showdown unmittelbar bevorsteht: kriminelle Kanaken gegen reaktionäre Rentner. Dass beide letztlich ein zutiefst autoritäres Weltbild miteinander verbindet und sie einem – getrennt marschierend, vereint schlagend – das Leben zur Hölle machen können, beklagt seltsamerweise niemand. Dabei dürften Situationen wie die eingangs geschilderte keine Seltenheit sein, zumindest im Westen der Republik. Im Osten dominiert fraglos der deutsche Pöbel, dem gleichwohl niemand Einhalt gebietet, wenn nicht gerade eine Fußball-Weltmeisterschaft oder ein ähnliches Ereignis von nationaler Tragweite ansteht.

Am meisten ärgert mich an meiner S-Bahn-Geschichte übrigens, das ich keine Videokamera im Gepäck hatte. Denn die Episode hätte sich hervorragend für einen Werbespot geeignet: Ihr seid Deutschland. Vielleicht sollte ich aufs Auto umsteigen. Aber dann kriege ich Ärger mit den Klimaschützern.

15.1.08

Freunde der Feinde Israels

(Gar nicht so) Neues von den beiden amerikanischen Politikprofessoren John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt: Die Autoren des Buches Die Israel-Lobby klagen in einem Beitrag für die Los Angeles Times, der Präsidentschaftswahlkampf in den USA stehe unter der Fuchtel pro-israelischer Organisationen. Denn aus Angst vor deren Einfluss und dem Verlust von Wählerstimmen traue sich keiner der Kandidaten, die dringend erforderliche Kritik am jüdischen Staat zu üben. Das jedoch sei falsch verstandene Freundschaft. Illustriert ist der Text mit einem Cartoon, der fraglos Stürmer-Qualitäten besitzt.

Überrascht seien sie nicht, „dass jeder der Hauptbewerber [um den Posten des US-Präsidenten] nachdrücklich dafür ist, Israel in besonderer Weise materiell und diplomatisch zu unterstützen“, schreiben Mearsheimer und Walt in der LA Times,* „und dass jeder glaubt, diese Hilfe solle bedingungslos gewährt werden“. Schließlich wage es seit jeher niemand, Israels Vorgehen zu kritisieren, „selbst wenn seine Handlungen amerikanische Interessen gefährden, mit amerikanischen Werten in Konflikt stehen oder sogar Israel selbst schaden“. Denn dessen „treueste Unterstützer – die Israel-Lobby, wie wir sie nennen – erwarten das“. Und weil sie fürchteten, pro-israelische Wählerstimmen an die Konkurrenz zu verlieren und von pro-israelischen Medien nachhaltig unter Druck gesetzt zu werden, unterließen die Anwärter „selbst eine wohlmeinende Kritik an Israels Politik“. Die Botschaft dieser Worte ist eindeutig; sie lautet: Die Macht israelfreundlicher Gruppierungen in den USA ist dermaßen groß, dass durch sie der Wahlkampf und -ausgang beeinflusst, ja, dominiert wird.

Was Mearsheimer und Walt demgegenüber anzubieten haben, ist so altbekannt wie wirklichkeitsfremd: Israel möge sich, bitteschön, für eine „Zweistaatenlösung“ aussprechen und den Palästinensern die Westbank sowie den Gazastreifen überlassen, damit sie dort „einen lebensfähigen Staat gründen“ können; im Gegenzug werde der jüdische Staat mit einem „umfangreichen Friedensabkommen“ belohnt und könne dadurch „innerhalb seiner Grenzen vor 1967 (mit einigen kleinen Modifikationen) sicher leben“. Das, so meinen die beiden Professoren, müsse doch auch den Präsidentschaftsbewerbern einleuchten. Doch nicht einmal Hillary Clinton äußere sich entsprechend, sondern falle sogar noch hinter die Errungenschaften ihres Ehemannes zurück, befinden die Verfasser sichtlich enttäuscht. Wie auch die anderen Kandidaten habe Clinton nämlich Angst vor den „Hardlinern in der Israel-Lobby“ und unterstütze deshalb lieber Israels „Verwandlung in einen Apartheidstaat“. „Wer braucht angesichts solcher Freunde noch Feinde?“, fragen die Autoren schließlich, die sich selbst, logisch, für die wahren Freunde des jüdischen Staates halten.

An den Ausführungen der Politikwissenschaftler ist nichts Überraschendes oder gar Neues; bemerkenswert ist jedoch die Schlichtheit ihrer Überlegungen und die Hartnäckigkeit, mit der sie ihre Realitätsverweigerung betreiben. Israel hat mehrfach deutlich gemacht, dass ein palästinensischer Staat längst Wirklichkeit wäre, wenn die Führungen der Palästinenser und die Terrorgruppen anstehende Vereinbarungen nicht immer wieder in letzter Minute torpediert hätten, um den Krieg neu zu entfachen. Die Formel „Land für Frieden“ hört sich zwar schön an, doch ihre Umsetzung scheiterte stets daran, dass die palästinensische Seite sich als friedensunwillig erwies und gar nicht daran dachte, sich auf ein „umfangreiches Friedensabkommen“ einzulassen und die Israelis innerhalb bestimmter Grenzen „sicher leben“ zu lassen. Doch das alles ficht Mearsheimer und Walt genauso wenig an wie ihre Adepten; weder Selbstmordattentate noch Raketen, weder die Wahl der antisemitischen Terrorbande Hamas vor zwei Jahren noch deren fortgesetzte Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel können sie von ihrer einfältigen Überzeugung abbringen, dass Palästinenser wie Israelis automatisch in Frieden leben würden, wenn nur endlich die Besatzung, die Kontrollen und der Siedlungsbau ein Ende hätten.

Dass derlei offenkundiger Unfug sich auch noch als Freundschaftsdienst ausgibt, ist nicht mehr als ein durchschaubarer taktischer Kniff, der die Funktion erfüllt, einer möglichen Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen – man will ja nur das Beste für den jüdischen Staat. Dabei sind die Ratschläge dieser vermeintlich echten Freunde Israels nicht mehr und nicht weniger als die Aufforderung zum kollektiven Selbstmord: Würde sich Israel aus den umstrittenen Gebieten vollständig zurückziehen, sämtliche Kontrollen aufgeben, den Sicherheitszaun abbauen, die Siedler ins Kernland rufen und den Palästinensern vollständige Bewegungsfreiheit gewähren – der Terror würde sich ohne jeden Zweifel sofort ungehemmt wieder ausbreiten und den Israelis das Leben zur Hölle machen. Denn insbesondere die Hamas hat mehrfach betont, sich niemals mit der Existenz eines jüdischen Staates abzufinden, und sie würde ein Entgegenkommen der Marke Mearsheimer und Walt als besonders günstige Gelegenheit begreifen, umfassend zur Attacke zu blasen. Was die Konsequenz wäre, hat der Historiker Yaacov Lozowick in seinem vorzüglichen Buch Israels Existenzkampf – eine moralische Verteidigung seiner Kriege (Konkret Literatur Verlag, Hamburg)** deutlich gemacht:
„Immer schon hatte die palästinensische Herrschaft über Juden weitaus schrecklichere Konsequenzen für die Betroffenen als die jüdische Herrschaft über die Palästinenser sie je hatte. [...] Seit 1967 übte Israel die Herrschaft über einen großen Teil der palästinensischen Bevölkerung aus, und sein Verhalten kann in vieler Hinsicht kritisiert werden. Dennoch könnte nur ein Narr behaupten, dass sich die Palästinenser in der umgekehrten Situation mit den Maßnahmen, wie sie die Israelis getroffen haben, zufrieden geben würden. Sollten die Palästinenser jemals Herrschaft über die Juden erlangen, wird Palästina ebenso judenrein werden, wie es der größte Teil Europas heute ist: eine kleine Gemeinde hier und dort und Gespenster überall. Um es so deutlich wie möglich zu sagen: Israel blockiert lediglich die nationalen Ambitionen der Palästinenser (beziehungsweise hat das früher getan), die Palästinenser hingegen bedrohen die nackte Existenz der Juden.“
Die LA Times ließ es sich übrigens nicht nehmen, dem Beitrag von Mearsheimer und Walt in der Printausgabe einen Cartoon zur Seite zu stellen, der direkt dem Stürmer entsprungen sein könnte (Bild oben): Er zeigt einen Teil von „Uncle Sam“ in Handschellen, die die Form eines Davidsterns haben, der wiederum an einer Kette hängt. Die Aussage ist unmissverständlich: Die USA sind Gefangene – Gefangene der Juden. Denn der Davidstern ist nicht nur das Emblem des Staates Israel; er ist darüber hinaus bekanntlich das Symbol des Judentums. Und genau daraus bezieht die Zeichnung ihren antisemitischen Charakter: Mit ihr wird suggeriert, „die Juden“ hätten Amerika – immerhin eine Weltmacht – im Griff, verhaftet, eingesperrt. Eine Verschwörungstheorie, der Mearsheimer und Walt mit ihren Arbeiten jedoch reichlich Nahrung geben – und deshalb ist die Karikatur nicht einmal unpassend, eben weil sie die Botschaft des Artikels, den sie illustriert, zuspitzt. So wird auch überdeutlich, was die beiden Politikprofessoren tatsächlich sind: Freunde der Feinde Israels.

Und was die Präsidentschaftswahlen in den USA betrifft: Es steht zu hoffen, dass Mearsheimer und Walt hier mit ihren Beobachtungen einmal Recht haben und tatsächlich alle Kandidaten den jüdischen Staat vorbehaltlos unterstützen. Nicht zuletzt das unterscheidet amerikanische Wahlkämpfe übrigens maßgeblich von deutschen, denn hierzulande versucht niemand, mit einer positiven Bezugnahme auf Israel Wählerstimmen zu gewinnen. Eher geschieht das Gegenteil, wie etwa Jürgen W. Möllemanns Kampagne vor einigen Jahren zeigte. Der FDP-Politiker war natürlich auch nur ein guter Freund Israels. Wie Mearsheimer und Walt.

* Ggf. anmeldepflichtig; eine Spiegelung des Beitrags findet sich u.a. auf der amerikanischen Website CAMERA.
** Lozowicks Buch ist mittlerweile für nur vier Euro auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung zu bestellen.
Übersetzungen: Lizas Welt – Hattips: barbarashm, Blütenlese, Karl Pfeifer, Verbrochenes

14.1.08

Münchner Husarenstreich

Im Fußball – und nicht nur dort – ist es selten geworden, dass ein Coup, der seinen Namen auch verdient, tatsächlich von denen verkündet wird, die ihn eingefädelt haben. Zu oft wissen die Medien bereits, was passieren wird, und lancieren die entsprechende Nachricht, bevor die Beteiligten selbst zu Wort kommen. Gemessen daran darf die Bekanntgabe, dass Jürgen Klinsmann (Foto) im Sommer Trainer des FC Bayern München wird, ausnahmsweise als echte Sensation gelten. Nicht einmal die für gewöhnlich bestens versorgte Bild-Zeitung ahnte etwas. Dabei hatte Uli Hoeneß einem Reporter dieses Blattes noch am Neujahrsmorgen gesteckt, dass Ottmar Hitzfeld seinen Vertrag nicht verlängern wird – eine Entscheidung, die ursprünglich erst Ende Januar bekannt gegeben werden sollte, obwohl die Bayern sie schon länger kannten. Was zunächst so schien, als ob der Manager der Münchner sich verplappert hatte, entpuppte sich nun als gezielte Vorbereitung der Nachricht über Hitzfelds Nachfolger. Diese wurde dann nicht etwa per offizieller Pressemitteilung verkündet, sondern wie nebenbei auf der Homepage des Klubs – wo man es noch Anfang des Jahres hartnäckig vermieden hatte, die Demission des Noch-Coaches bekannt zu geben, obwohl längst alle von ihr wussten.

Der erfolgreich geheim gehaltene, gänzlich unerwartete Husarenstreich mit Klinsmann war insofern zweifellos eine Demonstration der Stärke und darüber hinaus eine Konsequenz aus dem letzten halben Jahr, in dem der FC Bayern letztlich Opfer jener Medienpräsenz wurde, die er selbst ausgelöst und angekurbelt hatte: Nach einer beispiellosen Einkaufstour und einem so berauschenden wie bestaunten Start in die Saison verflachte das Niveau des Erfolgsvereins bedrohlich, und spätestens seit Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sich nach dem UEFA-Pokalspiel gegen die Bolton Wanderers zu einer Bemerkung über Trainer Hitzfeld hinreißen ließ, die einer Demontage gleichkam („Fußball ist keine Mathematik“), dürften die Verantwortlichen der Bayern gespürt haben, dass ihnen die Kontrolle über ihre ehrgeizigen Pläne mehr und mehr entgleitet und genau das die sportlichen Ziele zu gefährden droht. Der folgerichtige Entschluss des stets loyalen Hitzfeld, sich dieses Tollhaus nicht über die laufende Spielzeit hinaus anzutun, spielte den Bayern-Chefs letztlich in die Karten: Sie beendeten die sofort einsetzende Trainerdiskussion höchstselbst, indem sie zu einem für die Öffentlichkeit überraschend frühen Zeitpunkt mit einem nicht minder überraschenden Ergebnis die Nachfolge klärten – und die Gegenwart damit in den Hintergrund drängten.

„So groß ist der Coup der Klinsmann-Verpflichtung, dass das Jetzt keine Bedeutung mehr hat“, befand Christian Gödecke auf Spiegel-Online völlig zu Recht: „Noch-Trainer Ottmar Hitzfeld könnte beichten, er sei von Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge mit heißem Kerzenwachs gefoltert worden – ja und? Es zählt nur noch das Bald mit Klinsmann.“ In der Tat nahmen die Zuständigen mit ihrer Entscheidung eine Menge Druck von der Mannschaft, denn selbst wenn die Saisonziele – die nicht weniger umfassen als den Gewinn der Meisterschaft, des UEFA-Cups und des DFB-Pokals – ganz oder teilweise verfehlt werden sollten: Im Sommer beginnt eine neue Zeitrechnung, schon wieder. Für die Bayern ergibt sich daraus vorläufig eine Win-win-Situation: Holen sie die avisierten Titel sämtlich oder wenigstens zum Teil, dann haben sich die millionenschweren Investitionen frühzeitig amortisiert; andernfalls verschiebt sich der Masterplan eben um ein Jahr, ohne dass er grundsätzlich in Frage gestellt werden würde. Für Jürgen Klinsmann bedeutet die eine wie die andere Situation eine ultimative Herausforderung: Entweder muss er Trophäen verteidigen oder sie endlich wieder an die Säbener Straße holen. Doch genau das weiß er auch, so viel ist sicher.

Es ist jedenfalls jetzt schon abzusehen, dass die Entscheidung für den 108-fachen Nationalspieler und Weltmeister von historischer Bedeutung für den Verein sein wird: Entweder gelingt diesem der Sprung aus der Provinzialität, oder er wird dort auf unabsehbare Zeit schmoren. Denn der FC Bayern München ist einer der letzten großen Klubs in Europa, die noch wie ein Familienunternehmen geführt werden. Das Sagen haben ausschließlich ehemalige Spieler aus den Glanzzeiten der „Roten“ vor allem in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts: Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge, Franz Beckenbauer natürlich und seit einiger Zeit auch Paul Breitner, der mit diesen dreien lange im Clinch lag. Eine solche Personalpolitik hat etwas ziemlich Inzestuöses; zudem ließen sich alle Genannten bisher nur äußerst ungern ihre Kompetenzen beschneiden. Zwar ist auch Klinsmann ein ehemaliger Bayern-Kicker – allerdings einer, der während seines zweijährigen Engagements immer wieder über Kreuz mit den Verantwortlichen lag und sich partout nicht in die „Familie“ integrieren wollte. Auch als Teamchef der deutsche Nationalmannschaft präsentierte er sich nicht gerade als Freund der Münchner – und genau hierin liegt paradoxerweise die Chance sowohl für ihn selbst als auch für den FC Bayern.

Denn Jürgen Klinsmann ist strikt erfolgsorientiert, und wenn ihm dabei allzu eingefahrene Strukturen im Weg stehen, kennt er keine Verwandten. Es ist kein Zufall, dass er bei mehreren europäischen Topklubs für die kommende Saison im Gespräch war, obwohl er über keinerlei Erfahrungen mit dem Training von Vereinsmannschaften verfügt: Klinsmann hat sich in der Fußballwelt vor allem einen Namen gemacht, weil er als Novize mit einem alles in allem sehr limitierten Team Dritter bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 wurde und es dabei schaffte, selbst den eigentlich hoffnungslos reformfeindlichen und neuerungsresistenten DFB komplett umzukrempeln. Die Bayern gehen nun offenbar bewusst das Risiko ein, ähnlich einschneidende Maßnahmen zu gewärtigen. Denn dass der neue Coach sich vertraglich sehr weitgehende Freiheiten bezüglich der Umsetzung seiner Ideen zusichern lassen hat, darf man voraussetzen. Seine ambitionierten Pläne sind gleichwohl extrem erfolgsabhängig. Die Frage lautet daher nicht zuletzt: Werden die Bayern-Väter sich künftig stärker zurückhalten, wenn sie zur Gegenwart und Zukunft ihres verwöhnten Kindes befragt werden?

Sie werden es müssen. Denn anders als Ottmar Hitzfeld und Felix Magath duldet Jürgen Klinsmann es nicht, wenn andere in der Öffentlichkeit mehr Gewicht beanspruchen als er selbst. Möglicherweise steht seine Verpflichtung daher auch für eine Systemänderung: Uli Hoeneß will 2009 ohnehin seinen Posten als Manager aufgeben und Franz Beckenbauer als Präsident beerben. Wer auch immer ihm nachfolgt: Es wird jemand sein, der weit weniger dominant und polarisierend ist. Damit erhält der Trainer der Bayern automatisch mehr Gewicht, und Klinsmann scheint dem Vorstand diesbezüglich die Idealbesetzung zu sein. Das darf man durchaus als Professionalisierung werten: Der globalisierte Fußball nimmt immer weniger Rücksicht auf frühere Verdienste und Verbindungen; wer auch international Erfolg haben will, muss zwangsläufig zu schmerzhaften und unpopulären Maßnahmen bereit sein. Also stellen die Münchner jetzt einen Übungsleiter ein, der ihren verdienten Keeper Oliver Kahn vor der WM noch auf die Ersatzbank befördert und seinen Torwarttrainer Sepp Maier gleich mit ins Abseits geschoben hatte. Dabei nehmen sie Konflikte sehenden Auges in Kauf: No risk, no fun.

Gut möglich, dass die Bayern international renommierte Trainer wie José Mourinho oder Frank Rijkaard hätten haben können. Aber auch Klinsmann ist trotz fehlender Erfahrungen als Klubcoach „einer der ganz wenigen richtigen internationalen Persönlichkeiten im Fußball“, wie der amerikanische Politikwissenschaftler Andrei Markovits in einem Interview mit dem Deutschlandfunk befand. Er hat in Italien, England und Frankreich gespielt und beherrscht die jeweiligen Landessprachen – ein unschätzbarer Vorteil, wenn man international aufgestellte Teams trainiert, denen launische Topstars wie Franck Ribéry und Luca Toni angehören. Er kennt die Methoden des modernen Managements und ist in der Lage, ein Training anzubieten, das von den Spielern nach anfänglichem Zögern mit Begeisterung angenommen wird. Er spricht die Sprache der Spieler, hat deren Akzeptanz und dennoch genügend professionellen Abstand zu ihnen. Mit einer Reihe grandioser Akteure – zu denen sich nun auch noch Tim Borowski gesellt – hat Jürgen Klinsmann sehr gute Voraussetzungen, um dem FC Bayern und sich selbst zu einem Quantensprung zu verhelfen. Das Wagnis des Klubs, ihn zu engagieren, könnte sich auszahlen.

9.1.08

Fußbollah

Ein sardisches Freizeit-Fußballteam hat bei der Gestaltung seines neuen Mannschaftsnamens einen ganz besonderen Einfallsreichtum an den Tag gelegt: Es heißt nun „Zassbollah“ – und vereint damit den Namen seines Kapitäns mit dem der Terrororganisation Hizbollah. Zur Begründung für diesen bizarren Schritt hieß es, man sei „vom starken Kampf- und Widerstandsgeist beeinflusst worden“, der Nasrallahs Truppe auszeichne. Mit einer politischen Positionierung habe diese Idee gleichwohl rein gar nichts zu tun, versicherte ein Spieler der Elf. Doch der Propagandasender der vom Iran gesteuerten Islamistenpartei feiert die Kicker als Helden.

Hobby- und Thekenmannschaften sind bei der Wahl ihres Teamnamens zumeist verzweifelt bemüht, den Beweis dafür anzutreten, dass sie jenseits des Fußballplatzes kreativer sind als auf ihm und deshalb besser dichten als kicken können. Das gelingt ihnen allerdings nur selten, und daher bringt die Ideensuche oft wenig originelle Konstruktionen hervor – wie hierzulande etwa „Juventus Urin“, „Rektal Madrid“ oder „Glasbier Rangers“. Doch auch andernorts ist man in dieser Hinsicht nicht übermäßig innovativ: Die Teams etwa, die auf Sardinien alljährlich den Carioca Cup ausspielen, heißen beispielsweise „Spartak Nelo“, „Infiammibili“ und „Atletico Anglo Sarda“ – oder neuerdings auch „Zassbollah“. Genau so nennt sich nämlich eine Truppe, die schon seit 15 Jahren an diesem Turnier teilnimmt und dabei alljährlich ihren Namen ändert. Zuletzt firmierte sie unter „Zasso“ – so heißt ihr Mannschaftskapitän –, bevor sie kürzlich den Namen der Gotteskriegerpartei Hizbollah hinzufügte und die beiden Bestandteile zu „Zassbollah“ verschmolz. Auf dem neuen Trikot prangt jetzt folgerichtig auch das Logo der islamistischen Vereinigung.

Wie die Feierabend-Squadra auf diesen Einfall kam, erläuterte ihr Spieler Davide Volponi (Foto) in einem Interview* mit dem libanesischen Fernsehsender Al-Manar, der vor allem für seine Hizbollah-Propaganda bekannt ist: „Die Idee, das Team ‚Zassbollah’ zu nennen, rührte von der Situation im Libanon her. Wir haben diesen Namen nicht als Ausdruck irgendeiner politischen Position gewählt, sondern weil wir vom starken Kampf- und Widerstandsgeist [der Hizbollah] beeinflusst worden sind. Deshalb ist das keine politische Angelegenheit, denn wir beobachten die Dinge ja nur aus der Distanz. Aber auf dem Platz müssen wir Widerstand aufbauen und die Gegner bekämpfen.“ Und da ist Nasrallahs Terrorbande natürlich in der Tat ein nachgerade leuchtendes Vorbild. Al-Manar freute sich denn auch über die unerwartete Solidarisierung: „Am vergangenen Samstagmittag erzielte der Widerstand der Hizbollah – wenn auch in einer anderen Sprache und auf andere Weise – im Amiscoara-Stadion auf Sardinien einen weiteren Treffer ins Netz derjenigen, die an seiner Moral zweifeln. Dieser Widerstand ist zu einer Quelle der Inspiration für Fußballspieler geworden, bewundert von Millionen auf der ganzen Welt.“

Die Hobbyteams, die gegen „Zassbollah“ antreten müssen, könnten diesem Team natürlich fürderhin durch einen geschlossenen Boykott zeigen, was sie von der bizarren Idee halten, einer Judenmördertruppe zu huldigen. Aber so viel Konsequenz ist wohl kaum zu erwarten. Und so darf man gespannt sein, wie Zasso, Volponi und Kameraden ihre Freizeitelf nächstes Jahr taufen, wenn wieder die turnusmäßige Namensänderung ansteht. Vielleicht würdigt man dann ja einen bekannten Israelhasser, der sich vorgestern mit führenden Hizbollah-Funktionären im Südlibanon traf, für seinen unbändigen Kampfeswillen und nennt sich „Forza Finkelstein“. Der Namenspatron hätte jedenfalls gewiss nichts dagegen.

* Die Transkription stammt von Memri; dort ist der Beitrag auch als Videoclip zu sehen.
Übersetzungen: Lizas Welt – Hattips: barbarashm, Karl Pfeifer, Wind in the Wires

7.1.08

Verdiente Bettgesellen

Es ist schon bemerkenswert, mit welch simpler Strategie die selbst ernannten „Israelkritiker“ in aller Regel der Feststellung, dass ihre Positionen zum jüdischen Staat antisemitische Züge tragen, zu begegnen versuchen. Den meisten genügt zur Immunisierung ihrer „Kritik“ gewöhnlich die Berufung auf Kronzeugen, die den gleichen Unfug erzählen wie sie selbst, aber schon qua ihres Jüdischseins angeblich gar keine Antisemiten sein können – so, als wäre Judenhass ein genetischer Defekt und nicht eine Weltanschauung. Mit der Inanspruchnahme dieser Bürgen glauben die Antizionisten, sauber aus dem Schneider zu sein und ihren Antisemitismus ehrbar gemacht zu haben. Nicht einmal die Tatsache, dass sowohl Islamisten als auch Neonazis das Gleiche vertreten wie sie und ihnen daher vernehmlich Beifall zollen, kann ihre Gewissheiten erschüttern, während sie umgekehrt jeden zum Rassisten stempeln, der ihnen und ihrer Masche auf die Schliche kommt, und darüber hinaus im Brustton der Überzeugung verkünden, es seien doch gerade Israel und diejenigen, die es verteidigen, die den Antisemitismus erst schürten. Dass Judenhass mit dem Verhalten von Juden noch nie etwas zu tun hatte, sondern ein auf Projektion beruhender Wahn ist, wollen und können die „Israelkritiker“ nicht erkennen.

Von den besagten Kronzeugen wiederum erfreuen sich diejenigen besonderer Beliebtheit, die es zu einiger Prominenz gebracht haben und dabei am besten auch akademische Titel und Ehrungen vorweisen können. Einer von ihnen ist der britische Historiker Tony Judt, der in Österreich den Bruno-Kreisky-Preis und in Deutschland den nach Erich Maria Remarque benannten Friedenspreis der Stadt Osnabrück sowie kürzlich auch den Bremer Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken zugesprochen bekam. Judt erzählt, was man sowohl hierzulande als auch in der Alpenrepublik gerne hört, und etwaiger Kritik begegnet er mit der Eloquenz eines Universitätsprofessors, der es in seinem Leben schon zu einigen Meriten gebracht hat. Dabei ficht ihn noch nicht einmal an, dass sich sogar Judenfeinde wie der frühere Ku-Klux-Klan-Führer David Duke auf ihn berufen: „Wir können die Wahrheiten, die wir bereit sind auszusprechen, wenn wir denken, dass sie wahr sind, nicht an den Idiotien von Menschen ausrichten, die eben aus ihren eigenen Gründen zufällig mit uns übereinstimmen“, findet Judt ganz lapidar. Was von diesen „Wahrheiten“ zu halten ist, inwieweit Tony Judt einer Doppelmoral folgt und weshalb er für das Anwachsen des Antisemitismus mitverantwortlich ist, weiß Karl Pfeifer im folgenden Gastbeitrag.


Karl Pfeifer

Tony Judts „Wahrheit“*


Immer wieder werden wir überrascht von Texten, die vor 80 Jahren geschrieben wurden und heute noch aktuell sind. Am 1. September 1927 publizierte der Wiener Schriftsteller Herbert Müller-Guttenbrunner sein Protokoll über die „Protokolle der Weisen von Zion“. (1) Er brachte drei Einwände gegen diese zaristische Fälschung vor und befand, diese genügten bereits, um „dem Werke den Boden der Dummheit, auf den es gegründet ist, zu entziehen“: „Man könnte die Akten über die Protokolle der Weisen von Zion mit einem Schlusspunkt versehen. Aber um der vielen zurechnungsfähigen und intelligenten Menschen willen, die die Technik des Schwindels, der zur Verhetzung der Menschen verwendet wird, noch nicht weghaben, die im ehrlichen Entsetzen über die heutigen Zustände auf Erden nach deren Urhebern fragen und sich in sinnloser Wut auf die ihnen von den wahren, aber anonymen Urhebern als vermeintliche Urheber präsentierten Juden stürzen – um dieser Menschen willen sei näher auf den Mist eingegangen.“

Es kann nicht überraschen, wenn ausgewiesene Antisemiten wie David Duke (2) diesen Mist, von dem schon Müller-Guttenbrunner sprach, wieder aufbereiten, um ihren Anhängern zu erklären, die USA würden von einer „zionistisch besetzten Regierung“ („Zionist Occupied Government“ – ZOG) geführt. Wenn sich aber ein in Europa anerkannter und preisgekrönter Historiker wie Tony Judt (Foto) dazu hergibt, den gleichen Mist wie Duke zu verzapfen, dann verdient das eine genauere Analyse. Am 12. Oktober 2007 fand an der Universität Chicago eine Konferenz über „akademische Freiheit“ und zur Unterstützung von Norman Finkelstein (3) statt. Diese Konferenz ging von der Annahme aus, dass die nämliche akademische Freiheit im Allgemeinen und Finkelstein im Besonderen einem illegitimen und mächtigen Angriff der Israel-Lobby ausgesetzt sind. Judt hielt dabei eine Ansprache, die auf der Website des Monthly Review-Zines zu hören und ausschnittsweise bei Engage Online zu lesen ist. Er sagte unter anderem:
„Wenn Sie aufstehen und sagen, wie ich es sage und vielleicht auch jemand anderes es sagen wird, dass es eine Israel-Lobby gibt, dass es eine Reihe von jüdischen Organisationen gibt, die sowohl offen als auch im Verborgenen arbeiten, um gewisse Arten von Unterhaltungen, gewisse Arten von Kritik usw. zu verhindern, dann kommen Sie kaum umhin, zu sagen, dass es eine De-facto-Verschwörung, oder, wenn Sie so wollen, ein Komplott oder eine Zusammenarbeit gibt, um die öffentliche Politik zu hindern, dass sie sich in eine Richtung bewegt oder in eine gewisse Richtung gedrängt wird – und das hört sich schrecklich an, wissen Sie, es klingt nach den ‚Protokollen der Weisen von Zion’ und nach der Verschwörungstheorie der ‚zionistisch besetzten Regierung’ usw. – Nun, wenn sich das so anhört, dann ist es unglücklich, aber es ist eben so. Wir können die Wahrheiten, die wir bereit sind auszusprechen, wenn wir denken, dass sie wahr sind, nicht an den Idiotien von Menschen ausrichten, die eben aus ihren eigenen Gründen zufällig mit uns übereinstimmen.

Es kann wohl wahr sein – ich weiß das, weil ich von ihm eine E-Mail erhalten habe –, dass David Duke denkt, in John Mearsheimer, Stephen Walt oder mir Alliierte gefunden zu haben. Doch ich erinnere Sie daran, was Arthur Koestler (4) in der Carnegie Hall sagte, als er 1948 gefragt wurde: ‚Warum kritisieren Sie Stalin? Wissen Sie nicht, dass es Menschen gibt in diesem Land, Nixon und die damals noch nicht so genannten McCarthyisten, die auch Antikommunisten sind und Ihren Antikommunismus zu ihrem Vorteil nutzen werden?’ Und Koestlers Antwort war die Antwort, von der ich denke, dass wir sie in Erinnerung behalten sollten, wenn wir beschuldigt werden, Geiseln verrückter Antisemiten zu sein. Die Antwort war: Sie können nichts tun, wenn Leute aus ihren eigenen Gründen mit Ihnen übereinstimmen – Sie können nichts tun, wenn Idioten mit ihren stehen gebliebenen politischen Uhren einmal innerhalb von 24 Stunden die gleiche Zeit zeigen wie Sie. Sie müssen aussprechen, was Sie als Wahrheit erkennen, und Sie müssen bereit sein, diese Wahrheit aus Ihren eigenen Gründen zu verteidigen. Und dann müssen Sie die Tatsache akzeptieren, dass böswillige Menschen Sie beschuldigen, Ihre Wahrheit zu verteidigen oder sich mit anderen wegen deren Gründe in eine Reihe gestellt zu haben. Das ist das, was Meinungsfreiheit bedeutet – es ist sehr unbequem. Es bringt Sie manchmal mit den falschen Leuten ins Bett.“
Tony Judt gibt also zu, das Vokabular für eine antisemitische Verschwörungstheorie zu liefern, und verwahrt sich gleichzeitig gegen jegliche Kritik an seinem Verhalten. Er bekennt, dass er „kaum umhin“ komme, zu sagen, dass es eine „De-facto-Verschwörung, ein Komplott oder eine Zusammenarbeit gibt“, und das „hört sich schrecklich an“, wie die Protokolle der Weisen von Zion und die Verschwörungstheorie über die „zionistisch besetzte Regierung“. Er räumt ein, dass die antisemitischen Verschwörungstheoretiker im Grunde das Gleiche sagen wie er und seine Mitstreiter – aber aus angeblich verschiedenen Gründen. Judt scheut sich auch nicht, eine falsche Analogie zwischen seinem Verhalten und demjenigen Arthur Koestlers aus dem Jahr 1948 zu ziehen. Koestler wusste, dass der Gulag existierte und dass es eine Verantwortung gab, dies auszusprechen – auch dann, wenn man damit den Antikommunisten Recht gab, die ebenfalls laut sagten, dass es den Gulag gibt.

So denkt Judt also heute, dass eine jüdische Verschwörung „de facto“ existiert und dass er die Verantwortung hat, dies zu sagen – sogar wenn Antisemiten, die ebenfalls denken, dass es eine jüdische Konspiration gibt, damit offensichtlich Recht gegeben wird. Der Unterschied zwischen Judts und Koestlers Ausführungen liegt jedoch auf der Hand: Der Gulag existierte. Eine jüdische Verschwörung hingegen, die genügend Kraft hat, die einzige Supermacht der Welt in einen Krieg gegen ihr eigenes Interesse zu ziehen und Kritiker Israels aus einer amerikanischen Akademie auszuschließen, gibt es nicht. Allerdings waren – das sei hier in Erinnerung gerufen – auch die McCarthyisten Verschwörungstheoretiker; sie behaupteten, Amerika sei unter den Einfluss einer Moskauer Konspiration geraten, die jeden liberalen Volksschullehrer und jeden „roten“ Hollywood-Schauspieler umfasse.

Koestler (Foto) glaubte nicht an eine Verschwörung – auch nicht an eine „de facto“ existierende –, nicht an ein „Komplott“ und nicht an eine „Zusammenarbeit“. Koestler war nicht wie Judt. Tatsächlich stammt der Antizionismus Judts (wiewohl nicht der Rest seiner Weltanschauung) von der politischen Tradition derjenigen ab, die zum Gulag geschwiegen haben, weil das Sprechen darüber den Imperialisten geholfen hätte. Es ist eine politische Tradition, die in der Gegenwart fortgesetzt wird, deren Anhänger Schweigen bewahren zu allen politischen Bewegungen oder Staaten, die eine antizionistische und antiimperialistische Rhetorik üben und die Menschenrechte grob verletzen. Die antistalinistische Linke sprach sich damals gegen den „gesunden linken Menschenverstand“ aus. Judt hingegen versäumt es, sich gegen den heutigen „linken“ Menschenverstand auszusprechen, der darauf besteht, dass sowohl Israel als auch die Juden, die Israel unterstützen, unvergleichlich böse und mächtig sind.

Der Wissenschaftler Judt argumentiert, dass der entscheidende Umstand, der ihn von den antisemitischen Idioten unterscheide, die Vernunft hinter seiner Analyse sei – auch wenn diese ansonsten im Grunde genommen die gleiche ist wie beispielsweise die von Duke. Für seine Behauptung, es existiere eine „De-facto-Verschwörung“ (auch wenn „sich das schrecklich anhört“), will Judt also ehrbare Motive haben. Der Antisemit Duke hingegen sei bloß bei dieser einen Gelegenheit quasi zufällig zur richtigen Konsequenz bezüglich der globalen Bedrohung durch die „jüdische Macht“ und deren Verantwortung für den Irak-Krieg gelangt. Judts Problem scheint zu sein, dass er entweder unfähig oder nicht willens ist, zu zeigen, wie das, was er glaubt, sich grundsätzlich von dem unterscheidet, was antisemitische Idioten glauben.

Wie hatte er es noch gleich formuliert? „Sie müssen aussprechen, was Sie als Wahrheit erkennen, und Sie müssen bereit sein, diese Wahrheit aus Ihren eigenen Gründen zu verteidigen. Und dann müssen Sie die Tatsache akzeptieren, dass böswillige Menschen Sie beschuldigen, Ihre Wahrheit zu verteidigen oder sich mit anderen wegen deren Gründe in eine Reihe gestellt zu haben. Das ist das, was Meinungsfreiheit bedeutet – es ist sehr unbequem. Es bringt Sie manchmal mit den falschen Leuten ins Bett.“ Natürlich soll man die Wahrheit sagen, sogar dann, wenn diese Wahrheit Zustimmung bei Leuten findet, mit denen man sonst nichts zu tun haben will. Nur lautet Judts Wahrheit, dass die amerikanische Politik von einer jüdischen Verschwörung dominiert wird. Er weiß, dass er sich damit in eine Reihe mit Rassisten, Neonazis und Antisemiten stellt, die aber im Gegensatz zu ihm nur aus bösem Willen an diese „Wahrheit“ glaubten. Dabei ist Judt voll des Selbstmitleids und beschuldigt seine Kritiker, sie handelten in unlauterer Absicht; er verlässt sich dabei auf ein Ad-hominem-Argument. Auf diese Weise stellt er die persönliche Motivation in den Mittelpunkt seiner Verteidigung. Er ist ein guter Kerl, steht links und ist vom Bestreben nach Wahrheit und Gerechtigkeit (für die Palästinenser) motiviert. David Duke hingegen, der bei dieser Gelegenheit auf die „Wahrheit“ über die Israel-Lobby und deren angebliche Verantwortung für Krieg gestolpert ist, hat böse Hintergedanken.

Diejenigen, die nun fragen, weshalb sich Judt und Duke (Foto) im selben Bett einer antijüdischen Verschwörungstheorie befinden, täten das in böser Absicht, behauptet Judt. Diese böse Absicht sei zugleich diejenige der Israel-Lobby, die aus Verlogenheit die antisemitische Karte spiele und ihm deshalb vorwerfe, sich mit dem Antisemiten Duke in ein politisches Bett zu legen. Das Problem dabei bleibt gleichwohl, dass Tony Judt mit seiner Stellungnahme Antisemiten und Rassisten tatkräftige Hilfe leistet. Denn Judt ist ein respektierter Historiker, und er beeinflusst den Mainstream. Wäre er wirklich aufrichtig, dann hätte er zu sagen: „Sie müssen aussprechen, was Sie als Wahrheit erkennen, und Sie müssen bereit sein, diese Wahrheit aus Ihren eigenen Gründen zu verteidigen. Und dann müssen Sie die Tatsache akzeptieren, dass Sie damit den Rassismus und den Antisemitismus stärken.“

Doch wie sieht es mit der vorgeblichen Wahrheit des Tony Judt aus? Judt erklärt, die Israel-Lobby verneine als einzige unter den Lobbys ihre eigene Existenz und versuche, ihre Kritiker zum Schweigen zu bringen. Wäre er aufrichtig um die Wahrheit bemüht, dann müsste er konzedieren, dass auf der Website des AIPAC ausdrücklich benannt wird, um was für eine Organisation es sich handelt, und zwar schon im Namen The American Israel Public Affairs Committee. Wenn eines der offensichtlichen Organe der Israel-Lobby dann auch noch auf ihrer Startseite unumwunden erklärt, tatsächlich eine Israel-Lobby zu sein – „America’s Pro-Israel Lobby“ nämlich –, dann ist das die Wahrheit und nicht das, was Judt fabuliert. Wenn dann Cambridge University Press, einer der prestigeträchtigsten Verlage Großbritanniens, ein bereits veröffentlichtes Buch zurückzieht, weil ein saudi-arabischer Milliardär es beanstandet hat, dann werden Judts Behauptungen über die Einzigartigkeit der Israel-Lobby und ihren Einfluss noch fragwürdiger – denn diese angeblich so mächtige Israel-Lobby war nicht in der Lage, das Buch von Mearsheimer und Walt zu verhindern.

Tony Judt könnte sich mit der Frage beschäftigen, warum man keine Pauschalurteile über „Rassen“ und „Völker“ verbreiten sollte. Und er könnte zu dem Schluss kommen, dass die Israel-Lobby selbst für den Fall, dass sie ihre Kritiker tatsächlich zum Schweigen bringen will, dazu nicht wirklich fähig ist – wie ja sein eigenes hohes Ansehen und seine häufigen öffentlichen Stellungnahmen sowie beispielsweise die Verbreitung der Arbeiten von Mearsheimer und Walt zeigen. Die Geschichte lehrt – und das sollte der an einer Universität tätige Professor Judt wissen –, dass der Einsatz von Stereotypen über die „unheilvolle jüdische Macht“ und über deren „geheimen Einfluss“ – von denen Judt behauptet, wahr zu sein – schon in der Vergangenheit weit verbreitet war, obwohl diese Stereotypen falsch waren. Und dieser Einsatz hat zu bis dahin unvorstellbaren Gräueln geführt. Dies zu sagen, hätte natürlich die rhetorische Kraft seiner These geschwächt, aber einige der schädlichen Folgen seiner Behauptungen über Juden und die Israel-Lobby – die ihm nicht willkommen sein können – gemildert.

Doch Judt bevorzugt es, darüber zu schweigen, dass das, was er als Wahrheit behauptet, den Rassismus und den Antisemitismus bestärkt; solche Konsequenzen sind für den sich zum Weltbürgertum bekennenden Intellektuellen offenbar unwichtig. Wenn hingegen seine Kritiker das aussprechen, was sie als Wahrheit erkennen, dann schweigt Judt keineswegs. Zu viele Menschen erhöben Beschuldigungen gegen diejenigen, die Israel feindlich gesinnt sind, findet Judt. Und das degradiere den Holocaust, vergrößere den Antisemitismus und unterminiere die Bedingungen, die das Leben in der amerikanischen Republik lebenswert machten. Folgt man Judt, dann stärken die Juden – er erwähnt explizit die Anti-Defamation League (ADL) – also selbst den Antisemitismus, und sie bedrohen auch das Leben in den USA. Solche Ansichten sind sattsam bekannt, und Judt hat in der Tat Recht, wenn er denkt, dass er sich mit sehr unangenehmen Gefährten im Bett befindet.

In Wirklichkeit sagt er damit, dass seine Kritiker ihre eigenen Anschauungen zensieren sollen – den Hinweis auf Judts antisemitischen Bettgesellen eingeschlossen –, um nicht den Antisemitismus zu befördern. Wenn er hingegen selbst aufgefordert wird, seine Ansichten zu revidieren, damit der Judenhass nicht noch weiter wächst, empfindet er das als moralische Erpressung, als Zensur und als nicht zu tolerierende Attacke auf die kostbare akademische Freiheit. Damit entpuppt sich Tony Judt als jemand, der doppelte Standards anwendet. Zudem sagt er die Unwahrheit, wenn er behauptet, in den USA würden israelkritische Ansichten tatsächlich unterdrückt. Die Ansichten von ihm selbst, Norman Finkelstein, Noam Chomsky, John Mearsheimer und Stephen Walt werden nicht nur gehört, sie lösen sogar breite öffentliche Diskussionen aus. Wenn Judt behauptet, die Thesen dieser Wissenschaftler würden zum Schweigen gebracht, dann hat er keine Ahnung davon, was es bedeutet, wenn jemand wirklich wegen seiner politischen Ansichten mundtot gemacht wird. Als Historiker müsste er diesen Unterschied jedoch kennen.

Anmerkungen:
* Ich verwende dabei Gedankengänge von Eve Garrard, David Hirsh und Norman Geras.
(1) Herbert Müller-Guttenbrunner: Alphabet des anarchistischen Amateurs, Berlin 2007 (Matthes & Seitz), S. 193ff.
(2) Der frühere Ku-Klux-Klan-Anführer David Duke lebte von 2000 bis 2002 in Russland und in der Ukraine, wo er seine antisemitischen Theorien verbreitete. Im Dezember 2002 kehrte er zurück in die USA, wo er sich schuldig bekannte, während mehrerer Jahre, in denen er eine weiße Suprematie propagierte, seine Anhänger finanziell betrogen zu haben. Am 15. April 2003 trat er eine fünfzehnmonatige Haftstrafe an. Seit seiner Entlassung setzt er seine antisemitische Tätigkeit fort. Duke zollte Mearsheimer und Walt Anerkennung und behauptete, deren Arbeit bestätige viele seiner Behauptungen. Von einer obskuren ukrainischen Akademie erhielt er einen Doktortitel. Duke hielt zudem eine Ansprache auf der Teheraner Konferenz der Holocaustleugner im Dezember 2006 und wiederholte dort seine Thesen über den Zionismus und andere Themen; die in Europa wegen Holocaustleugnung inhaftierten Personen sind für ihn „Gelehrte und Forscher“.
(3) Norman G. Finkelstein ist ein amerikanischer Politologe, dessen Arbeitsvertrag 2007 von der katholischen DePaul-University in Chicago nicht verlängert wurde. Finkelstein griff in der Folge einige seiner Kollegen an der Universität physisch an. In seiner bescheidenen Art erklärte er zu seinen Kämpfen um seinen Posten: „Ich werde während der letzten paar Wochen als Märtyrer besetzt“ und „Vor 2000 Jahren hat das ein anderer Jude mit gemischten Ergebnissen versucht“. Mit Finkelstein erhält die bei Antisemiten beliebte These akademische Weihen, Holocaust-Überlebende und jüdische Eliten machten mit der Erinnerung an die Vernichtung der europäischen Juden ein großes Geschäft. Zudem sei es ja ein jüdischer Akademiker, der dies nun behaupte. So kann die These von der „Holocaust-Industrie“ auch im Medien-Mainstream reüssieren. Dadurch bestärkt, macht sich die extreme Rechte weitere Hoffnungen, preist Finkelstein als „jüdischen David Irving“, und wenn sie auch vergeblich darauf warten wird, dass Finkelstein zur Holocaustleugnung übergeht, so kann sie doch erfreut beobachten, wie die Erinnerung an die Shoa weiter abgewehrt wird. Finkelsteins Bücher über die „Holocaust-Industrie“ waren Bestseller in Deutschland und Österreich.
(4) Arthur Koestler (geboren 1905 in Ungarn, gestorben 1983 in England) war ein britischer Schriftsteller und Journalist, der 1940 mit seinem in 30 Sprachen übersetzten Roman Sonnenfinsternis schlagartig bekannt wurde. Darin schilderte er die Geschichte eines alten Bolschewisten, der dazu gebracht wird, Verbrechen zu gestehen, die er nie begangen hat. Koestler rechnete in seinem Buch mit den Praktiken der Kommunistischen Partei ab. Er studierte an der Universität Wien, ging aber 1926 als überzeugter Zionist nach Palästina. Nach kurzem Aufenthalt in einem Kibbuz wurde er Korrespondent des Ullstein-Verlags im Nahen Osten. Er wurde wie viele andere Intellektuelle Mitglied der KPD. Während des Bürgerkriegs in Spanien arbeitete er als Korrespondent der britischen Tageszeitung News Chronicle und wurde von Faschisten gefangen genommen. Koestler, der ab 1940 in englischer Sprache schrieb, wurde 1948 britischer Staatsbürger. Er schrieb auch populärwissenschaftliche Bücher, darunter auch ein sehr umstrittenes über die Ursprünge des jüdischen Volkes. Später erkrankte er an Leukämie und an der Parkinsonschen Krankheit und beging als Anhänger der selbstbestimmten Euthanasie mit seiner Frau Cynthia Selbstmord.

3.1.08

Kabarette sich, wer kann!

Vorweg: Das deutsche Kabarett ist sterbenslangweilig. Es ist angepasst und bieder, ideenlos und zotig. Seine Protagonisten versuchen, ihre mangelnde Originalität durch allerlei Getöse wett zu machen, stets im fieberhaften Bemühen, dem Publikum das zu verabreichen, was es ohnehin schon kennt und gewöhnt ist. Bloß keine Experimente, nur kein unpopulärer Einfall! Noch jeder mit viel Aufwand gezündete Witz entpuppt sich so als kläglicher Rohrkrepierer, denn was die Kabarettisten für avantgardistischen und subversiven Humor halten, ist in Wirklichkeit der konformistische Frohsinn eines Mainstreams, der gar nicht genug bekommen kann von den immer gleichen Schenkelklopfern über Bush und Merkel, die Gesundheitsreform und die „Heuschrecken“. Was sich als Reflexion ausgibt, transportiert doch nur das so geläufige wie beliebte Ressentiment, und deshalb weist sich das schadenfrohe Lachen des Publikums als Gesinnung aus, deren ach so kritische Träger die Bestätigung des eigenen Weltbildes mit nachgerade infantiler Freude quittieren.

So ist es längst auch beim Scheibenwischer, der 1980 erstmals ausgestrahlten und wohl immer noch bekanntesten Kabarettsendung im deutschen Fernsehen. Zwar ist deren Programmplatz seit dem Ausscheiden ihres Gründers und Mentors Dieter Hildebrandt nicht mehr so prominent wie früher, aber die sozialdemokratische Show erfreut sich weiterhin nicht unbeträchtlicher Sympathien, und wer dort auftritt, kann von sich behaupten, den Durchbruch geschafft zu haben. Hagen Rether (Foto) ist so einer von denen, die von Hildebrandt und seinen Erben geschätzt werden; seit zwei Jahren darf er sogar bei der Gala zum jeweiligen Jahresende auf der Bühne seine Ansichten zu den Weltläuften kund tun: 2005 versuchte er sich an einer moralingeschwängerten Umdichtung des Vaterunsers, 2006 an einer bestenfalls effektheischenden Grass-Kritik, und vor wenigen Tagen ging es schließlich um die angeblich grassierende „Islamophobie“.

Mit Kabarett hatte das, was der 38jährige dabei bot, wenig zu tun; eher schon hielt er eine politische Kampfrede, in der er die derzeitige Situation der Muslime in Deutschland mit der Lage der Juden kurz vor der Machtübertragung an Adolf Hitler verglich. „Heute möchte ich mich ganz kurz mal einem aktuellen Lieblingsspiel der Deutschen widmen“, eröffnete Rether seinen Vortrag, „‚Schlagt den Moslem’“ heiße es, denn „Moslem-Bashing“ sei „total angesagt“. Eine „gesamte Religion“ werde nämlich „in Sippenhaft genommen“, behauptete der Mann mit dem Pferdeschwanz, der vom Unterschied zwischen Sippenhaft und Sippenhaftung – also dem zwischen Gefängnis und der Verpflichtung zur Begleichung einer Schuld – gewiss schon einmal gehört hat, ihn aber offenbar nicht so wichtig findet. Denn die Botschaft lautete: „Wir haben einen neuen Sündenbock“ – und man muss den alten nicht erwähnen, um zu behaupten, dass die Muslime sozusagen die Juden von heute sind.

Zwar mühen sich ausnahmslos alle etablierten Medien damit, den Islam vom „Islamismus“ und die (angeblich oder tatsächlich) friedlichen von den terroristischen Muslimen zu trennen; zwar beruft der Innenminister „Islam-Konferenzen“ ein, von denen dezidierte Kritiker der selbst ernannten Religion des Friedens ausgeschlossen bleiben; zwar wird allenthalben vor einem „Generalverdacht“ gegen die Anhänger des Propheten gewarnt und auf die kulturellen Leistungen des Islams hingewiesen – aber einen wie den Rether ficht das nicht an, im Gegenteil: „Mit der Verzögerung von ein paar Jahren, wie immer, stehen wir jetzt genau da, wo die Amis vor ein paar Jahren standen, nach dem 11. September: komplett paranoid“, urteilte er. „Wir haben aber vor dem Anschlag schon Angst, wir haben Präventiv-Paranoia. Wir haben vorauseilende Angst.“ Als Beleg für seine These dienten ihm vor allem ein paar Spiegel-Titelbilder, die allesamt eine schwarze Hintergrundfläche aufwiesen, was nur einen Schluss zulasse: „Das Gift der Angst wirkt, und die Giftmischer von Bush bis bin Laden haben unsere Hirne und unsere Herzen taub gemacht.“

Rether merkte entweder gar nicht, welches antisemitische Klischee er da bediente, oder er nahm es bewusst in Kauf; die letztgenannte Möglichkeit ist bei einem, der Israel auch schon mal als „ganz normalen Apartheidstaat“ bezeichnet, zumindest nicht auszuschließen. Darüber hinaus zeugen seine in Deutschland und Europa so beliebte Gleichsetzung des Al Qaida-Führers mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten und die Unterstellung, in den USA regiere seit 9/11 der nackte Wahn, von einem stupenden Antiamerikanismus, der für Rethers Programm allerdings elementar ist. Im Stile eines Redners auf dem evangelischen Kirchentag fuhr er schließlich fort: „Europa steht da, gelähmt vor Angst. Die Hosen voll und die Köpfe leer.“

Und dann wurde der Komiker allmählich persönlich: „Der Henryk M. Broder, der hat sogar schon kapituliert“, missglückte ihm seine Anspielung auf ein Buch des Journalisten, das er ganz offensichtlich gar nicht gelesen hat: „Ja, vor wem denn? Vor seiner türkischen Putzfrau? Oder vor seinem indischen Hausarzt?“ Dass genau die weder von Broder noch von irgendwem sonst als Problem empfunden werden (und Inder außerdem eher selten dem Islam angehören), könnte Rether wissen, wenn er es denn wissen wollte – doch wichtiger war und ist ihm etwas ganz anderes: „Wir brauchen viel weniger, viel weniger von diesen Spaltern, wir brauchen nicht noch mehr Scharfmacher, wie brauchen noch mehr Dialog.“ Denn: „Die Scharfmacher haben uns nach Afghanistan gebracht. Die Scharfmacher machen dauernd Krieg.“ Die „Scharfmacher“, das sind in dieser kindlichen Logik all jene, die die Zumutungen des Islams nicht einfach hinnehmen wollen und die dabei durchaus nicht alle Muslime für Terroristen halten, aber wissen, dass in den letzten Jahren fast alle Terroristen Muslime waren.

Doch Hagen Rether ist ein Appeaser vor dem Herrn, und deshalb bekam nach Broder auch Ralph Giordano sein Fett weg. Der habe sich nämlich „verrannt in einer bitteren, einseitigen Polemik, der ist so randvoll vor Wut vor dem Islam, dass er mittlerweile Applaus von den Nazis kriegt“. Dass der Schriftsteller sich mit letzteren, vor allem mit deren Kölner Vertretung, heftig angelegt hatte„Wenn die zeitgenössische lokale Variante des Nationalsozialismus könnte, wie sie wollte, würde sie mich in eine Gaskammer stecken“ – und außerdem von Islamisten mit dem Tode bedroht wurde, war für den Kabarettisten nicht der Rede wert. Denn der will vor allem „’ne differenzierte Debatte“, die aber ständig sabotiert werde: „Wenn du dich um Dialog bemühst und um Integration, dann wirst du sofort abgewatscht“ – von wem, wird nicht näher ausgeführt –, „‚Sozialromantik’ und ‚Multi-Kulti-Kuschelkurs’, abgekanzelt, Ende.“ Dabei seien diese Optionen eine schiere Selbstverständlichkeit: „Ja sicher Multi-Kulti-Kuschelkurs! Was denn sonst? Prügelkurs? Gibt’s ’ne Alternative zum Kuschelkurs?“ Natürlich nicht – und zwar deshalb: „Die Alternative zum Kuschelkurs, die können wir seit zwanzig, dreißig, vierzig Jahren im Nahen Osten uns angucken.“ Wo die Israelis partout nicht kuscheln wollen, obwohl ihnen ihre muslimischen Nachbarn schon seit Jahrzehnten geduldig zeigen, wie friedliebend der Islam ist.

Wie auch immer: „Es wird nur noch tendenziös und einseitig über den Islam berichtet, über die gesamte Religion, mit dem Bade alles ausgeschüttet“, befand Rether mit bemerkenswerter Weltfremdheit, um schön langsam zum Finale zu kommen: „Und dann noch ’ne Prise Zwangsheirat und ’ne Prise Ehrenmord, und dann haben wir den bösen Moslem. Wir backen uns einen Feind, zugeschaut und mitgegraut.“ Dabei sei doch alles gar nicht so schlimm mit diesen Ritualen: „Ehrenmord! Ehrenmord gibt’s bei uns ewig schon, immer haben wir Ehrenmorde. Das heißt bei uns bloß anders: Familiendrama heißt das, und das gibt’s bei uns an Weihnachten.“ Da klatschte das linksliberale Publikum, denn es weiß aus eigener Erfahrung: Der Heiligabend ist so eine Art christlicher Djihad, zu dem landauf, landab im Anschluss an den Konsumterror geblasen wird, sobald die Socken nicht passen oder die Krawatte das falsche Muster hat. Dankbar für den Applaus, schickte Rether gleich noch ein paar gute Ratschläge hinterher: „Aber hallo! An der eigenen Nase packen! Ja sicher! Mal an die eigene Nase packen. Wir müssen mal uns um den Balken im eigenen Auge endlich kümmern, aber man sieht den so schlecht, weil da ja halt der Balken drauf ist, und da kannste schlecht gucken mit dem Balken im Auge auf den eigenen Balken, das funktioniert nicht.“

Apropos Balken: „Der Wallraff will Fundamentalisten kennen lernen?“, fragte das Kabarett-Sternchen mit Bezug auf den längst stornierten Plan des Journalisten, die Satanischen Verse Salman Rushdies in der geplanten Kölner Großmoschee vorzulesen. „Dann soll er mal versuchen, von Monty Python ‚Das Leben des Brian’ im Kölner Dom vorzuführen. Da kann er Fundamentalisten kennen lernen“, weissagte Rether – als ob Katholiken allen Ernstes mit Morddrohungen oder Fanalen auf diesen Film reagieren würden, der längst zu einer Art Kulturgut geworden ist. Doch Rether ist ein Meister des unpassenden Vergleichs, und so kommentierte er schließlich auch den Spiegel-Titel „Der Koran – das mächtigste Buch der Welt“ mit einer schrägen Analogie, diesmal wieder zum Nationalsozialismus: „Wir hatten hier schon mal ’ne Zeit in Deutschland, wo man Bücher für gefährlich hielt“ – nur waren das gerade nicht die, in denen Juden als „Affen“ und „Schweine“ verunglimpft werden. Aber egal: „Wehe uns, wenn hier demnächst die Moscheen brennen!“, warnte Rether, offenbar in Erwartung einer neuerlichen Pogromnacht, diesmal gegen muslimische Einrichtungen.

Und so bekommt die angebliche „Islamophobie“ unversehens den gleichen Stellenwert wie ehedem der Antisemitismus, wobei zwangsläufig alles ausgeblendet werden muss, was dieser Parallelisierung im Weg steht: die Anschläge in New York, Madrid und London genauso wie die Selbstmordattentate, der Raketenbeschuss und die Vernichtungsdrohungen gegen Israel; der Expansionsdrang des Islams genauso wie die durch ihn legitimierte massive Unterdrückung von Frauen und der mörderische Terror gegen Homosexuelle, Nichtgläubige, Aussteigewillige und politische Gegner; der obsessive islamische Judenhass genauso wie die islamische (Selbst-) Versagung von allem, was auch nur entfernt nach Lust, Hedonismus oder gar Dekadenz aussieht. Der „Kuschelkurs“, den Hagen Rether so vehement einfordert, ist letztlich die Kapitulation vor den Zumutungen des Islams, der eben nicht nur eine Religion ist wie andere auch, sondern eine politische Ideologie, die konsequent auf völlige Unterwerfung und Beherrschung zielt und die Gesellschaft bis in ihre letzten Poren zu durchdringen trachtet.

Für sein Tun ist Hagen Rether in Deutschland übrigens schon reichlich dekoriert worden, unter anderem mit dem Passauer Scharfrichterbeil, dem Bayerischen Kabarettpreis und dem Sprungbrett. Am 10. Februar kommt nun der Deutsche Kleinkunstpreis hinzu, die wichtigste Auszeichnung für Kabarettisten. Aber das ist nur folgerichtig – denn hierzulande wusste man schon immer, wem man Orden umzuhängen hat. Kabarette sich, wer kann!