31.8.06

Tag der deutschen Heimat

„Thema auf grausame Weise verfehlt“, „darf nicht passieren“, „Schande“, „mangelnde Sensibilität“, „hat dem Ansehen Deutschlands geschadet“die (abgebrochene) Rede des stellvertretenden Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, Hermann Schäfer, zur Eröffnung des Kunstfestes in Weimar am vergangenen Freitag hat empörte Reaktionen im deutschen Politikbetrieb hervorgerufen. Monika Griefahn, sozialdemokratische Vorsitzende des Bundestags-Kulturausschusses, forderte Schäfer gar zum Rücktritt und zur Rückgabe seines Professorentitels auf. Der hatte nicht über das Konzentrationslager Buchenwald gesprochen, sondern vor allem über die Vertreibung der Deutschen. Ein Skandal? Sicher. Doch aufgeregt haben sich größtenteils diejenigen, die besser geschwiegen hätten. Denn der Ministerialdirektor tat nur das, was von ihm verlangt worden war, und sagte dabei nichts, was hierzulande nicht ohnehin längst Konsens ist. Genau darin liegt das eigentliche Problem – das jedoch niemand hatte.

Am 8. März dieses Jahres hatte sich die Intendantin des jährlichen Weimarer Festivals, Nike Wagner – eine Urenkelin von Richard Wagner –, mit der Bitte an Schäfer gewandt, das „rituell (!) wiederkehrende Gedenk-Konzert“ im August „rhetorisch einzuleiten“. Für diese Aufgabe qualifiziere ihn, so Wagner, „vor allem“ die von ihm verantwortete Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“ im Bonner Haus der Geschichte. Wörtlich heißt es in der Einladung: „Es wäre dem Kunstfest Weimar eine große Ehre, wenn Sie, verehrter Herr Prof. Schäfer, im Jahr 2006 diese Funktion übernehmen würden. Flucht und Vertreibung – Vertreibung und Vernichtung – markieren auch heute noch die Schicksale von Millionen Menschen. Wir müssen uns weiterhin diesem Thema stellen. Geschichte durchdringt die Gegenwart.“ Aus diesen Zeilen ist nicht herauszulesen, dass Schäfer speziell Bezug auf den Nationalsozialismus nehmen sollte; ganz im Gegenteil verliert sich die Themenstellung im diffusen Gegenwartsbezug eines „auch heute noch“ und „Geschichte durchdringt die Gegenwart“. Woran dachte Nike Wagner also? An Jugoslawien? An Ruanda? An die Palästinenser?

Volkhard Knigge, der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, war im Vorjahr die Aufgabe zugekommen, das Kunstfest „rhetorisch einzuleiten“; eine „fabelhafte Rede“ habe er gehalten, befand die Geschäftsführerin der Festspiele, Franziska Gräfin zu Castell-Castell. Knigge hatte sich seinerzeit nicht lange mit der Vorrede aufgehalten: „Ich will hier und heute nicht über Gräuel und Leid sprechen. Die von Deutschen zu verantwortenden Gräuel und das von Deutschen verursachte Leid sind ausführlich beschrieben worden. Gräuel und Leid setze ich deshalb als bekannt voraus“, hatte er sich konkretere Ausführungen gespart, sodann darauf verwiesen, dass die deutsche Geschichte nicht nur Schattenseiten gehabt habe – „Zum Äußersten gehört, dass Weimar und Buchenwald keine Gegensätze sind, sondern einander ergänzende ‚Kultureinrichtungen’“ –, und schließlich von der „entfesselten Weltmarktlogik“ schwadroniert, die „die Lebenslage von immer mehr Menschen“ heute fast so „prekär“ mache wie einst im Lager. Niemand nahm Anstoß an diesen NS-Verharmlosungen – im Gegenteil.

Ob Schäfer Knigges Ansprache kannte, ist nicht überliefert; er beteuerte hernach jedoch, ihm sei versichert worden, dass es bei der Veranstaltung „Gedenken Buchenwald“ ganz „allgemein um Erinnerungskultur“ gehe. „Bei dem Rahmenprogramm zur Eröffnung der Weimarer Festspiele habe ich mich mit meiner Rede thematisch genau an die Vorgaben der Leiterin der Festspiele, Nike Wagner, gehalten“, sagte er – und hatte damit Recht. Dennoch entschuldige er sich; es liege ihm fern, Opfer des Nationalsozialismus zu relativieren: „Ich hätte sie stärker in die Rede einbinden können, und ich hätte es wahrscheinlich auch tun müssen.“ Er habe nicht gewusst, dass in den ersten Reihen der Veranstaltung „auch KZ-Opfer sitzen“. Um nicht missverstanden zu werden: Das letztgenannte Argument ist selbstverständlich keines; auch wenn kein einziger Überlebender des nationalsozialistischen Terrors der Rede beigewohnt hätte, wäre sie nicht besser gewesen. Aber darum geht es letztlich gar nicht; vielmehr fällt der Skandal auf die Verantwortlichen des Kunstfestes selbst – zuvörderst Nike Wagner – zurück, die Schäfers Einladung zu verantworten hatten und die gewusst haben müssen, wen sie da als Redner einladen: Der Historiker Hermann Schäfer ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen des Bundes der Vertriebenen (BdV); er war Präsident der Bonner Stiftung Haus der Geschichte und zuständig für die Gestaltung der dortigen Ausstellung Flucht, Vertreibung, Integration. Seit Februar dieses Jahres leitet er die Abteilung Kultur und Medien bei Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU).

Ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin einzurichten, ist seit einigen Jahren das Projekt des BdV; Schäfer (Foto) befürwortet dieses Ansinnen und ist sozusagen das Bindeglied zwischen der Vertriebenenvereinigung und der Bundesregierung. Zu der von ihm verantworteten Ausstellung heißt es auf der Internetseite des Deutschen Historischen Museums in Berlin einleitend: „Durch den vom nationalsozialistischen Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg erreichen Flucht und Vertreibung eine neue, erschreckende Dimension. Die Deutschen sind mit bis zu 14 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen am stärksten betroffen. Ihre Eingliederung stellt Nachkriegsdeutschland vor eine große Herausforderung, ihr Schicksal ist Thema bis in die Gegenwart.“ Und die Stiftung selbst beschreibt ihren Zweck wie folgt: „Wir haben uns zum Ziel gesetzt, in Berlin eine Dokumentationsstätte zu schaffen, die im geschichtlichen Kontext das Schicksal der deutschen Vertriebenen und die Veränderungen Deutschlands durch ihre Integration sowie Vertreibungen und Genozid an anderen europäischen Völkern im 20. Jahrhundert in einem Gesamtüberblick erfahrbar macht.“ Darüber hinaus wolle man „mithelfen, eine europäische Erfahrung zu formulieren [und] in konstruktivem Dialog mit den Nachbarvölkern die gemeinsame Vergangenheit aufarbeiten, um daraus Friedenspotenzial für die Zukunft zu schaffen. Über Trennendes hinaus soll das Verbindende herausgearbeitet werden.“

Es ist also mitnichten der klassische Geschichtsrevisionismus, der sich hier Bahn bricht; auch Schäfer bediente ihn nicht, wie noch zu zeigen sein wird. So gut wie niemand versäumt heute den Hinweis darauf, dass es die Nazis waren, die den Krieg angezettelt und in dessen Gefolge die Vertreibungen ausgelöst haben. Bei diesen Selbstdarstellungen handelt es sich vielmehr um Plädoyers für eine Art Europäisierung des Vertreibungsleids und vor allem für eine Universalisierung der Shoa, die Sören Pünjer bereits vor drei Jahren in der Zeitschrift Bahamas auf die Formel brachte: „Am deutschen Wesen nach Auschwitz soll die Welt genesen.“ Es ist dies der von Pünjer so bezeichnete „Ausdruck einer internalisierten, wahnhaften moralischen Überlegenheit“, die „nicht mehr die Last der Geschichte zum Ausdruck bringt, sondern eine neue Lust auf Geschichte, die sich zum Missionarseifer auswächst, der Welt den deutschen Weg zu einer von instrumenteller Vernunft entkoppelten, scheinbar interesselosen Moral aufzuzeigen“. Man tut als Deutscher die Dinge also immer noch und immer wieder ausschließlich um ihrer selbst willen:
„Die daraus abgeleitete moralische Verantwortung für die Welt gründet auf der Anmaßung des Status des Moralapostels unter den Staaten, der einen berechtige, sich seinem Schicksal nach Auschwitz hinzugeben, einem Schicksal, dem man nicht entfliehen könne. Dieses Schicksal ist zugleich der Auftrag, aus dem internationalen Copyright auf systematische Vernichtung moralischen Profit zu schlagen, sich selbst die Lizenz auf globale Gerechtigkeit auszustellen und mit den Lehren aus Auschwitz als geschützte Markenprodukte ‚Made in Germany’ weltweit hausieren zu gehen. Genau dahin führen notwendig alle Versuche, das Gedenken an die Shoah zu universalisieren. [...] Im Gegensatz zu den USA, in denen das Gedenken an den Holocaust schon seit Jahren das nationale Geschichtsverständnis entscheidend mitprägt, und selbstredend Israel wird weltweit eine federführend von Deutschland ausgehende Entnationalisierung der Lehren aus Auschwitz begrüßt. Es ist alles andere als zufällig, dass die Fürsprecher dieser Universalisierung von Auschwitz von Walser über Finkelstein zu all den islamischen Revisionisten und Holocaustleugnern den Vorwurf erheben, die Shoa werde instrumentalisiert und einerseits von Israel ‚vereinnahmt’, anderseits von den USA ‚amerikanisiert’, was einem Affront gegen das ‚eigentliche’ Gedenken gleich komme.“
Um dieses „eigentliche Gedenken“ muss es Nike Wagner zu tun gewesen sein, als sie Hermann Schäfer als Redner einlud: Es ging ihr gerade nicht um die spezifisch deutsche Tat, die auch in Buchenwald eine Filiale hatte, sondern eben ganz verallgemeinernd um „Flucht und Vertreibung – Vertreibung und Vernichtung“, die „auch heute noch die Schicksale von Millionen Menschen“ markierten. Wer wüsste das besser als die Deutschen, die „mehr als alle anderen ihre Geschichte aufgearbeitet“ hätten, wie Schäfer in seiner Rede Wagners Auftrag völlig richtig verstand? „Ohne Erinnerung gibt es keine Zukunft für ein Volk“, zitierte er zu Beginn ohne mit der Wimper zu zucken den Shoa-Überlebenden Elie Wiesel (Foto); „wir“ seien daher „den Opfern verpflichtet“ – gerade „als Deutsche“. So sprach der stellvertretende Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, geißelte das „brüchige Fundament“ der Wehrmachtsausstellung und rühmte im Gegenzug die französische Debatte über das „Schwarzbuch des Kommunismus“ beiläufig, aber vermutlich nicht zufällig in der Nähe eines ehemaligen Konzentrationslagers, dessen Häftlinge zu einem nicht geringen Teil Kommunisten waren.

Und so ging es weiter und weiter: Ob Empathie mit „Millionen Menschen“ möglich sei, fragte Schäfer – und nannte nicht die ermordeten Juden, sondern die „zwölf bis vierzehn Millionen Deutschen“, die „Vertriebenen“, die „Opfer waren, das können wir heute ohne Scheu sagen“. Auf die der Nationalsozialismus „mit brutaler Konsequenz“ zurückgeschlagen habe. Sören Pünjer hielt bereits 2003 die Motivation solcher Ideologeme fest: „Es geht nicht darum, den Verlauf der Geschichte in Frage zu stellen, und auch nicht darum, zu leugnen, wer angefangen hat und wer nicht. Diskreditiert wird vielmehr das Interesse an dergleichen Unterscheidungen als ein ewiggestriger Anachronismus in einer vom deutschen Versöhnungsgedanken erfüllten Welt. In der soll es nämlich keine ‚einfache’ Unterscheidung von Opfer und Täter mehr geben, weil alle Opfer und Täter zugleich seien.“ Und weil das so ist, brachte Schäfer auch die „Flucht und Vertreibung in Jugoslawien“ zur Sprache, die „viele Deutsche an ihre Geschichte erinnert“ hätten. Denn worum ging es 1999 noch gleich? Richtig: um die Verhinderung von „Konzentrationslagern“ (Rudolf Scharping) und eines „zweiten Auschwitz“ (Joseph Fischer). Um die Universalisierung der Shoa also, auch wenn Schäfer das nicht explizit sagt.

Dafür betonte er umso stärker die „weißen Traditionslinien der deutschen Geschichte“ – die da in Bezug auf den Ort seiner Rede, Weimar, hießen: Goethe, Schiller und die „erste Demokratie“, allesamt „Sternstunden unserer Geschichte“ – gegenüber den „schwarzen“. Diese „hellen Seiten“ seien unabdingbar für „unsere Identität“, die „wir“ in der Erinnerung finden müssten. Und dies auch und gerade in Zeiten der Offenbarung eines Günter Grass, der sich „als junger Mensch freiwillig zur Wehrmacht gemeldet hat und in der SS gelandet ist.“ Doch „das sind viele andere auch“, und daher „wundert es mich wenig, dass er ein begeisterter Anhänger des Dritten Reiches war“. Denn – und das hat schließlich schon der Papst unlängst in Auschwitz gesagt – „wie viele andere Jugendliche wurde auch er verführt.“ „Schockierend“ sei daher nicht dieser Umstand, sondern nur der, „dass er sich jahrzehntelang an dieses Detail seiner Geschichte nicht erinnern konnte“. Oder wollte. Aber wer will das schon so genau wissen, wenn es darum geht, „gemeinsam die Kraft [zu] finden, uns unserer historischen Verantwortung zu stellen und die schwarzen und die weißen Traditionslinien unserer Geschichte zu vergegenwärtigen“?

Der viel zu früh verstorbene Publizist Eike Geisel brachte die hinter diesen Sätzen stehende Logik schon zu Beginn der 1990er Jahre auf den Punkt: „Jede Untat hat auch ihre guten Seiten. Der Dieb stiehlt, damit wir das Privateigentum verteidigen, der Mörder mordet, damit wir das Gewaltmonopol des Staates anerkennen. Jedes Laster verweist auf die Tugend: ohne Verbrechen also keine Moral. In den Zustand dieser prästabilisierten Harmonie von Gut und Böse ist mittlerweile auch die jüngere deutsche Geschichte aufgestiegen, nachdem allgemein anerkannt ist, ‚dass Deutschland der Welt viel mehr geschenkt hat, als Auschwitz je kaputt machen könnte’ (Schönhuber).“ Die Deutschen seien also nicht „unheilbar krank“, sondern im Gegenteil „unheilbar gesund“. Da ist es nur konsequent, dass die Bundesregierung vorübergehend anordnete, am „Tag der Heimat“ – der am 2. September einmal mehr vonstatten geht und dem auch der Bundespräsident seine Aufwartung macht – alle Dienstgebäude des Bundes zu beflaggen und darüber hinaus auch die KZ-Gedenkstätten. Seit dem fröhlichen Patriotismus bei der Fußball-Weltmeisterschaft gibt es bekanntlich ohnehin kein Halten mehr, wenn es um Schwarz-Rot-Gold geht. Der Erlass wurde mittlerweile kassiert; beim seinem Verschicken sei ein „technisches Versehen“ passiert, was auch immer das heißen mag.

Dass Hermann Schäfer seine Rede abbrechen musste, weil er von Teilen des Publikums dazu gezwungen wurde, ist gut. Die Empörung und Fassungslosigkeit der Überlebenden, die keine Lust hatten, sich ihre Biografien denen der Täter gleichstellen zu lassen, führte zu diesem Schritt. Die Aufregung der Wagners (Foto), Knigges, Thierses, Rürups und Griefahns hinwiederum ist wohlfeil: Sie alle sind verantwortlich für die Erinnerungskultur, also die „populäre, konsensheischende Forderung, sich auf eine allgemeine Definition für Vertreibungen weltweit zu einigen, deren Stichwortgeber die Deutschen sind und die notwendig in der heutigen Weltkonstellation nur einen Verlierer kennen wird: Israel. Und einen Gewinner: die zu den Sudetendeutschen des Nahen Ostens aufgenordeten Palästinenser“ (Sören Pünjer). Charlotte Knobloch, die Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, konstatierte in einem Interview mit dem Spiegel eine „absolute Anti-Stimmung gegen Juden“ in Deutschland. Doch die war in Weimar selbstverständlich nicht der Rede wert – wir sind schließlich alle Opfer.

29.8.06

Das Leben des Brian II

Bisweilen lässt sich das Weltgeschehen nur mit einer gehörigen Portion Galgenhumor ertragen – sofern die Realität überhaupt noch von einer allenfalls mittelprächtigen Satire zu unterscheiden ist. Denn wenn sich etwa Hizbollah-Führer Hassan Nasrallah als Friedensfürst geriert, die UN-Truppen im Libanon Blinde Kuh spielen oder der Iran beteuert, seine Nuklearpläne dienten ausschließlich „friedlichen Zwecken“, bleibt einem das Lachen schon mal im Halse stecken. Dennoch gelingt es manchen, selbst in nicht besonders komischen Zeiten Glanzlichter zu setzen – wie etwa den Cartoonisten Chris Britt und Bob Englehart* oder dem Weblog ScrappleFace**:
„Nur Stunden nachdem der Iran ein neues Kraftwerk eröffnet hat, in dem Plutonium ‚für friedliche Zwecke’ erzeugt werden kann, versicherte US-Präsident George W. Bush seinem iranischen Pendant, dass jeder B-2-Bomber, der in naher Zukunft über Teheran erscheint, ebenso friedlichen Zwecken diene. Präsident Mahmud Ahmadinedjad zerschnitt am Samstag das Band für einen neuen Schwerwasserreaktor als Zeichen einer seit Monaten währenden Anerkennung der Wirksamkeit der Vereinten Nationen. Bush begrüßte die ‚transparente Diplomatie’ des Iran und sagte: ‚Ich habe Präsident Ahmadinedjad heute angerufen, um ihm zu gratulieren, und ich habe ihm mitgeteilt, dass er, wenn er zufällig einen dieser Tarnkappenbomber mit etwa 600 Meilen pro Stunde seine Stadt überfliegen sehe, davon ausgehen könne, dass der Pilot nur die besten Absichten für den Weltfrieden in seinem Herzen trägt.’ ‚Es gibt nichts Besseres als einen B-2, wenn es darum geht, dem Frieden eine Chance zu geben’, fügte Bush hinzu.“
Bei den Mullahs wird man darüber die Mundwinkel wohl kaum verziehen; eher schon dürfte sich dort ein breites und zufriedenes Grinsen einstellen, sollte irgendjemand die jüngsten Ergüsse des taz-Korrespondenten bei der UNO in Genf, Andreas Zumach, übersetzt haben. Denn dem scheint es in der gemächlichen Schweiz langweilig zu werden; ein Job in Ahmadinedjads Propagandaabteilung verspricht da allemal mehr Action, weshalb er schon mal sein Bewerbungsschreiben aufgesetzt hat:
„Irans Ablehnung der UNO-Resolution muss nicht zu Sanktionen führen. Denn: Diese Ablehnung kommt den Forderungen nach Kontrolle des Atomprogramms weit entgegen. [...] Tatsächlich bietet das umfangreiche Verhandlungsangebot, in das die iranische Führung ihr Nein verpackt hat, eine große Chance. Ja vielleicht ist es sogar die letzte Chance, endlich aus der unheilvollen Logik der Konflikteskalation auszubrechen. [...] Zudem wiederholt die iranische Regierung in dem Verhandlungsangebot bereits früher erhobene, völlig legitime Forderungen, etwa nach militärischen Nichtangriffsgarantien der USA. Zugleich macht Teheran eine Reihe von Kooperationsangeboten, die über die Beilegung des Streits um das iranische Atomprogramm hinaus zur Entschärfung und Lösung der Konflikte im Nahen und Mittleren Osten beitragen könnten.“
Appeasement? Ach wo! Bloß der konstruktive Vorschlag eines Bescheidwissers, der nur zu gerne endlich ganz offen vom kleinen und großen Satan schreiben würde und dabei selbstredend nicht an die Hizbollah und den Iran denkt, sondern an die, sagen wir, üblichen Verdächtigen. Eine gewisse Faktenresistenz scheint in jedem Fall die Lohntüte nicht leerer zu machen, sondern im Gegenteil geradezu Bedingung zu sein, wenn es in Deutschland und Europa ums eigene Fortkommen geht. Denn die Welt darf sich nicht ändern, und wenn sie in Scherben fällt. Daher wird man nicht nur in der Berliner Kochstraße nun auch mit einer Institution hart ins Gericht gehen müssen, die man aus dem Irak-Krieg eigentlich lieb gewonnen hatte: der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) nämlich. Schließlich zeigt El-Baradeis Verein erste Anzeichen politischer Unzuverlässigkeit:
„‚Die Iraner haben die Forderung des UN-Sicherheitsrates nach einem Stopp der Anreicherung bislang glatt ignoriert’, sagte ein IAEA-Diplomat in Wien dem ‚Handelsblatt’. IAEA-Generaldirektor Mohammed El-Baradei muss am 31. August dem UN-Sicherheitsrat Meldung erstatten. ‚Darin wird er wohl die starre Haltung der Iraner beschreiben’, sagte der Diplomat, der nicht genannt werden will. In seiner Resolution von Ende Juli hatte der UN-Sicherheitsrat von Teheran verlangt, alle Aktivitäten zur Anreicherung von Uran bis zum 31. August einzustellen. Zudem fordert das oberste UNO-Gremium von Teheran, mit den IAEA-Inspektoren im Iran voll zu kooperieren. Genau dies verweigert die Regierung in Teheran. Gestern betonte Staatspräsident Mahmud Ahmadinedjad erneut, für sein Land kämen ‚keine Kapitulation und keine Kompromisse’ gegenüber der UNO in Frage.“
„Was tun?“
, sprach Zeus, kippte seiner Ehefrau und Schwester Hera noch ein Glas Rotwein ein und ließ seinen Sohn Hephaistos einen Plan schmieden, der ökonomische Sanktionen vorsieht, um die Kapitulation zu verzögern. Es ist nicht überliefert, ob Mahmud Ahmadinedjad sich in der griechischen Mythologie auskennt, aber falls doch, könnte er Zeus’ Vater Kronos zum Vorbild erkoren haben, mit dem Unterschied allerdings, dass er seinen Appetit nicht mit einem in eine Windel gewickelten Stein zu zügeln gewillt ist. Denn ihm geht es um mehr: um alles, wie nicht zuletzt der „Holocust“-Wettbewerb (nein, kein Tippfehler) zeigt – und das Begleitprogramm dazu in Form einer internationalen Konferenz, die gewiss nicht zufällig unmittelbar nach dem Tag der Menschenrechte beginnen soll. Auch das ist kein schlechter Scherz, sondern heiliger Ernst. Aber das begreift man im Cockpit einer B-2 wohl eher als bei Annans zu Hause, in den Amtssitzen Old Europes oder in den Redaktionsstuben deutscher Alternativblätter.

* Von Chris Britt stammt der erste Cartoon in diesem Beitrag; er wurde im State Journal Register veröffentlicht. „Mit Photoshop verändertes Bild eines Hizbollah-Kämpfers“ steht im oberen Teil des Bildes, „unverändertes Bild“ im unteren. Aus der Feder von Bob Englehart floss die zweite Zeichnung, die in The Hartford Courant abgedruckt wurde. Die Bildunterzeile lautet: „Ich weiß nicht, wo die herkommen. Israel existiert nicht!“ Zur Vergrößerung der Cartoons aufs jeweilige Bild klicken.
** Übersetzung: Liza

Hattips: Club Iranisch-Europäischer Filmemacher (CIEF), Mona Rieboldt, Spirit of Entebbe

28.8.06

Die Klaviatur des Demagogen

Eines der erklärten Ziele der israelischen Militäraktionen gegen die Hizbollah war es, die beiden entführten Soldaten Ehud Goldwasser und Eldad Regev zu befreien. Ungeachtet einer grundsätzlichen Antwort auf die Frage, was der Krieg gegen die Gotteskrieger im Libanon, der anschließende Waffenstillstand und die UN-Resolution 1701 hinsichtlich der Sicherheit Israels bewirkt haben, lässt sich festhalten: Das Faustpfand in Form der Verschleppten hat Hizbollah-Führer Hassan Nasrallah (Foto) behalten. Und er versteht es, diesen Trumpf auszuspielen.

„Wir dachten nicht mal zu einem Prozent, dass diese Gefangennahme zu jenem Zeitpunkt zu einem Krieg führen würde, schon gar nicht zu einem dieser Größenordnung. Wenn Sie mich fragen, ob ich die Operation durchgeführt hätte, wenn ich am 11. Juli gewusst hätte, dass sie zu solch einem Krieg führt, sage ich Ihnen: Nein, absolut nicht“, gab Nasrallah in einem Interview mit dem libanesischen Fernsehsender New Television die Unschuld vom Lande. Israel habe Vorbereitungen für einen „überwältigenden, überraschenden Krieg“ gegen die Hizbollah getroffen, der eigentlich erst im Oktober dieses Jahres hätte beginnen sollen, die Entführung der Soldaten dann jedoch als Vorwand genommen, diesen Krieg vorzuziehen: „Sie hatten geplant, Menschen umzubringen, während diese in ihren Häusern bei ihren Frauen und Kindern schlafen.“ Seine Organisation habe Israel jedoch den Überraschungsfaktor geraubt: „Wir waren auf den Krieg vorbereitet, als er begann.“ Und solange auch nur ein einziger israelischer Soldat im Libanon verbleibe, seien Angriffe auf israelische Truppen weiterhin „legitim“. Allerdings rechne er gar nicht mit neuerlichen militärischen Auseinandersetzungen: „Die gegenwärtige israelische Situation und die verfügbaren Informationen lassen darauf schließen, dass es keine weitere Runde geben wird.“ Denn andernfalls hätte Israel seine Kräfte im Libanon verstärkt.

Nasrallah bedient die Klaviatur des Demagogen alles andere als ungeschickt. Die Hizbollah fühlt sich als Sieger des Krieges gegen den jüdischen Staat, und ihr Führer hat in nicht geringen Teilen der arabischen Welt Punkte gemacht. Der Waffenstillstand, die Stationierung von UN-Truppen im Libanon und der damit verbundene Rückzug Israels aus dem Land spielen ihm in die Karten, denn die UN-Resolution 1701 fiel alles andere als zum Nachteil seiner Gotteskriegertruppe aus, deren Entwaffnung in weite Ferne gerückt ist. In dieser durchaus komfortablen Situation den Schafspelz überzustreifen, ohne mit den eigenen Prinzipien zu brechen, ergibt Sinn: In der europäischen Öffentlichkeit gilt das israelische Vorgehen bekanntlich als vollkommen überzogen; da macht es sich bestens, die Entführung zweier feindlicher Soldaten als Lappalie abzutun und so die Verantwortlichkeit für die Eskalation erneut Israel zuzuschieben, das seinen ohnehin vorgesehenen mörderischen Waffengang gegen die Unschuldigsten der Unschuldigen nun bloß früher vonstatten gehen lassen habe. Mit derlei Niederträchtigkeiten habe man bei der Hizbollah jedoch gerechnet, sei die Antwort nicht schuldig geblieben und werde sich auch weiterhin zu wehren wissen, sollte es wider Erwarten doch eine „weitere Runde“ geben.

Solche vermeintlich moderaten Töne wird man bei den Vereinten Nationen und in Old Europe alles andere als ungern hören, denn sie weisen die Judenmörderbande als den erhofften kooperationswilligen Gesprächspartner aus, der es jedenfalls nicht schuld ist, wenn sich der Waffenstillstand als fragil erweisen sollte. Nasrallah präsentiert sich als verhandlungsbereiter Diplomat, der die Schwäche insbesondere der Europäer fast schon virtuos zu nutzen weiß. Lässig schüttelt er ein weiteres Ass aus dem Ärmel: Die beiden israelischen Soldaten kämen in zwei bis drei Wochen frei, wenn Israel im Gegenzug Gefangene* entlasse. Der libanesische Parlamentspräsident Nabia Berry solle bei den Verhandlungen die Federführung übernehmen. Als Vermittler nennt Nasrallah Italien, und das nicht ohne Grund: Das Land hatte bereits seine Bereitschaft bekundet, eine tragende Rolle innerhalb der UN-Truppen im Libanon zu übernehmen, und sein Außenminister D’Alema sieht die Hizbollah als „wichtigen Teil der libanesischen Gesellschaft“, die sich zu einer „rechtmäßigen politischen Bewegung“ (!) entwickeln möge.

Ebenfalls im Gespräch für diesen Deal ist nach Informationen der ägyptischen Tageszeitung Al-Ahram Deutschland, das derzeit versuche, die „Modalitäten des Austausches“ zu klären. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm wollte das weder bestätigen noch dementieren – was im Klartext bedeutet, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) bereits mindestens mit den Hufen scharrt. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung hatte der israelische Premierminister Ehud Olmert am 3. August die Frage „Wollen Sie, dass Deutschland Verhandlungen mit der Hisbollah führt, um die Soldaten freizubekommen?“ noch mit einem „Ich habe Deutschland nicht um Moderation gebeten. Warum sollte es einen Vermittler geben zwischen Israel und der Hisbollah?“ verneint und deutlich gemacht, dass er nicht bereit sei, palästinensische und libanesische Gefangene freizulassen. Diese Haltung scheint er nun geändert zu haben; seine Außenministerin Tzipi Livni trifft sich jedenfalls bei ihrem Deutschlandbesuch am heutigen Montag offenbar auch mit dem BND-Chef Ernst Uhrlau (Foto).

Uhrlau? Da war doch was? Richtig: Er zeichnete auch verantwortlich für den Gefangenenaustausch am 29. Januar 2004 auf dem Kölner Militärflughafen, an den Grenzen zum Westjordanland, dem Gazastreifen und zum Libanon, bei dem Israel unter der Aufsicht des BND 429 Häftlinge sowie die Leichen von 60 getöteten Mitgliedern der Hizbollah überstellte und dafür den Geschäftsmann Elhanan Tannenbaum sowie die sterblichen Überreste von drei Soldaten erhielt. Der ungleiche Deal stieß seinerzeit auf heftige Kritik in der israelischen Öffentlichkeit. Deutschland hatte zudem angekündigt, drei weitere inhaftierte Terroristen – darunter den wegen Flugzeugentführung und Mordes zu lebenslanger Haft verurteilten Libanesen Mohammed Ali Hamadi – freizulassen, wenn Israel dafür der seit damals seit 18 Jahren vermisste israelische Luftwaffen-Navigator Ron Arad übergeben wird. Das Schicksal Arads ist bis heute ungewiss – er sei tot, erklärte Hizbollah-Führer Nasrallah unlängst erneut –, doch das hielt die Bundesrepublik nicht davon ab, Hamadi im Dezember 2005 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in den Libanon auszufliegen, wo ihn seine zwei Brüder und weitere Familienmitglieder – allesamt hohe Hizbollah-Offiziere – in die Arme schließen durften.

Es war nicht das erste und einzige Mal, dass deutsche Geheimdienste maßgeblich in derartige Aktivitäten involviert waren; bereits 1996 etwa sorgte der damalige deutsche Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer für einen Austausch zwischen der Hizbollah und Israel. Auch in diesem Fall hatte der jüdische Staat einem Geschäft zugestimmt, von dem er, vorsichtig formuliert, selbst letztlich deutlich weniger profitierte als seine Feinde. Schmidbauer war es auch, der sich schon am 24. Juli dieses Jahres in einem Interview mit dem Deutschlandfunk allzeit bereit erklärt hatte, seine immer noch ausgezeichneten Beziehungen zur Hizbollah, zu Syrien und zum Iran spielen zu lassen, und der Verhandlungen mit diesen erklärten Feinden Israels für alternativlos hielt.

Hassan Nasrallah tritt in die Fußstapfen Yassir Arafats: Er inszeniert sich als Staatsmann und Diplomat, an dem man nicht vorbeikommt. Das ist ein Erfolg für die Hizbollah – auch dann, wenn sie Israel militärisch unterlegen ist. Denn sie weiß die internationale Konstellation für sich zu nutzen, und genau darin liegt ihre Chance. Während sich das Atomprogramm des Iran – also ihres Patrons und Finanziers – und damit die geplante Vernichtung Israels einem Ultimatum ausgesetzt sieht, zieht Nasrallah alle Register und scheint Erfolg damit zu haben, Israel und die USA auf der einen Seite und die UNO und Europa auf der anderen gegeneinander auszuspielen. Letztere scheinen ihm auf den Leim zu gehen, ohne die Konsequenzen auch nur ansatzweise zur Kenntnis nehmen zu wollen. Das als Desaster zu bezeichnen, wäre noch eine schamlose Untertreibung.

* In den deutschen Medien ist von libanesischen Häftlingen die Rede; die Jerusalem Post schreibt von palästinensischen Inhaftierten.

Hattip: Wolfgang Müller

25.8.06

Prost Mahlzeit!

Es gibt viele Gründe, auswärts zu speisen: Der Kühlschrank ist leer, die Vorräte sind vergammelt, die Lust zu kochen tendiert gegen null (und die zum Abwaschen in den Minusbereich), oder man hat schlicht mal wieder das sinnliche Bedürfnis, es sich in gepflegtem Ambiente gut gehen zu lassen. Dank der Globalisierung steht inzwischen ja eine veritable gastronomische Auswahl zur Verfügung, wobei die Restaurants auf immer außergewöhnlichere Ideen verfallen, um ihren Gästen einen Besuch, sagen wir, schmackhaft zu machen: Die einen werben mit Gutscheinen, die nächsten mit Happy Hours oder All you can eat, und wieder andere versuchen, bereits mit der Namensgebung ihres Etablissements Aufsehen zu erregen. Einem ist genau das jetzt besonders nachhaltig gelungen – nicht in München oder Mailand, sondern im indischen Mumbai, einer der bevölkerungsreichsten Städte der Welt, die bis 1995 Bombay hieß: Hitler’s Cross (Hitlers Kreuz) taufte er seinen Laden (Foto) – Werbeslogan: „Von kleinen Bissen zu Megafreuden“ –, und damit erst gar keine Missverständnisse aufkommen, ziert das „o“ in „Cross“ ein großes Hakenkreuz, und im Eingangsbereich prangt(e) ein großes Führerporträt. Nach heftigen Protesten will das Lokal nun seinen Namen ändern.

Dabei hatte sich Restaurantchef Puneet Sabhlok von den ablehnenden Reaktionen zunächst völlig überrascht gezeigt. Er habe nicht für den schlimmsten Massenmörder der Geschichte werben wollen; seine Gemeinsamkeit mit diesem bestehe lediglich darin, „dass er die Welt mit Gewalt erobern wollte, und ich das mit dem Essen und dem Service, den ich biete, machen will“. Man mag sich lieber nicht vorstellen, wie das im einzelnen vonstatten gehen sollte, und es ist auch nicht überliefert, ob auf der Speisekarte etwa ein Führercocktail oder ein Chicken-Curry Eva angeboten wurden; die Saucen zumindest dürften ziemlich sicher durchweg eine der Gesinnung des Namenspatrons entsprechende Farbe gehabt haben. Ein Anwohner sagte dem Nachrichtensender NDTV, man habe sich über die Werbung vor der Eröffnung der Gaststätte gewundert, in der es geheißen habe: „Hitler kommt“. Die jüdische Gemeinde Mumbais, mit etwa 4.500 Mitgliedern die größte in Indien, beließ es nicht beim Staunen, sondern erwog, juristisch gegen Sabhlok vorzugehen. Und der israelische Generalkonsul in Mumbai, Daniel Zonshine, berichtete der Times of India, er habe Anrufe besorgter Juden aus der ganzen Welt bekommen.

Sabhlok kümmerte das zunächst wenig. Er ließ zwar das Hitler-Bild im Eingang entfernen, kündigte ansonsten jedoch an, den Namen rechtlich schützen lassen und ihn unter keinen Umständen zu ändern. Vielmehr plane er, zwei weitere Restaurants in der Stadt zu eröffnen. Doch die Proteste nahmen zu, auch aus dem Ausland. „Die Nazi-Symbolik entwürdigt die Erinnerung der Opfer und ist ein schlechter Dienst an den Menschen in Bombay, indem sie die Schrecken des Holocaust verharmlost“, kritisierte beispielsweise die US-amerikanische Anti-Defamation League. Schließlich traf sich der Lokalbesitzer mit Vertretern der jüdischen Gemeinde Indiens und beendete anschließend seine Bockigkeit. Er habe nicht gewusst, dass sein Einfall die Menschen derart verstöre, gab sich Sabhlok naiv. „Wir wollten einfach einen anderen Namen und gute Werbung. Das ist der Hauptgrund“, rechtfertigte er sich. „Als sie mir jedoch sagten, wie aufgebracht sie wegen des Namens gewesen seien, habe ich entschieden, ihn zu ändern. Ich wollte nie Streit hervorrufen oder Geschäfte mit dem Verletzen von Menschen machen.“ Die jüdische Gemeinde Mumbais begrüßte die Entscheidung: „Er hat verstanden, dass er einen Fehler gemacht hat, und er hat die Gründe dafür eingesehen. Manche Leute haben falsche Vorstellungen von der Geschichte, und er hat begriffen, dass das nicht angemessen war“, sagte Elijah Jacob, ein Vertreter des Vorstands.

Vielleicht sollte man das auch den Betreibern eines Geschäftes im italienischen Jesolo stecken, in dem ein Camper im Juli dieses Jahres „Hitler-Bier“ entdeckte (Foto rechts), das auf den Namen „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ getauft worden sei. Nicht auszuschließen, dass dieses Gebräu ein echter Exportschlager wird – beispielsweise zur Verköstigung von NPD-Kadern bei Gesprächen mit islamistischen Gesinnungsgenossen über Reinheitsgebote oder während ihrer Parteitage, die demnächst möglicherweise in Delmenhorst stattfinden werden. Dort steht ein großes Hotel leer, das der Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger zu erwerben plant. Um das Vorkaufsrecht der Stadt zu umgehen, erwägen die bisherigen Besitzer eine Schenkung der Immobilie an den rechtsextremen Juristen. Gegen das prospektive Nazi-Schulungszentrum protestiert jedoch nicht nur die Delmenhorster Verwaltung; auch viele Bewohner sind damit nicht einverstanden. Um Rieger den Kauf des Gebäudes streitig zu machen, hat eine lokale Initiative bereits 830.000 Euro gesammelt. Eine Entscheidung über den Besitzerwechsel soll nächste Woche fallen.

Hattips: Nasrin Amirsedghi, Olaf Kistenmacher, Spirit of Entebbe

Football’s coming home

Die Fußballklubs Maccabi Haifa und Hapoel Tel Aviv haben sich für den UEFA-Pokal qualifiziert, während Beitar Jerusalem und Bnei Yehuda Tel Aviv ihr Ziel verpassten. Maccabi erreichte die erste Runde dieses Wettbewerbs, nachdem das Team in der Qualifikation zur Champions League am Dienstag nur äußerst unglücklich gegen den FC Liverpool den Kürzeren gezogen hatte; Hapoel machte eine 1:2-Hinspielniederlage in der Ausscheidung für den UEFA-Cup gegen den slowenischen Verein NK Domzale gestern Abend mit einem 3:0 im Rückspiel wett.

Bei Maccabi wusste man zunächst nicht, was überwiegen soll: Die Trauer darüber, die europäische Königsklasse verpasst zu haben, oder der Stolz über zwei großartige Spiele gegen den englischen Rekordmeister und Champions League-Sieger des Jahres 2005. Nach einem knappen 1:2 im Hinspiel an der Anfield Road war der israelische Meister durchaus nicht chancenlos gewesen, hatte allerdings den gravierenden Nachteil zu verkraften, sein Rückspiel nicht im heimischen Stadion austragen zu dürfen, weil der europäische Fußballverband UEFA trotz des Waffenstillstandsabkommens nicht bereit war, die Partie in Haifa stattfinden zu lassen. So ging die Begegnung in Kiew über die Bühne, etliche tausend Kilometer entfernt. 16.000 Zuschauer wollten das Spiel sehen; damit war das Valerij-Lobanovskij-Stadion nahezu ausverkauft. Zwar nahmen nur wenige heimische Maccabi-Fans die lange Reise auf sich; dafür wurde der Klub jedoch von einigen hundert in Kiew lebenden Juden angefeuert, die von der jüdischen Gemeinde in der ukrainischen Hauptstadt Tickets bekommen hatten.

Ein 1:0 hätte Maccabi zum Weiterkommen genügt, doch das erste Tor schoss der englische Nationalspieler Peter Crouch für den FC Liverpool in der 54. Minute. Neun Minuten später glich Roberto Colautti aus. In der verbleibenden knappen halben Stunde drängte Haifa vehement auf das Führungstor, das zumindest für eine Verlängerung gesorgt hätte. Erneut Colautti hatte acht Minuten vor Schluss auch die Riesenchance dazu, doch der Liverpooler Torhüter konnte den Ball mit einer Glanzparade über die Latte lenken. Kurz vor dem Schlusspfiff forderte Maccabi einen Elfmeter, nachdem Eyal Meshumar im Strafraum zu Boden gegangen war; der Schiedsrichter hatte allerdings eine „Schwalbe“ gesehen und zeigte Meshumar daher die gelbe Karte. So blieb es beim Unentschieden, das den Reds den Einzug in die Gruppenphase der Champions League ermöglichte. „Wir haben gut gespielt und hätten es fast geschafft“, resümierte Maccabis Trainer Roni Levy nach der Rückreise, und er ärgerte sich darüber, kein echtes Heimspiel gehabt zu haben:
„Liverpool hat zu Hause erst sehr spät den Siegtreffer erzielt, nicht zuletzt wegen der Unterstützung durch seine Fans. Auch für uns wäre es besser gewesen, wenn wir auf heimischem Boden gespielt hätten. Man darf nicht vergessen, dass wir es mit einem der größten europäischen Klubs zu tun hatten und ihm ein Unentschieden abgetrotzt haben. Es ist klar, dass es anders gelaufen wäre, wenn das Spiel in Israel stattgefunden hätte. Es gibt Qualitätsunterschiede zwischen uns und Liverpool, aber die hätten wir durch den Heimvorteil überbrücken können. Jeder, der ein Teil von Haifa ist, kann stolz auf die Mannschaft sein.“
Die UEFA hatte nach ihrem Entschluss, den israelischen Vereinen das Heimrecht zu entziehen und sie wegen des Krieges außerhalb des Landes spielen zu lassen, angekündigt, neu über den Austragungsort zu entscheiden, sollte sich die Lage in und um Israel beruhigen. Durch die Waffenstillstandsvereinbarung war diese Voraussetzung eigentlich gegeben, doch der Verband mochte sein Diktum nicht revidieren: „Unter Berücksichtigung der generellen Situation gibt es zum derzeitigen Zeitpunkt keinen Grund, die Entscheidung zu ändern“, sagte ihr Generaldirektor Lars-Christer Olsson einige Tage vor dem Match in Kiew. Maccabis Vorsitzender Yaakov Shachar war damit überhaupt nicht einverstanden: „Es scheint uns, dass diese Institution, die sich rühmt, die Politisierung des Sports zu vermeiden, eine Entscheidung mit politischem Unterton getroffen hat.“ Ein Sprecher des israelischen Fußballverbands IFA vermutete noch weitere Gründe: „Es war uns klar, dass Liverpool großen Einfluss auf die UEFA hat und dass der Verband auch nach dem Kriegsende keine Spiele in Israel genehmigen wird. Man sollte nicht vergessen, dass Liverpool vor einem Jahr europäischer Champion war und dass Maccabi Haifa und Israel kein Gewicht haben.“

Auch die drei israelischen Vereine, die an der Qualifikation zum UEFA-Pokal teilnahmen, litten unter dieser Benachteiligung. Hapoel Tel Aviv musste sein „Heimspiel“ in der Qualifikation zum UEFA-Pokal gegen NK Domzale im niederländischen Tilburg absolvieren und verlor mit 1:2. Lokalrivale Bnei Yehuda wich nach Senec in die Slowakei aus und unterlag dort Lokomotive Sofia vor nur 150 Zuschauern mit 0:2. Beitar Jerusalem wiederum trat gegen Dinamo Bukarest zuerst in Rumänien an, verlor dort mit 0:1 und schaffte im Rückspiel am Donnerstag in Sofia nur ein 1:1. Barak Itzhaki hatte die Elf aus der israelischen Hauptstadt schon nach vier Minuten in Führung gebracht und damit das Torverhältnis insgesamt egalisiert, doch Dinamo glich in der 25. Minute aus. Das Remis reichte den Rumänen schließlich zum Weiterkommen. In der bulgarischen Hauptstadt spielte gestern auch Bnei Yehuda – regulär auswärts –, hatte jedoch wie schon im Hinspiel gegen Lokomotive keine Chance: Am Ende hieß es 0:4. Besser machte es dagegen Hapoel Tel Aviv: Das Team gewann bei NK Domzale mit 3:0 und erzielte dabei die entscheidenden letzten beiden Tore durch Gil Vermouth und Ibazito Ogabuna in der Nachspielzeit. Zuvor hatte nach 70 Minuten Ivan Jolic den wichtigen Führungstreffer besorgt. Die Auslosung für die erste Runde des UEFA-Pokals findet am heutigen Freitag statt.

Hoffnung auf ein wirkliches Heimspiel hat nun die israelische Nationalmannschaft, die in der Qualifikation für die Europameisterschaft am 6. September gegen Andorra antreten muss: Die UEFA kündigte an, die Partie könne wie geplant in Tel Aviv stattfinden, sofern der Waffenstillstand halte. „Bei allem gebührenden Respekt für Andorra: Es ist nicht Liverpool“, sagte ein Sprecher des israelischen Verbands. „Wir haben keinerlei Vorbereitungen für einen Ausweichort getroffen. Denn wir sind sicher, dass das Spiel in Israel ausgetragen werden wird. Das ist es, was die UEFA uns auch zu verstehen gegeben hat.“ Am kommenden Wochenende beginnt derweil die israelische Meisterschaft, deren Start auf Wunsch mehrerer Erstligavereine verschoben worden war. „Es finden am ersten Spieltag alle Begegnungen in der Landesmitte und damit auf sicherem Gebiet statt. Dennoch wollten wir den Klubs eine Woche mehr Zeit geben, da die Vorbereitung durch die Sicherheitslage stark beeinträchtigt wurde“, hieß es von Seiten der IFA. Zu den Hauptfavoriten zählen drei Klubs, die auch an den internationalen Ausscheidungsspielen beteiligt waren: Neben Titelverteidiger Maccabi Haifa und Hapoel Tel Aviv – das den erfahrenen Trainer Itzhak Shum zurückholte, der vor vier Jahren Haifa in die Champions League geführt hatte – plant auch Beitar Jerusalem Großes: Mit Osvaldo Ardiles verpflichtete der Klub sogar einen argentinischen Weltmeister von 1978 als neuen Trainer.

Das obere Foto zeigt eine Szene aus dem Hinspiel von Maccabi Haifa in Liverpool. Im grünen Trikot: Der Maccabi-Spieler Gustavo Boccoli. Auf dem unteren Bild sieht man Fans von Hapoel Tel Aviv bei einer Choreografie vor dem Lokalderby gegen Maccabi Tel Aviv in der Saison 2003/04; es entstammt der Homepage der Hapoel-Ultras.

Übersetzungen: Liza

23.8.06

Entwaffnung? Kinderspiel!

Wie es aussieht, hat sich der Times-Kommentator Tim Hames geirrt. „Die Hizbollah war bis zum 11. Juli ausschließlich ein Problem für Israel. Das Dilemma ist nun internationalisiert worden. Die UNO wird zu der Einschätzung gelangen, dass es, wenn sie den Frieden nicht behaupten kann, die Hizbollah gewesen sein wird, die den vom Sicherheitsrat auferlegten Waffenstillstand gebrochen hat, und dass dann ihre eigene Autorität gefährdet ist. Das ist ein wichtiger Durchbruch für Israel“, kommentierte er die Zustimmung des jüdischen Staates zur UN-Resolution 1701. Zehn Tage später zeigt sich immer deutlicher, dass seine Einschätzung doch arg optimistisch war. Denn diese Internationalisierung – die Israel bis dahin aus guten Gründen stets abgelehnt hatte – wird nicht nur nicht zur Entwaffnung der Hizbollah führen; die UNIFIL sieht ihr Mandat auch darüber hinaus als „prinzipiell defensives“ und führt damit konsequent die Tradition seit ihrer Stationierung 1978 fort, die Terrororganisation freundlich gewähren zu lassen, wo sie nicht gleich offen mit ihr kollaboriert. Dass die UN-Truppe dabei auch noch ausgerechnet der libanesischen Armee – deren Sympathien für die Hizbollah nachgerade sprichwörtlich sind – allen Ernstes die Abrüstung von Nasrallahs Jüngern sowie den Schutz Israels aufgetragen hat, böte reichlich Stoff für Satire, wäre die Realität nicht längst selbst schon eine. In der französischen Zeitung Le Monde wird geschildert, wie sich die Vereinten Nationen die Umsetzung ihrer Resolution vorstellen:
„UNO-Soldaten sollen demnach zwar nicht aktiv nach Raketen der radikal-islamischen Hizbollah suchen. Sie sollen aber Waffen beschlagnahmen, auf die sie zufällig stoßen. Ebenso sollen sie einzelne Hizbollah-Kämpfer entwaffnen können, die ihnen bei ihren Patrouillen begegnen. ‚Wir werden nicht aktiv nach Waffen der Hizbollah suchen’, sagte ein hoher UNO-Vertreter ‚Le Monde’. ‚Wenn wir aber bei einer Patrouille auf ein Versteck stoßen, ist es unsere Aufgabe, diese Raketen zu beschlagnahmen.’ Laut der Zeitung ist auch der Fall geregelt, wenn die UNIFIL Hizbollah-Kämpfer beim Abschuss einer Rakete entdecken sollte. Die Truppe werde dann die libanesische Armee verständigen ‚und sollte keine Gewalt einsetzen, auch wenn sie eine strikte Auslegung ihres Mandats dazu bevollmächtigen würde’.“
Hätte das Ganze nicht einen ernsten Hintergrund, man könnte glatt schmunzeln bei der Vorstellung, wie erwachsene Menschen in Uniformen sich die Augen zuhalten und bis hundert zählen, bevor sie mit einem freundlichen „Ja, wo sind sie denn?“ ihre Patrouillen genannten Spaziergänge fortsetzen und so tun, als ob sie etwas aufspüren wollten, um es im unwahrscheinlichen Fall der Fälle bei einem zeigefingerschwenkenden „Du, du!“ zu belassen. Oder wie sie in einem dicht besiedelten Wohngebiet eine Abschussrampe gewärtigen und – sofern sie diese nicht bloß für ein Klettergerüst auf einem Abenteuerspielplatz halten – ihr Handy zücken, um den Oberbefehlshaber des libanesischen Militärs zu kontaktieren, während es hinter ihnen bereits vernehmlich zischt. Der Groteske fehlt gleichwohl noch die eigentliche Pointe – bitte sehr:
„Aus Kämpfen zwischen Israelis und der Hizbollah soll sich die UNO-Truppe dem Bericht zufolge ebenfalls heraushalten. ‚Wir werden uns nicht dazwischenstellen. Wir werden versuchen, sie mit anderen Mitteln zu stoppen’, sagte ein UNO-Funktionär dem Blatt. ‚Doch wenn Israel auf Zivilisten zielt, werden wir Gegenmaßnahmen finden müssen und die Zugangsstraßen blockieren oder Beobachter stationieren, auch wenn das sehr gefährlich ist.’“
Man weiß halt, von wem die eigentliche Gefahr ausgeht, und man wusste es schon immer. Vielleicht treffen die deutschen Soldaten, die an der UN-Mission teilnehmen, bei ihren Wanderungen ja den flüchtigen „Kofferbomber“ aus Köln, der inzwischen wohl wieder irgendwo im Libanon unter Seinesgleichen herumgeistert und ihnen dann gemeinsam mit anderen berichten kann, dass eigentlich nur geplant gewesen sei, den „Kreuzzug der Protestanten“ zu stoppen, und dass die Hizbollah bloß deshalb mit Katjuschas schieße, weil „die Juden ein Kind oder so vergewaltigt haben“. Oder man liest beim Tee gemeinsam den neuesten Bericht von Amnesie, Verzeihung: amnesty international über die „vorsätzlichen Kriegsverbrechen“ des Judenstaates. Schließlich ist nichts zu absurd, als dass es nicht mit heiligem Ernst und im Brustton der Überzeugung vertreten werden könnte.

Hattip: Mona Rieboldt

22.8.06

Wesensverwandtschaften

Wann immer George W. Bush etwas sagt, kann man darauf wetten, dass sich Politik und Medien hierzulande mit Gebrüll auf seine Äußerungen stürzen und sie mit einer gehörigen Portion Ressentiment gegen ihren Urheber zu wenden versuchen. Als etwa der amerikanische Präsident jüngst daran erinnerte, dass sich sein Land im Krieg gegen islamische Faschisten“ befinde, entbrannte sogleich eine Diskussion darüber, ob die Verwendung des Terminus Faschismus im Kontext mit der selbst ernannten Religion des Friedens überhaupt zulässig sei. Wunder nimmt das nicht: Niemand glaubt so gut zu wissen, was man unter dem genannten Begriff zu verstehen hat, wie die Deutschen, die nicht nur das Copyright auf ihn beanspruchen, sondern auch darauf bestehen, die richtigen Konsequenzen daraus zu kennen – und die lauten immer noch: Appeasement. Zumal jetzt, wo Israel Krieg gegen diejenigen führt, die keine Gelegenheit auslassen, ihrem Willen zur Vollendung des von den Nazis nicht ganz bewältigten Werkes Ausdruck zu verleihen und ihn im Rahmen ihrer Möglichkeiten in die Tat umzusetzen. Es ist dies ein originär antifaschistischer Krieg des jüdischen Staates – eine Gegebenheit, mit der man sich im postnazistischen Deutschland partout nicht abfinden mag.

Stattdessen hält man es auch dann noch für vordringlich, Verständnis für das Faszinosum Islamismus zu entwickeln, den Dialog der Kulturen einzuklagen und der Frage nachzugehen, „warum sie uns so hassen“, wenn die so anteilnehmend Umsorgten sozusagen nebenan mit vernichtender Gewalt deutlich zu machen versuchen, dass definitiv kein Missverständnis vorliegt, und nur knapp damit scheitern. Es soll sich nicht um Faschismus handeln, wenn in suicide attacks eine größtmögliche Zahl an Juden getroffen werden soll, wenn der iranische Präsident die Shoa leugnet und von einer „Welt ohne Zionismus“ durch Atomwaffen träumt, wenn die Hizbollah zum Endkampf rüstet, wenn der Hamas die Vernichtung Israels Prinzip und Daseinszweck ist und wenn 9/11, Madrid und London längst grauenvolle Zeugnisse des globalisierten Vernichtungsterrors darstellen. Vielmehr attestiert man dieser Einschätzung bloß die mindere Qualität einer Parole oder eines Kampfbegriffs. Denn sie gilt als unseriöse Propaganda, die letztlich vor allem der Bekräftigung der amerikanischen Weltherrschaftspläne diene. Begriffe wie Islamfaschismus oder islamischer Faschismus seien zudem undifferenziert und verwirrend; sie inflationierten den Faschismusbegriff, ignorierten die „Vielfalt“ des Islam und erschwerten es, „problematische Bewegungen aus sich selbst heraus“ zu verstehen, wie es Werner Schiffauer in einem für Ethnologen so unnachahmlichen Slang formulierte.

Solche Einwände sind substanzlos. Dabei gäbe es tatsächlich einen guten Grund, in diesem Kontext auf die Vokabel Faschismus zu verzichten – und zwar deshalb, weil sie die zentrale Rolle des Antisemitismus für den islamistischen Terror nicht erfasst. Denn der Begriff rekurriert auf historische Vorbilder. Doch das Italien Mussolinis etwa und das Spanien der Franco-Zeit unterscheiden sich neben unzweifelhaften Gemeinsamkeiten wesentlich dadurch vom nationalsozialistischen Deutschland, dass für ihre Terrorherrschaft antisemitische Denkfiguren sowie die zu allem entschlossene Verfolgung und Vernichtung aller Juden – oder wen man dafür hält – eine wesentlich geringere Rolle gespielt haben. Dieser Aspekt wurde und wird gerne vernachlässigt, wenn es das Ziel ist, die Spezifika des Nationalsozialismus im Nebel eines alles einebnenden Faschismusbegriffs auf- und also untergehen zu lassen. Trendsetter waren hier einmal mehr die Linken, deren Faschismustheorien stets die Bedeutung des Antisemitismus für die nationalsozialistischen Theorie und Praxis auf eine Art Nebenwiderspruch herunterbrachen: Ein Spaltungsinstrument der herrschenden Klasse gegen die Arbeiter sei er gewesen, darin dem Rassismus gleich; eine Strategie des Monopolkapitals zwecks Verhinderung der Diktatur des Proletariats habe er dargestellt. Der Weltanschauungscharakter des Antisemitismus blieb und bleibt dabei unverstanden, obwohl er die conditio sine qua non des deutschen Nationalsozialismus war, die sich nach 1945 neue Ausdrucksformen suchen musste und im Antizionismus und der so genannten Israel-Kritik fortwest.

Es wäre also nicht von einem Islamfaschismus zu sprechen, sondern besser von einem Islamnazismus oder islamischen Nationalsozialismus, denn in diesen Termini ist – auch wenn sie sperriger klingen – besser aufgehoben, was den Terror der Hamas und Hizbollah, die Staatsideologie vor allem des Iran und Syriens und die suicide attacks ausmacht: ein auf vollständige Vernichtung zielender, also eliminatorischer Antisemitismus. Dieser Wesenszug ist von so großem Gewicht, dass er die Unterschiede zum deutschen Vorbild deutlich überlagert. Denn die Parallelen stechen hervor: Eine alle Bereiche der Gesellschaft bis das zutiefst Private durchdringende Ideologie, deren Welterklärungs- und -herrschaftsanspruch infolge einer angenommenen Überlegenheit der eigenen Anschauungen, die totale Bereitschaft zum Selbstopfer, die Kriegserklärung an die zum Gegenprinzip Erklärten – die auf dieser Welt lebenden Juden nämlich –, das heißt deren Vernichtung um ihrer selbst willen inklusive der Mobilisierung aller verfügbaren Reserven auf dieses Ziel hin, kennzeichnen sowohl den deutschen NS als auch den Islamismus. Hinzu kommt die Idee der Volksgemeinschaft, die soziale Klassen und gesellschaftliche Widersprüche negiert und überformt; die muslimische Glaubensgemeinschaft, die Umma, fungiert im Kontext des islamischen Nazismus als ein solches Kollektiv, das seine zwangsläufigen Feinde hat – innere wie äußere –, die daher folgerichtig ausgemerzt gehören, möglichst zu jeder Zeit und an jedem Ort. Und auch in Bezug auf die repressive Sozialpolitik, den Almosenromantizismus und den an die Regimetreue gekoppelten Wohlfahrtsstaat lassen sich Verwandtschaften zwischen Eintopfsonntag und Winterhilfswerk hier und den Suppenküchen dort feststellen.

Nicht zuletzt wären da noch die Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Staatsförmigkeit und den Staatsbegriff beider antisemitischer Ideologien: Sie stehen für den Un-Staat; ihre Protagonisten formieren sich zum neuen Behemoth, der seine Zwecke im Unterschied zum Leviathan nicht „mit der Erhaltung und Verteidigung des menschlichen Lebens in Einklang bringt“, sondern „die Krise in der Verbreitung des Todes als Selbstzweck austrägt“, wie Gerhard Scheit konstatierte. Die Herrschaft wird dabei von entfesselten Banden ausgeübt, von Racket-Formationen, die so dezentral agieren, wie sie auch die Staatsmacht übernehmen können; nach dem Leitsatz „Getrennt marschieren, vereint schlagen“ zielen sie auf Totalität und absolute Zerstörung. Daher wäre mit Scheit zu schlussfolgern:
„Seit es möglich war, dass dieser Unstaat [d.h. der deutsche Nationalsozialismus] sich etablieren konnte, gilt darum auch in den internationalen Beziehungen der neuen kategorische Imperativ: alles zu tun, damit sich Auschwitz nicht wiederhole, und das würde heißen, die Gemeinwesen, die in ihrem Inneren mit der wie auch immer beschränkten Allgemeinheit des Gesetzes ‚ein Minimum an Freiheit’ und individuellen Rechten gewähren, nach außen hin gegen jene Racket-Formationen zu mobilisieren, die dieses Minimum nicht allein zugunsten unmittelbarer Herrschaft beseitigen, sondern eben dadurch die ‚Allgemeinheit’ unbeschränkter Vernichtung durchzusetzen drohen.“
Die augenscheinlichen Gemeinsamkeiten zwischen dem Nationalsozialismus und dem Islamismus erschöpfen sich jedoch nicht in diesen Merkmalen, sondern sie wurden auch historisch bereits manifest; die Zusammenarbeit der Nazis mit dem Mufti von Jerusalem ist dafür sicher das prominenteste Beispiel. Ein deutsches Fernsehmagazin arbeitete kürzlich in einem sehenswerten Beitrag diese Kooperation auf, und auch der amerikanische Anwalt, Strafverteidiger, Professor an der Harvard Law School und Autor Alan M. Dershowitz stellte unlängst noch einmal heraus, was des Muftis Pläne waren, weshalb der Hizbollah-Führer Hassan Nasrallah und der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedjad seine legitimen Nachfolger sind und welche Schnittmengen es zwischen dem eliminatorischen Antisemitismus der Nationalsozialisten und dem der Islamisten gibt. Lizas Welt hat Dershowitz’ Text ins Deutsche übersetzt.


Alan M. Dershowitz

Die Endlösung der Hizbollah

Front Page Magazine, 11. August 2006

Die Einzigartigkeit des Holocaust bestand nicht im Entschluss der Nazis, die in Deutschland lebenden Juden umzubringen und darüber hinaus die im benachbarten Polen. [Auch] andere Genozide, wie etwa der durch die Kambodschaner und der durch die Türken, versuchten bestimmte Gebiete von so genannten Unerwünschten zu befreien, indem man diese tötete. Die völlige Singularität des Holocaust bestand [vielmehr] in dem Plan der Nazis, alle Juden weltweit in Todeslagern zu „versammeln“ und der jüdischen „Rasse“ für immer ein Ende zu bereiten. Das war fast erfolgreich. Die Nazis sperrten Zehntausende von Juden ein (darunter Säuglinge, Frauen und ältere Menschen), die aus den entlegensten Ecken der Welt kamen – von der Insel Rhodos, aus Thessaloniki und aus anderen unbedeutenden Orten –, um sie in Auschwitz und anderen Todeslagern zu vergasen.

Der offizielle Führer der palästinensischen Muslime – Hadj Amin Al-Husseini, der Großmufti von Jerusalem – kollaborierte während des Genozids durch die Nazis. Er verkündete, dass er versuche, „die Probleme des jüdischen Elements in Palästina und anderen arabischen Ländern“ mit „der gleichen Methode“ wie „in den Achsenmächten“ zu „lösen“. Husseini, der die Kriegsjahre in Berlin verbrachte und später in Nürnberg zum Nazi-Kriegsverbrecher erklärt wurde, schrieb Folgendes in seinen Memoiren:
„Unsere Grundbedingung für eine Zusammenarbeit mit Deutschland war es, freie Hand bei der Ausrottung auch des letzten Juden in Palästina und der arabischen Welt zu haben. Ich bat Hitler um ein explizites Versprechen, uns die Lösung des jüdischen Problems auf eine Art und Weise zu genehmigen, die unseren nationalen und rassischen Bestrebungen entspricht und den wissenschaftlichen Methoden folgt, die von Deutschland zur Behandlung seiner Juden erfunden wurde. Die Antwort, die ich bekam, lautete: ‚Die Juden sind Ihre.’“
Husseini plante ein Auschwitz nachempfundenes Todeslager für Juden, das in Nablus gebaut werden sollte. Es wurde im Radio der Nazis gesendet, als er nach einem Genozid an allen auf der Welt lebenden Juden rief: „Tötet die Juden, wo immer ihr sie findet – das gefällt Gott, der Geschichte und der Religion.“ Professor Edward Said bestätigte, dass dieser Nazi-Kollaborateur und genozidale Antisemit „den palästinensisch-arabischen Konsens repräsentierte“ und „die Stimme des palästinensischen Volkes war“. Jassir Arafat bezog sich auf Husseini als „unseren Helden“.

Niemals zuvor oder danach in der Weltgeschichte hat ein tyrannisches Regime danach gestrebt, alle Mitglieder einer bestimmten rassischen, religiösen, ethnischen oder kulturellen Gruppe zu ermorden, gleich, wo diese leben – bis heute nicht. Die Absicht der Hizbollah ist es nicht, „die Besatzung Palästinas zu beenden“. Ihr Ziel ist es, die Juden dieser Welt zu töten. Man höre auf die Worte ihres Führers, Scheich Hassan Nasrallah: „Wenn sich die Juden alle in Israel versammeln, erspart uns das den Ärger, sie weltweit zu verfolgen.“ (New York Times, 23. Mai 2004) Nasrallah ist heute einer der am meisten bewunderten Männer in der muslimischen und arabischen Welt. Hitler äußerte ähnliche Drohungen in „Mein Kampf“, aber sie wurden weitestgehend ignoriert. Nasrallah ist berühmt dafür, dass er seine Versprechen hält.

Seine genozidalen Absichten – alle Juden zu töten – wurden durch zwei jüngere Äußerungen noch einmal unterstrichen. Er forderte die Araber und Muslime auf, Haifa zu verlassen, damit die Raketen nur Juden töten. Und er entschuldigte sich dafür, den Tod von drei arabischen Israelis in Nazareth verursacht zu haben, als eine Katjuscha die religiös gemischte israelische Stadt traf. Die Hizbollah arbeitete auch eng mit argentinischen Neonazis zusammen, um ein jüdisches Gemeindezentrum in die Luft zu jagen und Dutzende von Juden zu ermorden. Nasrallah ist ein moderner Hitler, dem es aktuell an Kapazitäten dafür fehlt, seinen Genozid in die Tat umzusetzen. Aber er ist ein Alliierter des Iran, der bald die Kapazitäten dafür haben wird, um Israels fünf Millionen Juden zu töten. Man höre, was der frühere Präsident des Iran zur Verwendung der Atomwaffen seines Staates zu sagen hatte:
„Hashemi Rafsandjani, der frühere Präsident des Iran, hat Israel die nukleare Zerstörung angedroht, indem er damit prahlte, dass ein Angriff nicht weniger als fünf Millionen Juden töten würde. Rafsandjani schätzte, dass der Iran selbst bei einer israelischen Vergeltung in Form einer eigenen Atombombe wahrscheinlich nur fünfzehn Millionen Menschen verlieren würde, die nach seinen Worten ein kleines ‚Opfer’ angesichts von Milliarden Muslimen in der Welt seien.“
Und nun höre man dem gegenwärtigen Präsidenten des Iran, Mahmud Ahmadinedjad, zu, der den Nazi-Holocaust leugnet, aber nach einem modernen Holocaust ruft, der „Israel von der Landkarte tilgen“ würde. Trotz dieser antisemitischen und genozidalen Drohungen bewundern einige der extremen Linken Nasrallah und seine bigotte Organisation, wie auch den Iran und seinen antisemitischen Präsidenten. Andere wiederum scheinen seine Drohungen nicht ernst zu nehmen. Der notorische jüdische Antisemit Norman Finkelstein beispielsweise sagte: „Im Rückblick bedaure ich vor allem, dass ich nicht noch energischer öffentlich die Hizbollah gegen terroristische Einschüchterungen und Angriffe verteidigt habe.“

Finkelsteins Hass gegen Juden geht so weit, dass er mittlerweile unterstellt, seine eigene Mutter, die den Nazi-Holocaust überlebte, könnte mit den Nazis kollaboriert haben. Wenn dem so ist, scheint die Kollaboration mit dem Bösen in der Familie zu liegen, denn Finkelstein ist eindeutig ein Kollaborateur mit der Hizbollah, dem Antisemitismus und dem Nazismus geworden. Finkelsteins Website ist voll mit Werbung für die Hizbollah, atemberaubende Nachdrucke von Reden Nasrallahs eingeschlossen. Noam Chomsky, der eng mit Finkelstein zusammenarbeitet, sagte über diesen, er sei „eine Person, die mit mehr Autorität und Einblick über diese Themen (Israel und Antisemitismus) sprechen kann als alle anderen, die mir einfallen“.

Die Achse Iran-Hizbollah ist die größte Bedrohung für den Weltfrieden, für das jüdische Überleben, für westliche Werte und für die Zivilisation. Jene wie Finkelstein, die die Hizbollah unterstützen, und sogar jene, die sich weigern, gegen das Böse zu kämpfen, sind auf der falschen Seite der Geschichte. Sie sind Kollaborateure mit den Islamfaschisten – der heutigen Version des Nazismus.

Hattips: Thomas von der Osten-Sacken, Bernd Dahlenburg

20.8.06

Einen Toast auf den Trost!

Am heutigen Sonntag wurde ein Anachronist sechzig Jahre alt – ein Anachronist, der selbst dann auf so etwas Altmodisches wie Vernunft und Aufklärung setzt, wenn längst das völlige Gegenteil auf der Agenda steht und sich täglich steigender Popularität erfreut. Das ist umso bemerkenswerter, als man an dem Wahnsinn ja durchaus selbst um den Verstand gebracht werden kann – und das nicht zum ersten Mal: „Um ein Haar wäre auch ich ein Terrorist geworden“, sagt Henryk M. Broder von sich selbst. Denn alle Voraussetzungen dafür seien gegeben gewesen:
„Meine Eltern hatten beide unter abenteuerlichen Umständen den Krieg überlebt, fielen sich nach der Befreiung in die Arme und setzten mich in die Welt. Sie waren in höchstem Maße traumatisiert, und ich diente ihnen als Beweis, dass es ein Leben nach dem Überleben geben konnte. Entsprechend waren ihre Erwartungen, die ich nicht erfüllen konnte. [...] Ich lief durch die Gegend und das Gefühl, das mich antrieb, war Wut: auf meine hysterischen Eltern, die blöden Pauker und auf meine Freunde, die sich meine Armstrong-Platten ausliehen und dann die Mädchen nach Hause brachten, mit denen ich zur Party gekommen war. [...] Warum ich trotz alledem nicht auf die Idee gekommen bin, Terrorist zu werden, kann ich mir rückblickend schwer erklären. [...] Ich wäre der idealtypische Amokläufer gewesen: Kind einer dysfunktionalen Familie, einsam, verzweifelt, frustriert und geladen wie ein Fass mit Dynamit auf der Bounty.“
Doch das Fass explodierte nicht; Broder lief nicht Amok. Denn Voraussetzungen sind keine Zwangsläufigkeiten, nicht in gesellschaftlicher Hinsicht und nicht in individueller. Man muss nicht zur Irratio greifen, wenn die Ratio die Welt gerade unübersichtlich zu machen scheint und dadurch immer unpopulärer wird: Es verbleibt eine Entscheidungsfreiheit, die zu leugnen Determinismus wäre und Menschen erst recht zu Objekten, zu Spielbällen degradierte, die eines freien Willens gar nicht fähig seien, denen also jedes Selbstbewusstsein abgehe. Doch sie sind nicht bloß Opfer ihrer Verhältnisse – nicht das Millionenheer von Nazis, die sich, als alles vorbei war, darauf beriefen, einfach nicht anders gekonnt zu haben. Und nicht die Islamisten, deren mörderisches Tun mitnichten einer Verzweiflung folgt, wie es so gerne geglaubt und kolportiert wird, sondern vielmehr Teil ihrer Selbstberufung ist, der mehr denn je Einhalt geboten gehört. Oder, um es mit Broder zu sagen:
„Ich gebe zu, ich bin ein wenig neidisch auf die Terroristen. Nicht nur wegen der Aufmerksamkeit, die sie erfahren, sondern wegen der idealistischen Motive, die ihnen unterstellt bzw. zugesprochen werden. Wer ein Auto klaut und damit einen Menschen an einer Kreuzung tot fährt, der ist ein Verbrecher. Wer sich mit einer Bombe im Rucksack in einem Bus in die Luft sprengt und andere Passagiere mitnimmt, der ist ein Märtyrer, ein gedemütigter, erniedrigter, verzweifelter Mensch, der sich nicht anders zu helfen wusste. Worum ich die Terroristen am meisten beneide, ist der Respekt, der ihnen gezollt wird. Haben sie einmal bewiesen, wozu sie imstande sind, betreten Experten den Tatort und erklären, man dürfe sie nicht noch mehr provozieren, man müsse mit ihnen reden, verhandeln, sich auf Kompromisse einlassen und ihnen helfen, das Gesicht zu wahren. Nur so könne man sie zur Vernunft bringen und Schlimmeres verhüten. Dieses Verhalten nennt man Appeasement. Davon handelt dieses Buch.“
„Dieses Buch“
heißt „Hurra wir kapitulieren. Von der Politik des Einknickens“ und erscheint Ende dieses Monats im wjs-Verlag des Wolf Jobst Siedler. Auf typoskript.net gibt es exklusiv bereits jetzt das Vorwort, dem die zitierten Passagen entstammen. Und dort ist auch eine Würdigung Henryk M. Broders von Benjamin Weil erschienen, die im Folgenden dokumentiert sei, verbunden mit den besten Wünschen für den Jubilar.

Benjamin Weil

Der Anachronismus der Vernunft


typoskript.net, 20. August 2006


An seinem sechzigsten Geburtstag ist Henryk M. Broder dort, wo er immer ist: unterwegs. Nur wenige Tage hält er es an einer Stelle aus, dann will er fort. Sich nicht festlegen zu lassen auf Zeit und Ort, nicht einmal an seinem Geburtstag sich feiern zu lassen, wie es all die Eitlen tun, das ist die Selbstbehauptung dessen, der nach sechs Dekaden noch sucht und sich auf vermeintliche Weisheiten nicht festlegen lassen will.

Die Neugierde zieht ihn fort; der Wunsch nach andauernd neuer Erfahrung. Vita activa – wer damit aufhört, meinte er einmal, ist binnen kurzer Zeit erledigt. Der ist schon tot und begraben im Moment der Entscheidung für den Ruhestand. Broder wird weder Still- noch Ruhestand kennen lernen und damit denen die Nerven zermürben, die darauf hofften. So wappnet er sich gegen das Phlegma und zerstört die einzige Chance seiner Gegner.

Davon gibt es genügend. Exemplarisch sei an einen Staatsanwalt am Berliner Landgericht erinnert, der in einem Strafprozess sichtlich darunter litt, dass die Gesetzeslage auch bei weitestmöglicher Auslegung keine Verurteilung Broders wegen Beleidigung eines Neu-Isenburger Kleinstverlegers ermöglichte. Der Staatsanwalt selbst beantragte zugunsten des Angeklagten zu entscheiden, nicht ohne aber ausführlich den Verfall der Sitten und die Verrohung der Sprache anzuprangern, um mit dem Ausruf zu enden: „Herr Broder, mit Ihrer Art tun Sie den Juden keinen Gefallen!“ Doch dies eben ist nicht seine Sache: irgendjemandem zu gefallen.

Dass Broder fortwährend unterwegs ist, mag neben der Neugierde noch einen weiteren Grund haben: Derjenige, dem es zur Profession wurde, genau hinzuschauen, jedes absurde Detail zu erkennen, zu Ende zu denken und zu Papier zu bringen, der muss, selbst wenn ihn ein stattlicher Panzer aus Ironie umgibt, an seinen Beobachtungen notwendig leiden. Daher mag es auch dem Selbstschutz dienen, dass er sich einer konkreten Realität nie allzu lang am Stück aussetzen mag. Wer den Wahnsinn schon im Kleinsten untersucht, der hat Grund, den Blick auf die Totale zu scheuen, der muss vor ihr beizeiten fliehen. Dass Broder dennoch immer wieder zurückkommt, dass er nicht längst in Connecticut oder Reykjavik lebt, ist mit masochistischen Neigungen nur unzureichend zu erklären. Es hat etwas Heroisches. Es ist der Heroismus des Aufklärers.

Als solcher ist Broder anachronistisch. Wo Verstandesgebrauch aus der Mode scheint, gilt derjenige, der diesen noch einklagt, als unzeitgemäß. Dabei ist seine typische Denkfigur von frappierender Einfachheit und rekurriert auf nichts als die reine Vernunft. So gibt er einem jeden die Chance mitzudenken, lässt keine Ausrede gelten und stellt den Nichtdenker als sich verweigernden Deppen bloß. So nimmt Broder meist eine Beobachtung, eine Äußerung, einen Vorfall, und dekliniert den darin enthaltenen Gedanken stringent durch. Er erkennt, was mit argumentativer Notwendigkeit daraus folgt, und spricht diese Folge dann aus. Dabei hofft er, dass der offenkundige Irrsinn des zu Ende gedachten Gedankens schon den Irrsinn des Ausgangspunktes in Frage stellt.

Wenn beispielsweise der iranische Präsident fordert, Israel nach Europa umzuverlegen, dann sinniert Broder offen darüber, ob Bayern oder Schleswig-Holstein geeigneter erscheinen. Als daraufhin der iranische Rundfunk glaubt, in Broder nun einen Bündnispartner gefunden zu haben und ihn zum Interview bittet, scheitert Broders Denkfigur an den vollständig Wahnsinnigen, die auch zu einfachsten Denkprozessen nicht mehr gezwungen werden können. Und doch werden sie vorgeführt und der Lächerlichkeit preisgegeben. Ein Beispiel gibt Broder auch am Anfang seines neuen Buches: Aus seiner Biographie und der seiner Eltern ergibt sich, folgt man dem Argument der üblichen Terroristenversteher, dass auch der kleine Henryk als Massenmörder (ergo Märtyrer und Idealist) hätte enden müssen. Dass es nicht so kam, straft die Einfältigen Lügen, die nach dem Schema verfahren: Tout comprendre c’est tout pardonner. Und die nichts begriffen haben.

Am Ende steht das – hoffentlich – überlegene Lachen des der Realität Unterlegenen. Den Irrsinn in Witz aufzulösen und so erträglich zu gestalten ist seine Methode, mit der er sich, mit der ihm eigenen Unverfrorenheit, unter große Vorgänger wie Heine und Kraus einreiht.

So sehr Broder auch die Vernunft eingeklagt, ist ihr spärliches Vorhandensein doch heute gewiss. Dabei erschöpfen sich seine Texte nicht im Heimleuchten der Unvernunft. Ihr größter Wert liegt vielleicht darin, dass sie als Labsal für die mit Broder Leidenden taugen, dass sie geschrieben sind für diejenigen, die des Trostes bedürfen. Dieser Trost geht von der Wahrheit aus, wenn sie schwarz auf weiß gedruckt ist.

Dabei hätte er manches Recht, sich entmutigt zu zeigen. Mitte der 1980er Jahre erschien sein Buch „Der ewige Antisemit“ als Intervention gegen den Antisemitismus im linken und fortschrittlichen Milieu. Zwanzig Jahre später, in der unveränderten Neuausgabe, schreibt Broder:

„Mein Leben ist schneller und dichter, aber auch einfacher und bequemer geworden. Nichts ist so, wie es noch vor 20 Jahren war. Nur eines hat sich nicht geändert. Der Antisemitismus mit seinen beiden ständigen Begleiterinnen, den Fragen: Woher kommt er? Und: Was kann man dagegen tun?“

Resignierter noch klingt er im persönlichen Gespräch, wenn er zugibt, dass sich der Antisemitismus doch geändert habe. Er sei schlimmer geworden. War seine „ehrbare“ Variante, der Antizionismus, einst noch eine Domäne linker und linksradikaler Randgruppen, ist er heute ein Massenphänomen im Zentrum der europäischen Gesellschaften. Broder spricht vom „Antizionismus der radikalen Mitte“.

Doch auch wenn er alles Recht dazu hätte, so gibt er sich gar nicht entmutigt. Er glaubt an den „Genossen Zufall“ und die israelischen Streitkräfte, er ist sich sicher, dass das Medium Internet nicht nur die Wahnsinnigen sondern auch die letzten zum Verstandesgebrauch Fähigen zusammenführt, er sammelt täglich die Vernunft aus diversen Medien zusammen und kommentiert unermüdlich in der Achse des Guten. Und wenn all dies einmal nicht genug Anlass zum Optimismus gibt, dann denkt er doch über Reykjavik nach. Oder Connecticut.

18.8.06

Kiezmiliz

Haben Sie Kinder? Ja? Dann werden Sie vermutlich schon eine ganze Weile vor deren Geburt mit der Überlegung befasst gewesen sein, was da eigentlich später in den Pass eingetragen werden soll. Vielleicht haben Sie auch zu denen gehört, die ihren Nachwuchs mit einigem Stolz nach irgendeiner mehr oder minder konjunkturabhängigen Größe menschlichen Schaffens benamst haben. Manche dieser Patronagen sind dabei recht verräterisch. Männer beispielsweise aus der Generation der Sechzig- bis Siebzigjährigen, die auf Adolf hören, lassen durchaus gewisse Rückschlüsse mindestens auf die Neigungen der unmittelbaren Vorfahren zu. Schwieriger wird es schon bei Günther, gerne auch mal ohne „h“ – so heißen viele der männlichen, heute Dreißig- bis Vierzigjährigen: nach dem gleichnamigen Fußballer von Borussia Mönchengladbach, der immer wieder gerne erzählt, wie er sich in den Siebzigern mal bei einem Pokalendspiel selbst eingewechselt hat? Oder doch nach dem Mann mit der Pfeife, der immer so schöne und kluge Sachen schrieb und von dem man erst jetzt so richtig weiß, wo er das gelernt hat? Möglich ist beides. Mal sehen, wie viele Miroslavs, Bastiane und Lukasse demnächst geboren werden. Schließlich hat ja der Kaiser höchstselbst vermutet, das emotionale Hoch der Deutschen während der WM könne demografische Konsequenzen haben. Und der Mann weiß bekanntlich, wovon er spricht. Der Brauch, seinen Sprösslingen gleich mit deren Eintritt in die Welt ein Paket zu vermachen, das diese ein Leben lang mit sich herumschleppen, ist aber nicht nur hierzulande ausgesprochen populär, wie der Kurier vermeldet:

„Die neue Popularität von Hisbollah-Chef Scheik Hassan Nasrallah zeigt sich auch auf den Säuglingsstationen palästinensischer Krankenhäuser. Dort sind bei frischgebackenen Eltern die Namen ‚Nassrallah’ und ‚Hizbollah’ für ihre Babys derzeit besonders beliebt. Im Shifa-Krankenhaus in der Stadt Gaza etwa sind seit dem 12. Juli, dem Beginn der Kämpfe gegen Israel, ein Dutzend Kinder entweder ‚Nasrallah’, ‚Hisbollah’, ‚Beirut’ oder gar ‚Versprechen’ genannt worden – nach der Bezeichnung der schiitischen Miliz für ihre Militäraktion ‚Das wahre Versprechen’. Nahed Ghurani berichtet, seine Frau habe den Sohn ‚Nasrallah’ nennen wollen, ‚aber ich wollte ‚Hisbollah’ – um des gesamten Widerstands zu gedenken’. Seine Freunde hätten ihn zwar gewarnt, dass der Junge mit diesem Namen keine Arbeit finden und nicht ins Ausland reisen könnte. ‚Ich mache auch in Israel Geschäfte’, sagt der wohlhabende Obstimporteur, ‚aber ich habe auch nationalistisches Temperament’.“
So kann man das Bedürfnis, seinen Kurzen sozusagen den Djihad in die Wiege zu legen, natürlich auch formulieren. Die Zeitung berichtet weiter, Ahmadinedjad sei ebenfalls schwer im Kommen, wie es vorher einen Saddam- und Osama- respektive Ahmed-, Yassin- oder Scheich Yassin-Boom gegeben habe. Und wo man sich schon so um die lieben Kleinen sorgt und Sinn für, ja doch, Symbolik hat, wird man natürlich stinkewütend, wenn der jüdische Staat zur Selbstverteidigung greift und einer Bande von mörderischen Gotteskriegern Einhalt gebieten will. Da hilft es dann nur noch, uralte antisemitische, aber gewissermaßen pädagogisch wertvolle Zugpferde aus dem Stall zu holen. Und so bricht sich schon mal das im Galopp Bahn, was der nämliche kleine Mann in der Regel für Rache hält. Wie etwa kürzlich im türkischen Alanya, einem beliebten Badeort auch für israelische Touristen: „Für israelische Kindermörder kein Verkauf, kein Eintritt“, stand da auf einem Schild am Eingang eines Bekleidungsgeschäfts (Foto oben), die modernisierte Variante von „Verkauf’ nicht an Juden“ also. Der israelische Urlaubsgast Nimrod Buchman fotografierte diese Tirade, nachdem er den Laden gemeinsam mit seiner Freundin wieder verlassen hatte. Die Verkäufer hätten sie sofort als Israelis erkannt (!), auf den Libanon-Krieg angesprochen und zum Verlassen des Geschäfts aufgefordert, sagte er. Anschließend habe es auch noch Streit um das Foto gegeben. Dieser Vorfall sei nicht der erste seiner Art in den letzten Monaten gewesen, klärte ynetnews, das Internetangebot der israelischen Tageszeitung Yedioth Aharonoth, weiter auf.

Hierzulande hat man für so etwas ein wenig subtilere Methoden zu bieten: Man beruft sich für das, was man an Israel so alles auszusetzen hat, gerne auf Juden. Besonders gut beherrscht das die Linke, die ihren Antisemitismus hinter diesen Kronzeugen zu verstecken sucht, sich dabei im Laufe der Zeit aber immer dämlicher angestellt hat, weshalb nun schon länger einigen aufgefallen ist, dass da bloß ein antisemitisches Bedürfnis seine Kanalisation sucht. Aber das ficht die Aufrechten selbstmurmelnd nicht an. Und so machte beispielsweise ein so genannter Szene-Buchladen in Hamburg bereits in seinem Schaufenster überdeutlich, welche, sagen wir, Zielgruppe er sich vorstellt – und welche nicht. Etwas spröde, die Deko (Foto links*), aber stringent und eindeutig: Ausgestellt ist natürlich Felicia Langer nebst Norman Finkelsteins „Antisemitismus als politische Waffe“, und auch Sumaya Farhat-Naser darf mit ihrem „Thymian und Steine“ nicht fehlen. Dann platziert man noch Amir Gutfreunds „Unser Holocaust“ in der oberen Reihe, natürlich vor allem deshalb, weil der Autor der Ansicht ist, auch in Israel könne im schlimmsten Fall Ähnliches geschehen wie in Nazideutschland. Darf man selber ja nicht sagen.

Als Blickfang dient schließlich zweierlei: Zum einen ein Fotoband mit dem Titel „Vision: Palestine“, den die Agentur der Autorin so bewirbt: „Andrea Künzig war mit ihrer Kamera dabei, als Jassir Arafat 1994 nach dreißigjährigem Exil die Grenzen zum Gazastreifen überschritt und die pälestinensischen [sic!] Gebiete in die Selbstverwaltung übergingen. [...] Die politische Dimension des israelisch-palästinensischen Konflikts ist dabei als ‚Subtext’ immer vorhanden.“ Was man sich ziemlich gut vorstellen kann, wenn jemand nachgerade davon beseelt ist, den Meister bei seinem Weg über den Rubikon ins Bild zu setzen. Und zum anderen klebt da mitten im Schaufenster ein Ausschnitt aus der taz: „Vertreter des Zentralrats kritisiert Israel“, liest man schon von ferne; ordentlich sind per Hand Quelle und Datum hinzugefügt. Damit glaubt man sich dann quasi aus dem Schneider. Noch viel billiger geht’s allerdings nicht. Manchmal ist es schade, dass es eine Preisbindung für Bücher gibt. Aber nur manchmal.

Vielleicht ist es ja besser, keine Kinder in die Welt zu setzen. Dann muss man auch nicht befürchten, dass sie sich später irgendeiner Kiezmiliz anschließen. Und ihren Bälgern Namen geben, die diese irgendwann verfluchen könnten.

Update: Ein Accessoire im Schaufenster blieb zu Unrecht ohne Würdigung – der obligatorische Pflasterstein links neben dem Bildband. Das Miniaturmodell einer Katjuscha-Rakete lag zum Zeitpunkt der Aufnahme vermutlich noch beim deutschen Zoll. (Danke an Rosa für den Hinweis.)

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Hattip: Michaela, Olaf, Philipp & Valérie