31.5.10

Aufgebrachte Narrenschiffe



Man kann gar nicht anders, als den Organisatoren und Teilnehmern der internationalen „Free-Gaza-Solidaritätsflotte“ zu gratulieren: Sie haben erreicht, was sie erreichen wollten. Denn ihre Aktion, die mit viel Pathos als humanitäre Hilfe für den Gazastreifen deklariert worden war, wurde der von vornherein geplante Propagandacoup für die Hamas. Deren Führer Ismail Haniya hatte schon vor einigen Tagen frohlockt: „Wenn die Schiffe Gaza erreichen, ist das ein Sieg – und wenn sie von den Zionisten terrorisiert werden, ist das ebenfalls ein Sieg.“ Nun hat ein Spezialkommando der israelischen Streitkräfte die sechs Schiffe umfassende Flotte aufgebracht; dabei sind nach unterschiedlichen Angaben zwischen zehn und 19 „Friedensaktivisten“ zu Tode gekommen und mehrere Dutzend verletzt worden. Auch unter den israelischen Soldaten gab es eine Reihe von Versehrten.

Der Tenor in den deutschen Medien ist eindeutig – und ganz im Sinne der Gotteskrieger: „Blutiger Angriff Israels auf Gaza-Hilfsflotte“ (Spiegel Online), „Israel schockt den Nahen Osten“ (Süddeutsche Zeitung), „Angriff Israels auf Solifahrt für Gaza“ (taz), „Israel ohne Maß“ (FAZ) – um nur einige von unzähligen Beispielen zu nennen. Die Bundesregierung sieht den „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ verletzt, verlangt eine internationale Untersuchung und ein „Ende der Blockade“, während Linken-Fraktionschef Gregor Gysi befand: „Ohne im Einzelnen beurteilen zu können, was bei der Besetzung geschah, ist es niemals und durch nichts zu rechtfertigen und deshalb verbrecherisch, dass einseitig das Feuer eröffnet wird und friedliche Menschen getötet oder verletzt werden.“ Mehrere Staaten, darunter Griechenland, Spanien, Ägypten und die Türkei, bestellten den jeweiligen israelischen Botschafter ein. Wer die Schuld an der blutigen Eskalation trägt, wird nicht nur hierzulande also gar nicht erst diskutiert. Doch wie immer, wenn die Wogen der Empörung über dem jüdischen Staat zusammenschlagen, lohnt sich ein genauerer Blick.

Zunächst einmal kann keine Rede davon sein, dass die israelische Spezialeinheit die Flotte angegriffen hat; vielmehr war es umgekehrt: Es gab mehrere Aufforderungen der israelischen Marine an sie, die Seeblockade des Gazastreifens zu akzeptieren, den Kurs zu ändern und den Hafen der israelischen Stadt Ashdod anzusteuern. Die antiisraelischen Aktivisten weigerten sich jedoch, dieser Anordnung Folge zu leisten. Daraufhin enterten israelische Soldaten am Montagmorgen die Schiffe; auf fünf von ihnen leistete die Besatzung offenbar keinen Widerstand. Anders verhielt es sich auf dem größten Schiff, der Mavi Marmara: Dort wurden die Soldaten sofort massiv angegriffen, unter anderem mit Knüppeln, Metallrohren und Messern. Mehrere Videoaufnahmen [insbesondere 1] [2] [3] zeigen diese Attacken deutlich. Nach Angaben eines Armeesprechers setzten die israelischen Spezialkräfte zunächst nicht-tödliches Gerät ein, um das Schiff unter Kontrolle zu bekommen, jedoch ohne Erfolg. Nachdem ihnen schließlich auch noch zwei Handfeuerwaffen entwendet worden seien, hätten sie mit scharfer Munition (zurück)geschossen. Denn die Besatzung habe vorgehabt, die Soldaten regelrecht zu lynchen.

„Friedliche Menschen“, wie Gysi die „Free Gaza“-Seefahrer genannt hat, verhalten sich zweifellos anders. Doch es war ohnehin schon lange vor dem heutigen Morgen klar, dass es sich bei den vermeintlichen Menschenrechtlern in Wirklichkeit um militante Israelhasser handelt, denen das Wohl und Wehe der Palästinenser gleichgültig ist, wenn sie es nicht für eine Kampagne gegen den jüdischen Staat instrumentalisieren können. Greta Berlin, eine der Organisatorinnen der „Solidaritätsflotte“, gab das vor einigen Tagen auch unumwunden zu: „Bei dieser Mission geht es nicht darum, humanitäre Güter zu liefern, es geht darum, Israels Blockade zu brechen“ – eine Blockade, die bekanntlich errichtet wurde, um neuerliche Waffenlieferungen an die Hamas zu unterbinden. Deshalb schlugen Berlin und ihre Mitstreiter in den vergangenen Tagen auch jedes Angebot der israelischen Regierung aus, die Schiffsladungen im Hafen von Ashdod löschen und sie – nach einer Kontrolle auf Waffen und anderes unzulässiges Gut – auf dem (üblichen) Landweg in den Gazastreifen bringen zu lassen.

Aber nicht nur dieser Vorschlag für eine einvernehmliche Lösung wurde von den „Friedensfreunden“ zurückgewiesen, sondern auch – und das macht den Antrieb dieser Freizeitkapitäne besonders deutlich – das Ansinnen der Familie des vor vier Jahren von der Hamas entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit: Die Shalits hatten angeboten, sich bei der israelischen Regierung dafür stark zu machen, dass der Schiffskonvoi im Hafen von Gaza anlegen kann – wenn sich die Mitglieder der Flotte im Gegenzug bei der Hamas dafür einsetzen, dass Gilad Shalit ein Paket mit Lebensmitteln und Briefen übergeben werden darf. Die „Free Gaza“-Aktivisten lehnten ab, was der Rechtsanwalt der Familie, Nick Kaufmann, mit deutlichen Worten kommentierte: „Ich dachte, diese Bewegung unterstütze die Menschenrechte“, sagte er; stattdessen gelte ihre Unterstützung „nur einer Terrorgruppe, die sich selbst überhaupt nicht für Menschenrechte interessiert“.

Zumindest nicht für Menschenrechte, die dem islamischen Verständnis davon zuwiderlaufen, wäre hinzuzufügen. Denn die unter türkischer Flagge fahrende Mavi Marmara – auf der die israelischen Spezialkräfte attackiert wurden – wurde maßgeblich von der radikalislamischen türkischen Organisation IHH organisiert und finanziert. Deren Vorsitzender Bülent Yildirim hielt vor wenigen Tagen in Istanbul bei der Einweihungszeremonie für das Schiff – an der auch zwei von Großbritannien aus operierende Topterroristen der Hamas, Mahmad Tzoalha und Sahar Albirawi, sowie Hamam Said, ein Führer der Muslimbruderschaft in Jordanien, teilnahmen – eine Rede, in der er unter anderem sagte: „Israel verhält sich, wie Hitler sich gegenüber den Juden verhalten hat. Hitler baute Konzentrationslager in Deutschland, und heute baut das zionistische Gebilde Konzentrationslager in Palästina.“

Ebenfalls bei der Feierstunde zugegen war Scheich Raed Salah, der Führer der „Abteilung Nord“ der Islamischen Bewegung in Israel. Salah verfügt nicht nur über gute direkte Kontakte zur Hamas, sondern hat in der Vergangenheit auch mehrfach antisemitische Hasspredigten gehalten. Darin führte er unter anderem aus, die Juden seien „Schlächter von schwangeren Frauen und Babys“, „Diebe“ und „die Bakterien aller Zeiten“; zudem bediente er alte Ritualmordlegenden: „Wir sind nicht diejenigen, die ein Mahl von Brot und Käse in Kinderblut essen.“ Der Sieg sei „mit den Muslimen, vom Nil bis an den Euphrat“. Salah war dann auch einer der Passagiere der Mavi Marmara – bei deren Auslaufen in Istanbul antisemitische Lieder gesungen wurden – und soll bei den heutigen Kämpfen verletzt worden sein.

Über die Vorzüge von unter türkischer Flagge fahrenden Schiffen wurde bereits vor einigen Tagen auf der Website des Palestine Chronicle ganz offen gesprochen respektive geschrieben: Die Türkei sei ein Nato-Mitglied; ein Angriff Israels auf die Mavi Marmara könne deshalb den Bündnisfall provozieren, in jedem Fall aber die Empörung der Weltöffentlichkeit steigern. Und tatsächlich treffen sich die Nato-Botschafter am Dienstag zur Beratung. Da mutet es fast schon ironisch an, dass sich auch drei Politiker der natokritischen Linkspartei an Bord der Mavi Marmara befanden, nämlich die beiden Bundestagsabgeordneten Inge Höger und Annette Groth sowie der frühere Parlamentarier Norman Paech. Weitere deutsche Teilnehmer an der „Solidaritätsflotte“ waren Matthias Jochheim von den Internationalen Ärzten zur Verhütung eines Atomkriegs (IPPNW) sowie je ein Vertreter von Pax Christi und der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft.

Vor allem die Teilnahme der genannten Politiker am Unternehmen „Free Gaza“ wiegt schwer. Denn hier haben sich deutsche Parlamentarier de facto als Kombattanten der Hamas betätigt und an einem Angriff gegen Israel durch ein von Islamisten gesteuertes, bewaffnetes Schiff beteiligt. Sie haben es mindestens geduldet, dass Israelis bei dem Lynchversuch – und um einen solchen handelte es sich ganz offensichtlich – zu Schaden kommen. Und sie haben es mindestens geduldet, dass es bei diesem Angriff Tote gibt – denn die Angreifer können unmöglich erwartet haben, dass ihre massiven, teilweise durch Schusswaffen ausgeführten Attacken auf israelische Elitesoldaten, die von Hunderten Kollegen in Begleitschiffen unterstützt wurden, ohne Opfer in den eigenen Reihen vonstatten gehen werden (weshalb die Wahrscheinlichkeit, dass hier öffentlichkeitswirksam „Märtyrer“ produziert werden sollten, nicht eben gering ist). Auf die Stellungnahmen von Höger, Groth und Paech darf man deshalb besonders gespannt sein – werden sie am Ende womöglich öffentlich äußern, die Besatzung habe sich „selbst verteidigen“ müssen – in „Notwehr“, und zwar gegen Juden?

In israelischen Medien wird derweil intensiv darüber diskutiert, ob – und gegebenenfalls warum – der Einsatz der Streitkräfte aus dem Ruder gelaufen ist und inwieweit sich der Schaden hätte begrenzen lassen können; womöglich war die Spezialeinheit tatsächlich überrascht von der zu allem entschlossenen Gewalt der „Friedensaktivisten“ an Bord der Mavi Marmara. Ungeachtet dieser Debatte fällt es schwer, gegenüber den getöteten und verletzten Teilnehmern an der „Friedensflotte“ Empathie aufzubringen. Denn deren Motivation – die im weiteren Befeuern des antisemitischen (Propaganda-) Krieges gegen Israel mit allen Mitteln liegt und nicht in der Hilfsbereitschaft gegenüber vermeintlich oder tatsächlich notleidenden Palästinensern – ist allzu offensichtlich. Und genau das sollte im Mittelpunkt des Interesses und der Kritik stehen. Wer den Palästinensern wirklich helfen will, packelt nicht mit der im Gazastreifen herrschenden Judenmörderbande und provoziert keinen Militäreinsatz – sondern erweitert die Parole „Free Gaza“ um ein „from Hamas“.

30.5.10

Praktizierte „Israelkritik“



Einige Anmerkungen zum Brandanschlag auf die Wormser Synagoge vor knapp zwei Wochen.


VON MATHEUS HAGEDORNY

Ungefähr zur gleichen Zeit, als Deutschland wegen Michael Ballacks Sprunggelenk zu trauern begann, versuchten Unbekannte in Worms, eine Synagoge niederzubrennen. Obwohl die Täter mit neun gleichzeitig entfachten Bränden nichts dem Zufall überließen, konnte die örtliche Feuerwehr durch ihren rechtzeitigen Einsatz die Zerstörung abwenden. „Sobald ihr nicht den Palästinensern Ruhe gibt, geben wir euch keine Ruhe“, hieß es in holprigem Deutsch zur Begründung für die Attacke auf einigen Zetteln, die unweit des Tatorts ausgelegt worden waren. Die offiziellen Reaktionen auf den Anschlag fielen politisch korrekt aus. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck etwa sprach artig von einer „verabscheuungswürdigen Tat“ und ließ 10.000 Euro Kopfgeld ausloben; schließlich hätten die Täter eine „Grenzüberschreitung“ begangen. Die Polizei ermittelt. Und die Öffentlichkeit verlor das Interesse am Vorfall, bevor es wirklich aufkam.

Judenhass früher

Schon beim Ersten Kreuzzug 1096, als die Deutschen zur Eroberung Jerusalems aufgerufen waren, erfüllten sie ihre Christenpflicht durch ein heimatliches Judenpogrom, das auch die Wormser Synagoge in Mitleidenschaft zog. Fünfzig Jahre und einen Kreuzzug später wiederholte sich die Mordbrennerei. Bis zur rechtlichen Gleichstellung der Juden, die 1792 durch die Angliederung Worms’ an die französische Republik vollzogen wurde, erlebte die jüdische Gemeinde in der Stadt zwei weitere Exzesse des judenfeindlichen Mobs.

Ihre begründete Hoffnung, dass die bürgerlichen Verkehrsverhältnisse endlich zur Beseitigung des Judenhasses führen oder zumindest den Wahn privatisieren würden, zerschlug sich im Nationalsozialismus. Während der Novemberpogrome 1938 brannte die Synagoge, und die „Lutherstadt“ wurde bis 1942 „judenrein“. Nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands bauten die Wormser Überlebenden der Shoa ihr Gebetshaus wieder auf. Als es 1961 erneut eröffnet wurde, hatte sich der militante Antisemitismus bereits knapp zwei Jahre zuvor mit der Parole „Deutsche fordern: Juden raus“ an der Kölner Synagoge zurückgemeldet (Quelle: Tribüne, 1/2010, S. 13ff.).

Antisemitismus heute

Wer in der Bundesrepublik heutzutage den Juden die Ausmerzung aus dem deutschen Volkskörper an den Hals wünscht, befindet sich in der Regel außerhalb des polizeilich Erlaubten. Die Wormser Kriminalpolizisten möchten in den Anschlag trotzdem nicht zu viel Antisemitismus hineininterpretieren, denn „ob und inwieweit tatsächliche palästinensische Interessen betroffen sind, lässt sich derzeit nicht sagen“. Wahrscheinlich handelt es sich um eine unglückliche Formulierung eines arglosen Kriminalbeamten; in der Pressemitteilung wird jedoch zumindest erkannt, dass antijüdische Aktionen etwas sind, das nicht nur den Neonazis, sondern auch dem Palästinensertum angelegen ist.

Ministerpräsident Beck dagegen weiß, wenn er auch sonst nichts weiß, was ein Deutscher mit historischer Verantwortung ist. Er macht aus seinem Herzen keine Mördergrube, empört sich aufrichtig über die Tat und erkennt, dass Brandstiftung gegen jüdische Gotteshäuser eine „Grenzüberschreitung“ ist. Wo aber eine Grenze überschreitbar ist, gibt es auch Toleranz. Beck, der noch vor Obama den Popanz der „gemäßigten Taliban“ konstruierte, weiß, dass es für viele sehr ärgerlich ist, die saubere Grenze zwischen der „Israelkritik“ und dem mörderischen Antisemitismus verwischt zu sehen. Aus ihm spricht, dass die brandgefährliche Palästinasolidarität eine Barriere durchbrochen hat, wie auch die standortgefährdende Peinlichkeit, dass die praktizierte „Israelkritik“ über die Stränge schlagen und Juden in Deutschland in Lebensgefahr bringen kann.

Im Gegensatz zum armen Ballack und zur Zukunft des deutschen Fußball-WM-Teams brachte es die Brandstiftung in Worms nur zu einer Randnotiz in den Medien. Es blieb der Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, vorbehalten, den ausgebliebenen Skandal einer Brandstiftung in der „Nibelungenstadt“ zu kritisieren.

Der „Jude unter den Staaten“

Da Deutsch denken und Deutsch können bekanntlich zweierlei sind, ist es schwer zu sagen, ob die Täter dem islamischen, dem neonazistischen oder überhaupt einem einschlägigen Milieu entstammen. Hierzulande überall populär und zeitgemäß ist jedenfalls die in schlechter Sprache geäußerte Motivation. Weil der Staat Israel den Juden erlaubt, sich nicht nur als wehrloses Objekt der Weltgeschichte begreifen zu müssen, fixiert sich der globale Antisemitismus mittlerweile auf die Projektionsfläche namens „Palästinenser“ und den Blut saufenden „Kindermörder Israel“, präziser: den „Juden unter den Staaten“ (León Poliakov).

Hatten die Nazis früher noch verkündet, das „wurzellose“ Judentum werde niemals in der Lage sein, einen eigenen Staat hervorzubringen, hassen die heutigen deutschen Ideologen – ob ihr Lamento nun islamisch, völkisch oder menschenrechtlich daherkommt – den jüdischen Staat für seine wehrhafte Existenz. Die „Israelkritik“ muss verdrängen, dass die Geschichte des Holocaust und der Nahostkonflikt nicht voneinander zu trennen sind. Dass das arabische Palästina 1948 vom islamischen Judenmörder und SS-Gruppenführer a.D., Mohammed Amin al-Husseini, ausgerufen wurde, ist zwar überall zu erfahren, nur will man es anscheinend nicht wissen.

Der ehrbare Antisemitismus namens „Israelkritik“ ist wie der geächtete ein gegen jede widersprüchliche Erfahrung abgedichtetes Wahnsystem, das für die toten Juden zwar viel kostenloses Mitleid übrig hat, den lebendigen und verteidigungsfähigen Juden aber misstraut. Die Shoa ist praktisch ebenso wenig vom (heiligen) Krieg gegen Israel zu trennen wie der heutige Antisemitismus vom Antizionismus. Ging es früher um die Vernichtung der mosaischen Weltverschwörung gegen die verwurzelten Völker der Erde, muss nunmehr ein von der Israel-Lobby und ihren Bütteln am Leben erhaltenes, jüdischer Staat gewordenes Verbrechen gegen das Völker- und Menschenrecht vom Erdboden getilgt werden. Mit beiden landläufigen Halluzinationen werden dann ganz real Juden um ihr Leben gebracht.

Die Grenzen des deutschen Rechtsstaats

In diesem Klima verstört der jüngste Anschlag außer den betroffenen Juden kaum jemanden. Auch wenn sich im 82.000-Seelen-Ort am jüdischen Gebetshaus umgehend eine hundertköpfige Mahnwache bildete, gibt es keinen Grund zur Beruhigung. Die palästinenserfreundliche Gewalttat gegen die Wormser Synagoge ist offensichtlich nicht geeignet, anders als bei geringeren Anlässen, eine überregionale antifaschistische Protestwelle loszutreten. Für eine routinierte Volksfront gegen Rechts fehlen Hakenkreuze, ertappte Nazischweine oder ähnlich Greifbares. Übrig bleibt nur merkwürdiges, beredtes Schweigen.

In Deutschland wäre es – in Ermangelung einer nicht-jüdischen, kritischen Öffentlichkeit gegen Antizionismus und für Israel – allenfalls der Rechtsstaat, der die Raserei gegen Juden effektiv eindämmen könnte. Doch diese Barriere bröckelt zusehends. Als Israels Krieg gegen die Hamas im Januar 2009 zum Anlass für die größten antisemitischen Manifestationen in Europa seit 1945 wurde, verneigte sich die Duisburger Polizei bei einem „israelkritischen“ Aufmarsch vor dem radikal islamischen Mob, indem sie in eine Privatwohnung einbrach, um eine am Fenster befestigte israelische Fahne zu entfernen. Als ein Palästinenser wenige Tage später Sicherheitsleute der Berliner Synagoge mit einer Eisenstange attackierte, lautete die Einschätzung der Berliner Polizei, dieser haben „offenbar seinen Unmut über das Vorgehen Israels im Gaza-Streifen zum Ausdruck bringen“ wollen. Und im Februar dieses Jahres hat die Kölner Staatsanwaltschaft der antiisraelischen „Kölner Klagemauer“ bescheinigt, dass ein Palästinenserkinder fressender Jude – Verzeihung: Israeli – keine antisemitische Karikatur, sondern wegen der fehlenden Hakennase eine legitime Israelkritik darstellt.

Man kann derzeit nur spekulieren, ob die Täter von Worms aus dem jüngst gegründeten NPD-Lokalverein stammen, die antisemitische Hetze der ortsansässigen Millî-Görüş- oder Ahmadiyya-Gemeinde Früchte getragen hat oder vielleicht einige Leser antizionistischer Blätter das ersehnte Weltgericht gegen den „Juden unter den Staaten“ nicht mehr abwarten konnten. Fest steht, dass das „israelkritische“ Kesseltreiben in diversen Milieus weiteren Boden gut macht und den Juden in Deutschland schon längst keine Ruhe mehr gibt.

Die Anzeichen sind unübersehbar, dass Israelkritik die allgemein anerkannte Währung geworden ist, um den Antisemitismus in der Bundesrepublik moralisch sanieren und wieder unbelastet gegen alles Jüdische losschlagen zu können. Und der öffentlich weitgehend unbeachtete Anschlag von Worms signalisiert den militanten „Israelkritikern“ allerorten, ob rot, grün oder braun, dass es damit weitergehen kann.

19.5.10

Ein Wellness-Abend mit Dr. Tibi



Der stellvertretende Sprecher der Knesset, ein arabischer Israeli, befindet sich derzeit auf Europa-Tournee – und erklärt seinem Publikum dabei allen Ernstes, Israel sei keine Demokratie. Jürgen Petzoldt hat sich den Auftritt des früheren Arafat-Beraters in Kassel angeschaut und für
Lizas Welt deprimiert ein Fazit gezogen.

VON JÜRGEN PETZOLDT

Im Café Buch-Oase zu Kassel kann man in Büchern stöbern, Minztee und Bionade trinken, Gleichgesinnte treffen. Gewerkschaften, Christen und andere halten dort Meetings ab, es gibt auch ein Kulturprogramm, Poetry-Slams und ein Flöten-Gebet. Wolfgang Gehrke von der Linkspartei hat in diesem Laden über sozialistische Außenpolitik referiert, und am vergangenen Sonntag war ein Chaver haKnesset zu Gast: Dr. Ahmed Tibi (Foto), Abgeordneter der arabisch-nationalistischen Ta’al-Partei und stellvertretender Sprecher des israelischen Parlaments, sprach zum Thema „Israel – eine Demokratie?“. Er ist auf Europa-Tournee; man hat ihn, wie er selbst sagt, eingeladen, über die „Nakba“ zu sprechen. Nun könnte man meinen, dass die Frage, ob Israel eine Demokratie ist, sich spätestens dann erledigt, wenn man erfährt, dass Tibi früher Yassir Arafats Berater war. Kann das sein – ein Arafat-Berater sitzt in der Knesset und ist ihr zweiter Sprecher? Es kann.

Ich besuche solche Veranstaltungen fast nie, es ist nutzlos, die dort vorherrschende Denkweise ist mir bekannt, wozu also? Aber den Doktor wollte ich mir dann doch nicht entgehen lassen. Sie hat ja gern auch mal etwas Peinliches, diese Pro-und-contra-Israel-Diskutiererei. Einem soliden antiisraelischen Mainstream von gefühlten 95 Prozent der Bevölkerung steht ein kleines Häuflein von Menschen gegenüber, die andere Positionen beziehen, darunter Wahnkranke wie zum Beispiel diverse Christen, die auf die Rückkehr ihres Messias warten und ihm in Israel die Landebahn zu bereiten gedenken, bevor es dann ans Judentaufen gehen soll. Peinlich sind mir die ganzen fruchtlosen Debatten aber auch deshalb, weil es Wichtigeres gäbe, hier und auf anderen Kontinenten, das zu erörtern wäre. Aber Israel ist nun mal seinen Feinden eine echte Herzensangelegenheit, und so gibt es kein Entrinnen.

Was also bietet der gute Doktor Tibi seinem Publikum aus Pax-Christi-Damen, Lehrern, Friedensaktivisten und anderen guten Menschen? Einen Haufen Lügen, Verzerrungen, falsche Darstellungen, kurz: palästinensische Propaganda. In schlechtem Englisch gibt er sich erst gar keine große Mühe und sondert ein paar Sätze ab, die ich alle vorher hätte erraten können. Es gebe in Israel nur den zionistischen Narrativ, der arabische werde gezielt unterdrückt. Kein Araber könne auf einer israelischen Universität studieren. Die arabischen 20 Prozent der Bevölkerung Israels seien im öffentlichen Leben unterrepräsentiert und zudem fast alle arbeitslos. Und so weiter, und so fort.

Es ist ganz einfach, all dies zu widerlegen. Dazu genügt eine tägliche, etwa fünfminütige Lektüre der israelischen Presse. Kaum ein Tag vergeht, an dem die Ha’aretz nicht über die Diskriminierung von Arabern berichtet. Tibi hat seinen Doktor an der Hebräischen Universität in Jerusalem gemacht. In der Knesset sind Araber ziemlich genau ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend vertreten. Es gibt eine Benachteiligung arabischer Dörfer, es gibt aber auch eine Förderung arabischer Ortschaften. Oft verschwindet das Geld beim Bürgermeister, und in jedem Dorf findet man ein großes Anwesen mit Pool und fetter Karosse davor. All das kann man sehen, wenn man durch das Land reist. Die Roadblocks sind drastisch reduziert worden, in der Westbank blüht ein zartes Wirtschaftswunder-Pflänzchen.

Das alles sagt der Doktor jedoch nicht, und seine Zuhörer wollen es auch nicht hören. Er spricht lieber von der Mauer und darüber, dass es andere Möglichkeiten gebe, die Infiltration durch Terroristen zu verhindern (das ist übrigens ein interessanter Gedanke – gern hätte ich erfahren, was genau er meint). Israel sei eine durch und durch rassistische Gesellschaft, die Palästinenser bräuchten die Unterstützung Europas. Anschließend ist Raum für Fragen. „Habe ich Sie richtig verstanden? Israel ist also keine Demokratie?“, sagt einer und lässt die ganze Ladung folgen: Wie steht es um die Folter? In den Gefängnissen? In den besetzten Gebieten? Wie steht es um die Besuchsmöglichkeiten für Angehörige von in Israel einsitzenden Palästinensern? Wie können wir den Boykott vorantreiben? Was hält er von der Bombe des Iran? Ja, was hält er davon, das hätte mich auch interessiert. Tibi teilt aber nur mit, was er über die israelische Atombombe denkt.

Auch mir gelingt es, Ahmed Tibi ein paar Fragen zu stellen: Was sagt er zu den antisemitischen Schulbüchern in palästinensischer Kinderhand? Was hält er davon, dass „Kollaborateure“ geschlachtet werden? Wie denkt er über die Hetzkampagnen des Islamic Movement? Er antwortet nicht, sondern stellt mir eine Gegenfrage: Ob ich etwas über „incitement“ wissen wolle, über Aufwiegelung also. In der Tat, sage ich, darum geht es mir, wenn hier schon dauernd von „Rassismus“ und „Apartheid“ die Rede ist. „Incitement“ bräuchten die Palästinenser nicht, belehrt mich der Doktor, das besorgten die Israelis alles selbst. Jeder Palästinenser blicke, wenn er morgens aufwache, in ein israelisches Gewehr, und dann falle sein Blick auf die Gräber seiner Väter und Brüder. Befreites Auflachen und Beifall im Publikum.

Ich hätte ihn gern noch mehr gefragt. Zum Beispiel, warum er vom „Narrativ“ spricht. Ein Narrativ ist eine Erzählung auf der Basis von „Wir erzählen es (nun mal) so“. Folklore also, Märchen und Sagen der Völker. Auch hätte ich gerne gewusst, warum die Zeitung der libanesischen kommunistischen Partei (das müsste für ihn doch eine vertrauenswürdige Quelle sein) 1948 berichtete, die Araber verließen zu Zehntausenden ihre Dörfer, weil der irakische Oberbefehlshaber sie dazu aufgefordert habe, wohl in dem Glauben, man werde schnell fertig mit dem Judenpack. Warum erklärt er nicht, wieso man seit 40 Jahren nicht mehr von jordanischen und ägyptischen Arabern spricht, warum geht es auf einmal um einen palästinensischen Staat? Und warum sollen auf arabischem Boden keine Juden leben? Soll Palästina judenrein sein? Ich hätte auch gern erfahren, warum nie die Rede von den Tausenden illegal gebauten arabischen Wohnblocks im arabischen Teil Jerusalems die Rede ist.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass der gute Doktor den Holocaust als größtes Menschheitsverbrechen bezeichnet. Es ist hier und heute nämlich überhaupt kein Problem, dies einzuräumen und im Anschluss zur Hatz auf „die Zionisten“ aufzurufen. „Er soll mal von seinen Hizbollah- und Syrien-Kontakten erzählen“, murmle ich. „Warum denn?“, fragt mein Nachbar. „Weil das Terroristen sind!“, versetze ich. „Ach Gott, was sind schon Terroristen“, sagt der Nachbar, „schauen Sie doch nach Gaza“. Was ist das nur, was die Leute wie besessen zu solchen Veranstaltungen gehen lässt? Welches Bedürfnis wird da befriedigt?

Mein Sohn lernt gerade für die mündliche Abiturprüfung, unter anderem geht es um die Weimarer Republik. Er sagt, er brauche ein Gefühl für die Zeit, um die Fakten besser zu verstehen. Wir haben viel geredet. Am Sonntagabend dachte ich mir: So muss es in diesen antisemitischen Zirkeln um die Jahrhundertwende gewesen sein: Alle sind ganz wissbegierig, eifrig und beflissen hören sie zu und addieren ihrem Weltbild einige weitere Facetten hinzu. „Das habe ich ja so noch gar nicht gewusst!“ sagte einer der Veranstalter nach dem „Vortrag“. Ja, potz Blitz, man lernt doch nie aus! Eine Mauer! Apartheid! Folter!

Mich beschlich die Vorstellung, das brauchen die zum Wohlfühlen. Da kann man sich drin suhlen, selbstgerecht und unkritisch, wie Kinder mit der Nuckelflasche. Dass dies alles unendlich kompliziert ist, wie man beispielsweise anhand von Yaacov Lozowicks brillanten Hebron- und Jerusalem-Analysen erfahren kann – keine Rede davon. Ich ging allein nach Hause, reichlich deprimiert. Nein, es macht keinen Spaß zu wissen, dass das, was ich im Café Buch-Oase gehört habe, Lügen und Halbwahrheiten sind. Ich fand es ziemlich entsetzlich, eigentlich gruselt es mich vor solchen Menschen.

13.5.10

Keeping the dream alive



Es gibt Geschichten, die schreibt tatsächlich, wie man so schön sagt, nur der Fußball. Als unlängst das Rückspiel im Viertelfinale der Champions League zwischen Manchester United und dem FC Bayern abgepfiffen worden war und der Münchner Klub nach neun Jahren wieder die Vorschlussrunde erreicht hatte – gegen ein klar favorisiertes Premier-League-Team, wohlgemerkt, und nach einem frühen, deutlichen Rückstand –, da wartete die Stadionregie im „Theater der Träume“ genannten Old Trafford mit einer so ungewöhnlichen wie passenden Idee auf: Sie spielte „Keeping the dream alive“ ein, gesungen von der deutschen Popgruppe Münchener Freiheit. Die angesehene Londoner Tageszeitung The Daily Telegraph staunte nicht schlecht: „Alle Gästefans stimmten mit ein und sangen euphorisch den Refrain in perfektem Englisch. Wenn schon keine englischen Vereine im Halbfinale stehen, dann zumindest einige, die die englische Sprache gut beherrschen.“

Man darf das durchaus als Respektsbezeugung betrachten, als bemerkenswerte Geste, die besagt: Wer uns aus dem Wettbewerb wirft, hat das Weiterkommen auch verdient und feiert zu Recht. Der Song, zu hören im „Theatre of dreams“, war in diesem Sinne ein Tribut. Sein englischer Text ist geradewegs ein Spiegelbild der Bayern-Saison, und wohl genau aus diesem Grund haben die Münchner Anhänger das Stück auch so inbrünstig mitgesungen: „The game will never be over, because we’re keeping the dream alive“ – „Das Spiel wird nie zu Ende sein, weil wir den Traum am Leben erhalten“. Die Auswahl des Titels zeugt darüber hinaus von musikalischem Sachverstand, denn die Pop-Combo Münchener Freiheit ist nicht unbedingt das, was man einen Global Player nennt. Hierzulande hat es die Gruppe mit der deutschen Ursprungsfassung von „Keeping the dream alive“ – „Solang’ man Träume noch leben kann“ – auf Platz zwei der Hitliste geschafft. Die englische Version – die gemeinsam mit dem London Symphony Orchestra aufgenommen worden war – errang 1988 in den britischen Charts immerhin einen beachtlichen vierzehnten Platz. Aber das blieb ein One-hit-wonder.

Jetzt ist der Song aus gutem Grund wieder ausgegraben worden: Weil zu einer nachgerade kitschigen Spielzeit ein kitschiges (Liebes-)Lied gehört, kommt dieses 22 Jahre alte Exemplar gerade recht. Fußball ist nun mal Pathos – und wem das als Begründung nicht genügt: Das Mitfiebern von Fußballfans ist Sublimation, ist Übertragung, ist die Suche nach einem privaten Glücksmoment, projektiv aufgehoben in der berauschenden Teilnahme am Erfolg einer Mannschaft (und zugleich stets verbunden mit der Gefahr, bitter enttäuscht zu werden). Der FC Bayern bietet in dieser Saison eine betörende Mischung aus großer Spielkunst und unbändiger Leidenschaft; so wird Fußball zum Kulturgenuss, zum Spektakel auf großen Bühnen. Das Publikum bildet dabei nicht bloß den Rahmen, sondern es ist Teil der Performance, wovon besonders markant die vom Club Nr. 12 organisierte und inszenierte gigantische Choreografie in der Allianz Arena vor dem Halbfinalhinspiel gegen Olympique Lyon zeugt (Foto oben).

Aus allen diesen Gründen ist es – kurz vor den beiden Finalspielen der Bayern im DFB-Pokal und in der Champions League – an der Zeit, den Münchner Fußball mit der Münchener Freiheit zu verschmelzen. Ein Klick auf das Eingangsbild dieses Beitrags führt zum Ergebnis dieses von Lizas Welt unternommenen Versuchs. In diesem Sinne – „Keeping the dream alive“ means: Pack ma’s!

Foto: © Club Nr. 12

8.5.10

„Israel ist eine Art Wundergesellschaft“



Fiamma Nirenstein (Foto) ging 1967 als junge italienische Kommunistin nach Israel; als sie nach Italien zurückkehrte, war sie bei ihren Genossen zur persona non grata geworden, zu einer „Imperialistin“ und „unbewussten Faschistin“. Warum das so war, woher der Antisemitismus in der Linken kommt und inwieweit der „Palästinismus“ den Verstand der Europäer korrumpiert, davon erzählt die Autorin und Politikerin, die dem Regierungskabinett des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi angehört, im Gespräch, das Stefan Frank für Lizas Welt mit ihr geführt hat.

INTERVIEW: STEFAN FRANK*

Jerusalem ist derzeit im Fokus des Medieninteresses. Manche Leute behaupten, israelische Bauvorhaben im Ostteil der Stadt gefährdeten den „Friedensprozess“ und verärgerten die USA. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern hätten sich dadurch stark verschlechtert oder seien sogar in einer Krise, heißt es.

Fiamma Nirenstein: Der zehnmonatige Baustopp, der von Netanyahu im Dezember 2009 einseitig verkündet – und von Obama enthusiastisch begrüßt – wurde, bezog sich lediglich auf Siedlungen in der Westbank. Ostjerusalem war niemals darin inbegriffen. Jerusalem ist eine Angelegenheit, über die Israel und die Palästinenser nur am Verhandlungstisch reden können. Die meisten Leute sehen über die Tatsache hinweg, dass das, was gemeinhin als „Ostjerusalem“ firmiert, der Teil der Stadt ist, der zwischen 1948 und 1967 von Jordanien besetzt war. In den Jahrhunderten zuvor hatte die Stadt immer eine jüdische Bevölkerungsmehrheit. In früheren Verhandlungen, wie denen zwischen Arafat und Barak im Jahr 2000 oder denen zwischen Olmert und Abu Mazen 2007, haben sogar die Palästinenser in Erwägung gezogen, dass viele der Stadtviertel, die von den Zeitungen als „Siedlungen“ bezeichnet werden – wie etwa Ramat Shlomo –, möglicherweise in einem endgültigen Übereinkommen dem jüdischen Teil der Stadt zugeschlagen werden könnten. Und zwar deshalb, weil die meisten dieser Viertel entweder auf unbewohntem Land errichtet wurden oder in Gebieten, die vor der jordanischen Invasion von Juden bewohnt worden waren. Die Entscheidung, 1.600 Wohneinheiten zu errichten, war schon vor langer Zeit gefällt worden. Das schlechte Timing der Verkündung ist nun von den Amerikanern ausgenutzt worden, um den Friedensprozess in die von Obama gewünschte Richtung zu lenken.

Sie beschäftigen sich seit langer Zeit intensiv mit dem Antisemitismus der Linken. Wann wurden Sie zum ersten Mal auf dieses Phänomen aufmerksam?

1967, ich war damals ein junges Mädchen, und wie alle meine Altersgenossen war ich Kommunistin. Meine Eltern schickten mich in jenem Jahr in den Kibbuz Neot Mordechai in Nordisrael. Es war ein linker Kibbuz, jede Woche wurde der Ertrag eines Arbeitstages an den Vietcong gespendet. Während meines Aufenthalts brach der Sechstagekrieg aus. Ich kümmerte mich um die Kinder, brachte sie in die Schutzräume. Als ich nach dem Krieg nach Italien zurückkehrte, dachte ich, meine linken Freunde würden stolz auf mich sein. Doch die Gefühle, die mir entgegenschlugen, waren vielmehr furchtbar antiisraelisch. Warum das so war, verstand ich anfangs nicht. Doch plötzlich begriff ich: Es war das Stereotyp von den Juden, die sich mit dem Kapitalismus und Imperialismus verschworen hatten gegen die armen Völker der Welt, zu denen man auch Diktaturen wie Ägypten und Syrien zählte, Verbündete der Sowjetunion. Allmählich verstand ich die mächtigen Gefühle, die im Spiel waren: Die Juden wurden als etwas Böses angesehen – und Israel als der kollektive Jude, der nach der Macht griff.

Gibt es etwas spezifisch Linkes an diesem Antisemitismus?

Die Situation des Kalten Krieges erforderte es, dass eine Seite die der „guten“ Länder zu sein hatte. Mochten sie auch Diktaturen sein, Menschenrechte verletzen, Frauen unterdrücken oder Homosexuelle ermorden – sie waren die Guten, die armen Länder, die Dritte Welt. Auf der anderen Seite war der Imperialismus, angeführt von den USA.

Der zeitgenössische linke Antisemitismus ist also aus dem Schwarz-Weiß-Denken des Kalten Krieges heraus entstanden?

Ja. Er ist tief verwurzelt im Third-Worldism, der zum Palästinismus mutiert ist. Der Palästinismus ist eines der schlimmsten Übel unserer Zeit, er korrumpiert den Verstand der Europäer. Wenn Terroristen überall auf der Welt Anschläge verüben oder die Hamas in ihrer Charta schreibt, dass sie alle Juden umbringen will – nicht nur die israelischen –, dann kümmert das niemanden, weil es sich ja um Palästinenser handelt.

War das Jahr 1967 ein psychologischer Wendepunkt, weil damals viele Menschen erschraken, als sie entdeckten, dass Juden nicht von Natur aus Opfer sind?

Ja. Die Leute sahen, dass die Juden aufgehört hatten, jene Juden zu sein, die sie sich gern vorstellten: eine arme, von der Gesellschaft verachtete Minderheit, die sich in ihren Häusern oder ihren Synagogen versteckt, um zu beten, und die für alles eine Genehmigung der Nichtjuden benötigt. Plötzlich waren die Juden stark genug, um sich gegen Ägypten, Syrien und Jordanien zu verteidigen und sogar Gebiete zu erobern – in einem Krieg, der eigentlich ihr Schicksal hätte besiegeln sollen. Diese Wendung der Dinge machte viele Leute fuchsteufelswild. Die Welt schien Kopf zu stehen. Leider gibt es aber auch heute noch viele Juden, die sich selbst als Schafe auf dem Weg zur Schlachtbank präsentieren wollen, die bereit sind, das Bild des starken Israel aufzugeben, und die sich so klein wie möglich machen wollen.

Eine Bundestagsabgeordnete der Linkspartei erklärte 2006, auf derselben Seite zu stehen wie die Hizbollah. Ist es bloßer Zufall, dass ein Teil der politischen Linken mit den djihadistischen Terroristen den Hass auf Amerika und den Antisemitismus teilt?

Sie sind verbunden durch ihre Gegnerschaft zur modernen Demokratie. Es gibt in der demokratischen Welt viel antidemokratische Ideologie, und dass sie ausgedrückt werden kann, ist ein Teil der Demokratie. Ich glaube nicht, dass diese Abgeordnete den islamischen Kleidungsvorschriften gehorchen und viele ihrer Rechte aufgeben möchte; dass sie die Sharia einführen – inklusive körperlicher Strafen wie Steinigungen oder Amputationen von Gliedmaßen – und Homosexuelle wegen ihrer sexuellen Präferenz umbringen will. Das ist es, was ich Palästinismus nenne: Menschen betrügen ihren Wunsch nach Frieden, nach Freundschaft und gegenseitigem Verständnis zugunsten von etwas, das sich am Ende gegen sie selbst kehren wird.

Im Januar sind Sie zusammen mit Ministerpräsident Berlusconi nach Israel gereist. Welchen Erfolg hatte die Reise?

Die israelische Bevölkerung fühlte, dass Berlusconi ihr Land nicht nur aus diplomatischen Gründen besucht, sondern aufgrund seiner tiefen Zuneigung zu den Juden. Israel dürstet nach Liebe und Sympathie, weil es so wenig davon bekommt. Zudem hatte der Besuch einen politischen Aspekt. In seiner Rede vor der Knesset hat Berlusconi fünfmal vom jüdischen Staat gesprochen. An diesem Ausdruck ist eigentlich nichts Ungewöhnliches, aber die meisten Politiker schrecken vor ihm zurück, weil sie fürchten, sie könnten die Araber verärgern. Israels Feinde sehen die Juden üblicherweise nicht als Nation. Vom jüdischen Staat zu sprechen, bedeutet, das jüdische Volk anzuerkennen.

Nach den Parlamentswahlen in Großbritannien könnte nun der israelfreundliche Politiker David Cameron Premierminister werden. Kann er gemeinsam mit Berlusconi etwas an der europäischen Außenpolitik ändern, die traditionell pro-arabisch ist?

Es gibt eine kleine Chance. Aber in der Vergangenheit hat die furchtbare Propaganda der Palästinenser und ihrer Freunde hervorragend funktioniert. Mit Hilfe von viel Geld und einer riesigen Medienmaschinerie hat sie die Presse, das Fernsehen und die Intellektuellen erobert und zahlreiche Schablonen in Umlauf gebracht, die den Staat Israel delegitimieren sollen. Sie sprechen von Israel als einem „Apartheidstaat“ oder als einem Staat, der bewusst Verbrechen verübe und etwa die Organe von Palästinensern stehle. Kein Mensch, der bei Verstand ist und ein bisschen über Israel weiß, würde solchen Behauptungen Glauben schenken – leider aber werden sie tatsächlich von vielen Menschen geglaubt. Antisemitismus wird in Verbindung mit Aufwiegelung und einem weiteren Faktor, nämlich der islamischen Immigration, zu einer mächtigen Mixtur.

Heißt das, dass Regierungen wegen dieses Drucks gar nicht in der Lage sind, zugunsten Israels zu handeln?

Die europäischen Politiker leben in einer großen Lüge. Jedes Mal, wenn eine Entscheidung getroffen werden könnte, die Israel tatsächlich helfen würde, sich zu verteidigen, ist großer Mut notwendig. Denken Sie etwa an die Geschehnisse um die Tötung des Hamas-Funktionärs in Dubai. Europäische Regierungen haben die jeweiligen israelischen Botschafter einberufen, weil Israel europäische Pässe gefälscht haben soll. Solche Anschuldigungen sind so scheinheilig, wenn man bedenkt, wer dieser Hamas-Typ war und was er getan hat: iranische Raketen in den Gazastreifen geschmuggelt, die Tel Aviv treffen können. Während des Gazakriegs wurde Israel angeklagt, Zivilisten zu töten, da es die militärischen Ziele nicht genau genug getroffen habe. Nun, da ein Ziel sehr genau getroffen wurde, wird auch protestiert. Wie soll Israel sich verteidigen, wenn ihm weder gestattet ist, Krieg zu führen noch gegen seine schlimmsten und gefährlichsten Feinde zielgenau vorzugehen?

Haben Politiker, die von der „moderaten“ Fatah und der „Notwendigkeit“ eines palästinensischen Staates sprechen, den Kontakt zur Realität verloren?

Bevor man über einen palästinensischen Staat spricht, sollte man die Palästinenser suchen, die eine demokratische Gesellschaft aufbauen wollen, und sie unterstützen. Es wäre keine gute Idee, einen palästinensischen Staat zu gründen, der den Terrorismus fördert und einen neuen Krieg anzettelt. Seit 1948 haben die Palästinenser alle Teilungspläne zurückgewiesen, weil ihr wahres Ziel die Zerstörung Israels ist. Gehen Sie auf die Webseite von Palestinian Media Watch und schauen Sie sich an, was das palästinensische Fernsehen über das Märtyrertum, die Zerstörung Israels und das Töten von Juden sagt. Die palästinensische Autonomiebehörde benennt Fußballplätze und Freizeitlager für Jugendliche nach sogenannten Shahids, das sind Menschen, die Juden umgebracht haben. Das Palästinenserhilfswerk UNRWA in Ramallah hat den Terroristen Abu Djihad, der Hunderte von Menschen ermordet hat, im Rahmen eines Bildungsprogramms mit einem nach ihm benannten Fußballturnier geehrt. So werden die palästinensischen Kinder erzogen. Wir müssen einen neuen Weg finden, wenn wir Frieden im Nahen Osten herstellen wollen. Man muss die antisemitische Aufwiegelung beenden, indem man aufhört, den Antisemiten Geld zu geben.

Die israelische Wirtschaft hat eine der höchsten Wachstumsraten der Welt und ist führend, was Wissen und Innovation betrifft. Auf der anderen Seite verliert ein wachsender Teil der Gesellschaft den Anschluss: die Haredim und die israelischen Araber. Beide leiden unter unzureichender Schulbildung und sind in der Folge überproportional von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen. Da diese beiden Gruppen die höchsten Geburtenraten haben, wird ihr Anteil an der Bevölkerung in den nächsten 30 Jahren voraussichtlich von 30 auf 50 Prozent wachsen. Für wie groß halten Sie dieses Problem?

Solche Statistiken haben immer getäuscht. Heute haben säkulare Familien viel mehr Kinder, als man früher gedacht hatte. In Tel Aviv scheint jedes Paar drei Kinder zu haben. Es gibt objektive Probleme, die man nicht leugnen kann. Aber Israel ist ein blühendes Land mit einer starken Wirtschaft und einem sehr schöpferischen High-Tech-Sektor. Ich bin zuversichtlich, dass wir den weniger glücklichen Israelis werden helfen können, die Kluft zu überwinden. Große Anstrengungen sind im Gange, und es gibt einen Sinn für die Notwendigkeit, Hindernisse zu überwinden. Israel macht das ständig – es ist eine Art Wundergesellschaft.
* Stefan Frank ist freier Journalist und schreibt unter anderem für die Monatszeitschrift KONKRET. Auf seiner Homepage ist eine Auswahl seiner Texte und Interviews zu finden.

6.5.10

Jägerlatein



Man kann über Lorenz Jäger vieles sagen, aber ganz gewiss nicht, dass er nicht jederzeit für eine rabulistische Performance gut ist. In seinem Stammblatt, das sich völlig zu Recht Zeitung für Deutschland nennt, hat sich der Diplom-Soziologe just gestern mit einem Kommentar zum neuesten Werk des dänischen Künstlerduos Surrend verewigt. Dieses Werk (Foto oben) – das in verschiedenen Berliner Stadtteilen verklebt wurde – ist ein Plakat, das balkendick mit der Überschrift „Endlösung“ aufmacht und darunter einen Landkartenausschnitt zeigt, auf dem Israel nicht mehr existiert, sondern einem Staat namens „Ramallah“ gewichen ist. Jäger sieht darin eine „Satire gegen Israelkritiker“ und glaubt: „Wer die Aktionen von ‚Surrend’ kennt, müsste wissen, was diesmal die Absicht war. Nämlich: nicht irgendeine Attacke auf das Existenzrecht Israels.“ Ganz im Gegenteil solle „offenbar der Kritik an bestimmten Formen der israelischen Politik durch Konsequenzmacherei der Boden entzogen werden, durch den Gestus: Schaut her, dahin wird es kommen“. Durch das Wort „Endlösung“ werde dabei „infamerweise suggeriert, dass eben hierin die wahre, aber verschwiegene Absicht der Israel-Kritiker liege“.

Es ist immer wieder erhellend zu beobachten, wie eine „israelkritische“ Gesinnung zwangsläufig dazu führt, die Wirklichkeit nur noch selektiv wahrzunehmen, um es freundlich auszudrücken. Denn der FAZ-Mann wusste selbstverständlich, was Jan Egesborg, die eine Hälfte des Surrend-Teams, zu seiner Kreation auszuführen hatte: „Die Idee, die von diesen Plakaten ausgeht, gerade im deutschen Kontext, soll eine Diskussion über die aggressive und negative Haltung Israels im Nahen Osten anregen. Wir haben nie das Existenzrecht Israels geleugnet, aber es war ein historischer Fehler, Israel zu gründen. Als Jude fand ich es immer schon problematisch, dass Israel auf gestohlenem Land erbaut wurde. Wie der israelische Staat heute die Palästinenser behandelt, ist schrecklich. Es gibt keine andere Antwort, als dass die Juden aus Israel eine neue Heimat finden, etwa in den USA, Deutschland oder Dänemark.“

Ohne diese Stellungnahme wäre die Mutmaßung, dass Surrend auf die Konsequenzen der „Israelkritik“ hinweisen wollte, durchaus zulässig gewesen – nicht zuletzt deshalb, weil Egesborg und seine Partnerin Pia Bertelsen sich in der Vergangenheit mehrmals mit islamkritischen Aktionen hervorgetan haben. Doch nach Egesborgs Äußerungen – die keineswegs sarkastisch gemeint waren – gibt es keinen Interpretationsspielraum mehr: Die Künstler „reden wie Ahmadinedjad“, brachte es Shimon Samuels, Direktor des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Paris, auf den Punkt. Sie haben den jüdischen Staat gewissermaßen „künstlerisch von der Landkarte getilgt“, wie es Benjamin Weinthal im Tagesspiegel formulierte, und dass sie ihren Vorschlag für eine Endlösung der Nahostfrage unbedingt „gerade im deutschen Kontext“ unterbreiten wollten, rundet das Ganze erst richtig ab. Insofern hat Surrend tatsächlich die Konsequenzen der Israelfeindschaft deutlich gemacht und ihren antisemitischen Kern freigelegt – wenn auch gänzlich ungewollt.

Dass Lorenz Jäger seinen Lesern Egeborgs Statement unterschlägt, dürfte deshalb kein Zufall sein. Nur so konnte er seine abwegige These, das Plakat sei in Wahrheit eine pro-israelische Intervention, überhaupt erst aufstellen. Per E-Mail um eine Auflösung des eklatanten Widerspruchs zwischen der Aussage des Surrend-Künstlers und der Deutung des Plakats in der FAZ gebeten, verwies Jäger zunächst lediglich auf einen Kommentar im Kölner Stadt-Anzeiger („Vielleicht überzeugt Sie dieser Beitrag mehr“), um auf die erneute Bitte um eine inhaltliche Antwort schließlich mit einem persönlichen Angriff zu reagieren: „Ich finde es viel passender, wenn Sie bei Ihrer Ansicht bleiben – sie ist Ihrem Horizont und Ihrem Schaffen irgendwie angemessen.“ Selten hat ein Redakteur einer führenden deutschen Tageszeitung einen so freimütigen Einblick in seine journalistischen wie charakterlichen Prädispositionen gegeben.

Überraschend ist das gleichwohl nicht, wenn man auf Jägers Horizont und Schaffen (um in seiner eigenen Terminologie zu bleiben) einen genaueren Blick wirft: Seine Adorno-Biografie ist ein Verriss der Kritischen Theorie, für seinen Artikel zur antisemitischen Pius-Bruderschaft wurde er von der Jungen Freiheit gelobt, er verteidigte Norman Finkelsteins Buch „Die Holocaust-Industrie“, ist ein Anhänger von Ernst Nolte und handelte sich für seine Kulturgeschichte des Hakenkreuzes vom Historiker Bernd Buchner den Vorwurf ein, „eine Hakenkreuz-Apologie“ verfasst zu haben. Darüber hinaus ist Jäger mit kruden Ausführungen zur angeblichen Macht der „Israel-Lobby“ in Erscheinung getreten und hat den französischen Intellektuellen André Glucksmann und Bernard-Henry Levy allen Ernstes vorgeworfen, mit ihrer Kritik an der russischen Politik bloß die Interessen des jüdischen Staates zu vertreten. Kurzum: Lorenz Jäger ist ein antiisraelischer Überzeugungstäter – und auch das ist noch zurückhaltend geurteilt.

Ein Wort noch zum Plakat von Surrend: An Walter Herrmanns „Klagemauer“ in Köln wäre es fraglos gut aufgehoben, zumal Egesborg und Bertelsen nicht befürchten müssten, dafür rechtlich belangt zu werden. Denn die Staatsanwaltschaft in der Domstadt würde es ohne Zweifel als „legitime Israelkritik“ betrachten, schließlich zeigt es keine „bestimmten anatomischen Stereotypen, die den Juden schlechthin charakterisieren sollen“. Und wenn alle Stricke reißen, dann geht die Überschrift „Endlösung“ samt ihrer künstlerisch-kartografischen Umsetzung eben als „judenkritisch“ durch. Mark my words.

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Update 8. Mai 2010: Es sei doch alles ganz anders gemeint gewesen, rechtfertigt sich Jan Egesborg in der taz – und bestätigt schließlich genau das, was er zu widerlegen glaubt: „Wer in Deutschland Israel kritisiert, wird häufig umgehend und reflexhaft als Antisemit oder Holocaustleugner angegriffen“, glaubt er, weshalb Surrend mit seinem Werk eine Botschaft, „so spitz wie eine Nadel“, habe übermitteln wollen: „Die Plakatüberschrift ‚Endlösung’ haben wir sorgsam ausgewählt, denn der Begriff ist in Deutschland ein Tabuwort. Wird es in ein Bild von einer Landkarte integriert, aus der Israel gelöscht und durch ‚Ramallah’ ersetzt wurde, dann haben wir hier einen Klassiker zwecks Demaskierung der öffentlichen Meinung. Diese wird die Macher unmittelbar als Antisemiten brandmarken, ohne auch nur einmal deren Hintergrund zu überprüfen.“

Sollte sich Egesborg mit der öffentlichen Meinung hierzulande tatsächlich ernsthaft auseinandergesetzt haben, dann müsste er wissen, dass die „Israelkritik“ für die erdrückende Mehrheit der Deutschen eine Herzensangelegenheit ist und Surrend mit seiner spitzen Nadel nur die kleine Minderheit der Israelfreunde getroffen hat, die nach Kräften vor einer Endlösung der Nahostfrage warnt, wie sie auf dem Plakat dargestellt ist. Wenn er trotzdem das Gegenteil behauptet, reiht er sich ein in die Phalanx derjenigen, die in paranoider Verkennung der Wirklichkeit glauben, ein pro-israelisches Meinungskartell dominiere die deutsche Nahostdebatte. Mit ihrem vermeintlichen Tabubruch haben die dänischen Künstler lediglich sich selbst demaskiert – und sich als konformistische Rebellen zu erkennen gegeben, die exakt auf einer Linie mit vierschrötigen Israelfeinden wie Lorenz Jäger liegen.