28.5.09

Traumatherapie



Die „Mutter aller Niederlagen“ war es für Oliver Kahn, andere sprachen vom „Trauma von Barcelona“ oder gar vom „Sekundentod“. Zehn Jahre ist es jetzt her, dieses Champions League-Finale der Bayern gegen Manchester United, das der von mir seit meiner Kindheit verehrte Klub eigentlich schon gewonnen hatte – wären da nicht diese vermaledeiten hundertzwei Sekunden in der Nachspielzeit gewesen, diese gottverdammten Nicht-mal-zwei-Minuten, in denen United aus einem 0:1 ein 2:1 machte. Noch heute finde ich es unfassbar, unglaublich, unbegreiflich, was damals geschehen ist – in etwa so, als wäre ein Naturgesetz aufgehoben worden, als hätte jemand bewiesen, dass es gar keine Schwerkraft gibt oder dass die Erde doch eine Scheibe ist. Und das nicht deshalb, weil es nicht vorstellbar wäre, dass die Bayern ein internationales Endspiel verlieren (das war ihnen schließlich schon 1982 und 1987 passiert). Sondern weil ich es schlicht ausgeschlossen hätte, dass eine Mannschaft, die nach 90 Minuten einsnull führt (und dem zweiten Tor wesentlich näher ist als der Gegner dem Ausgleich), keine zwei Minuten später geschlagen vom Platz gehen muss. Und es war ja auch nicht irgendeine Mannschaft, sondern es waren die Bayern. Meine Bayern.

Souverän schwebten sie seinerzeit durch alle Wettbewerbe: durch die Meisterschaft, den Pokal und eben die Champions League. Ein großes Team mit einem großen Trainer. Nun sollte die Saison ihr Sahnehäubchen bekommen. Und es sah gut aus, sehr gut sogar: Baslers frühes Tor im Camp Nou, haufenweise feine Torchancen, den Kick komplett unter Kontrolle – nichts, aber auch wirklich gar nichts deutete darauf hin, dass Manchester die Partie noch drehen können würde. Als die Nachspielzeit angezeigt wurde, überkam mich vor dem Fernseher zwar ein leichtes Unbehagen, aber ein eher unspezifisches, eines, das ich bei einer knappen Führung kurz vor Schluss immer habe, und jedenfalls keines, das Ausdruck einer konkreten Vorahnung gewesen wäre. Zu selbstbewusst waren die Bayern aufgetreten, zu sicher, um das Spiel noch herzuschenken. Und dann kam Sheringham. Und dann Solskjær. Und dann die allumfassende, dröhnende, lähmende Leere.

Acht Monate vor diesem grausamen Abend hatte ein gewisser Johannes Keller in der taz eine Suada gegen die Bayernfans veröffentlicht, die in der Behauptung gipfelte: „Bayern-Anhänger sind keine Fußballfans, sondern Feiglinge, unfähig zu wahrer Hingabe, die das Risiko einschließt, tief enttäuscht zu werden.“ Es hätte nicht erst der Ereignisse von Barcelona bedurft, um den Mann als Kretin zu entlarven, als Lügner und Neidbeißer, dem jeder Gedanke an das Glück fremd ist, weil er keine Erfüllung kennt. Aber Barcelona hat den naseweisen, nassforschen Bescheidwisser – und mit ihm die Millionen anderer Bayernhasser – noch einmal besonders gründlich und nachdrücklich widerlegt, wobei ich auf diese Form der Beweisführung liebend gerne verzichtet hätte. Leider gibt es die Kellers dieser Welt nicht nur in einer rotgrünen Tageszeitung, die man ignorieren kann, sondern sie treiben sich gelegentlich auch im eigenen, sagen wir, Umfeld herum. An jenem 26. Mai 1999 weideten sie sich an der Niederlage der verhassten Bayern wie an keiner zuvor; ihr bestimmendes Gefühl war ein sehr deutsches: Schadenfreude.

Und so klingelte, kaum dass mich Schiedsrichter Pierluigi Collina mit seinem Schlusspfiff in eine Mischung aus Verzweiflung, Ohnmacht, Trauer und Apathie gestürzt hatte, in meiner damaligen Wohngemeinschaft nahezu unaufhörlich das Telefon. Bei den ersten drei Anrufern übergab mir mein Mitbewohner noch den Hörer, die folgenden zwölf wimmelte er auf meinen Wunsch hin ab, notierte aber die Namen und das jeweilige Anliegen. Exakt einer dieser fünfzehn Mitteilungsbedürftigen hatte so etwas wie Trost im Sinn, der Rest nichts als Häme, Hohn und Spott – wobei das Triumphgeheul oft genug auch noch als penetranter Ausweis politisch korrekter Gesinnung daherkam, das heißt als ressentimentgeladenes Geschwätz von der gerechten Niederlage der „Geldsäcke“, der „arroganten Dusel-Bayern“, der „Scheiß-Millionäre“ etc. pp. (Einige entschuldigten sich später: Sie hätten ja nicht geahnt, dass mir „das“ „so nahe geht“, und sich gewundert, dass ich „als Bayernfan überhaupt zu solchen Emotionen in der Lage“ sei. Hätte nur noch gefehlt, dass jemand „Ist doch bloß Fußball“ sagt.)

Zwei Jahre danach ehelichte die Mutter aller Niederlagen mit dem Segen des Fußballgottes den Vater aller Siege, und da wusste ich, wozu die Seelenmarter gut gewesen war. Als Sergej Barbarez den HSV in der 90. Minute jenes letzten Bundesligaspieltags der Saison 2000/01 in Führung schoss, schien es noch, als hätte der himmlische Gebieter über das Runde seinen sadistischen Spaß daran, die Bayern samt ihrem Anhang erneut brutalstmöglich zu quälen. Aber in Wahrheit hatte er sich mit den Schalkern sein nächstes Opfer auserkoren und zwecks Vollstreckung des göttlichen Willens seinen irdischen Vertreter Patrik Andersson entsandt – das Ganze, natürlich, in der Nachspielzeit, wie schon eine Woche zuvor. Vier Tage später, im Champions-League-Finale gegen den FC Valencia in Mailand, delegierte er diese Aufgabe an Oliver Kahn. Das nennt man dann wohl eine überirdische Traumatherapie.

Den Zettel mit den Namen der Anrufer in der Horrornacht von Barcelona hatte ich mir zwischenzeitlich übrigens gut aufbewahrt. Jetzt, nach der Triumphnacht von Milano, brauchte ich ihn noch einmal, nämlich für genau vierzehn Telefonate: meine irdische Traumatherapie.

25.5.09

Eine Schande namens Uno



Im Oktober dieses Jahres wählt die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, kurz: Unesco, in Paris einen neuen Generaldirektor. Der Favorit für diesen Posten ist der ägyptische Kulturminister Faruk Hosni – ein ausgewiesener Antisemit. Und das ist kein Zufall, sondern Uno-Normalität.


Am 30. Mai, also in wenigen Tagen, endet die Frist für die Bewerbung auf das Amt des Unesco-Chefs. Derzeit gibt es vier Kandidaten – neben Hosni (Foto) sind eine Litauerin, eine Bulgarin und ein Kulturfunktionär aus Oman im Rennen –, wobei dem Ägypter die weitaus größten Chancen eingeräumt werden, die Nachfolge des Japaners Koïchiro Matsuura anzutreten. Hosnis Nominierung wurde unter anderem von Frankreich, Italien und Spanien unterstützt. Doch bereits vor einem Jahr gab es massiven Ärger um den Kandidaten, nämlich in Israel: Hosni hatte im ägyptischen Parlament auf die Behauptung eines Abgeordneten der Muslimbruderschaft, in Ägyptens Buchhandlungen und Bibliotheken stünden zu viele israelische Bücher, geantwortet: „Bring mir diese Bücher, und wenn es sie gibt, werde ich sie vor deinen Augen verbrennen.“ Auf Empfehlung des israelischen Botschafters in Kairo erhob das israelische Außenministerium daraufhin scharfen Protest bei der ägyptischen Regierung. Der Kulturminister selbst verteidigte sich und bestätigte damit die Kritik erst recht: Seine Äußerung sei lediglich metaphorisch gemeint gewesen; außerdem sei das Ganze ein Hinterhalt der Regierungen in Israel und den USA.

Die Causa Hosni wäre in Europa wohl weitgehend unbeachtet geblieben, hätten nicht der Philosoph Bernard-Henri Lévy, der Filmregisseur Claude Lanzmann und der Nobelpreisträger Elie Wiesel am vergangenen Donnerstag in der französischen Zeitung Le Monde (die deutsche Übersetzung findet sich in der gestrigen Sonntagsausgabe der FAZ) unter dem Titel „Die Schande der Unesco“ ein flammendes Plädoyer gegen den Bewerber und seine mögliche Wahl gehalten. In ihrem Aufruf machen sie deutlich, dass Hosni nicht nur die Vernichtung israelischer Bücher befürwortet hat, sondern schon mehrmals mit antisemitischen Statements aufgefallen ist:
„Wer erklärte im April 2001: ‚Israel hat nie einen Beitrag zur Zivilisation geleistet, zu keiner Epoche; es hat sich immer nur die Güter anderer angeeignet’? Und wer hat zwei Monate später nachgelegt: ‚Die israelische Kultur ist eine unmenschliche Kultur, eine aggressive, rassistische, überhebliche Kultur, die auf einem ganz einfachen Prinzip beruht: Zu stehlen, was ihr nicht gehört, um es anschließend als etwas Eigenes auszugeben’? Wer hat bereits 1997 dargelegt und später überall wiederholt, er sei der ‚erbitterte Feind’ aller Versuche seines Landes, mit Israel normale Beziehungen zu pflegen? [...] Wer hat 2001 in der Zeitung Ruz al-Yusuf behauptet, dass Israel in seinem dunklen Streben von den internationalen Medien unterstützt werde, die von ‚Juden infiltriert’ seien, die dort ‚Lügen verbreiten’?“
Lévy, Lanzmann und Wiesel schlussfolgern, Faruk Hosni sei nicht würdig, das Amt des Unesco-Generaldirektors zu bekleiden. Denn er stehe „nicht für Frieden, Dialog und Kultur, sondern für das Gegenteil dessen“. Doch mit dieser Einschätzung treffen die drei „nur bedingt ins Schwarze“, wie Thomas von der Osten-Sacken zu Recht feststellt: „Denn so genau sehen dieser Tage international anerkannte Männer des Friedens, der Kultur, des Dialoges – und vor allem des Dialoges zwischen den Kulturen – nun einmal aus; schließlich leben wir in Zeiten, in denen als Kriegstreiber gilt, wer für den Sturz klerikalfaschistischer Regimes votiert, als Rassist, wer sich gegen religiöse Gebote in der Politik positioniert, und als Feind kultureller Eigenarten, wer nicht die lyrischen Ergüsse eines syrischen Verteidigungsministers für hohe Literatur hält.“ Wäre die Wahl Hosnis vor diesem Hintergrund nicht gewissermaßen die konsequente Fortführung der Groteske namens „Durban II“?

Genau hier ist der Knackpunkt zu finden. Gewiss haben Lévy, Lanzmann und Wiesel Recht, wenn sie schreiben: „Faruk Hosni ist ein gefährlicher Mann, ein Brandstifter der Herzen.“ Gewiss liegen sie richtig, wenn sie fordern: „Jeder ist aufgerufen zu verhindern, dass die Unesco in die Hände eines Mannes gerät, der, wenn er das Wort Kultur hört, mit Bücherverbrennung antwortet.“ Doch das Problem ist ein weitergehendes; das Problem sind die Vereinten Nationen höchstselbst. Denn es ist gerade kein unglücklicher Zufall, dass ein Holocaustleugner und Rassist wie Mahmud Ahmadinedjad auf ihrer Antirassismuskonferenz den Stargast geben darf. Und es ist gerade kein unglücklicher Zufall, dass ein Judenhasser, der Israel unter anderem in klassisch antisemitischer Manier den Diebstahl geistigen Eigentums vorwirft, ihr Chef für Kultur-, Wissenschafts- und Erziehungsfragen zu werden droht. All dies ist vielmehr ein getreues Spiegelbild der Struktur und Verfasstheit der Uno. Die „Schande“, von der Lévy, Lanzmann und Wiesel sprechen, ist keine der Unesco. Die Schande ist vielmehr die Normalität der „Weltorganisation“, in der die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in ihr Gegenteil verkehrt wird. Und das nicht erst seit gestern.

Herzlichen Dank an Silke Opfer und Urs Schmidlin für wertvolle Hinweise.

23.5.09

Lampenputzers Bettlektüre



Eines der schönsten Gedichte von Erich Mühsam heißt „Der Revoluzzer“ und ist „der deutschen Sozialdemokratie“ gewidmet. Es handelt von einem „Revoluzzer, im Zivilstand Lampenputzer“, der am Ende seiner Karriere ein Buch schreibt, „wie man revoluzzt und dabei doch Lampen putzt“. Freilich, nicht nur die Sozialdemokraten haben den Dreh raus, wie man seinen Rücken schrubben kann, ohne sich dabei die Hände nass zu machen. Wissenschaftler können es auch, und ganz besonders gut kann das der Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA), Prof. Dr. Wolfgang Benz, eine Kapazität auf seinem Gebiet. Benz verdankt sein Ansehen dabei nicht den Ergebnissen seiner Studien, sondern seiner Methode: Er erforscht einen Antisemitismus ohne Antisemiten, ein abstraktes Phänomen also. Würde jemand über Prostitution forschen und dabei kein Wort über Prostituierte und Zuhälter verlieren, müsste er mit kritischen Nachfragen rechnen. Ebenso Virologen, die Epidemien beschreiben und dabei deren Verbreiter ignorieren. Benz dagegen schafft es, wortreich über den Antisemitismus zu theoretisieren, ohne sich der Antisemiten anzunehmen. So baut er ein virtuelles Gehäuse auf, in dem niemand wohnt; der Antisemitismus, das „Gerücht über die Juden“ (Adorno), ist nur noch ein Gegenstand wissenschaftlichen Interesses. Über die Täter wird nicht geredet und über die prospektiven Opfer auch nicht, denn das wäre mit einer doppelten Grenzüberschreitung verbunden: politisch und geografisch – von den Neonazis zu den Islamisten und von Auschwitz nach Busher, wo die Mullahs ein Kernkraftwerk bauen.

Lieber lässt Benz darüber räsonieren, warum arbeitslose muslimische Jugendliche für antisemitische Ideen anfällig sind. Nicht einmal den Historiker Heinrich von Treitschke, dessen Ausruf „Die Juden sind unser Unglück“ den „Stürmer“ zierte, mag Benz als Antisemiten charakterisieren; vielmehr nennt er ihn in seinem Buch „Was ist Antisemitismus?“ einen „renommierten Historiker“ und einen „M­ann von Reputation“. Ebenso reserviert-zuvorkommend zeigt er sich gegenüber Jürgen Möllemann. Wenn aber weder der nationalliberale Abgeordnete von 1871 bis 1884 noch sein Münsteraner Widergänger von der FDP Antisemiten waren – wer ist es dann? Der Titanic-Witz aus dem Jahre 2002 – „Schrecklicher Verdacht: War Hitler Antisemit?“ – könnte auch eine Pointe aus dem Hause Benz sein.

Selbst in eigener Sache agiert das Berliner ZfA mit dezenter Zurückhaltung. Vor kurzem hat es vor dem Berliner Kammergericht einen Prozess gegen einen „renommierten Verschwörungstheoretiker“ verloren, der nicht als Antisemit bezeichnet werden wollte, obwohl er sich einschlägig geäußert hatte, unter anderem mit den Worten: „Die Verbrechen an den Juden haben ein Recht auf einen angemessenen Platz in der Geschichte. Sie haben ein Recht darauf, dass man an sie denkt und sich ihrer als Warnung erinnert – auch als Warnung vor Verbrechen der Juden. Denn sonst wäre das Opfer Millionen jüdischer Menschen völlig umsonst gewesen.“ Einen Antisemitismusprozess gegen den Urheber solcher Sätze zu vergeigen, ist eine Meisterleistung – so, als würde der Verfassungsschutz einen Prozess gegen Horst Mahler verlieren, der nicht als Rechtsradikaler tituliert werden möchte. Das ZfA hat die Niederlage wie ein Knöllchen fürs Parken im Halteverbot eingesteckt. Die 5.000 Euro Schmerzensgeld, die es zahlen muss, werden als Kollateralschaden abgebucht. Dabei wäre gerade ein solcher Fall eine kleine wissenschaftliche Anstrengung wert: Was ist Antisemitismus heute? Wie äußert er sich? Und wo kommt das unheilbar gesunde Gewissen bei Antisemiten her?

Doch das Zentrum beschäftigt sich statt mit solchen Fragen lieber mit der „Islamophobie“. Und weil es im wahren Leben bisweilen so zugeht wie im Fußball, hat letztlich jeder die Fans, die er verdient – weshalb es nur folgerichtig ist, dass das ZfA für seine Gleichsetzung des „antiislamischen Rassismus’“ mit dem Judenhass stehende Ovationen von einem bekommt, der unter anderem schon den Hoh- und den Möllemann verteidigt, dem Muslim Markt wortreich sein Leid geklagt und den inzwischen eingestellten Watchblog Islamophobie der Islamkonvertitin Dagmar Schatz mitbetrieben hat. Arne Hoffmann heißt der Beifallspender, der noch eine andere Passion pflegt, die auf den ersten Blick so gar nichts mit seiner Leidenschaft für die „Israelkritik“ und den Islam zu tun hat: das Verfassen von Büchern mit markerschütternden Titeln wie „Sex für Fortgeschrittene“, „Onanieren für Profis“ und „Männerbeben“ nämlich. Vor allem die zuletzt genannte Schrift wird in Rezensionen schon mal als „Standardwerk“ angepriesen, „nicht nur für die Männerrechtsbewegung, sondern für Männer überhaupt“. Keine Frage: Hoffmann ist ein echter Bescheidwisser.

Dabei haben seine Verteidigung von ausgewiesenen Antisemiten, sein Israelbashing, sein Flirt mit dem Islam, seine Nachhilfe für Onanisten und sein Jammern über die angebliche Unterjochung der Herren der Schöpfung durch allgegenwärtige Radikalfeministinnen mehr miteinander gemein, als es bei flüchtigem Hinsehen der Fall zu sein scheint. Zunächst einmal stehen sie alle für die Lust am Brechen vermeintlicher Tabus, am Kampf gegen die „politische Korrektheit“, die nach Hoffmanns Auffassung von interessierten Kreisen wie ein Diktat à la McCarthy eingesetzt wird und nonkonformes Denken mit aller Macht verhindern soll. Doch keines dieser Tabus existiert wirklich; im Gegenteil bewegt sich Hoffmann mit seinen Ansichten mitten im gesellschaftlichen Mainstream, irgendwo zwischen Finkelsteins „Holocaust-Industrie“, diversen Nachmittagstalkshows und Charlotte Roches „Feuchtgebiete“. Was sich da als „Querdenkerei“ ausgibt, erfüllt in Wirklichkeit die Konsumbedürfnisse einer frustrierten Masse, die ihre Befriedigung nicht zuletzt daraus zieht, sich Verbote erst einzubilden und sie dann in einem Akt konformistischer Rebellion vor Kühnheit zitternd (M. Walser) zu übertreten.

Aber es könnte noch andere Gründe geben, warum Hoffmanns Islamophilie, seine Abneigung gegenüber Israel, seine Männerrechtlerei und sein Sexpertentum sich nicht nur nicht ausschließen, sondern prächtig ergänzen. Denn im frauenverachtenden Islam können Männer noch Männer sein und voll auf ihre Kosten kommen: ursprünglich, rücksichtslos und ohne das ganze jüdisch-zivilisatorische Emanzipationsgedöns. Es gibt keine Sorgerechtsfragen, keine Lehrer(innen), die Mädchen bevorzugen, und Kopfschmerzen schützen nicht vor dem Koitus. Hoffmann selbst hat im Interview mit dem Muslim-Markt einen durchaus offenherzigen Einblick in seine Triebstruktur gegeben: „Ich glaube, dass man hinter vielen erotischen Texten eine verdrängte Sehnsucht nach religiösen Erfahrungen finden kann.“ Und da dürfte der Islam mit seinen 72 Jungfrauen natürlich besonders attraktiv sein, auch wenn es die sechs Dutzend Gespielinnen erst postum gibt.

Doch Vorsicht: Wer derlei Kritik an der repressiven Gegenwart und der Todessehnsucht des Islam äußert, ist für Hoffmann ein islamophober Rassist. Auf die Idee, dass viele Muslime „sich möglicherweise sogar freuen würden, von einigen kulturellen Gebräuchen ihrer Heimatgesellschaft freigestellt zu werden“, wie Magnus Klaue in einem lesenswerten Aufsatz schrieb, kommt Hoffmann nicht. Vielmehr billigt er mit seiner Verteidigung des Islam, resümierte Klaue, „die im Kern faschistische Herrschaftspraxis vieler islamischer Staaten im Namen ‚kultureller’ und ‚religiöser’ Differenz“. Und am Antisemitismus – hierzulande wie im arabisch-muslimischen Raum – sind die Juden Hoffmann zufolge letztlich ohnehin selbst schuld, weil sie ihn durch ihr Verhalten erst schürten. Alles, was ihnen widerfährt, fällt nach dieser Logik zwangsläufig in alter deutscher Tradition quasi automatisch unter die Rubrik „Notwehr“.

So weit würde das Zentrum für Antisemitismusverharmlosung nicht gehen. Aber mit seinem Tagungsband hat es dem Multiprofi Arne Hoffmann eine veritable Triebabfuhr ermöglicht, ein echtes Männerbeben sozusagen. Jede Wette: Als Gegenleistung hat Wolfgang Benz einen von Hoffmanns Rammelratgebern geschickt bekommen. Auf die entsprechende Rezension darf man schon jetzt gespannt sein. Schade, dass Erich Mühsam nicht mehr lebt. Auf solcherlei Bettlektüre für Lampenputzer hätte er gewiss einen passenden Reim gehabt.

19.5.09

Deutsch aufgefasst



Zugegeben: Dass die deutsche Nahostpolitik janusköpfig ist – weil die Bundesregierung die guten Beziehungen zu Israel und den Kampf gegen den Antisemitismus als Teil der Staatsräson bezeichnet, während sie gleichzeitig beste wirtschaftliche Verbindungen zu den ärgsten Feinden des jüdischen Staates pflegt und gestattet, allen voran zum iranischen Mullah-Regime –, stellt keine neue Erkenntnis dar. Dennoch ist es immer wieder bemerkenswert, zu welchen diplomatischen Verrenkungen und Winkelzügen das zuständige Personal der Großen Koalition in der Lage ist. Nach langem Zögern hatte es bekanntlich in allerletzter Minute entschieden, die Uno-Groteske namens „Durban II“ zu boykottieren. Nun aber, vier Wochen später, gewinnt man dieser Farce offenbar doch noch Gutes ab. Wie Anne Bayefsky von der Nichtregierungsorganisation Eye on the UN herausgefunden hat, heißt es auf der Website der deutschen Vertretung bei der Uno in Genf nämlich: „Die Teilnehmer der Konferenz verabschiedeten ein Schlüsseldokument, das die Erklärung von Durban und das damit verbundene Aktionsprogramm bekräftigt und Maßnahmen definiert, um den Kampf gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit verbundene Intoleranz zu verstärken. Dieses Dokument ist auch nach deutscher Auffassung eine akzeptable Grundlage für den weiteren Kampf gegen rassische Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit.“

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Was da „nach deutscher Auffassung“ als „akzeptable Grundlage“ gilt, ist ein Papier, das sich zwar weniger scharf liest, als das noch im Entwurfsstadium der Fall war, aber dennoch – wie von der deutschen UN-Vertretung ja auch begrüßt – gleich zu Beginn die Erklärungen und Beschlüsse der „Antirassismuskonferenz“ genannten Skandalveranstaltung in Durban vom September 2001 ausdrücklich bestätigt. Im Schlussdokument von Durban wurde Israel damals als einziges Land explizit erwähnt und für seine „Besatzungspolitik“ verurteilt; zudem wurde ein generelles Rückkehrrecht für die palästinensischen „Flüchtlinge“ gefordert, für das sich alle Staaten dieses Planeten gefälligst einzusetzen hätten. Mit ihrer nachträglichen Zustimmung zu der Ende April in Genf durchgepeitschten Abschlusserklärung macht sich die deutsche Seite diese antiisraelische Positionierung zu Eigen, de facto wie de iure. Der deutsche „Durban II“-Boykott war also bestenfalls eine halbherzige Angelegenheit.

Aber womöglich hat die Bundesregierung das Treffen auch gar nicht boykottiert: Im Entwurf des Berichts zu der Veranstaltung führt die Uno Deutschland jedenfalls bei den Staaten auf, die auf der Konferenz vertreten waren. Und das scheint kein Irrtum zu sein: Anne Bayefsky zufolge haben deutsche Diplomaten diese Angabe bewusst nicht korrigieren lassen; auch von Seiten des Auswärtigen Amts gab es bislang keine Richtigstellung. Bis zum Beweis des Gegenteils darf man dies daher als weiteren Beleg dafür werten, dass die Bundesregierung sehr wohl mit „Durban II“ respektive seinem Schlussdokument einverstanden ist. Die antisemitische Hetze Mahmud Ahmadinedjads und anderer islamischer Vertreter auf der Konferenz, die ständige Verhinderung kritischer Statements, die Repressalien gegenüber jüdischen Organisationen – all dies ist augenscheinlich entweder in Vergessenheit geraten oder wird für eine Petitesse gehalten.

Vielleicht haben aber auch die iranischen Geschäftspartner ein bisschen Druck gemacht. Oder deutsche Unternehmen, die im iranischen Energiesektor aktiv sind und dabei von der Bundesregierung tatkräftig mit Hermes-Bürgschaften unterstützt werden, wie etwa der Münchner Konzern Linde AG. Und wer weiß – womöglich wird derlei Business mit den Mullahs eines Tages sogar ganz offen als „akzeptable Grundlage für den weiteren Kampf gegen rassische Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit“ verkauft. Vor allem, versteht sich, gegen die in Israel. Das hinwiederum wäre dann nicht mehr janusköpfig. Sondern konsequent deutsch.

16.5.09

Do it again, Osram!

Nebenan hat Ivo Bozic – als bekennender Schalke-Anhänger! – in seinem Beitrag mit dem fulminanten Titel „Wird Hitler Meister?“ eine Reihe von ausgesprochen guten politischen Gründen aufgezählt, warum Bayern unbedingt Deutscher Meister werden muss. KdF Wolfsburg noch abzufangen, ist für den Münchner Klub nachgerade antifaschistische Pflicht; Hertha NPD und Volkssturm Stuttgart hinter sich zu lassen, ebenso. Aber es gibt auch unmittelbar sportliche Argumente für die Notwendigkeit einer Titelverteidigung des FC Bayern: Nichts könnte den so eigenartigen wie chaotischen Saisonverlauf an der Tabellenspitze der Bundesliga formvollendeter auf die Spitze treiben als ein Last-Minute-Meister aus München, den Rentner Jupp und Prinz Pause urplötzlich aus der Schockstarre gerissen haben. Jürgen Klinsmann gegen Josef Heynckes auszutauschen, war dabei ja eigentlich ungefähr so, als würde man sein MacBook durch einen C64 ersetzen. Andererseits hatten damals alle mit ihrem Commodore seligen Spaß, auf eine Art sogar viel mehr als heute mit ihrem Äpfelchen. Und das Ding funktionierte nun mal absolut zuverlässig. Dass Lukas Podolski dazu noch gewissermaßen von der Datasette zur Floppy Disk mutiert ist, rundet das Basic-Revival erst so richtig ab. Also: Load Bayern Komma acht Komma eins. Enter.

Außerdem wäre eine Meisterschaft der Münchner nur gerecht, schließlich hätten sie den Titel längst in der Tasche, ginge es mit rechten Dingen zu: Nie war es offensichtlicher als in dieser Spielzeit, dass das Geraune von den „Dusel-Bayern“, die überdies noch von den Schiedsrichtern bevorzugt würden, einem unausrottbaren Mythos folgt (auch wenn Jens Lehmann das erwartungsgemäß anders sieht). Folgt man der „wahren Tabelle“, dann litt nur Werder Bremen noch stärker unter Fehlentscheidungen der Referees als der FCB. Thorsten Kinhöfer hat zwar im letzten Spiel der Roten gegen Bayer Neverkusen fraglos ein bisschen Wiedergutmachung betrieben, aber diese joviale Geste kam, erstens, reichlich spät, und sie genügt, zweitens, bei weitem noch nicht. Ein vollkommen unberechtigter Elfmeter für die Bayern am letzten Spieltag in der 95. Minute, dessen souveräne Verwandlung durch Keeper Butt dem Rekordmeister in letzter Sekunde die Schale sichert – das wäre eine angemessene Kompensation. Leider hat Markus Merk seine Pfeife bereits in der Schublade verstaut.

Aber gut, das Leben ist kein Wunschkonzert und der Fußballgott oft genug ein faschistoides Subjekt mit üblen Launen. Nicht auszuschließen also, dass der Titel dorthin geht, wo man Kraft durch Freude hat, in Führers Stadion spielt oder „zum Wohl und aus Lieb zum Vaterland“ kickt. Wo sind eigentlich die Alliierten, wenn man sie braucht?

12.5.09

Breathtaking Break



Schöpferische Pausen machen sich in Übersee ganz besonders gut. Nachfolgend ein paar Eindrücke aus den vergangenen zweieinhalb Wochen in den USA und Kanada. Und damit sei die Pause beendet.



Detroit ist Motown (der Name ist eine Kurzform für „Motor Town“ und spielt auf die Rolle Detroits als Autostadt an), und Motown ist Detroit. Vor 50 Jahren gründete der Profiboxer Berry Gordy das Plattenlabel Motown Records mit einem geliehenen Startkapital von 800 Dollar – es war der Beginn einer unvergleichlichen Erfolgsstory, die mit Namen wie Stevie Wonder, Marvin Gaye und Diana Ross sowie mit Bands wie den Temptations, den Supremes und den Jackson Five verbunden ist. Und nicht zuletzt mit den Funk Brothers, jenen lange Zeit völlig zu Unrecht kaum bekannten Sessionmusikern, die bis 1972 die weitaus meisten Motown-Hits überhaupt erst ermöglichten. Im Hitsville U.S.A. genannten Hauptquartier, einem ehemaligen Fotolabor, wurden jahrelang die Motown-Songs produziert; noch heute kann in dem zum Museum umgestalteten Haus das Studio betrachtet werden. Berry Gordys Spuren sind dort im Wortsinne sichtbar: Der Fußboden ist an jener Stelle, die der Motown-Chef mit seinen Füßen zum Takt der Musik traktierte, bis auf das Fundament abgewetzt.


Keine Arbeiterromantik in der Autostadt Detroit, sondern die unwiderstehliche Faust des in dieser Stadt aufgewachsenen Joe Louis – einer der besten Boxer aller Zeiten, wie Max Schmeling 1938 spätestens nach zwei Minuten und vier Sekunden erkannt haben dürfte, als er gegen den Amerikaner k.o. ging. Louis nahm damit Revanche für seine Niederlage gegen die NS-Ikone zwei Jahre zuvor und blamierte so die von den Nazis angekündigte Demonstration der angeblichen Überlegenheit der „weißen Rasse“ gründlich. Später unterstützte Joe Louis die US-Army auf vielfältige Art und Weise in ihrem Krieg gegen Deutschland. Darüber hinaus wurde er zu einem Symbol für die Emanzipation der afro-amerikanischen Bevölkerung in den USA.


Ronald Reagans Dienstwagen, ausgestellt im Henry-Ford-Museum im Detroiter Vorort Dearborn. Gemeinsam mit der sagenhaften Greenfield Village – die man wahlweise zu Fuß oder mit Nachbauten des Modells Ford T durchqueren kann – bildet der riesige Ausstellungskomplex das größte Indoor-Outdoor-Museum der USA. Dass Henry Ford nicht nur ein erfolgreicher Unternehmer war, sondern auch ein glühender Antisemit, der aus Überzeugung mit den Nationalsozialisten kooperierte, wird allerdings rundweg unterschlagen.


Blick vom achten Weltwunder, der Brooklyn Bridge in New York, auf Manhattan. Der Architekt der Brücke, der deutsche Einwanderer Johann August Röbling, erlebte die Fertigstellung seines Meisterwerks nicht mehr mit. Rainer Nolden schildert auf Spiegel Online den Grund dafür: „Im Sommer 1869, wenige Wochen nach Beginn der Bauarbeiten in Brooklyn [...], fand die traumhafte Karriere ein jähes Ende. Es war der 28. Juni, als Röbling an der Landungsbrücke der Fultonfähre stand und eine Fähre ihm den rechten Fuß zerquetschte. Und nun beging der so geniale Konstrukteur einen fatalen Fehler. Weil er Ärzte verachtete und immer allein auf die Kräfte der Naturheilung setzte, begnügte Röbling sich damit, die Wunde auszuwaschen. Am 22. Juli 1869 starb er am Wundstarrkrampf – einen Monat nach seinem 63. Geburtstag.“


Manhattan, vom Empire State Building aus gesehen. 20 Dollar kostet die Fahrt mit dem Aufzug nach oben, und sie ist jeden Cent wert, vor allem bei einem solchen Traumwetter. Nur das nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 höchste Gebäude New Yorks kann man nicht sehen – logisch, denn dort befindet man sich schließlich.


Ground Zero. Die Dimension von Nine-Eleven ist nicht einmal ansatzweise zu erfassen. Auch nicht aus der Nähe.


Downtown Manhattan, auf dem Broadway. Atemberaubend.


Inside Katz’s Deli(catessen), Lower East Side Manhattan. Wer davon noch nicht gehört hat, hat aber vielleicht den Film When Harry met Sally (deutsch: Harry und Sally) gesehen und damit auch diesen grandiosen Laden. Schlappe 14,95 Dollar muss man für ein Pastrami-Sandwich hinblättern, weitere fünf Dollar für ein Stück New Yorker Cheesecake. Egal: Es ist ein Genuss ohne jede Reue. Womöglich war Sallys Höhepunkt gar nicht gefaket.


Das Weiße Haus in Washington D.C., in dem Barack Obama nicht nur nach Ansicht von Norman Podhoretz, John Rosenthal und Jeffrey Herf gerade zeigt, warum John McCain vermutlich die bessere Wahl gewesen wäre.


Das Lincoln Memorial in der Washingtoner National Mall. Ein Tipp für diejenigen, die in die amerikanische Hauptstadt reisen: Die Mall erkundet man am besten mit dem Fahrrad, und ein solches Gefährt leiht man sich am besten bei Rollin’ Cycle in der zentral gelegenen 14th Street Nr. 1320. Das kostet zwar 38 Dollar pro Tag, aber dafür bekommt man einen leistungsstarken Drahtesel, auf dem es sich sitzt wie auf einem Chopper. Und wenn mal der Schlüssel für das Schloss verloren geht, hebt der Chef des Verleihs nur kurz die Schultern, sagt „it happens“ und händigt einen Ersatzschlüssel aus.


Das Capitol, der Sitz des Kongresses, also der amerikanischen Legislative. Um das Gebäude herum entstand die Stadt. Sein Name leitet sich vom wichtigsten der sieben Hügel Roms ab, dem Kapitolinischen Hügel. Apropos Hügel: Mit den Fahrrädern von Rollin’ Cycle ist Capitol Hill ein Klacks, selbst für Raucher.


Der Crystal genannte Erweiterungsbau des Royal Ontario Museum in Toronto, Kanada. Wenn man das Bild um 45 Grad im Uhrzeigersinn dreht, wird der Komplex auch nicht weniger schräg. Eine architektonische Sensation.


Unterwegs auf der Yonge Street in Toronto, der längsten Straße der Welt, die am Ufer des Lake Ontario beginnt und nach mehr als 2.000 Kilometern an der Grenze des US-Bundesstaates Minnesota endet. „Toronto“ heißt übrigens so viel wie „Ort der Zusammenkünfte“ oder einfach „Treffpunkt“. Kein Wunder: Kanada hat rund 33 Millionen Einwohner; fast ein Viertel davon lebt in dieser wunderbaren Stadt.


Die Niagarafälle, von der kanadischen Seite aus gesehen. Muss man nicht hin? Muss man wohl hin!