25.1.10

In guter Gesellschaft



Vieles spricht dafür, dass der Deutsch-Syrer Mamoun Darkazanli (51) für Al-Qaida von überaus großer Bedeutung ist und gute Kontakte zu ihr pflegt. Er selbst sieht sich jedoch als Opfer – und freut sich, dass es die deutschen Behörden sind, die gegen ihn ermitteln. Schließlich können sie an seinem Handeln partout nichts Strafbares erkennen.


VON STEFAN FRANK*

Auf Antrag der Linksfraktion beschäftigt sich der Innenausschuss des Deutschen Bundestages am kommenden Mittwoch mit den angeblichen Mordplänen des US-Geheimdienstes CIA gegen den Deutsch-Syrer Mamoun Darkazanli (Foto). Anlass ist eine Reportage in der amerikanischen Illustrierten Vanity Fair über Erik Prince, den Chef und Gründer des privaten Militärunternehmens Blackwater. Beiläufig wird darin erwähnt, dass das Unternehmen einmal von der CIA den Auftrag erhalten haben will, den Hamburger Geschäftsmann Darkazanli und den pakistanischen Atombombentüftler Abdul Qadir Khan zu beschatten und später eventuell umzubringen. Die Pläne seien jedoch wegen des „fehlenden politischen Willens“ nicht ausgeführt worden. „Es macht mich sprachlos, ehrlich gesagt. Das ist ein Mordauftrag“, sagte Darkazanli dazu der Bild-Zeitung und präsentierte ihr elektronische Bauteile, die er vor kurzem im Wagen seiner Frau entdeckt habe: „Vielleicht sind das Peilsender“. Darkazanli braucht sich aber keine Sorgen zu machen – auch Autofahrer, die nicht von der CIA beschattet werden, haben heutzutage solche Geräte in ihren Fahrzeugen. Außerdem ist es kein Geheimnis, dass nicht alles stimmt, was in Vanity Fair steht.

Im vorliegenden Fall ist zudem besondere Vorsicht geboten, denn als Beleg für die Geschichte wird lediglich eine anonyme „Quelle“ genannt. Zudem ist der Autor des Beitrags ein ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter, und die lügen bekanntlich wie gedruckt. Wie oft schon wurde unter Berufung auf so genannte Geheimdienstkreise prophezeit, die USA würden die iranischen Atomanlagen bombardieren! Gelegentlich wurden sogar ein genaues Datum und der Name der Operation genannt – doch jedes Mal stellte sich bald heraus, dass es sich um leere Versprechungen gehandelt hatte. Trotzdem gaben sich hierzulande Politiker aller Parteien entsetzt, als die offenkundige Räuberpistole Anfang Januar die Runde machte. Und da es keine Fakten zu diskutieren gibt, sondern bloß eine unbelegte Behauptung, die man entweder glauben oder nicht glauben kann, dürfte die Sitzung des Innenausschusses schnell zu Ende sein und ungefähr so ablaufen:

Abgeordneter der Linken: Ich frage die Bundesregierung: Was wissen Sie?
Abgeordneter der Grünen: Ja, klären Sie alles rückhaltlos auf!
Vertreter der Bundesregierung: Ich weiß gar nichts.
Abgeordneter der Grünen: Was wissen die Amerikaner?
Vertreter der Bundesregierung: Die wissen auch nichts.
Abgeordneter der Linken: Das finde ich skandalös.
Abgeordneter der Grünen: Ich schlage vor, den Chefredakteur von Playboy...
Abgeordneter der Linken: Vanity Fair.
Abgeordneter der Grünen: Ich schlage vor, den Chefredakteur von Vanity Fair einzuladen, vielleicht weiß der etwas.
Vertreter der Bundesregierung: Na, dann kann ich ja jetzt gehen.

„Wie ein Who’s Who von Al-Qaida“

Interessanter wäre es, mehr über das vermeintliche Opfer zu erfahren, und da findet sich in deutschen und internationalen Medien einiges. Die Liste der Personen, mit denen Darkazanli Geschäfte gemacht oder anderweitig Geld ausgetauscht habe, lese sich wie ein Who’s Who von Al-Qaida, schrieb beispielsweise ein Journalist der Chicago Tribune. Die amerikanischen Geheimdienste sind demzufolge spätestens 1998 auf ihn aufmerksam geworden. Damals sei Darkazanli ein Partner von Mamdouh Mahmud Salim gewesen, einem der mutmaßlichen Mitbegründer von Al-Qaida, der inzwischen wegen Mittäterschaft bei den Anschlägen auf US-Botschaften in Afrika verurteilt wurde. Salim hatte Darkazanlis Nummer in seinem Mobiltelefon gespeichert und soll ihn häufig in Deutschland besucht haben. Seit 1995 hatte Darkazanli darüber hinaus eine Vollmacht für Salims Konto bei der Deutschen Bank in Hamburg; er behauptet, das Konto sei zum Ankauf von Antennen für eine Radiostation im Sudan eingerichtet worden, das Geschäft sei jedoch nicht zustande gekommen.

Laut der britischen Tageszeitung Independent taucht Darkazanlis Name auch in einem „mit unsichtbarer Tinte“ – islamische Terroristen sind manchmal etwas altmodisch – geschriebenen Adressbuch von Rangzieb Ahmed auf, dem ranghöchsten Al-Qaida-Mann in Großbritannien, der im Dezember 2008 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Darkazanlis Adresse wurde zudem bei Wadih el-Hage gefunden, einem weiteren Mittäter der Bombenanschläge von Afrika im Jahr 1998. Beide sollen in den 1990er Jahren für Osama bin Laden ein Schiff gekauft haben. Ist es ein Zufall, dass dieses Schiff im November 1995 den saudischen Hafen Jeddah anlief und ihn just am Vortag des Anschlages auf das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Saudi-Arabien – die Detonation einer Autobombe tötete fünf Armeebedienstete – verließ? Die Täter wurden jedenfalls nie ermittelt.

Im Oktober 1999 wurde in der Hamburger Al-Quds-Moschee die Hochzeit von Said Bahaji gefeiert. Er war damals ein Zimmergenosse von Mohammed Atta und wird dringend verdächtigt, die Hamburger Terrorgruppe logistisch unterstützt zu haben, beispielsweise durch die Beschaffung von Visa und Flugtickets. Zur Hochzeit traf sich offenbar die gesamte Hamburger Al-Qaida-Szene, inklusive Mohammed Atta, Mounir al-Motassadeq und Ramzi Binalshibh. Darkazanli war der Trauzeuge. In der Al-Quds-Moschee predigte damals häufig Mohammed Fizazi, dem es ein dringendes Bedürfnis war und ist, „Juden und Kreuzfahrern“ die „Kehlen durchzuschneiden“. Fizazi hatte Kontakte zu den Urhebern der Anschläge von New York, Madrid und Casablanca und sitzt heute in Marokko im Gefängnis.

Ende August 2001, also kurz vor den Anschlägen in New York und Washington, soll Darkazanli außerdem mit Barakat Yarkas, dem damaligen Chef der spanischen Al-Qaida-Gruppe, in Kontakt gestanden haben. In einem abgehörten Telefonat unterhielten sich die beiden scheinbar belanglos über Herrenmode, wie die Süddeutsche Zeitung 2004 berichtete: „Der Mann mit der deutschen Telefonnummer fragte, ob der andere in diesem Jahr in die Türkei fahre. Der andere, der in Spanien saß, antwortete: Es gebe ‚englische Herrenpullover’, und auf dem Schwarzmarkt seien auch die ‚Preise sehr günstig’. Im weiteren Verlauf ging es um Jugendliche aus Marokko und Algerien, und die Ermittler schlossen aus alledem, dass die beiden womöglich Codewörter benutzt hatten, um über gefälschte Ausweispapiere zu sprechen.“ Yarkas, der heute in Spanien inhaftiert ist, soll sich mehrmals mit Darkazanli in Spanien und Hamburg getroffen haben.

In Spanien hat sich damals offenbar auch Mohammed Zouaydi herumgetrieben. Zouaydi ist der ehemalige Buchhalter der saudischen Königsfamilie und gilt als Al-Qaida-Mäzen. Die Welt meldete am 25. April 2002: „Zouaydi soll über verschiedene Wohnungsbaufirmen Terrorkommandos rund um den Globus finanziert haben. Mindestens 667.000 Euro soll der gebürtige Syrer mit spanischem Pass an Zellen unter anderem in den USA, in Großbritannien, in Belgien, im Jemen und in Australien überwiesen haben. 180.000 Euro gingen auch an Mamoun Darkazanli (‚Abu Ilias’), der in Deutschland für die Todesflieger vom 11. September um Mohammed Atta zuständig war. Darkazanli soll neben Atta auch Logistikchef Ramsi Binalshibh angeworben haben, nach dem jetzt auch im Zusammenhang mit dem Djerba-Attentat gefahndet wird.“ Darkazanli behauptete hingegen, von Zouaydi lediglich 9.000 US-Dollar bekommen zu haben. Dafür hätte er in Hamburg einen Gebrauchtwagen kaufen und ihn zu Zouaydi nach Spanien schicken sollen. Darkazanli habe jedoch kein passendes Auto gefunden und das Geld deshalb zurücküberwiesen. Es heißt, deutsche Ermittler hätten bezweifelt, dass ein Millionär wie Zouaydi jemanden engagieren muss, der ihm in Hamburg ein Fahrzeug aus zweiter Hand besorgt.

Der Terrorismusexperte Jean-Charles Brisard schrieb im Dezember 2002 in einem für den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen angefertigten Bericht: „Geld wurde von der saudischen Al Rajhi Bank über Mamoun Darkazanli und Abdul Fattah Zammar an die Hamburger Terrorzelle geleitet, die die Flugzeugentführer mit finanzieller und logistischer Unterstützung versorgten.“ Unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verfügt US-Präsident Bush die Beschlagnahmung des Vermögens von 27 Firmen und Personen, die verdächtigt wurden, Geld an Al-Qaida geleitet zu haben, unter ihnen Mamoun Darkazanli. Auf der Seite von Interpol findet man den Steckbrief, mit dem Darkazanli international gesucht wird – außer dort, wo er wohnt. Gegen ihn liegt in Deutschland nichts vor, und da er einen deutschen Pass hat, wird er nicht an die Justiz eines anderen Landes überstellt.

Dabei sah es für ihn auch schon mal weniger gut aus. Der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón – der durch seine Bemühungen, Augusto Pinochet vor Gericht zu bringen, international bekannt geworden ist – wollte Darkazanli in Spanien den Prozess machen, da er ihn für eine Schlüsselfigur von Al-Qaida hält. Im Oktober 2004 beantragte er deshalb die Auslieferung. Rechtliche Grundlage war der „europäische Haftbefehl“, der seit August 2004 auch Deutschland verpflichtete, eigene Staatsbürger zur Strafverfolgung zu überstellen, sogar für Taten, die hierzulande nicht strafbar sind.

„Strafrechtlich nicht relevante Handelsgeschäfte“

Darkazanli kam in Haft, doch eine Stunde bevor er nach Spanien geflogen werden sollte, stoppte das Bundesverfassungsgericht die Auslieferung. Das deutsche Gesetz zum europäischen Haftbefehl, stellte es später fest, sei verfassungswidrig. Es musste überarbeitet werden; in der Zwischenzeit leitete die Bundesanwaltschaft ein eigenes Ermittlungsverfahren gegen Darkazanli ein, das am 14. Juli 2006 jedoch eingestellt wurde. Die Bundesanwaltschaft erklärte, Darkazanli habe zwar „zwischen 1993 und 1998 als Ansprechpartner verschiedener Al-Qaida-Verantwortlicher“ fungiert und sei „vermittelnd, betreuend und verwaltend in die international angelegten unternehmerischen Aktivitäten des Al-Qaida-Firmengeflechts eingebunden“ gewesen. Diese „der Al-Qaida-Organisation zugute gekommenen Aktivitäten“ hätten „jedoch nicht die Voraussetzungen einer Strafbarkeit“ wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung nach Paragraf 129a des Strafgesetzbuchs erfüllt. Und weiter: „Soweit er für Al-Qaida tätig geworden ist, wickelte er strafrechtlich nicht relevante Handelsgeschäfte als Vermittler ab. Weder die Art der gehandelten Waren noch die Abwicklungsmodalitäten noch der Einsatzzweck der Waren beim Empfänger lassen einen konkreten Bezug zu terroristischen Zielsetzungen erkennen.“

Dass Darkazanli möglicherweise die Al-Qaida GmbH finanziell betreut hat, hielt die Bundesanwaltschaft nicht für strafbar, denn das Gesetz gegen die Unterstützung von terroristischen Vereinigungen im Ausland gilt erst seit August 2002. So hatte auch Darkazanlis Anwalt Michael Rosenthal argumentiert. In seiner beim Bundesverfassungsgericht eingereichten Verfassungsbeschwerde gegen die Auslieferung Darkazanlis heißt es: „Für die Zeit vor 2002 fehlt es jedenfalls an der Unterstützung einer inländischen terroristischen Vereinigung. In der Zeit nach 2002 hat der Verfolgte sicher keine ausländische terroristische Vereinigung unterstützt (§ 129b StGB ist am 30. August 2002 in Kraft getreten).“

Da Darkazanli aufgrund dieser Gesetzeslücke nicht in Deutschland verurteilt werden konnte, verlangte die spanische Justiz erneut die Auslieferung. Jetzt aber griff die Exekutive ein. Bundesjustizministerin Zypries (SPD) lehnte das Ersuchen ab und nannte die Einstellung des Verfahrens in Deutschland ein „zwingendes Bewilligungshindernis“. Mit anderen Worten: Die Gesetzeslücke, die ein Verfahren in Deutschland verhinderte, bewahrte Darkazanli auch vor einem Prozess in Spanien – dank der Bundesjustizministerin. Hamburgs Justizsenator Carsten Lüdemann (CDU) warf ihr deshalb damals vor, „einen wichtigen Terrorverdächtigen vor der Strafverfolgung zu schützen“.

Der Terrorismusexperte Victor Comras sieht in Darkazanli eine wichtige Figur der islamistischen Terrorszene. Comras untersucht seit Jahrzehnten die Finanzierung terroristischer Organisationen und hat im Auftrag des UN-Generalsekretärs die Implementierung der vom Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionen gegen Al-Qaida überwacht. Gegenüber Lizas Welt sagte er: „Herr Darkazanli ist von den USA und dem 1267-Komitee der Vereinten Nationen als jemand genannt worden, der direkt an der Finanzierung des Al-Qaida-Terrorismus beteiligt war. Er war – und ist vielleicht immer noch – aktiv involviert in den Erwerb und die Weiterleitung von Geldern an Al-Qaida und ähnlich gesinnte Gruppen.“

Das Problem sei, dass viele Beweismittel vor Gericht nicht verwertet werden könnten, da sie auf geheimdienstlichem Weg beschafft worden seien und die Verteidigung keine Möglichkeit habe, die Informanten vor Gericht zu befragen. Zudem sei es in allen Fällen, in denen es um Geldwäsche oder die Finanzierung von Terrorismus gehe, extrem schwierig, eine strafrechtliche Schuld festzustellen, da man den Fluss des Geldes vom Geber zum endgültigen Empfänger lückenlos rekonstruieren müsse. Die Weigerung der Bundesregierung, Darkazanli an Spanien auszuliefern, sieht Comras als ein Indiz dafür, dass es bei der Umsetzung von europäischen Abkommen zur grenzüberschreitenden Terrorbekämpfung weiterhin Defizite gebe. Und was sagt Darkazanli selbst? Er meint, es gebe „eine große Show, nur weil ich eine Tasse Kaffee bei meinem Freund getrunken habe“.

Heute hat er viel Zeit, in die Al-Quds-Moschee am Hamburger Steindamm zu gehen, wo er auch als Vorbeter tätig ist. Er lebt von Hartz IV, denn seinem früheren Beruf kann er ja nicht mehr in gewohnter Weise nachgehen, seit die meisten seiner Geschäftspartner im Gefängnis sitzen. Warum hatte Darkazanli mehr Glück als sie? Die New York Times zitierte ihn 2002 mit den Worten: „Natürlich weiß ich, dass gegen mich ermittelt wird – aber Gott sei Dank sind es die deutschen Behörden.“

* Stefan Frank ist freier Journalist und Autor des Buches „Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“.


Eine von John Rosenthal ins Englische übersetzte Fassung dieses Beitrags wurde am 11. Februar 2010 auf dem amerikanischen Webportal Pajamas Media veröffentlicht: Al-Qaeda Financier Remains a Free Man in Germany.

23.1.10

Stern (nicht nur) des Südens



Nebenan, auf dem Weblog Verbrochenes, hat der geschätzte Kollege Bonde aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht und eine regelrechte Philippika gegen meinen Lieblingsverein in die Tasten gehackt. Der Zeitpunkt ist dabei natürlich kein Zufall: Heute spielen seine Bremer gegen die Bayern; fünf Stück würden die Gäste aus München bekommen, hatte er mir in einer E-Mail vollmundig angekündigt, woraufhin sich zwischen uns ein über Twitter ausgetragener kleiner, angenehm unfairer Battle entwickelte. Möglicherweise war es das, was ihn zu seiner unerhörten Tirade motiviert hat; vielleicht wollte er sich aber auch einfach nur für den Fall absichern, dass sein recht gewagter Tipp am Ende in die Hose geht.

Gleichwie: Bonde mag den FC Bayern nicht, und dafür bringt er eine Reihe von Gründen vor: Der Klub habe sich beispielsweise „an die deutsche Industrie verkauft“ und sei so zu einer „Institution für Werbung und Marketing“ mutiert. Das komplette Personal des Vereins sei zutiefst unsympathisch und politisch bedenklich; der Bayern-Vorstand verleide mit allerlei Schikanen den Gästefans außerdem nachhaltig den Besuch des Münchner Stadions. Die vermeintlich linken Ultras von der „Schickeria“ träten in Wahrheit als „arrogante Prollbewegung“ auf, und das übrige, eventorientierte Publikum in der Allianz-Arena zerstöre den Traum, „dass im Fußball und unter seinen Zuschauern irgendetwas zu erleben wäre, was es anderswo nicht gibt“ und „dass im Fußballumfeld vielleicht etwas gesellschaftlich Relevantes entstehen könnte“. Kurzum: Wer es mit diesem Verein hält, kann eigentlich nicht mehr alle Latten am Zaun haben.

Die ganze Suada ist eine etwas eigenartige Mischung aus einer Kritik der politischen Ökonomie, moralinschwangerem Hadern, Soziologismus und allerlei Befindlichkeiten. Im Gegensatz zu den handelsüblichen Abneigungen gegen den deutschen Rekordmeister ist sie zwar frei von jedwedem Ressentiment, bleibt aber in einem seltsamen Romantizismus gefangen und kommt – form follows function – in einem nörgeligen Ton daher, der so gar nicht zu den sonst so leichtfüßigen Polemiken des Autors passen will. Aber gut: Die Welt ist schlecht eingerichtet und Werder Bremen nur Sechster mit reichlich Rückstand auf die Spitze, da muss dann zur Not auch mal Ivica Olics unfairer Einsatz gegen Per Mertesacker als Beleg für die Schlechtigkeit der Bayern herhalten, selbst wenn es nicht lange zurückliegt, dass der Bremer Torwart Tim Wiese eben diesem Olic fast den Kopf abgetreten hat und dafür von Bonde gefeiert wurde.

Ein weiterer Grund, die Bayern nicht zu mögen, sei es, dass der Klub mit der Veräußerung von Anteilsscheinen an die Firmen Adidas-Salomon (zehn Prozent) und Audi (neun Prozent) eine Grenze überschritten habe und „gekippt“ sei wie zuvor schon der VfL Wolfsburg und Bayer 04 Leverkusen: von einem Verein, der für Geld Werbung mache, damit er erfolgreich Fußball spielen könne, zu einem Konzern, der einen Verein kaufe, der dann für ihn Werbung mache. Habe ich da etwas verpasst? Hält der FC Bayern München e.V. nicht mehr die Mehrheit der Anteile an der FC Bayern München AG? Ist nicht mehr Karl-Heinz Rummenigge deren Vorstandsvorsitzender, sondern Herbert Hainer oder Rupert Stadler? Und worin genau besteht eigentlich das Problem, sich solche Finanzquellen zu erschließen? Der Profifußball ist seit mindestens zwanzig Jahren ein lohnendes Marktsegment und damit einer Durchkapitalisierung unterworfen, die sich die ihr entsprechenden Organisationsformen gibt. Werder Bremen ist übrigens eine GmbH & Co. KGaA. Das ist natürlich etwas völlig anderes.

Dabei stellt sich der FC Bayern lediglich etwas geschickter an als seine Konkurrenten, und er konnte beizeiten auch auf eine bessere Infrastruktur zurückgreifen: Das große Olympiastadion etwa sorgte ab 1972 für höhere Einnahmen bei den Spielen, und das Management hatte ein feines Gespür für die Möglichkeiten finanzieller Akquise. Als erster deutscher Fußballklub dehnten die Münchner zudem ihre Werbung um Fans, Mitglieder und Sympathisanten auf das gesamte Bundesgebiet aus und brachen damit die so eherne wie abstoßende Regel, dass man gefälligst seine autochthonen Wurzeln zu bedenken und als Kölner zum „Eff-Zeh“ zu halten hat – oder als Bremer eben zum SV Werder. Darüber hinaus erschlossen sie sich durch ein innovatives Merchandising weitere Geldquellen. Das so gewonnene Kapital wurde akkumuliert und reinvestiert, nämlich in Beine und Steine. Daran ist nichts Ehrenrühriges.

Proletenromantik, ein Blut-Schweiß-und-Tränen-Ideal und eine volksgemeinschaftliche Vereinsidylle hingegen gab es beim FC Bayern glücklicherweise zu keiner Zeit; seit seiner Gründung war er ein bürgerlicher, metropolitaner und liberaler Klub, der sich stets international orientierte und dem das Motto „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ erfreulich fremd war. Die Nazis schmähten ihn als „Judenklub“, stoppten seinen sportlichen Aufstieg jäh (während Werder gleichzeitig vier Gaumeisterschaften gewann) und sperrten seinen jüdischen Präsidenten Kurt Landauer ins Konzentrationslager Dachau, von wo aus er ins Exil flüchtete. Die Ultras von der „Schickeria“, jene laut Bonde „arrogante Prollbewegung“, richten übrigens jährlich ein Fan-Fußballturnier aus, dessen Siegerpokal nach Landauer benannt ist.

Der Rest von Bondes Anwürfen: geschenkt. Wer mehr auf hemdsärmelige Sozialdemokraten steht als auf vermeintlich oder tatsächlich reaktionäre Kleinbürger, ist bei Allofs und Schaaf sicher besser aufgehoben als bei Hoeneß und Rummenigge; ein Unterschied ums Ganze ist das allerdings ganz gewiss nicht. Der Disziplinfanatiker mit den deutschen Sekundärtugenden namens Felix Magath wiederum war bekanntlich nicht nur bei den Bayern, sondern auch bei den Bremern unter Vertrag – bloß mit geringerem Erfolg – und scheidet als Argument gegen die Münchner somit aus. Das Publikum in der Allianz-Arena mag eventgeil sein; im Weserstadion ist es einfach nur stinklangweilig. Außerdem hat die demonstrative Penetranz, mit der sich ganz Bremen bei Heimspielen in eine einzige provinzielle Pro-Werder-Bewegung verwandelt, fast schon etwas Dörflich-Totalitäres. Dass in diesem Fußballumfeld „vielleicht etwas gesellschaftlich Relevantes entstehen könnte“, wie Bonde es ausdrückt, möchte ich lieber nicht hoffen. Und wer von Torsten Frings nicht reden will, sollte von Mark van Bommel besser schweigen.

Bleibt die von Bonde gestellte Frage nach dem „Wie kann man nur“. Ja, wie kann man nur Bayernfan sein? Als Kind bin ich es womöglich deshalb geworden, weil ich für mein Alter zu klein war, rote Haare hatte und mir montags nicht noch die Häme meiner Mitschüler zuziehen wollte, wenn mein Lieblingsverein schon wieder verloren hatte. Ich hätte es wie der Rest mit dem 1. FC Köln halten können, aber ich habe es kalt lächelnd vorgezogen, mich dafür anfeinden zu lassen, dass der von mir favorisierte Klub erfolgreicher ist als die Geißböcke. Im Übrigen hat die Kulturindustrie nun mal eine Menge Kompensationsmöglichkeiten für den schnöden Alltag hervorgebracht, und Bayern München gehört definitiv nicht zu ihren schlechtesten Angeboten. Außerdem bin ich froh, wenigstens eine Leidenschaft zu haben, die mein Leben seit mehreren Jahrzehnten begleitet und ihm auf diese Weise so etwas wie Kontinuität verleiht. Daran ändert weder der Verkauf von Anteilen des Vereins an Konzerne etwas noch ein Personal, bei dem ein Werderfan den Daumen senkt. Und selbst wenn wir heute Nachmittag tatsächlich fünf Stück kriegen sollten, wird das allenfalls eine Momentaufnahme sein.

18.1.10

Befreiung auf der Bühne



Wenn ein Theaterstück, das die „schicksalhafte Verbindung“ junger Erwachsener aus Deutschland, den palästinensischen Gebieten und Israel zum Thema hat, in der deutschen Presse überschwänglich gelobt wird, muss man als Besucher dieser Inszenierung mit dem Schlimmsten rechnen. Trotzdem hat sich Lea T. Rosgald
die Aufführung in Dessau für Lizas Welt angesehen.

VON LEA T. ROSGALD

„Wir sind längst keine Opfer mehr, sondern in der dritten Generation zu Tätern geworden“ – ein solcher Satz aus dem Mund eines Juden oder einer Jüdin lässt das Herz eines jeden „Israelkritikers“ höher schlagen. Gesagt hat ihn Yael Ronen, die israelische Regisseurin des mit deutschen, arabischen und israelischen Schauspielern bestückten Bühnenwerks „Die dritte Generation“, in einem Interview mit der taz. Der Holocaust werde von der israelischen Politik instrumentalisiert, behauptete Ronen darüber hinaus – und wurde dafür von der Tageszeitung, der Henryk M. Broder einmal das Prädikat „Kreuzberger Kinderstürmer“ verlieh, denn auch gelobt: Sie gehöre zu jener Generation von Israelis, die erkannt habe, „dass es gerade das sture, alles rechtfertigende Beharren auf dem eigenen Opferstatus ist, das den Kreislauf der Gewalt auf beiden Seiten immer wieder mit mörderischer blinder Wut anfüttert“. Applaus gab es auch im Neuen Deutschland; dort begeisterte sich Christoph Funke über den „Slapstick“ der Schauspieler, die „frisch und frech die Belastungen im Verhältnis der drei Nationen Deutschland, Israel, Palästina“ darstellten, und die Berliner Morgenpost jubelte, „die Stereotypen der beliebten Opfer- und verordneten Täterrollen“ würden „aberwitzig über den Haufen geworfen“.

Diese Lobeshymnen, soviel sei vorweg genommen, sind berechtigt. Wenn ein deutscher Schauspieler das Stück mit einem Selbstgespräch einleitet, in dem er sich für alle möglichen Dinge entschuldigt, für Banalitäten wie den Holocaust und ärgere Dinge wie das schlechte Wetter, dann feixt das Publikum, weil es weiß, dass es nichts zu entschuldigen gibt. Diese Freude wird nur kurz getrübt, wenn eine der israelischen Schauspielerinnen anklagend fragt, weshalb die Deutschen seinerzeit weggesehen hätten, als Juden erst durchs Dorf getrieben und anschließend ermordet wurden. Denn die Entlastung des ohnehin nicht belasteten deutschen Gewissens folgt auf dem Fuß: Schließlich baue die israelische Regierung „eine schlimme Mauer“, weil „die Israelis nicht wissen wollen, was in den besetzten Gebieten vor sich geht“. Der mögliche Einwand, dass dieser Schutzzaun die Israelis vor dem Terror der palästinensischen Mörderbanden schützt, wird von der Schauspielerin antizipiert und in ihrem Monolog sogleich gekontert: Die Terroristen fänden trotzdem ihren Weg, außerdem sei es „schrecklich, über eine Million Menschen in einem Gefängnis ohne Essen einzusperren“. (Dass eines der dringlichsten gesundheitlichen Probleme der Menschen im Gazastreifen das Übergewicht ist, sei hier nur am Rande erwähnt.) Ähnlich der Eröffnungsrede ihres deutschen Kollegen soll auch der Monolog der Israelin offenbar witzig daherkommen, wenn nach jedem Statement – etwa über die Shoah und die „Nakba“ – die Versicherung angefügt wird, das könne man „überhaupt nicht vergleichen“, wie auch der Holocaust mit dem Völkermord in Ruanda nicht zu vergleichen sei, weil Ruanda ja „ein ganz anderer Kontinent“ sei.

Genozid und tote Juden als Schenkelklopfer, die Israelis als Volk von Tätern – das macht Laune hierzulande, zumal, wenn die Vergangenheit so „frisch und frech“ bewältigt wird, wie es nicht nur das Neue Deutschland gerne hat. In einer anderen Szene begegnet ein palästinensischer „Geist“ seinem israelischen Mörder in Uniform und beteuert ihm gegenüber, er habe damals in Jenin statt einer Handgranate doch nur eine Coladose in den Händen gehalten – wodurch auf die Lüge vom „Massaker in Jenin“ Bezug genommen wird. Anschließend wird die israelische Armee auch noch des Mordes an den Bewohnern des Zoos von Gaza für schuldig befunden, was im Land der Tierfreunde und Judenhasser natürlich besonders gut ankommt. Und schließlich versichert eine Schauspielerin augenzwinkernd, Israel habe die moralischste Armee der Welt; die Soldaten der Zahal täten keiner Fliege etwas zuleide. Da lacht der Theaterbesucher, hat er doch kurz zuvor erfahren, dass Israelis generell „nicht zurechnungsfähig“ und „traumatisiert“ seien – nicht etwa durch den realen Massenmord, sondern durch die eigene Regierung, die doch tatsächlich Erinnerungsfahrten für israelische Schulklassen nach Auschwitz organisiert, was für die Schauspieler Anlass zu einem mit der Gitarre begleiteten Liedchen ist: „Don’t stop sending us to Auschwitz, so Auschwitz could never happen again“, trällert es fröhlich von der Bühne, und die deutschen Zuschauer sind entzückt.

Bemerkenswert ist der Zuruf einer israelischen Darstellerin an ihre Kollegen, mit dem Stück werde lediglich der Wunsch der Deutschen nach jüdischen Tätern zum Zwecke der eigenen Entlastung erfüllt; die Deutschen liebten die Juden aber dennoch nicht. Diese ausgesprochene – und gerade dadurch dementierte – Wahrheit ist allerdings augenscheinlich nicht das Resultat einer kritischen Reflexion der eigenen Darbietung, sondern eher der ins Stück integrierte Vorwurf, der den Schauspielern in Israel begegnete und sowohl ihnen als auch dem Publikum so absurd erscheint, dass über ihn nicht weiter nachgedacht werden muss. In der sich kürzlich in Dessau an die Aufführung anschließenden Diskussionsrunde, die ihren Namen nicht verdiente, marschierten die Künstler, das Publikum und der Moderator Andreas Montag – Kulturredakteur bei der notorisch „israelkritischen“ Mitteldeutschen Zeitung und also schon von Berufs wegen Liebhaber der „Dritten Generation“ – denn auch im Gleichschritt zum Dreiklang Antizionismus, deutsche Vergangenheitsbewältigung und palästinensischer Befreiungskampf. Das inszenierte Rebellentum, ohne das kein antizionistisches Spektakel auskommt, kulminierte schließlich darin, dass die Schauspieler berichteten, sie hätten vor der Premiere in Israel „Angst vor Tomatenwürfen“ gehabt (die dann aber doch ausblieben) und sich der „Zensur“ im jüdischen Staat widersetzen müssen – die das Ensemble in dem schlichten Umstand zu erkennen glaubte, dass das israelische Außenministerium ihnen die Co-Finanzierung des Stückes versagte.

„Provozierend“, „verstörend“, „revolutionär“ gar, wie es in den Jubelorgien über die Aufführung zu lesen war, ist in „Dritte Generation“ jedenfalls gar nichts. Vielmehr handelt es sich um eine konformistische Revolte auf der Theaterbühne, in der die Schauspieler mit dem Publikum in antizionistischer Sehnsucht gemeinsam aufgehen und die „letztendlich befreiend“ wirkt, wie die Berliner Morgenpost frohlockte, um zu ergänzen, das Stück sei „eine Option auf die Zukunft“ – was angesichts der Darbietung unbedingt als Drohung verstanden werden muss.

Das Foto zeigt einen Ausschnitt aus dem Theaterstück „Die dritte Generation“. Hier reißt der deutsche Schauspieler Niels Bormann das Publikum zu Beifallsstürmen hin.

5.1.10

Hurra, wir fraternisieren!



Kennen Sie den? Unterhalten sich zwei Alzheimerpatienten. Fragt der eine: „Sag mal, weißt du, was ein Déjà-vu ist?“ Sagt der andere: „Keine Ahnung, aber mir ist so, als ob mich das schon mal jemand gefragt hätte.“ Der Witz passt ganz gut zu alledem, was sich seit dem Attentatsversuch auf den dänischen Zeichner Kurt Westergaard so in den Medien abgespielt hat: Irgendwie wird man den Einruck nicht los, etliche beschwichtigende und also verharmlosende Kommentare schon einmal gehört oder gelesen zu haben – vor ziemlich genau vier Jahren nämlich, während des „Karikaturenstreits“ –, und irgendwie scheint es außerdem weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein, dass besonders reizbare Diener des Propheten Mohammed schon in der Vergangenheit zahlreiche Mordaufrufe gegen „Ungläubige“ veröffentlicht und Mordanschläge auf sie verübt haben. Stellvertretend für viele seien hier nur die Fatwa gegen Salman Rushdie (an die Henryk M. Broder, eine der wenigen rühmlichen Ausnahmen von der unrühmlichen Regel, am vergangenen Samstag erinnert hat), die Hetzjagd auf Ayaan Hirsi Ali sowie die Hinrichtung von Theo van Gogh erwähnt. Und natürlich frühere Attentatspläne gegen Westergaard.

Besonders bemerkenswert ist es, was sich die Süddeutsche Zeitung diesbezüglich in den vergangenen Tagen geleistet hat. Zunächst ließ sie Andrian Kreye, einen ihrer beiden Feuilletonchefs, von der Leine. Dem ist die Causa Rushdie zwar durchaus nicht unbekannt, doch er findet die Analogisierung der islamischen Tötungsverfügung gegen den Autor der „Satanischen Verse“ mit der Attacke des 28jährigen Somaliers auf Westergaard völlig verfehlt: „Man kann ein Werk der Weltliteratur, in dem sich einer der klügsten Schriftsteller unserer Zeit auf kulturgeschichtlich höchstem Niveau mit den religiösen Spannungen seines Heimatlandes Indien auseinandersetzt, nicht mit der plumpen Witzelei eines dänischen Karikaturisten vergleichen.“ Den Vollstreckern Allahs geht dieser – vermeintliche oder tatsächliche – Unterschied allerdings ungefähr so weit am Allerwertesten vorbei, wie Westergaards Wohnort Århus von Mekka entfernt liegt. Das aber ist nun mal entscheidend – und nicht die Einordnung der Werke zweier Kunstschaffender durch einen Feingeist, der in einer Münchner Redaktionsstube sitzt.

Kreye jedoch mag das nicht sehen; ihn beschäftigen ganz andere Fragen: „Was zählt mehr? Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit? Oder der Respekt für religiöse Gefühle?“ Weil aber die einen nun mal so sagen („Meinungsfreiheit!“) und die anderen so („Respekt!“), weil also alles irgendwo furchtbar kompliziert ist, auch und gerade für den Feuilletonboss einer führenden deutschen Tageszeitung, lautet dessen Antwort schließlich „weder noch“: „Es geht vielmehr um die Unfähigkeit des Westens, die immer dringendere Auseinandersetzung mit dem islamischen Kulturkreis und seinen Einfluss auf die moslemische Diaspora auf europäischem Boden realistisch einzuschätzen. Im Westen geht die Wertedebatte prinzipiell davon aus, dass der Wertekanon von Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Menschenrechten etwas ist, das der gesamte Rest der Menschheit herbeisehnt.“ Ein Muslim sei „jedoch kein Unterdrückter, der unter einer Diktatur leidet, bis ihn endlich die Flucht oder ein Befreier von seinem Schicksal erlöst“. Denn: „Freiheit und Demokratie sind keineswegs Lebensformen, die in der islamischen Welt als höchste Stufe der menschlichen Entwicklung angesehen werden.“

Das ist das postmoderne anything goes par excellence, das ist der Prototyp des Geschwätzes von den „Narrativen“ und den „Kulturkreisen“, die alle ihre je eigene Wahrheit und Berechtigung haben sollen, das ist lupenreiner Kulturrelativismus, der keine universalistischen Maßstäbe kennt, sondern stattdessen das „emotionale Verhältnis“ der Muslime zur Meinungsfreiheit beschwört und sich verständnisinnig fragt, „was ein Moslem empfindet, wenn ein Ungläubiger“ – ohne Anführungszeichen! – „seinen Glauben beleidigt“, wie es Westergaard getan haben soll. Zwar beeilt sich Kreye zu beteuern, „unsere Grundwerte“ seien „natürlich nicht verhandelbar“, aber nur, um sofort einzuschränken: „Mit Gott allerdings kann man auch nicht debattieren.“ Ganz recht – wer würde es schließlich schon wagen, dem Allmächtigen die Aufklärung entgegenzusetzen und eine Freiheit zum Maßstab zu machen, die zuvörderst die Freiheit von Religion, „Kultur“ und anderen Zumutungen ist und nicht für sie?

Doch das war noch nicht alles, was die Süddeutsche zum versuchten Mord an Kurt Westergaard zu bieten hatte. Einen Tag nach Kreyes Kakophonie hob sie nämlich außerdem eine „Außenansicht von Wolfgang Benz“ ins Blatt, einen Beitrag des Leiters des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung also, auf dessen Agenda zurzeit bekanntlich die unsägliche Gleichsetzung von Antisemitismus und „Islamophobie“ steht. Diese Gleichsetzung führte er nun unter der Überschrift „Hetzer mit Parallelen“ erneut aus, und es wirkt wie ein Hohn auf den 74jährigen dänischen Cartoonisten und seine fünfjährige Enkeltochter – die nur die Flucht in den „Panikraum“ von Westergaards Wohnung davor bewahrte, eine Axt auf ihre Schädel zu bekommen –, wenn Benz Sätze wie diesen von sich gibt: „Derzeit wird der Islam gedanklich mit Extremismus und Terror verbunden, wodurch alle Angehörigen der islamischen Religion und Kultur mit einem Feindbild belegt und diskriminiert werden sollen.“ Als ob es nicht der muslimische Attentäter selbst gewesen wäre, der den Islam „mit Extremismus und Terror verbunden“ hat – und zwar nicht nur gedanklich, sondern überaus handfest.

Für Benz wie für die Süddeutsche hingegen ist nicht die bloß knapp gescheiterte Bluttat eines offenbar zu al-Qaida gehörigen Islamisten das Problem; vielmehr warnen die Zeitung und der Zentrumsleiter einmütig vor den Islamkritikern, die sich ganz ähnlicher Methoden bedienten wie weiland die Antisemiten, und davor, einen „Wertekanon von Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Menschenrechten“ gegenüber jenen zu verteidigen, die andere „Lebensformen“ bevorzugen – das heißt, für ihre Gegner nur Todesformen übrig haben. Derlei lässt sich schon nicht mehr als Appeasement qualifizieren, sondern nur noch als Fraternisierung, als faktische Kollaboration mit den Feinden der Freiheit. Hierzulande würfe man einem unmittelbar bedrohten Islamkritiker vermutlich eine linksliberale Tageszeitung in die Wohnung; wie gut, dass die Polizei in Århus andere Maßstäbe verfolgt und deshalb dem Täter – der seine Axt und sein Messer schließlich auf sie richtete, ihr also keine Wahl ließ – nicht mit einer Kerze, sondern mit einer Waffe gegenübertrat.

Das Foto zeigt Westergaards Bungalow – dem Attentäter gelang es, mit seiner Axt in die Wohnung einzudringen; er scheiterte jedoch zum Glück an der Tür zum „Panikraum“, in den sich der Zeichner und seine Enkeltochter geflüchtet hatten.