28.8.08

Goethe in Palästina

Da staunt der Fachmann, und der Wunde laiert sich: Ab der kommenden Woche gibt es tatsächlich zehn jeweils 26-minütige Episoden einer „palästinensischen Lindenstraße“, initiiert und mitproduziert vom deutschen Goethe-Institut in Ramallah. Dessen Leiter Farid Majari erklärt ganz unbescheiden:Mit der Serie wollen wir Tabus in der palästinensischen Gesellschaft berühren.“ Sehen wir demnächst also schwule und lesbische, seitenspringende, anarchistische, abtreibende und aidskranke Palästinenserinnen und Palästinenser? Oder gar welche, die – horribile dictu – Juden mögen? Wer wird die palästinensische Mutter Beimer? Wer der palästinensische Carsten Flöter? Und wer ist eigentlich der palästinensische Hans W. Geißendörfer? Doch gemach. „Matabb“ heißt die Serie, was übersetzt so viel bedeutet wie „Verkehrsberuhigungsschwelle“. Dieser Titel sei eine Metapher, schreibt Thorsten Schmitz im jetzt-Magazin der Süddeutschen Zeitung; mit ihm sei „das emotionale Auf und Ab der Serienhelden gemeint und ihr schwieriger Alltag in einem von Israel kontrollierten Gebiet, aus dem irgendwann einmal ein eigenständiger Staat entstehen soll“. Aha. Dennoch gehe es nicht um „heldenhafte Freiheitskämpfer und Märtyrer“, wie Juliane von Mittelstaedt auf Spiegel Online versichert, sondern um „Karrieresorgen, Schulprobleme und Ehekrisen“. Mit einer Ausnahme allerdings: In jeder Folge gebe es „eine Checkpoint-Szene“. Das sei jedoch „nicht weiter schwierig“, denn „wegen der hohen Nachfrage“ – mutmaßlich vor allem von ausländischen Journalisten, die „authentische“ Bilder zeigen wollen – „hat sich in Ramallah ein Checkpoint-Verleih etabliert, mit einem ausgemusterten Armeewagen, Originaluniformen und Spielzeugwaffen“.

„Der Alltag also“, wie von Mittelstaedt befindet, weshalb „Matabb“ auch in einer NGO spiele, „denn Ramallah hat die vermutlich höchste NGO-pro-Kopf-Dichte der Welt“. Die in der Serie heiße „Palestinian Initiative for the Advancement of Art, Culture and Development in Palestine“ („Palästinensische Initiative zur Förderung der Kunst, Kultur und Entwicklung in Palästina“), „allein über den Namen können sich Palästinenser vermutlich schon totlachen“. Und ganz sicher nicht nur die Palästinenser. Zu den Hauptcharakteren der Seifenoper gehören unter anderem „der für Frieden und Verständigung werbende Ex-Freiheitskämpfer“ – vulgo: ein Terrorist, der die „Befreiung Palästinas“ von den Juden jetzt über das „Rückkehrrecht“ erzwingen will – und „die junge Mitarbeiterin Samira, deren Bruder sie wegen einer angeblichen Affäre töten will“. Aber keine Sorge: Es geht gar nicht um „Ehrenmorde“, sondern nur um „eine verliebte Kopftuchträgerin, die von einem Hallodri in seine Wohnung gelockt wird, aus der sie jedoch jungfräulich fliehen kann“. Puh.

Viele Diskussionen habe es um Majaris Vorschlag gegeben, „die Rolle einer ‚guten Israelin’ in den Plot einzuweben“, berichtet Thorsten Schmitz: „Ihm schwebte ein Charakter nach Art von Amira Hass vor, der israelischen Reporterin, die für die Tageszeitung Haaretz aus den Palästinensergebieten berichtet und die einzige israelische Journalistin ist, die im Westjordanland lebt. Doch es hagelte Einspruch. Man wollte nicht eine israelische Rechtsanwältin in der Serie haben, die als ‚Retterin von oben’ einen inhaftierten Palästinenser aus einem israelischen Gefängnis befreit, ‚als könnten die Palästinenser sich nicht selbst helfen’. Jetzt gibt es zwar doch eine israelische Anwältin, Schlomit heißt sie, gespielt von einer Palästinenserin. Aber sie ist nicht perfekt. Im Lauf der zehn Episoden muss sie lernen, dass sie mit ihrer bevormundenden Art die Palästinenser brüskiert. Am Ende gelingt es ihr dann, sich mit Sanftmut in die Gemütslage der Palästinenser hineinzuversetzen, allen Hemmschwellen zum Trotz.“ Hätten die Macher der Soap doch bloß Felicia Langer gefragt, den Inbegriff einer „guten Israelin“! Die versetzt sich in palästinensische „Gemütslagen“ nämlich so was von sanftmütig hinein, dass es ohne Zweifel gar nicht erst zu derartigen Debatten gekommen wäre.

Der mörderische Kampf zwischen Hamas und Fatah wird in „Matabb“ übrigens komplett ausgespart – mit der Begründung, er sei „zu unübersichtlich“ –, und es kommen auch keine Homosexuellen, keine Kuss- und keine Sexszenen vor, denn „das ginge dann doch zu weit“, meint Farid Majari. Schließlich hätte der unter Mahmud Abbas’ Führung stehende palästinensische Fernsehsender sonst die Ausstrahlung verweigert. Dafür gibt es aber „Mutter Beimer, die hier Suhaila heißt, Kopftuch trägt, Zwiebeln anbaut und ansonsten das Büro putzt“. Über Suhaila heißt es im Drehbuch, sie repräsentiere „jene, die die Last des palästinensischen Befreiungskampfes tragen“. Indem sie nämlich ihren Männern und Söhnen, die Raketen auf Sderot schießen oder sich in Selbstmordattentäter verwandeln, den Rücken frei halten. Das steht allerdings nicht im Drehbuch; Majari zieht es stattdessen vor, derlei „Women Empowerment“, „Body and Culture“ und „Alltagsleben unter der Besatzung“ zu nennen. Denn das klingt nicht so nach Mutterkreuz, sondern irgendwie fortschrittlicher, nicht nach dem „Verein zur Förderung des Deutschtums im Ausland“, sondern eben: nach dem Goethe-Institut in Ramallah. Wenn das der Dichter gewusst hätte!

„Gecoacht“ wurden Majari und der Regisseur George Khleifi von Gesine Hirsch und Christine Koch, die als so genannte Head writers bei der bayerischen TV-Serie „Dahoam is Dahoam“ arbeiten, auf Hochdeutsch: Daheim ist daheim. Und das passt dann ja auch wie der Arsch auf den Eimer.

Foto: „Checkpoint-Szene“ aus „Matabb“ – Einen herzlichen Dank an Mona Rieboldt und barbarashm für wertvolle Hinweise.

26.8.08

Wenn dat Trömmelsche jeht

Sage niemand, in Bonn wäre nach dem Wegzug von Regierung und Parlament nichts mehr los. Zwar hat das „Bundesdorf Ohne Nennenswertes Nachtleben“, wie Spötter die vormalige westdeutsche Hauptstadt ausbuchstabieren, inzwischen einiges an öffentlicher Aufmerksamkeit eingebüßt. Doch es braucht gar keine Bundestagssitzungen und Großdemos auf der Hofgartenwiese, denn auch so spielt sich in ihm manches ab, das durchaus einer Erwähnung würdig ist. Am kommenden Freitag beispielsweise heißt es dort: „Wir feiern Palästina“. „Palästina“, das sind nämlich nicht nur die Friedensfreunde von der Hamas, nicht nur die bunten „Neujahrsraketen“ (Norman Paech) auf Sderot und nicht nur die heldenhaften Kämpfe gegen den zionistischen Aggressor. „Palästina“, das ist außerdem „eine reiche Kultur mit Kunst und Literatur, Musik und Tanz, Handwerk, Olivenbäumen, Garten- und Weinbau“. „Diese Kultur“, so versprechen es die Veranstalter, „wollen Palästinenserinnen und Palästinenser und ihre Freunde bei unserer Veranstaltung auf dem Bonner Münsterplatz zeigen“. Und sie wollen – in aller Bescheidenheit – natürlich noch ein bisschen mehr: „Gleichzeitig geht es um die Forderungen nach einem gerechten Frieden, dem Ende der israelischen Besatzung und dem Rückkehrrecht in ihre Heimat.“ Potztausend.

Dementsprechend ist das Programm dann auch eine so klebrige wie olle Kamelle mit den Zutaten Folklore & Propaganda: Ansprachen zu „60 Jahren Nakba“, zur „Solidarität mit Palästina“ und zur „Zerstörung arabischer Dörfer in Israel und Palästina“ werden umrahmt von den Darbietungen eines „Deutsch-arabischen Kinderorchesters“, von der „Palästinensischen Trachten-Show des Deutsch-Palästinensischen Frauenvereins“ und vom global höchst populären „Dabka-Tanz“. Das Ganze atmet also schwer den Geist und die Atmosphäre der Jahrestreffen deutscher Vertriebenenverbände, und dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man einen Blick auf die beiden Ausstellungen wirft, die es im Vorfeld der Palästinaparty und im Anschluss an sie gibt: „Bilder und Texte an Mauern“ heißt die eine, „Die Nakba, Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948“ die andere; zu sehen sind sie im „Internationalen Frauenzentrum“ respektive in der „Evangelischen Trinitatiskirche“. Klangvollere Orte organisierter Freudlosigkeit hätten sich kaum finden können. Noch Fragen? Dann bitte schreiben an: nakba@frieden-bonn.de. Das ist kein Scherz, sondern die Kontaktadresse.

Übrigens wäre es für die Feierrunde gewiss ein echtes Highlight, wenn das zurzeit am Hafen von Gaza parkende Narrenschiff am Bonner Rheinufer anlegen und seine, jawohl, Besatzung auf den Münsterplatz entsenden würde. Das werden Zeit und Umstände allerdings nicht zulassen. Vielleicht reicht es aber wenigstens für eine kurze Grußbotschaft von Ismail Haniya, dem Hamas-Führer, der die „Free Gaza!“-Freaks so überschwänglich willkommen hieß. Und falls nicht, bleibt immer noch die Option einer der Fête folgenden Solidaritätsfahrt auf der Köln-Düsseldorfer. An Bord können das „Deutsch-arabische Kinderorchester“ sowie der „Deutsch-Palästinensische Frauenverein“ dann noch mal richtig loslegen und die anwesende Gesellschaft begleiten, wenn diese aus vollem Halse grölt: „Wir lagen vor Palästina / und hatten die Pest an Bord.“ Fehlt nur noch ein „Dabka-Tanz“, um endgültig für ausgelassene Karnevalsstimmung zu sorgen. Aber das sollte das kleinste Problem sein. In diesem Sinne: Bonn Allah(f) und Ramallahmarsch!

Foto: Palästinenser in traditionellen Trachten beim Ausdruckstanz, hier in Gaza, Mai 2008. Karnevalsunkundige klicken für eine Erläuterung der Überschrift dieses Beitrags bitte hier.

23.8.08

Tochterunternehmen

Im Grunde kann man es kurz machen: Trüge Evelyn Hecht-Galinski nicht den Nachnamen ihres Vaters in ihrem eigenen, dann würde ihr fraglos weit weniger Aufmerksamkeit zuteil, als das seit geraumer Zeit – und derzeit in besonderem Maße – der Fall ist. Aber als Tochter des vor 16 Jahren verstorbenen Vorsitzenden des Jüdischen Gemeinde Berlins und Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, der Auschwitz, Buchenwald und Bergen-Belsen überlebt hat, ist sie ein Zugpferd für die Medien. Sie weiß das selbst am besten: Nicht ohne Grund stellt sie sich stets als „die Tochter von Heinz Galinski“ vor. Der Name alleine macht es allerdings nicht; es sind die Positionen zu Israel, die sie vertritt und die mit ihrem prominenten Namen verknüpft werden – von den Medien und von ihr selbst. Diese Positionen lassen sich ohne große Vereinfachung so zusammenfassen: Israel treibt es mit den Palästinensern wie die Nazis mit den Juden – wenn nicht sogar schlimmer –, die Juden sind also selbst schuld am Antisemitismus, die Welt schaut weg, und am Schlimmsten ist es in Deutschland, wo ein Kartell aus Israel hündisch ergebenen Politikern, sinistren Israel-Lobbyisten und willfährigen Mediencliquen verhindert oder verhindern will, dass der jüdische Staat für seine Schandtaten verurteilt wird, und jeden zum Antisemiten stempelt, der eine solche Verurteilung befürwortet. Ganz im Ernst: Wer nicht versteht, was an solch gefährlichem Unfug antisemitisch ist – gleich, vom wem er stammt –, dem helfen auch langatmige Erklärungen nicht weiter.

Dass Hecht-Galinski (Foto) ihre Ansichten hierzulande gar nicht mal so selten in Leserbriefen und auf Veranstaltungen ausbreiten darf, hat einen Grund: Man druckt, liest und hört sie gerne, weil man sich bestätigt fühlt und weil sie eine prima Kronzeugin für die eigenen Ressentiments gegenüber Israel und den Juden abgibt. Zum Repertoire des Antisemitismus gehört es dabei wesentlich, sich von den Juden verfolgt zu fühlen – und deshalb spricht Hecht-Galinski ihren Fans aus dem Herzen, wenn sie sich über eine proisraelische „Zensur“ ereifert, die jegliche Kritik an Israel unterbinde und unter Strafe stelle. Dass sie aber gar keine große Mühe hat, öffentlich vernommen und beklatscht zu werden, versteht die Tochter aller Töchter nicht etwa als elementaren Widerspruch zu ihren Thesen und nicht als Ausdruck einer doch ziemlich präsenten, weil allseits beliebten „Israelkritik“. Vielmehr begreift sie sich als todesmutige Streiterin wider den zionistischen Konsens in Deutschland, als heldenhafte Kritikerin Israels – und das funktioniert nun mal am besten, wenn man das Tabu erst selbst erfindet und es danach unter lautem Getöse und großer Anteilnahme des Öffentlichkeit bricht. So geschehen in zahllosen Zuschriften an die FAZ, den Stern und die Süddeutsche, so geschehen in diversen Interviews mit der taz und dem Deutschlandfunk, so geschehen auch in der WDR-Radiosendung Hallo Ü-Wagen! am 3. Mai dieses Jahres.

Der dortige Auftritt der Berufstochter veranlasste Henryk M. Broder, an die Intendantin des WDR, Monika Piel, eine E-Mail zu richten, in der er unter anderem schrieb: „Jeder Kölsche Jeck mit zwei Promille im Blut würde sogar an Weiberfastnacht erkennen, dass Frau Hecht-Galinski eine hysterische, geltungsbedürftige Hausfrau ist, die für niemanden spricht außer für sich selbst und dabei auch nur Unsinn von sich gibt. Ihre Spezialität sind antisemitisch-antizionistische Gedankenlosigkeiten, die zur Zeit mal wieder eine kurze Konjunktur haben.“ Seine Mail und Piels Antwort veröffentlichte Broder anschließend auf der Achse des Guten, woraufhin Hecht-Galinski gerichtlich klagte: Ihr – abgrundtief gehasster – Kontrahent möge sie nicht länger eine Antisemitin nennen dürfen. Und sie bekam zunächst Recht: Broder musste das Wort „antisemitisch“ unkenntlich machen. Daraufhin kam es vor kurzem zur Verhandlung vor einem Kölner Gericht, zu der nur Broder erschienen war. Den Vergleichsvorschlag des Anwalts von Evelyn Hecht-Galinski lehnte er ab; nun wird am 3. September das Urteil gesprochen.

Die Causa stieß in den Medien auf reges Interesse; am vergangenen Donnerstag druckte die FAZ sogar einen ausführlichen Kommentar dazu. „Was darf eine Jüdin in Deutschland gegen Israel sagen?“, lautete die einigermaßen reißerische Überschrift, unter der Patrick Bahners eine Suada ins Werk setzte, bei der selbst hartgesottene Antizionisten feuchte Augen bekamen. „Der Antisemitismusvorwurf eignet sich zum moralischen Totschlag“, hieß es darin unter anderem – eine erstklassige Exkulpation der Judenhasser: Nicht vom mörderischen Antisemiten soll nämlich die Rede sein, sondern von demjenigen, der ihn als solchen bezeichnet. Denn dessen vermeintliche Allmacht muss gebrochen werden, bevor noch Schlimmeres passiert: „Wer die Beschreibung eines Gegners als eines Antisemiten durchsetzen kann, hat ihn aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen.“ Offenbar ist es für Bahners also geradezu ein Super-Gau, wenn die Judenfeinde und ihre Propaganda ins gesellschaftliche Abseits gestellt werden. Wer diesen Gau beabsichtigt? Henryk Broder natürlich: „Seine preisgekrönte publizistische Strategie der verbalen Aggression nutzt den Spielraum der Meinungsfreiheit, um ihn einzuschränken: Kritiker Israels sollen eingeschüchtert werden.“

Im Klartext: Nach Ansicht des FAZ-Schreibers ist Broder ein Antidemokrat, der die Demokratie für seine Zwecke missbraucht, um andere in Angst und Schrecken zu versetzen, und dafür auch noch Auszeichnungen wie den Börne-Preis bekommt. Das Weblog Hedonistische Mitte brachte diese Rabulistik treffend auf den Punkt: „Eine ‚Strategie’ nennt man die Anwendung der Sprachmittel des politischen Journalismus womöglich nur bei Juden, die dafür auch noch Preise erhalten – und trotzdem nicht die ‚aggressive’ Klappe halten. Denn so, wie Israel im Krieg gegen den Libanon stets ein ‚Aggressor’ war, weil es seine dorthin entführten Soldaten zurückhaben wollte, so ist natürlich der Jude ‚aggressiv’, der Antisemiten widerspricht. Und schlimmer noch: er ‚nutzt’ den ihm nach Fünfundvierzig gütig eingerichteten ‚Spielraum der Meinungsfreiheit’, um seine staatsschädigende, demokratiefeindliche Wirkung zu entfalten. So und nicht anders steht es in Bahners’ Text: Broder schränkt die Meinungsfreiheit in Deutschland ein, indem er eine israelsolidarische Meinung formuliert! Indem er den dummen und zynischen Vergleich des Nationalsozialismus mit dem Staat Israel, den ein Feuilletonchef der FAZ wohlwollend hinnimmt, als ‚antisemitische und antizionistische Aussagen’ bezeichnet, dadurch also beraubt Broder die Demokratie in Deutschland? Das deutet auf ein ungutes Verständnis von deutscher Demokratie als einen Raubtierkäfig hin, in dem die Dompteure die Staatsfeinde sind.“

Ausgesprochen befremdlich ist auch Bahners’ (Nicht-) Verständnis des Antisemitismus: Bei den Hecht-Galinski „vorgehaltenen Äußerungen handelt es sich nicht um Sätze des Typus, die Juden seien ja alle geldgierig“, befand er; „es geht ausschließlich um Kommentare zur israelischen Politik und zu deren Verteidigern“. Damit offenbarte er eine bemerkenswert schlichte Weltsicht, deren Begriff vom Judenhass irgendwo in den dreißiger und vierziger Jahren hängen geblieben ist und vom sekundären Antisemitismus – den der israelische Psychoanalytiker Zvi Rex einst in dem markanten Satz „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen“ reflektierte – genauso wenig etwas wissen will wie vom antisemitischen Charakter des Antizionismus und der „Israelkritik“. Der unsägliche und jeder Grundlage entbehrende Vergleich des jüdischen Staates mit dem nationalsozialistischen Deutschland, wie ihn Evelyn Hecht-Galinski mehrfach angestellt hat, er ist für Bahners nur ein allemal legitimer „Kommentar zur israelischen Politik“. Und wer das, wie Broder, anders sieht, begeht „moralischen Totschlag“. So einfach ist das. Dabei verhält es sich genau umgekehrt: Jeder Gewissenlose wird beim Anblick eines Juden an seine Gewissenlosigkeit erinnert, und er wird keine Ruhe finden, bis der letzte Jude, der ihn daran erinnern könnte, nicht mehr ist. Die „israelkritischen“ Juden, sie kommen allenfalls ein bisschen später dran.

War es nicht die FAZ, die seinerzeit den Vorabdruck von Martin Walsers Tod eines Kritikers stoppte, weil sie erkannte, dass eine Romanfigur die antisemitische Karikatur Marcel Reich-Ranickis ist? Was macht Evelyn Hecht-Galinski besser als den Dichter vom Bodensee? Will der FAZ-Feuilletonchef, wie Thekla Dannenberg im Perlentaucher vermutete, „nur festlegen, wer die Keule schwingen darf und zu welchem Zweck?“ Offenbar verhält es sich so – zur allgemeinen Zufriedenheit der FAZ-Leser übrigens: Endlich sagt’s mal jemand! Demnach sind also die Antisemitismuskritiker eine Gefahr für die (deutsche) Demokratie und nicht die Antisemiten. Sie sind es, die zum Schweigen gebracht werden sollen, notfalls mit gerichtlichen Mitteln. Und mit den Mitteln der „Zeitung für Deutschland“, die unter Berufung auf „Stimmen aus der israelischen Friedensbewegung“ noch den Vergleich der „Einzäunung des Westjordanlands“ mit dem Warschauer Ghetto für diskutabel hält. Denn wie hatte es Evelyn Hecht-Galinski formuliert? „Ghetto ist heute ein gebräuchlicher Begriff, das betrifft die Vorstädte, das betrifft amerikanische Ghettos, das ist ein normaler Begriff.“ Gut, dass ihr Vater das nicht mehr gehört hat.

Herzlichen Dank an Urs Schmidlin für wertvolle Hinweise. – Lesetipp: Heinz Gess, Quälgeister der Schuldabwehr (PDF-Datei)

19.8.08

Ghetto-Kids on tour

Schon mal von Fred Schlomka gehört? Eldad Brin? Oder Torsten Teichmann? Kein Problem: Der erste ist Tourismusveranstalter, der zweite Reiseführer und der dritte Hörfunkreporter, allesamt in Israel. Teichmann hat Schlomka und Brin bei ihrer Arbeit begleitet, das heißt: Er ist „mit dem Bus durch Ost-Jerusalem“ gereist. Aus seinen auf diese Weise gewonnenen Erkenntnissen hat er anschließend einen Radiobeitrag für die ARD gebastelt. Es seien „ungewohnte, extreme Eindrücke“, die man auf dieser Fahrt „ins Westjordanland und entlang des israelischen Sperrwalls“ sammeln könne, befand er. Aber genau das sei auch das Anliegen von Fred Schlomka, der „nicht weniger als den Verlauf der Dinge in Nahost verändern“ wolle. Um es in Schlomkas eigenen Worten zu sagen: „Letzten November hatte ich im Internet entdeckt, dass eine Gruppe der Siedler Touren ins Westjordanland anbot. Deren Absicht ist es, Israelis zu werben, die Häuser in den Siedlungen kaufen – und ausländische, jüdische Touristen sollen dort auch investieren. Das hat mich geärgert. Und dann dachte ich: Was die können, kann ich auch.“ Und zwar schon lange.

Schlomkas Reiseunternehmen heißt Alternative Tours in English. Die „Informationen und Analysen“, die bei den Fahrten durch „Israel, Palästina und die West Bank“ verbreitet würden, basierten, so heißt es auf der Website des Veranstalters, „auf menschenrechtlichen Aspekten, dem Recht auf Selbstbestimmung und dem Recht aller Völker, in Sicherheit und politischer Freiheit zu leben“. An ihrer Selbstbestimmung, Sicherheit und Freiheit werden die Palästinenser aber natürlich nicht durch die Mordbanden der Hamas und Fatah gehindert, sondern ausschließlich durch israelische Sperranlagen und Checkpoints. Das findet jedenfalls Schlomka und mit ihm sein Guide Eldad Brin, der Teichmann und den anderen Tourteilnehmern deshalb auch „den schrecklichsten Abschnitt der Mauer“ zeigt, nämlich den an der palästinensischen Ortschaft Abu Dis gelegenen. „Stellen Sie sich vor, sie wachen früh auf und entlang der Hauptstraße ihres Wohnviertels verläuft plötzlich eine acht Meter hohe Mauer“, echauffiert sich Brin. Wie es für die in Jerusalem lebenden Menschen vor dem Bau der Sperranlagen war, stets mit der Furcht vor Selbstmordattentätern aufzuwachen, sagt er nicht.

Überhaupt ist weder bei Schlomkas Touren noch in Teichmanns Reportage die Rede davon, dass der Antiterrorwall – der nur zu drei Prozent aus Beton besteht – und die Kontrollen an den Grenzübergängen die Sicherheit der israelischen Bürger vor tödlichen Anschlägen nachweislich verbessert haben. Seit es sie gibt, ist die Zahl der suicide attacks drastisch gesunken – und genau das war auch das Ziel. Diese Tatsache hätte zu berücksichtigen, wer sich ernsthaft „dem Recht auf Selbstbestimmung und dem Recht aller Völker, in Sicherheit und politischer Freiheit zu leben“, verpflichtet fühlt. Aber Schlomka, Brin und Teichmann wollen nicht über den Terror der Hamas und der Fatah sprechen; sie stellen lieber die Schutzbefestigungen als Ausdruck israelischer Willkür, Schikane und Gängelei dar. Was geschähe, wenn sie wieder abgebaut würden, fragen sie sich gar nicht erst. Stattdessen lässt der Mann vom öffentlich-rechtlichen Hörfunk die Reiseteilnehmerin „Dina aus Boston“ zu Wort kommen. Die wundert sich darüber, dass es in Israel „nicht mehr Opposition gibt“, denn: „In den Vereinigten Staaten sind viele linke Juden. Und viele Kriegsgegner – schon während des Vietnamkriegs – waren Juden. Ich verstehe nicht, warum diese Einstellung hier nie angekommen ist.“ Da wird der Radiomann aus Germany gewiss genickt haben.

Zum Schluss seines Beitrags hält Torsten Teichmann für seine deutschen Hörer noch ein ganz besonderes Schmankerl bereit. Fred Schlomkas Bus stoppt nämlich vor einem geschichtsbewussten Graffito, das vor einigen Jahren auf den Schutzwall gesprüht wurde, auf der israelischen Seite, gegenüber von Abu Dis. „Vom Warschauer Ghetto zum Abu-Dis-Ghetto“, steht dort in englischer Sprache (Foto). „Mich durchfährt jedes Mal ein Schauer, wenn ich das sehe“, sagt Reiseführer Brin. Und Teichmann setzt andächtig fort: „An dieser Stelle wird es ganz ruhig im Bus. Die meisten Teilnehmer der kleinen Gruppe kommen aus jüdischen Familien, die dem Holocaust entkommen sind. Aber keiner regt sich in diesem Moment. Es sind ungewohnte, vielleicht auch extreme Eindrücke, die Touristen auf dieser Fahrt sammeln können. Aber Schlomka ist überzeugt, dass er so etwas verändern kann.“ Indem er nämlich die Israelis zu den Nazis von heute macht. Auch und gerade vor „jüdischen Familien, die dem Holocaust entkommen sind“.

Bei der nächsten Tour nach Abu Dis wird der alternative Reiseveranstalter seinen Fahrgästen dann sicher zeigen, wo die jüdischen SS-Wachen sind, was die Palästinenserräte alles tun müssen und wie die ausgemergelten Bewohner zur Zwangsarbeit verschleppt werden, bevor die Zionisten die noch Lebenden im Zuge der Endlösung der Palästinenserfrage schrittweise in die israelischen Vernichtungslager deportieren, den folgenden Aufstand niederschlagen und das Ghetto von Abu Dis schließlich liquidieren. Torsten Teichmann wird darüber ausführlich im deutschen Radio berichten. Die GEZ zahlt ihm dafür bestimmt sogar eine Gefahrenzulage.

Foto: Lizas Welt – Herzlichen Dank an Ralph Bruns für wertvolle Hinweise.

9.8.08

Having a break

Manchmal ist man einfach reif für die Insel, die Berge oder andere mehr oder minder internetfreie Regionen der Welt. Vor allem im Sommer, der bisweilen doch recht attraktive Alternativen zum Herumlungern vor dem Rechner bereit hält. Aus diesem Grund legt Lizas Welt eine kleine, aber umfassende Pause ein: Bis zum 18. August wird es hier keine neuen Beiträge geben, auch die Tagestipps werden nicht aktualisiert, und eingehende E-Mails müssen sich ebenfalls in Geduld üben. Man macht ja schließlich keine halben Sachen. Einstweilen sei – wie immer – vor allem auf die Blogroll und das Archiv verwiesen. In zehn Tagen geht es dann weiter wie gewohnt. Bis dahin eine schöne Zeit!

8.8.08

Das Narrenschiff

Der Mensch an sich, er ist edel, hilfreich und gut. Ausnahmen bestätigen die Regel und kommen aus Israel. So in etwa lässt sich das Selbstverständnis von Free Gaza zusammenfassen, einer „Menschenrechts“-Organisation mit Sitz in Kalifornien, die wild entschlossen ist, in das Land ihrer Träume vorzudringen: „Wir haben versucht, auf dem Landweg in Palästina einzureisen. Wir haben es auf dem Luftweg versucht. Dieses Mal ist es uns ernst: Wir nehmen ein Schiff.“ Genauer gesagt sogar zwei, denn die Absichten sind so unbescheiden nicht: „Wir wollen den Belagerungszustand von Gaza durchbrechen. Wir wollen das internationale Bewusstsein aufrütteln über die gefängnisartige Absperrung des Gazastreifens, und wir wollen Druck auf die internationale Gemeinschaft ausüben, damit sie ihre Sanktionspolitik überdenkt und den israelischen Besatzern ihre fortlaufende Unterstützung entzieht.“ Zu diesem fürwahr noblen Behufe setzen sich dieser Tage knapp fünfzig Leute in Bewegung, darunter eine Nonne, „Überlebende der palästinensischen Nakba“ und des Holocaust (was ja praktisch dasselbe ist) sowie Tony Blairs Schwägerin. Ihr Ziel: die Anlegestelle von Gaza (Foto).

Eine illustre Runde also, die da plant, „den geschlossenen Hafen zu passieren, mit den Fischern auf Fischfang zu gehen, in den Krankenhäusern zu helfen und in den Schulen zu arbeiten“. Die Hamas dürfte die Ankunft der rührigen Boat People schon sehnsüchtig erwarten. Denn um Fischer, Schulen, Krankenhäuser etc. kann sie sich gerade nicht kümmern, weil sie vollauf mit anderen Dingen beschäftigt ist, vor allem damit, die Konkurrenz von der Fatah fertig zu machen, die sich umgekehrt ebenfalls nicht zweimal bitten lässt. Deshalb wird auch das Geld irgendwann mal knapp. Zwar sind die Palästinenser pro Kopf die größten Empfänger ausländischer Hilfe weltweit, aber die Kohle wird von ihren Führern halt dringend für Munition, Raketen und anderes scharfes Zeug gebraucht. Da kommt so ein bisschen Entlastung gerade recht, natürlich auch in propagandistischer Hinsicht.

Sollte Israel die Kähne stoppen, wird das Geschrei der Schiffsbesatzungen zweifellos groß sein. Dabei müssten die energischen Streiter gegen Hunger, Belagerung & Gefangenschaft nicht einmal unverrichteter Dinge wieder die Rückreise antreten, sondern ihr Engagement bloß in den Westsudan verlegen, wo es wirklich gebraucht würde. (Dass man da mit dem Schiff nicht ohne Weiteres hinkommt, wäre nicht das entscheidende Hindernis.) Warum aus „Free Gaza“ trotzdem niemals „Free Darfur“ werden wird? Weil man für die katastrophale Lage in Darfur nicht Israel verantwortlich machen kann. Der Mensch an sich, er ist eben doch nicht so edel, hilfreich und gut, wie er immer tut. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Hattip: Spirit of Entebbe

4.8.08

Der Terrorversteher

Lohnt es sich noch, sich mit dem Terrorversteher Norman Paech auseinander zu setzen, diesem Hamas-Früchtchen, das sich auf einer Pfingstreise vor vierzig Jahren sein antiisraelisches Erweckungserlebnis verschafft hat? Lohnt es sich, seine hoch ideologischen Traktate zu zerlegen und ihm seine antizionistischen Völkeleien um die Ohren zu hauen? Ja, es lohnt sich, denn der 70-Jährige ist immerhin außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag und in den einschlägigen Kreisen ein gern gesehener Autor und Vortragsreisender. Außerdem ist seine Argumentationsführung geradezu paradigmatisch für die hierzulande so beliebte „Israelkritik“, die kein Antisemitismus sein will und doch ihre Herkunft nicht verleugnen kann.

In der Tageszeitung junge Welt und auf seiner Homepage hat Paech (Foto) kürzlich sein neuestes Elaborat veröffentlicht. „Die Vorposten-Ideologie“ lautet dessen Titel, der in der Unterüberschrift präzisiert wird: „Zionismus in der arabischen Welt“. Dass der „Völkerrechtler“ Israel schlichtweg für einen Fremdkörper im Nahen Osten hält, deutet sich hier bereits an, doch bevor Paech ins Detail geht, hat er erst einmal ein paar grundsätzliche Dinge klar zu stellen. „Wer sich ernsthaft mit dem Islamismus auseinander setzt, kommt nicht darum herum, sich auch mit dem Zionismus auseinander zu setzen“, hebt er an. Damit hat er im Grunde genommen sogar Recht – schließlich hat letzterer auf ersteren die entschlossensten und konsequentesten Antworten zu bieten, und da ist ein genaues Studium gewiss kein Fehler. Doch natürlich ist es nicht das, was Paech motiviert; vielmehr wirbt er schon frühzeitig in seinem Aufsatz um Verständnis für die Mordstaten der Hamas und ihrer Vorläufer: „Der Anspruch, einen religiös fundierten Judenstaat in Nahost zu errichten und seine Grenzen Zug um Zug auf Kosten der dort lebenden Palästinenser zu erweitern, kann nicht auf das Verständnis der Araber zählen, deren Rechtsbewusstsein so nachhaltig verletzt wird.“

Islamisches „Rechtsbewusstsein“

Schade eigentlich, dass Amin el-Husseini nicht mehr lebt. Gerne würde man ihn fragen, ob etwa die von ihm angestachelten Pogrome gegen im britischen Mandatsgebiet Palästina lebende Juden zum Pessachfest 1920 oder das ebenfalls von ihm mitverantwortete Massaker von Hebron 1929 auch so eine Konsequenz eines „nachhaltig verletzten Rechtsbewusstseins“ waren. Und ob er eigentlich bei seinem Treffen mit dem Führer 1941 darüber gesprochen hat – dessen „Rechtsbewusstsein“ war schließlich auch „nachhaltig verletzt“, nachdem die Juden sich, wie man weiß, Zug um Zug auf Kosten des deutschen Volkes ausbreiteten und deshalb nicht länger mit Verständnis rechnen durften. Man kann auch noch weiter zurückgehen – in die Vormandatszeit nämlich – und sich die Frage stellen, ob beispielsweise die Ermordung zweier Juden durch Araber im November 1913, die Zerstörung Kfar Sabas im August 1910 und das über einen Monat andauernde, von Muslimen veranstaltete Pogrom von Safed im Juni und Juli 1834 – inklusive der Verwüstung von Synagogen und der Zerstörung der Torah-Rollen – ebenfalls einem „verletzten Rechtsbewusstsein“ folgten oder nicht doch ganz andere Gründe hatten.

Was Paech und seine Adepten nicht wahr haben wollen, ist, dass der Hass gegen Juden in der arabischen Welt wesentlich älter ist als Israel und der Zionismus. Es gibt diesen Hass seit rund 1400 Jahren; seine Ursachen sind dementsprechend nicht in der Politik israelischer Regierungen oder der zionistischen Bewegung, sondern schlicht und ergreifend im Islam und seiner Herrschaftspraxis zu finden (1). Norman Paech liegt also auf eine ganz verquere Weise sogar richtig, wenn er das „nachhaltig verletzte Rechtsbewusstsein“ der Araber als Grund dafür anführt, warum diese partout keinen Judenstaat im Nahen Osten akzeptieren wollen: Im Islam und dem dort dominierenden Verständnis vom Recht haben Juden bestenfalls als „Dhimmis“ vorübergehend einen Platz, als Menschen zweiter Klasse, die von der Gnade und Willkür der islamischen Herrscher abhängig sind. Eine eigenständige, gar staatliche Organisation ist für sie jedoch nicht nur nicht vorgesehen – sie wird vielmehr mit allen Mitteln bekämpft.

Und deshalb verdreht Paech ganz einfach Ursache und Wirkung, wenn er schreibt: „Da auch die Großmächte und die Uno, die Israels Existenz garantieren, den Verdrängten keine Perspektive bieten, wächst angesichts eines militärisch hochgerüsteten, über Atomwaffen verfügenden und zudem die Resolutionen der Uno permanent missachtenden Israel ein islamischer Fundamentalismus heran, der in seiner politischen wie militärischen Ohnmacht dann zur Gewalt aus Verzweiflung greift.“ Nicht einmal die Hamas würde Selbstmordattentate und Raketenabschüsse jemals als ohnmächtige Verzweiflungstaten deklarieren; im Gegenteil macht sie in der Theorie – das heißt: in ihrer Charta und in den Ansprachen ihrer Führer – wie in ihrer Praxis unmissverständlich klar, dass es in der arabisch-muslimischen Welt grundsätzlich keinen Platz für einen wie auch immer gearteten Staat Israel geben darf und dass sie es als ihre programmatische Aufgabe betrachtet, dessen Existenz rückgängig zu machen. Deutsche Friedensfreunde wie Paech ficht das jedoch nicht an, vermutlich noch nicht einmal jetzt, wo selbst die palästinensischen Brüder von der Fatah lieber ins verhasste Feindesland fliehen, als auch nur eine Minute länger im Gazastreifen zu bleiben. Und mit solchen Apokalyptikern soll Israel allen Ernstes verhandeln?

Von Zwangsläufigkeiten und Träumen

Na klar, meint Paech, denn für ihn hat Israel eine Art Bringschuld, die aus dem Zionismus resultiert. So wenig er die Reden der islamischen Gotteskrieger wörtlich nimmt und sie mit der dahinter stehenden Ideologie rückkoppelt, so sehr tut er dies bei Theodor Herzl, Wladimir Zeev Jabotinsky oder David Ben Gurion. Der gesamte Zionismus ist ihm von vorne bis hinten eine einzige Kolonialgeschichte, geschaffen, um die einheimischen Araber rassistisch zu unterdrücken und den jüdischen Expansionsgelüsten eine geistesgeschichtliche Begründung zu geben. Vor diesem Hintergrund muss zwangsläufig jede Handlung der Araber und später der Palästinenser als begreifliche Reaktion auf bitteres Unrecht erscheinen, schließlich gelte, so Paech, was „Maxime Rodinson von der Pariser Sorbonne“ einmal so umrissen habe: „Der Wunsch, einen rein jüdischen oder vorwiegend jüdischen Staat in einem arabischen Palästina im zwanzigsten Jahrhundert zu schaffen, konnte zu nichts anderem als zu einer kolonial-typischen Situation und der (...) Entwicklung eines rassistischen Bewusstseins und in letzter Konsequenz zu einer militärischen Konfrontation führen.“ Nennenswert anders formulieren es Paechs Freunde von der Hamas übrigens auch nicht, höchstens etwas militanter.

Mit diesem Zitat kassiert der „Völkerrechtler“ auch gleich den „durch die Großmächte in der Uno verwirklichten“ Teilungsplan der Vereinten Nationen von 1947 – dessen Ablehnung durch die arabischen Staaten und deren folgender Überfall auf das soeben gegründete Israel ist für Paech nämlich nur folgerichtig und darüber hinaus legitim. Dass der jüdische Staat auch später „keinen Frieden mit den arabischen Nachbarn“ gefunden habe, liege ausschließlich daran, dass „immer wieder Vertreter jenes Zionismus die politische Führung übernahmen, die der Expansion über die Grenzen von 1948 hinaus absoluten Vorrang vor der Integration gaben“. Sie seien dabei „bedingungslos von den USA, aber auch von den westeuropäischen Staaten unterstützt“ worden. „Nur so konnten nach dem Sieg 1967 alle nachfolgenden Regierungen bis Ehud Olmert ihren zionistischen Traum von Erez Israel mittels Siedlungsbau, Landraub, Annexion und Mauerbau verfolgen“, glaubt Paech. Dass es nachweislich längst einen palästinensischen Staat gäbe, wenn die palästinensischen Führungen nicht jede Verhandlung spätestens kurz vor ihrem Abschluss torpediert und stattdessen wieder auf Terror gesetzt hätten, kommt ihm nicht in den Sinn. Über den arabischen Traum von der „Befreiung ganz Palästinas“ – also von der Vernichtung Israels – verliert Paech bezeichnenderweise kein Wort, aber was der „zionistische Traum“ ist, glaubt er dafür umso genauer zu wissen.

Maßstäbe...

Dabei zeichnet sich, verglichen mit anderen Staaten und ihren Entstehungs- und Begründungszusammenhängen, weder der Zionismus noch Israel durch besondere Abscheulichkeiten aus. Jeder Staat wendet bei seiner Gründung und zu seiner Konsolidierung unmittelbare Gewalt an; jeder Staat pflegt seine kulturellen, politischen und religiösen Mythen; jeder Staat unternimmt Maßnahmen zur Durchsetzung eines einheitlichen Sprach- und Wirtschaftsraums; jeder Staat homogenisiert rechtlich und politisch bis zu einem gewissen Grad sein Staatsvolk und ist auf dessen Loyalität angewiesen. In Israel war und ist das nicht anders – warum sollte es auch? „Man mag es Unrecht nennen, was der arabischen Bevölkerung Palästinas in Teilen widerfahren ist, wie den Indianern Nord- und Südamerikas im 18. und 19. Jahrhundert, den Slawen im Osten des Heiligen Römischen Reiches oder den Iren vom 16. Jahrhundert bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts – ja, man kann sogar den Normannen bei der Einnahme der keltischen Insel 1066 ihr Unrecht vor Augen halten“, schrieb Schlomo Boldes unlängst auf diesem Weblog. „Steht deshalb das Existenzrecht Großbritanniens in Frage? Muss die Krone endlich dieses Unrecht anerkennen, ‚um ein normaler Staat zu werden’? Oder das Nato-Mitglied Türkei die Massaker an den Armeniern öffentlich bedauern, bevor man den Türken die territoriale Integrität zugesteht?“ Nein – und deshalb muss man an Israel auch nicht Maßstäbe anlegen, die man bei keinem anderen Land der Welt in Betracht ziehen würde.

In diesem Zusammenhang gehört auch die von Paech vertretene Behauptung, Israel charakterisiere ein außergewöhnlicher Expansionsdrang, ins Reich der Fabel. Wie insbesondere Yaacov Lozowick (2) in seinem Buch Israels Existenzkampf überzeugend nachgewiesen hat, waren die verschiedenen Besetzungen arabischen und palästinensischen Territoriums Reaktionen auf existenzielle Bedrohungen und Angriffe, sie hatten also defensiven Charakter. Der Kern des Konflikts ist die prinzipielle Weigerung fast aller arabischen Staaten und der palästinensischen Führungen, Israel dauerhaft anzuerkennen. Lozowick schrieb: „Seit 1967 übte Israel die Herrschaft über einen großen Teil der palästinensischen Bevölkerung aus, und sein Verhalten kann in vieler Hinsicht kritisiert werden. Dennoch könnte nur ein Narr behaupten, dass sich die Palästinenser in der umgekehrten Situation mit den Maßnahmen, wie sie die Israelis getroffen haben, zufrieden geben würden. Sollten die Palästinenser jemals Herrschaft über die Juden erlangen, wird Palästina ebenso judenrein werden, wie es der größte Teil Europas heute ist: eine kleine Gemeinde hier und dort und Gespenster überall. Um es so deutlich wie möglich zu sagen: Israel blockiert lediglich die nationalen Ambitionen der Palästinenser (beziehungsweise hat das früher getan), die Palästinenser hingegen bedrohen die nackte Existenz der Juden.“

...und Notwendigkeiten

Was den Zionismus von anderen nationalen Befreiungsbewegungen und die Gründung Israels von der Entstehung anderer Staaten maßgeblich unterscheidet, ist deren jeweils unmittelbare und unabweisbare Notwendigkeit und Legitimität. Theodor Herzl schrieb sein Buch Der Judenstaat unter dem Eindruck der Dreyfus-Affäre in Frankreich sowie des Wahlsieges der antisemitischen Christlich-Sozialen unter Karl Lueger in Wien und zudem vor dem Hintergrund eines Jahrhunderte alten, nicht endenden wollenden, globalen Antisemitismus. Überall dort, wo Juden lebten, wurden sie zu allen Zeiten verfolgt; stets waren sie von der Gunst und Gnade der Gesellschaften abhängig, zu denen man sie nicht als vollwertige Mitglieder gehören ließ. Und das änderte sich auch nicht durch das bürgerliche Gleichheitsversprechen, das für sie letztlich immer bloß ein formales blieb. Der einzige Ausweg in einer staatenförmig organisierten Welt bestand für Herzl in der Gründung eines eigenen, explizit jüdischen Staates, der ein wehrhaftes Refugium vor dem Judenhass sein und weltweit allen Juden, die dies wollen, das verbriefte Recht auf einen Platz inklusive Staatsbürgerschaft gewähren sollte. Israel war schon zu Herzls Zeiten überaus dringlich, doch Wirklichkeit wurde es bekanntlich erst nach der Shoa – und damit für Abermillionen zu spät.

Die Notwendigkeit eines solchen Zufluchtsortes stellt Norman Paech nicht in Abrede, doch er geht nur in dürren Worten auf sie ein und dann sofort über zu den angeblichen „großisraelischen Visionen“ Ben Gurions und der „Ausgrenzung der arabischen Mitbürger als Bürger zweiter Klasse“, die zusammen mit der Besatzung eine „reaktive Gewalt“ hervorrufe. Es seien „deshalb kaum die Raketen aus dem Gazastreifen, die Weigerung der Hamas, das Existenzrecht Israels vor Klärung der Grenzen anzuerkennen, und die Forderungen der Palästinenser nach einem eigenen Staat noch die finsteren Botschaften eines Ahmadinedjad, die die Gefahr für die Existenz Israels ausmachen“, ist Paech überzeugt. „Es ist die Fortdauer der Besatzung, die sich wie ein Gefängnis um die Palästinenserinnen und Palästinenser schließt. Die Gefahr [für Israel] kommt von innen, weniger von außen, selbst wenn nicht zu bestreiten ist, dass die Raketen die Konfrontation verschärfen und den Friedensprozess gefährden.“ Im Umkehrschluss heißt das: Ein Ende der Besatzung zöge quasi automatisch ein Ende der Raketen, die Anerkennung Israels sogar durch die Hamas und ein freundliches Schulterklopfen der Mullahs nach sich – the world according to Norman Paech.

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie man auf solch einen Unsinn verfallen kann: Die eine ist der naive Glaube an das grundsätzlich Gute im Menschen; schließlich gibt es keinerlei rationale Anhaltspunkte dafür, dass das von Paech gezeichnete Szenario eintritt. Die andere ist die antisemitisch grundierte Sehnsucht nach dem Untergang Israels. Denn würden dessen politisch Verantwortliche tatsächlich handeln, wie ein deutscher „Völkerrechtler“ es sich vorstellt, begingen sie glatten Selbstmord – und das weiß Paech ganz genau. Wenn er dennoch beklagt, dass „dort, wo die jüdischen Siedler sich zurückgezogen haben, im Gazastreifen“, die Lebensbedingungen für die Palästinenser „aufgrund der Blockade schlechter als je zuvor“ seien, dann ist das nichts als reinste Ideologie: Israel hatte schlicht keine andere Wahl, als die Grenzen abzuriegeln, denn die Hamas bedankte sich für den Abzug mit einem fortgesetzten Raketenhagel. Was erst passieren würde, wenn ihre Truppen ungehindert ins israelische Kernland eindringen könnten, kann man sich unschwer ausrechnen. Wer trotzdem die Grenzöffnung fordert, nimmt die Folgen davon mindestens billigend in Kauf.

Selbst verschuldeter Ruin

Bis heute haben die Palästinenser weder einen Denker wie Herzl noch einen integrativen und entschlossenen Politiker wie Ben Gurion hervorgebracht, sondern nur antisemitische Desperados und korrupte Bandenchefs, die sowohl unfähig als auch unwillig waren und sind, den politischen Realitäten ins Auge zu sehen und ein funktionierendes Staatswesen zuwege zu bringen. Noch die weitestgehenden Angebote Israels wurden erst in den Wind geschlagen und dann mit Terror quittiert, weil die „Befreiung ganz Palästinas“ die conditio sine qua non blieb. Es waren die palästinensischen Politfunktionäre, die den Kompromissvorschlag „Land für Frieden“ abgelehnt und deutlich gemacht haben, dass ihnen an einer Koexistenz zweier Staaten grundsätzlich nichts liegt. Und so ruinierten sie auch ihre – von den Europäern und den USA zu nicht eben geringen Teilen finanzierte – Selbstverwaltung gründlich und nachhaltig selbst.

Ein Wort noch zum Titel von Paechs Pamphlet – „Die Vorposten-Ideologie“ –, der auf einen Auszug aus Herzls Judenstaat anspielt. Herzl schrieb seinerzeit:Für Europa würden wir dort“ – in Palästina – „ein Stück des Walles gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.“ Dieser Satz sei „unausgesprochen bis heute als Subtext der westlichen Nahostpolitik immer wieder anzutreffen“, urteilt Paech. Schön wär’s, kann man da nur sagen – bei seiner Verteidigung gegen die Barbarei des Djihadismus wird Israel zwar von den USA unterstützt, aber kaum aus Europa. Und von Terrorverstehern und Hamas-Früchtchen, die sich „Völkerrechtler“ nennen, schon gleich gar nicht.

Anmerkungen:
(1) Philipp Lenhard: Islamischer Antisemitismus. Anmerkungen zu Wesen und Herkunft eines verdrängten Problems, in: Bahamas, Nr. 55 (2008), S. 63-67 (nur Printausgabe).
(2) Siehe dazu auch das Interview mit Yaacov Lozowick auf diesem Weblog vom 12. April 2007.

2.8.08

Die (un)heimliche Lobby

„Es riecht nach Gas!“ (Hans-Hubert Vogts, deutscher Fußballtrainer, in der ARD-Krimireihe „Tatort“, Januar 1999)


Mitte Juli versteckte die Süddeutsche Zeitung eine Nachricht in ihrem Wirtschaftsteil, die, bei Lichte betrachtet, ganz nach vorne gehört hätte. In ihr ging es um den – weitgehend unbemerkten – Deutschlandbesuch einer iranischen Handelsdelegation bei den Industrie- und Handelskammern (IHK) in München und Hamburg sowie beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in Berlin. „Zehn Lobbyisten und Manager waren aus Teheran gekommen, angeführt vom Präsidenten der iranischen Handelskammer Mohammed Nahavandian“, schrieb das Münchner Blatt. Nahavandians Botschaft sei gewesen: „Ihr Deutsche müsst aufpassen, dass ihr im Iran-Geschäft nicht den Anschluss verliert.“ Reinhard Dörfler, der Hauptgeschäftsführer der IHK München, habe präzisiert: „Sie wollten uns ihre Sorge mitteilen, dass deutsche Firmen aus jedem Rennen um Aufträge herausfallen.“ Davon profitierten nämlich vor allem Firmen aus China und Russland: Alleine das chinesische Handelsvolumen mit dem Iran sei im Vergleich zur ersten Hälfte des Jahres 2007 um fast 60 Prozent gestiegen, während das deutsche gegenüber 2006 um insgesamt 13 Prozent gesunken sei – als Folge der UN-Sanktionen.

„Das Problem ist, dass wir Deutschen uns strikter daran halten als andere Staaten“, wurde Dörfler zitiert. Für deutsche Firmen, so hieß es in dem SZ-Beitrag, werde es immer schwieriger, Geschäfte mit dem Iran abzuwickeln. Großbanken hätten sich wegen des Drucks der US-Regierung zurückgezogen, die Bundesregierung habe die Hermes-Bürgschaften zurückgefahren, „und schließlich zeigen sich Zoll und Bundesamt für Ausfuhrkontrolle sehr akribisch bei der Prüfung von Exporten in die Islamische Republik, die traditionell ein enges Geschäftsverhältnis zu den Deutschen gepflegt hat und im Prinzip noch viele Aufträge verspricht – nicht zuletzt in der Öl- und Gasbranche“, fasste die Süddeutsche Zeitung zusammen. Wann immer eine wirtschaftliche Kooperation mit Teheran öffentlich werde, gehe es heikel zu. So habe im vergangenen Jahr eine Iran-Veranstaltung der IHK Darmstadt „zu diplomatischen Verwerfungen mit Israel“ geführt, und „deutsche Firmen befürchten, Iran-Verträge könnten ihr US-Geschäft gefährden“.

Vermutlich wäre auch der jüngste, 100 Millionen Euro schwere Gas-Deal der Siegener Firma Steiner-Prematechnik-Gastec GmbH (SPG) mit den Mullahs im Verborgenen über die Bühne gegangen, wenn nicht die Eitelkeit eines Staatssekretärs, das politische Kalkül des iranischen Regimes und vor allem die Reaktionsschnelligkeit einer deutschen NGO dafür gesorgt hätten, dass das Abkommen letztlich doch publik wurde. Gegenüber der Siegener Zeitung hatte sich zunächst Hartmut Schauerte (CDU, Foto oben), parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, damit gebrüstet, für das in seinem Wahlkreis ansässige Unternehmen ein gutes Wort beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) eingelegt zu haben. Er sei dort „lästig geworden“, sagte Schauerte, und so genehmigte das BAFA der SPG den Bau von drei Gasverflüssigungsanlagen im Südiran nach einem Jahr Prüfung doch noch.* Der iranische Regimesender Press-TV meldete umgehend Vollzug, schließlich liegt Teheran viel daran, möglichst oft zu verkünden, das Land sei trotz des Atomkonflikts gar nicht isoliert.

Das Mideast Freedom Forum Berlin (MFFB) wurde auf das Geschäft aufmerksam und ging sofort mit einer Presseerklärung an die Öffentlichkeit. „Gerade im Öl- und Erdgassektor, der Haupteinnahmequelle des Iran, ist der Iran besonders auf westliche Technologie angewiesen und somit durch Sanktionen unter Druck zu setzen“, schrieb die NGO. Einmal mehr zeige sich, dass Deutschland die Bemühungen unterwandere, das Mullah-Regime ernsthaft unter Druck zu setzen und vor schmerzhafte Entscheidungen zu stellen. „Deutsche Firmen beliefern den Iran mit wichtiger Technologie, ohne dass dieser im Atomstreit, in Menschenrechtsfragen, der Unterstützung des internationalen Terrorismus oder den Drohungen gegen Israel seine Politik ändern muss“, hieß es in der Erklärung, die mit dem Satz schloss: „Das MFFB fordert die Bundesregierung deshalb auf, die Genehmigung umgehend zurückzunehmen und stattdessen unilateral wirksame Sanktionen gegen den Iran zu verabschieden und solche Sanktionen zusätzlich auf EU- und UN-Ebene voranzutreiben.

Die Presseaussendung zeitigte umgehend Wirkung: Die israelische Tageszeitung Jerusalem Post berichtete ausführlich über den Deal, und das amerikanische Wall Street Journal veröffentlichte einen scharfen Kommentar unter der Überschrift „Berlin loves Iran“, in dem es unter anderem hieß: „Geschäftsinteressen, so scheint es, übertrumpfen jegliche verlautbarten Sorgen für Israels Sicherheit.“ In Deutschland publizierten Die Welt, Spiegel-Online und die Süddeutsche Zeitung Beiträge zu den Vorgängen. Das israelische Außenministerium verurteilte das Gas-Abkommen unterdessen mit Nachdruck: „Die Tatsache, dass ausgerechnet Deutschland, das neben Frankreich und Großbritannien Mitglied der europäischen Führungsriege (EU3) ist, einen Standpunkt eingenommen hat, der den internationalen Trend hin zu einer signifikanten Verschärfung der Sanktionen gegen die Fortsetzung des iranischen Atomprogramms untergräbt, ist besorgniserregend.“ Das Simon-Wiesenthal-Zentrum forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (Foto) auf, das Geschäft zu verhindern. Deutliche Kritik übte auch Dieter Graumann, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland: „Wenn ein Mitglied der Bundesregierung wirklich ein solch intensives, aggressives und hoch sensibles Geschäft mit dem Iran – dem Weltmeister des Antisemitismus – ermöglicht, dann ist das ein schrecklicher Skandal, der mich empört und entsetzt. Dass ein Staatssekretär sogar öffentlich damit prahlt, macht das Ganze noch schlimmer.“

Offenbar gibt es innerhalb der Bundesregierung Interessenkonflikte, was den Handel mit den Mullahs betrifft. Während Merkels Pressesprecher Ulrich Wilhelm kund tat, es gebe „kein Interesse seitens der Bundesregierung“, ein Geschäft wie das der Siegener Firma SPG politisch einzufädeln, hatte das Auswärtige Amt seine anfänglichen Bedenken bald aufgegeben – schließlich hätte der Iran, so hieß es, die Gasanlagen auch bei konkurrierenden Anbietern aus dem Ausland kaufen können, weshalb der Sanktionseffekt der Deutschen gering gewesen wäre. Das Bundeswirtschaftsministerium wiederum ist ohnehin kein Freund der Sanktionen, und das nicht erst, seit Staatssekretär Schauerte der SPG beherzt unter die Arme griff. Derweil der britische Premierminister Gordon Brown die Sanktionen auf den iranischen Erdgassektor ausweiten will und Frankreichs Regierung französische Firmen dazu drängt, nicht auf iranische Angebote zu reagieren, verläuft der Trend in Deutschland genau umgekehrt. Das Handelsvolumen ist inzwischen nicht mehr rückläufig: Iranische Ausfuhren nach Deutschland stiegen im Jahr 2007 um 28 Prozent, die deutschen Exporte in den Iran erhöhten sich im ersten Quartal dieses Jahres um 13,6 Prozent.

Wie hatte es Angela Merkel in ihrer Rede vor dem israelischen Parlament im März noch formuliert? „Wenn der Iran in den Besitz der Atombombe käme, dann hätte das verheerende Folgen – zuerst und vor allem für die Sicherheit und Existenz Israels, dann für die gesamte Region und schließlich – weit darüber hinaus – für alle in Europa und der Welt, für alle, denen die Werte Freiheit, Demokratie und Menschenwürde etwas bedeuten. Das muss verhindert werden. Dabei muss eines klar sein: Nicht die Welt muss Iran beweisen, dass der Iran die Atombombe baut. Iran muss die Welt überzeugen, dass er die Atombombe nicht will. Die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar – und wenn das so ist, dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben. Die Bundesregierung wird sich, wenn der Iran nicht einlenkt, weiter entschieden für Sanktionen einsetzen.“ Diese Beteuerungen sind jedoch offenkundig nicht einmal in Merkels eigener Regierung Konsens – von deutschen Unternehmen ganz zu schweigen – und erweisen sich damit als folgenlose Phrasen. Die Freundschaft zu Israel, sie ist vor allem ein Fall für Sonntagsreden. Kosten soll sie nichts.

* Gegenüber der Süddeutschen Zeitung erklärte Schauerte später, „zu keinem Zeitpunkt“ Einfluss auf die Entscheidung des BAFA genommen zu haben. Es sei ihm lediglich darum gegangen, „dass das Unternehmen eine Entscheidung bekam, sei es negativ oder positiv“. Das BAFA dementierte auf seiner Website eine Intervention Schauertes zugunsten der SPG. Der Welt hatte BAFA-Sprecher Holger Beutel zuvor jedoch noch gesagt, Schauertes Lobby-Aktivitäten seien „außergewöhnlich“ gewesen. Der SPG-Inhaber Bernd Steiner bestätigte dies laut Siegener Zeitung: „Ohne Hartmut Schauerte hätte es nichts gegeben. Wir würden immer noch warten.“