31.10.07

Der Münchner Messi?

Was sich da am Donnerstag vergangener Woche im Belgrader Marakana-Stadion zutrug, war eine dieser Geschichten, die, wie es so schön heißt, nur der Fußball schreibt: Zehn Minuten vor Schluss drohte dem Starensemble des FC Bayern München die erste Niederlage der Saison, und das auch noch im ohnehin nicht sonderlich geliebten Uefa-Pokal. Es stand 2:1 für Roter Stern, und wenig sprach dafür, dass der deutsche Rekordmeister die Partie auf kräftezehrendem Geläuf vor 40.000 fanatischen Zuschauern noch drehen kann. Normalerweise wäre das jetzt der Zeitpunkt gewesen, einen erfahrenen, routinierten Spieler in die Schlacht zu werfen, der weiß, wie die Kohlen aus dem Feuer zu holen sind. Allein: Da saß keiner mehr auf der Bayern-Bank, der diesen Anforderungen entsprach. Also brachte der Münchner Trainer Ottmar Hitzfeld sein Kronjuwel: Er schickte den 17-jährigen Toni Kroos aufs Feld, unbestritten ein Supertalent, aber im Profigeschäft noch völlig grün und nur mit einer Sondergenehmigung spielberechtigt. Sonderlich riskant war dieser Einsatz dennoch nicht, denn niemand erwartet von einem Minderjährigen in einer solchen Situation Wunderdinge.

Doch dann geschah das, womit vermutlich selbst die optimistischsten Bayern-Fans nicht gerechnet hatten: Die Einwechslung von Kroos (Foto) wurde zur spielentscheidenden Maßnahme. In der 86. Minute zirkelte er einen Freistoß dermaßen exakt auf Miroslav Klose, dass der sich den Luxus leisten konnte, den Ball noch nicht einmal besonders genau zu treffen, sondern ihn nur irgendwie halb mit der Schulter, halb mit dem Kopf Richtung Belgrader Tor zu befördern: 2:2. In der Nachspielzeit trat Kroos erneut einen Freistoß, fast von der gleichen Stelle wie Minuten zuvor. Diesmal flog der Ball flach aufs Gehäuse der Gastgeber zu, nicht sonderlich scharf oder hart, aber mit reichlich Spin. Niemand berührte ihn mehr, auch nicht der Belgrader Torwart, der eine ausgesprochen unglückliche Figur abgab – 3:2 für die Bayern. Sekunden später war das Spiel zu Ende, und die Münchner Kicker wussten, bei wem sie sich für die drei Punkte letztlich zu bedanken hatten.

Bayern-Manager Uli Hoeneß wusste das eigentlich auch und dürfte sich nach dem Schlusspfiff noch einmal selbst dafür gratuliert haben, den jungen Mann im Sommer 2006 für 100.000 Euro aus der B-Jugend von Hansa Rostock an die Isar geholt und dabei Mitbewerber wie Schalke, Bremen, Stuttgart und sogar Chelsea aus dem Weg geräumt zu haben. Vor allem aber weiß er, wie das mediale Geschäft funktioniert und welche Schlagzeilen nach dem furiosen Kurzauftritt seines Nachwuchsstars zu erwarten waren: Ein 17-jähriger bewahrt den Münchner Erfolgsklub bei einem internationale Auftritt vor einer unangenehmen Niederlage – das fand der Stern „‚Kroos’-artig“ und der Berliner Kurier „Krooses Kino“; die Süddeutsche Zeitung ernannte Kroos gar zum „bayerischen Raúl“, obwohl der Vergleich mit Barcelonas Lionel Messi weitaus näher liegt.

Hoeneß jedoch passten derlei Elogen gar nicht, weil er fürchtete, dass der neuerliche Hype dem zum besten Spieler der kürzlich ausgetragenen U17-Weltmeisterschaft Gewählten schaden könnte. Daher spielte er dessen Leistung im Uefa-Pokal gezielt herunter und tat schließlich dem kicker gegenüber kund: „Es ist ein Witz, was mit Kroos gemacht wird. Ich habe bei Sebastian Deisler erlebt, was passieren kann, wenn man die Jungs zu sehr hochlobt und ihnen damit zu viel Druck macht.“ Deisler beendete Anfang dieses Jahres seine Karriere, weil er sich völlig überfordert fühlte und an Depressionen litt. „Allerdings ist Kroos stabil“, schränkte Hoeneß ein. „Und er hat Qualitäten.“

Trotzdem gibt es für ihn ein grundsätzliches Interviewverbot, das nur selten – und dann auch nur sehr kurzzeitig – aufgehoben wird. „Eine sehr fürsorgliche Abmachung ist das, die der FC Bayern da getroffen hat, das Problem ist nur, dass sich der Fürsorgebedürftige selbst nicht dran hält“, lästerte die Süddeutsche Zeitung bereits im September, nachdem Toni Kroos nach seiner späten Einwechslung im Bundesligaspiel gegen Energie Cottbus mit seinen so unberechenbaren wie genialen Flanken zwei Tore vorbereitet hatte. Wenn er immer so spiele, „wird es keine Menschenrechtsorganisation auf der Welt verhindern können, dass über diesen kapitalen Knaben berichtet wird“, schrieb das Blatt.

Und in der Tat stellt sich die Frage, wie die Bayern es auf Dauer bewerkstelligen wollen, Kroos vor der sensationslüsternen Medienlandschaft abzuschirmen. Dies umso mehr, als maßgebliche Angehörige des Klubs selbst in den höchsten Tönen von ihm schwärmen. Miroslav Klose etwa, bislang Hauptprofiteur von Kroos’ Vorlagen, attestierte seinem Mitspieler bereits „Weltklasse“ und war von dessen Wirken in Belgrad begeistert: „Ich kann Toni nicht genug loben. Ich weiß nicht, wie ich mit 17 hier aufgetreten wäre.“ Kollege Lúcio zog einen internationalen Vergleich: „In Brasilien ist es gang und gäbe, dass so junge Spieler in die Mannschaft eingebaut werden.“ Trainer Ottmar Hitzfeld prophezeite, Kroos werde gewiss Nationalspieler. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge konstatierte gar: „Der hat ein Bewegungstalent, wie es bei uns vielleicht nur noch ein Frank Ribéry hat.“ Und Manager Hoeneß höchstselbst ist es, der dem Hochtalentierten die für den Spielmacher vorgesehene, begehrte Rückennummer „10“ reservieren will. Derzeit trägt Kroos noch die bedeutungslose „39“.

Vorerst soll der Jungstar allerdings bei der zweiten Mannschaft des FC Bayern in der Regionalliga Spielpraxis sammeln, nachdem er in der vergangenen Saison noch in der Juniorenmannschaft der Münchner kickte. Deren Verantwortliche lassen keinen Zweifel daran, dass ihr Schützling einmal Großes leisten wird und auch charakterlich alle Voraussetzungen dafür mitbringt. Als „einen vernünftigen Mann, der fest auf dem Boden steht“, qualifizierte ihn beispielsweise Jugendleiter Werner Kern. „Er ist intelligent, bescheiden und klar strukturiert.“ Auch Bayerns A-Junioren-Coach Kurt Niedermayer befand: „Toni ist kein Spinner oder Träumer. Er ist ein bodenständigen Typ, der die Dinge nicht überbewertet.“ Sondern stattdessen seine sportlichen Stärken einbringt: „Er setzt ständig Akzente nach vorne, er hat einen guten Schuss, ein gutes Auge, ist ballsicher und spielstark.“ Seine Pässe sind zentimetergenau, und seine Übersicht ist bereits erstaunlich entwickelt. In jedem Fall ist der gebürtige Greifswalder Bayerns jüngster Bundesligaspieler aller Zeiten, und er vermittelt in seinen seltenen Interviews eher nicht den Eindruck, dass ihm der Rummel zu Kopfe steigt.

Falls aber doch, hat sein Mannschaftskollege Mark van Bommel ein probates Mittel zur Hand, um Toni Kroos, der sich von seinem Vater managen lässt, wieder auf Normalmaß zu reduzieren: „Wir haben eine gute Kabine“, verriet der Niederländer, „damit er bei uns bleibt, wenn er tatsächlich ein wenig überheblich werden sollte. Und wenn er etwas falsch macht, setze ich ihn neben Olli.“ Oliver Kahn nämlich. Das allerdings wäre die Höchststrafe. Kroos wird sich das mit Sicherheit gut überlegen.

YouTube: Toni Kroos in Aktion

30.10.07

Drah di net um

Im Grunde genommen muss man mit Mohammed el-Baradei fast schon Mitleid haben. Da bekommt er vor zwei Jahren samt seiner Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA) den Friedensnobelpreis geschenkt, aber die damit für gewöhnlich einhergehenden globalen Respektsbezeigungen wollen sich einfach nicht einstellen, weder in moralischer noch in politischer Hinsicht. So richtig ernst nimmt den Ägypter kaum jemand – und das hat seine Gründe, deretwegen die potenzielle Anteilnahme an seinem Schicksal rasch einer veritablen Fassungslosigkeit weicht: Was der Generaldirektor der IAEA im Zuge seiner Ermittlungen in atomar ambitionierten Staaten wie dem Iran oder Syrien allen Ernstes für taktisches Geschick hält, entpuppt sich nämlich regelmäßig als fast schon kindliche Naivität. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch seine aufgeregt-moralinsauer vorgetragenen Anklagen den USA und Israel gegenüber, die hart erkämpfte Fortschritte unentwegt sabotierten, wo nicht gar vollständig zuschanden ritten.

Dieser Tage ist el-Baradei (Foto) wieder verstärkt in den Medien präsent, und er wirkt dabei neuerlich wie ein eitler Dorfpolizist, der sich einbildet, seinen Pappenheimern schon irgendwie beikommen zu können – auf Augenhöhe sozusagen –, und der partout nicht einsehen will, dass es sich bei den vermeintlichen Kleinkriminellen in Wirklichkeit um gemeingefährliche Kaliber handelt, die ihn bloß an der Nase herumführen und bei denen deshalb ganz andere Maßnahmen geboten sind als der erhobene Zeigefinger. Also empört sich der IAEA-Chef darüber, dass Israel Anfang September einfach eine Atomanlage in Syrien buchstäblich dem Erdboden gleich machte, wo seiner Behörde doch gar keine Erkenntnisse über ein solches nukleares Bauwerk vorlagen. „Wenn irgendjemand auch nur die kleinste Information über irgendetwas Atomares hat, würden wir das natürlich gerne untersuchen“, offenbarte el-Baradei der französischen Tageszeitung Le Monde seine Träume. „Offen gesagt: Ich wage zu hoffen, dass Menschen ihre Sorgen erst uns übermitteln, bevor sie sich entscheiden, Bomben zu werfen und Gewalt anzuwenden.“

Doch weder Syrien noch Israel oder die USA taten dem Mann diesen pazifistischen Gefallen – die einen, weil sie ihre Atompläne so ungestört wie möglich verfolgen wollen, die anderen, weil sie wissen, dass weder die IAEA noch die Uno wirkungsvolle Konsequenzen folgen lassen würden und dass die Zeit drängt. El-Baradeis Groll richtete sich jedoch vor allem gegen letztere, denn die hatten nicht bloß eine Nuklearanlage in Schutt und Asche gelegt, sondern vor allem sein schönes pädagogisches Konzept: „Als die Israelis 1981 Saddam Husseins Atomreaktor zerstörten, war die Konsequenz, dass Saddam sein Programm geheim weiterführte. Er begann, ein riesiges militärisches Atomarsenal unterirdisch aufzubauen. Die Anwendung von Gewalt kann die Dinge verzögern, aber sie geht nicht an die Wurzeln des Problems.“ Ganz im Gegensatz zu den Vereinten Nationen oder der IAEA, versteht sich, die bekanntlich kurz davor waren, ganz friedlich den Irak zu entatomisieren, und die auch jetzt wieder im Begriff sind, Nordkorea, Syrien und natürlich insbesondere den Iran mit aller Macht von ihren nuklearen Ambitionen abzuhalten.

Und el-Baradei war noch nicht fertig: Er warf Israel „Selbstjustiz“ vor und klagte, weder der jüdische Staat noch die USA hätten „irgendeinen Beweis“ dafür vorgelegt, dass es sich bei dem in Syrien bombardierten Standort um eine Atomanlage handelte. „Das quält mich sehr“, sagte er. Dass seine Pein geringer geworden ist, nachdem der ehemalige Uno-Atominspekteur David Albright und sein Kollege Paul Brannan in einem fünfseitigen Papier die gewünschten Belege lieferten, darf man wohl bezweifeln. Denn der IAEA-Frontmann leidet vor allem darunter, dass seine Autorität von kaum jemandem anerkannt wird. Was aber bleibt einem, der einmal mehr der Lächerlichkeit preisgegeben wurde? Die Flucht nach vorne, stets dem Motto treu, dass sich’s gänzlich ungeniert lebt, wenn der Ruf erst einmal ruiniert ist: „Wir haben Informationen, dass es möglicherweise Studien über eine atomare Bewaffnung gegeben hat“, ließ sich el-Baradei, ja doch, todesmutig über die nuklearen Vorhaben der iranischen Mullahs aus – um sogleich schnell wieder zurückzurudern: Man habe weder Hinweise darauf, dass der Iran das nötige Material besitze, noch dass es ein aktives Atomwaffenprogramm gebe. Abgesehen davon führe die Rhetorik der USA „nur zu einer Zuspitzung des Konflikts“, was letztlich „in eine Katastrophe führen“ könne.

Das ist die Logik des Dorfpolizisten, nach der die Welt ein Hort des Friedens wäre, wenn bloß alle auf ihn hörten. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus, und deshalb ist „ein Kommissar, dessen Ermittlungsarbeit nur im Abheften unterschriebener Geständnisse besteht, reif für die Frühpension“, befand das Weblog No Blood for Sauerkraut. Derart komfortabel verrentet, ließe sich’s vielleicht auch den Friedensnobelpreis endlich genießen. Und zwar ganz ohne Mitleid.

Hattips: Spirit of Entebbe, Urs Schmidlin

26.10.07

Die Leiden des Zeugen G.

Alfred Grosser hat es zuletzt wieder getan, Norman Finkelstein tut es ohnehin, Tony Judt auch, Uri Avnery immerzu, Shraga Elam sowieso, Moishe Arye Friedman erst recht und natürlich Hajo Meyer, Abraham Melzer, Evelyn Hecht-Galinski sowie Rolf Verleger: Sie alle lassen selten eine Gelegenheit aus, über Israel herzufallen und dabei auch noch jene zu munitionieren, die sehr wohl wissen, dass ihre „Israelkritik“ nichts weiter als ordinärer Antisemitismus auf der Höhe seiner Zeit ist, und die deshalb dankbar sind, wenn jüdische Kronzeugen Schützenhilfe leisten. Denn derlei Experten könnten schon qua Geburt gar keine Antisemiten sein, heißt es stets treuherzig, so, als handle es sich beim Antisemitismus um eine biologische Bedingtheit und nicht um eine Weltanschauung, der nun mal auch einige ihrer prospektiven Opfer frönen. „Ohne seine Alibi-Juden wäre der bekennende Antizionist einfach nur eine arme Sau, die eine koschere Delikatesse werden möchte“, fasste Henryk M. Broder kürzlich zusammen, welches Bedürfnis die eingangs Erwähnten befriedigen, und Hannes Stein zeigte auf, dass es „Juden als Kronzeugen gegen das Judentum“ schon weitaus länger gibt als den Staat Israel.

Besonderer Beliebtheit erfreuen sich in diesem Zusammenhang allenthalben jene Gewährsleute, die die Shoa überlebt haben oder Kinder von solchen Überlebenden sind. Nicht zuletzt die daraus angeblich resultierende unschlagbare Authentizität der „Israelkritik“ dürfte deshalb der Grund gewesen sein, weshalb das Vierteljahresmagazin Lettre International – das sich selbst Europas Kulturzeitung nennt und in sechs Sprachen erscheint – zum Zwecke der Absicherung seines Antizionismus in seiner aktuellen Ausgabe einen Beitrag Göran Rosenbergs ins Blatt gehoben hat: Rosenberg (Foto) wurde 1948 in Schweden geboren; er ist der Sohn polnisch-jüdischer Eltern und „gehört zur ‚zweiten Generation’, wie man die Kinder der Überlebenden nennt“, erläutert das Internetportal haGalil. „Sein Vater nimmt sich 1962 das Leben, das Kind versteht diesen Tod nicht; die Mutter geht mit dem 14jährigen Göran nach Israel, einige Jahre später kehrt die Familie nach Stockholm zurück.“ Heute ist Rosenberg Herausgeber der schwedischen Zeitschrift Moderna Tider und historischer Kommentator im schwedischen Fernsehen. Einem deutschsprachigen Publikum ist er durch sein 1998 im Suhrkamp Verlag erschienenes Buch Das verlorene Land ein wenig bekannter geworden; als „Kritiker israelischer Besatzungsherrschaft“ qualifizierte ihn anschließend die Neue Zürcher Zeitung in einer lobenden Rezension.

Was unter dieser „Kritik“ zu verstehen ist, ließ sich im Januar 2004 erneut nachlesen, als Rosenberg den israelischen Botschafter in Schweden, Zvi Mazel, scharf attackierte und auch gleich eine Generalabrechnung mit Israel folgen ließ. Mazel hatte während einer Ausstellung aus Protest eine Installation beschädigt, mit der eine Selbstmordattentäterin glorifiziert, also „die Realität des palästinensischen Terrors zur sakralen Kunst verklärt“ wurde, wie die Publizistin Gudrun Eussner konstatierte. Rosenberg jedoch fand: „In diesem Kunstwerk ist nicht die geringste Spur eines Antisemitismus zu erkennen“, weshalb es dem Diplomaten in Wahrheit um etwas ganz anderes gegangen sei: „Der Auftrag, den der Botschafter zur großen Zufriedenheit seiner Auftraggeber ausgeführt hatte, bestand darin, ins Rampenlicht zu treten und die israelische Rechtsregierung zu verteidigen, eine Regierung, die immer weniger davor zurückschreckt, die Anschuldigung des Antisemitismus zu brauchen oder zu missbrauchen, um eine immer brutaler werdende Politik von Besatzung, Unterdrückung und Demütigung zu rechtfertigen.“ Das hätte selbst Norman Finkelstein nicht plakativer formulieren können.

Und nun legt Göran Rosenberg in Lettre International noch einmal kräftig nach. „Wieder im Ghetto“, ist sein Aufsatz überschrieben, der im Kern aus einer Klage über „den gestiegenen Anteil von bewusster Manipulation und Ausbeutung jüdischer Phobien in der israelischen Machtpolitik“ besteht. Der jüdische Staat benutze „seine Übermacht“ dazu, „etwas zu tun, was nach Ansicht aller die Palästinenser verrückt machen wird“, weshalb „auch Israel eine Gesellschaft von Wahnsinnigen“ sei: „Auf der ‚Innenseite’ der Mauer (oder der Barriere oder des Zauns), geschützt vom mächtigsten Militärapparat dieser Region, unter Obhut der größten Militärmacht der Welt und gesichert durch die stärkste Volkswirtschaft dieser Gegend, leben Menschen, die davon überzeugt sind, dass ihnen dies alles jeden Augenblick abgenommen werden könne und dass das kleinste Zeichen militärischer Schwäche ein erster Schritt in Richtung Auschwitz sei.“ Das Argument, dass es sich dabei nicht um eine Fantasterei von Paranoiden handelt, sondern um eine sehr realistische Einschätzung einer sehr realen Gefahr, lässt Rosenberg nicht gelten: Die „heutigen Befehlshaber Massadas“ schürten die Angst geradezu und bauschten sie maßlos auf, um eine Solidarisierung mit der israelischen Regierung zu forcieren, glaubt er. „Je mehr Juden auf der Welt diesen Konflikt für politisch unlösbar und für potenziell tödlich nicht nur für Israel, sondern für alle Juden auf der Welt halten, umso stärker fällt ihre Unterstützung für ein Israel aus, das seine Nachbarn demütigt, seine Brücken abbricht und seine Mauern errichtet“, sieht Rosenberg darüber hinaus eine groß angelegte zionistische Kampagne am Werk.

Und die finde derzeit besonders günstige Bedingungen vor, denn: „Die palästinensischen Terroraktionen und die antisemitische Propaganda spielen ihnen“ – den Verantwortlichen in Israel nämlich – „in die Hände, weshalb sie beides bedenkenlos stimulieren.“ Rosenberg bestreitet also nicht, dass es Terror und Antisemitismus gibt – aber er macht nicht die Terroristen und Antisemiten dafür verantwortlich, sondern Israel selbst: Die palästinensischen Mordtaten fördere der jüdische Staat, „indem er mit [seiner] Okkupation systematisch Demütigung, Hass und Hoffnungslosigkeit“ produziere, „was einen soliden Nährboden für verzweifelte Gewalttaten abgibt“. Und den Antisemitismus verstärke er, indem er „systematisch die Grenze zwischen Israelkritik und Judenhass“ unterminiere. Die Juden sind es also, folgt man Rosenberg, wieder einmal selbst schuld, wenn sie bedroht und angegriffen werden – sofern das überhaupt der Fall ist und es sich nicht nur um „jüdische Phobien“ handelt –, denn sie zwingen ihren Kontrahenten sozusagen ein Notwehrprogramm auf. Eine eigenständige Sehnsucht der Feinde Israels nach dessen Vernichtung gibt es demzufolge nicht; selbst eine „World without Zionism“, die sich Mahmud Ahmadinedjad so sehr wünscht, kann in dieser Weltsicht nur eine irgendwo doch legitime Reaktion auf erlittenes Unrecht sein, niemals aber originärer Antisemitismus.

„Der bekennende Antizionist ist ein Zwangscharakter, der die Objekte seiner Begierde für seine Leiden schuldig macht“, brachte Henryk M. Broder die Beweggründe für eine solch abstruse Weltsicht unlängst auf den Punkt. Sein Satz darf universelle Gültigkeit beanspruchen, gleich, welcher Art diese Leiden sind und wer sie verspürt. Denn in der Konsequenz bedeutet das stets: Die Leiden verschwinden erst, wenn auch Israel verschwindet. Dies zu verhindern, hat der jüdische Staat alles Recht der Welt.

Hattip: Tim Graf

23.10.07

Keine Geschäfte mit Antisemiten

Hotelbuchungen sind in der Regel eine ganz alltägliche Sache, und wenn ein Gast die Kosten für eine Übernachtung auch noch im Voraus erstattet, freut sich jeder Betreiber einer Unterkunft ganz besonders. Als Johannes H. Lohmeyer (Foto) jedoch sah, wer da über das Internet für den 7. November Betten in einer seiner anspruchsvollen Herbergen reserviert und bereits bezahlt hatte, schlug der Gemütszustand des Geschäftsführers der Macrander Hotels GmbH & Co. KG rasch um. Denn niemand anderes als Holger Apfel, stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD und Vorsitzender der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag, sowie sein Kamerad Alexander Delle wollten sich im Dresdner Holiday Inn einquartieren, für 100 Euro je Einzelzimmer.

Der Offenbacher Hotelier Lohmeyer – dem die beiden rechtsradikalen Politiker noch aus seiner Zeit im Dresdner FDP-Vorstand und als Spitzenkandidat dieser Partei für die sächsische Kommunalwahl in schlechter Erinnerung waren – überlegte nun, wie er verhindern kann, die beiden unerwünschten Gäste unterbringen zu müssen. Das Vorhaben, die Reservierung einfach zu stornieren, war dabei schwierig umzusetzen. Denn durch die Buchung sei ein gültiger Vertrag zustande gekommen, bedauerte er. Darüber hinaus gelte: „Wir dürfen keinen abweisen, weil uns seine Nase nicht passt, also sind wir denen gesetzlich ausgeliefert.“ Doch Lohmeyer wollte sich nicht so einfach geschlagen geben und setzte deshalb ein formvollendetes Schreiben an die beiden NPD-Kader auf, das hier vollständig dokumentiert werden soll, weil es so ungewöhnlich wie einfallsreich ist:*
MACRANDER HOTELS GmbH & Co. KG

NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag
Herren H. Apfel und A. Delle
Bernhard-von-Lindenau-Platz 1
01067 Dresden

Frankfurt, 18. Oktober 2007

Ihre Zimmerreservierung im Holiday Inn Dresden

Sehr geehrter Herr Apfel,
sehr geehrter Herr Delle,

wir erhielten heute Ihre über www.hotel.de getätigte Reservierung für den 7. November 2007 und sind einigermaßen erstaunt, dass Sie ausgerechnet ein amerikanisches Hotelunternehmen mit ausländisch klingendem Namen bevorzugen.

Da Sie in unserem Hause nicht willkommen sind und ich es auch meinen Mitarbeitern nicht zumuten kann, Sie zu begrüßen und zu bedienen, haben wir hotel.de gebeten, die Buchung zu stornieren.

Sollte dies aus vertraglichen Gründen nicht möglich sein, darf ich Sie darauf hinweisen, dass ich sämtliche in unserem Hause durch Sie getätigten Umsätze unmittelbar als Spende an die Dresdner Synagoge weiterleiten werde.

Betrachten Sie dies als kleinen Beitrag zur Wiedergutmachung für die Schäden, die Ihre damaligen Gesinnungsgenossen der Synagoge und vor allem ihren früheren Besuchern zugefügt haben.

Eine Kopie dieses Schreibens leiten wir an die Dresdner Presse weiter. In der Hoffung, dass Sie eine zu Ihnen passende Unterkunft finden und uns Ihr Besuch erspart bleibt, verbleiben wir

mit freundlichen Grüßen

Johannes H. Lohmeyer
Geschäftsführer
Spenden an die Dresdner Synagoge? Wiedergutmachung? Dieser Preis war den beiden Neonazis dann doch zu hoch: Sie traten von sich aus von der Buchung zurück. „Ich weiß, dass nicht alle meine Kollegen meine Haltung in dieser Konsequenz tragen“, sagte der Hotelleiter. Doch Unternehmen sollten, so fand er, eine gewisse Ethik haben und sich genau überlegen, mit wem sie Geschäfte machen. Eine geradezu vorbildliche Einstellung; vielleicht macht sie ja auch bei anderen Firmenchefs Schule. Und am besten nicht nur in Bezug auf mögliche Deals mit Rechtsradikalen, sondern auch und vor allem hinsichtlich des Business’ mit dem Iran und anderen antisemitischen Diktaturen. Zu denen wird schließlich erst recht niemand gezwungen.

* Der Brief liegt Lizas Welt in Kopie vor.
Hattip: Marlies Klein

19.10.07

Osirak reloaded

Was am 6. September in der nordsyrischen Kleinstadt Dayr as Zawr geschah, darüber gab es lange Zeit breites Schweigen, und die Spekulationen schossen ins Kraut. Mehrere Wochen lang wurde nur gemutmaßt, Israel könnte in einer verdeckten Operation mit Kampfjets eine syrische Atomanlage dem Erdboden gleichgemacht haben; inzwischen herrscht weitgehend Einigkeit, dass es sich tatsächlich so zugetragen hat. Als sicher gilt zudem, dass drei Tage vor dem Militärschlag mit dem Namen Operation Orchard (Operation Obstgarten) ein Schiff mit als „Zement“ deklariertem, nuklearem Material aus Nordkorea auf einigen Umwegen an einem syrischen Hafen angelegt hatte und dass die Fracht anschließend nach Dayr as Zawr gebracht worden war, bevor israelische Eliteeinheiten sie dort schließlich – offenbar nach einer Absprache mit der US-Regierung – unschädlich machten. Doch was sich im Detail an Bord des Schiffes befand, wie sich die syrisch-nordkoreanische Kooperation konkret ausgestaltete und was für Pläne die beteiligten Länder im einzelnen mit der nuklearen Einrichtung verfolgten, ist bisher nicht bekannt geworden. Die israelische Regierung bestätigt zwar einen Luftschlag, gibt ansonsten jedoch keinen Kommentar ab. Aus dem syrischen Staatsapparat verlautbarte mit einiger Verzögerung zunächst, es habe gar keinen Angriff gegeben, gefolgt von der Behauptung, es sei ein Forschungszentrum oder ein ungenutztes Militärgebäude getroffen worden. Aber das erwies sich als Falschinformation; mittlerweile hat der syrische Botschafter bei den Vereinten Nationen eingestanden, dass eine Atomanlage zerstört wurde.

Douglas Davis, ehemaliger leitender Redakteur der Jerusalem Post, und James Forsyth haben für den Spectator intensive Recherchen unternommen. Sie kommen zu dem Schluss, dass ein „akribisch geplanter, brillant durchgeführter chirurgischer Schlag israelischer Jets“ die Welt „aus einer schrecklichen Gefahr gerettet haben“ dürfte und dass es beste Gründe für Israel gab und gibt, die Einzelheiten geheim zu halten. „Die einzig denkbare Erklärung für das beispiellose Schweigen ist, dass der Vorfall so riesig war und die Folgen für die israelische Sicherheit so bedeutend, dass niemand es wagte, die Regel der omertà zu brechen“, schreiben die beiden Autoren. Sie analysieren die „am wenigsten unwahrscheinlichen“ Möglichkeiten, wozu die Atomanlage dienen sollte, und räsonieren über die Konsequenzen aus dem Schlag gegen Syrien. „Wir mögen aus diesem Vorfall ohne Krieg herausgekommen sein, aber wenn dem Iran erlaubt wird, weiterhin den nuklearen Weg zu beschreiten, ist es schwer vorstellbar, dass wir wieder so glimpflich davonkommen“, lautet ihr Fazit. Bernd Dahlenburg vom Weblog Castollux hat den Beitrag aus dem Spectator für Lizas Welt übersetzt.


James Forsyth/Douglas Davis

An jenem Tag standen wir dem Dritten Weltkrieg so nahe


The Spectator
, 3. Oktober 2007

Ein akribisch geplanter, brillant durchgeführter chirurgischer Schlag israelischer Jets auf eine Atomanlage in Syrien am 6. September dürfte die Welt aus einer schrecklichen Gefahr gerettet haben. Das einzige Problem ist, dass niemand außerhalb einer wortkargen Gruppe hoher israelischer und amerikanischer Offizieller weiß, was diese Gefahr genau beinhaltete. Noch bemerkenswerter ist es, dass sowohl Israel als auch Syrien, weit von einer kriegerischen Auseinandersetzung entfernt, entschlossen zu sein scheinen, kein Wort über die Affäre zu verlieren. Einen Monat nach dem Vorfall führt das Ausbleiben harter Fakten unaufhaltsam zu dem Schluss, dass die Implikationen des Vorfalls enorm gewesen sein müssen. Dies wurde dem Spectator durch eine hochrangige britische Ministerialquelle bestätigt: „Wenn die Leute gewusst hätten, wie nahe wir an einem dritten Weltkrieg waren, hätte es eine Massenpanik gegeben. Vergessen Sie Flutkatastrophen oder die Maul- und Klauenseuche – Gordon [Brown] hätte sich mit dem blutigen Buch der Offenbarung und des Armageddon befassen müssen.“

Amerikanischen Quellen zufolge war der israelische Geheimdienst hinter einem nordkoreanischen Frachtschiff her, das eine Ladung nuklearen Materials, als „Zement“ deklariert, durch die halbe Welt transportierte. Am 3. September legte das Schiff im syrischen Hafen Tartous an. Die Israelis folgten der Fracht die ganze Zeit über, bis sie an ihrem Bestimmungsort ankam – in der Kleinstadt Dayr as Zawr, nahe der türkischen Grenze im nordöstlichem Syrien gelegen. Das Reiseziel stellte dabei keine große Überraschung dar: Es war schon vorher Gegenstand intensiver Überwachung durch den israelischen Spionagesatelliten Ofek gewesen, und innerhalb weniger Stunden drang nun eine Truppe mit israelischen Elitekommandos heimlich nach Syrien ein und zu der Stadt vor. Sie sammelte Bodenproben und anderes Material und kehrte damit nach Israel zurück. Mit Sicherheit bewies das Entnommene, dass die Fracht aus Atommaterial bestand.

Operation Obstgarten

Drei Tage, nachdem die nordkoreanische Fracht in Syrien angekommen war, wurde die Endphase der Operation Orchard (Operation Obstgarten) gestartet. Nach vorheriger Absprache mit Washington wurden israelische F-15I-Jets gestartet, und Minuten später waren die Anlage und ihr frisch angekommenes Material zerstört. Die Details der Operation waren so geheim, dass selbst die Piloten, die den Jets Begleitschutz geben sollten, erst davon unterrichtet wurden, als sie sich in der Luft befanden. Sie wurden jedoch nicht gebraucht: Die eingebaute Tarnkappentechnologie und die elektronischen Kampfleitsysteme waren ausgeklügelt genug, die aus russischer Produktion stammenden syrischen Flugabwehrsysteme ins Leere laufen zu lassen.

Was befand sich in der Lieferung, die die Israelis dazu veranlasste, einen Angriff auszuführen, der sich leicht zu einem umfassenden Krieg in der Region hätte ausweiten können? Chemische oder biologische Waffen konnten es nicht gewesen sein; von Syrien weiß man, dass es davon Vorräte im Überfluss besitzt – die größten in der Region. Es konnten auch keine Raketensysteme sein; Syrien hatte schon vorher eine große Anzahl von Nordkorea erhalten. Die einzig mögliche Erklärung ist, dass es sich bei der Lieferung um Nuklearmaterial handelte. Das Ausmaß der potenziellen Bedrohung – und die Geheimdienstaktivitäten, mit denen dem Waffentransfer nachgespürt wurde – erklärt dabei den dichten Nebel der offiziellen Geheimhaltung. Es gab keine offiziellen Anweisungen und keine Andeutungen von irgendeinem der Dutzenden Beteiligten, die an Vorbereitung, Analyse, Entscheidungsfindung und Ausführung der Operation mitgewirkt haben müssen. Selbst wenn die Israelis nun entschieden „Kein Kommentar“ sagen, ist das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Die Geheimhaltung selbst ist bedeutsam.

Israel ist ein kleines Land. In gewisser Hinsicht ähnelt es einer erweiterten, wenngleich chaotischen Familie. Die Dinge sprechen sich schnell herum. Die Israelis sind schon so lange in eine Ecke gedrängt, dass sie abhängig von Nachrichten geworden sind. Israels Medien sind viel zu robust, und seine Politiker halten nicht dicht genug, um Geheimnisse auch lange Zeit Geheimnisse bleiben zu lassen. Selbst angesichts einer zunehmend veralteten Militärzensur haben israelische Journalisten Wege gefunden, Informationen zu publizieren und, falls nötig, dazu verdammt zu sein.

Beispiellose Geheimhaltung

Die einzig denkbare Erklärung für das beispiellose Schweigen ist, dass der Vorfall so riesig war und die Folgen für die israelische Sicherheit so bedeutend, dass niemand es wagte, die Regel der omertà zu brechen. Auch die arabische Welt ist auffallend ruhig geblieben, was einiges besagt. Und selbst amerikanische Offizielle schwiegen, obwohl es nicht unerwartet gekommen wäre, wenn sie den Vorfall als Beweis für die Richtigkeit ihrer Warnungen vor den Gefahren, die von Schurkenstaaten und Massenvernichtungswaffen ausgehen, veröffentlicht hätten. Doch das Gegenteil trat ein. George W. Bush mauerte bei beharrlichen Fragen auf einer Pressekonferenz mit dem monotonen Statement: „Ich kommentiere diese Materie nicht.“ Mittlerweile haben die Amerikaner ihre Verhandlungen mit Nordkorea weitergeführt, als wäre nichts geschehen.

Als die syrische Erwiderung schließlich kam, war sie zwar mitteilsamer, aber nicht hilfreicher. Zuerst schaffte es Syriens UN-Botschafter Bashar Ja’afari aus den Startblöcken, der freudig verkündete, dass in Syrien nichts bombardiert und nichts beschädigt worden sei. Eine Woche später bestätigte der syrische Vizepräsident Farouk al-Shara, dass doch ein Angriff stattgefunden habe – auf das arabische Studienzentrum zur Erforschung von Dürregebieten und Trockenland (ACSAD). Ein Foto der von der Arabischen Liga betriebenen Anlage schwenkend, erklärte er triumphierend: „Hier ist das Bild, wie Sie sehen können, und es beweist, dass alles, was über diesen Angriff gesagt wurde, falsch war.“

Nun, vielleicht nicht alles. Am Tag darauf ließ ACSAD dementieren, dass sein Zentrum ins Visier genommen worden war: „Was da aus den zionistischen Medien, diese ACSAD-Einrichtung betreffend, leckte, sind allesamt Erfindungen und Lügen“, donnerte es, gefolgt von der Mitteilung, dass für die Medien eine Besichtigungstour durch das Gebäude organisiert worden sei. Einige Tage danach lieferte Syriens Präsident Bashar al-Assad seine ersten Betrachtungen zum Angriff. Dessen Ziel, so erzählte er der BBC gegenüber fälschlich, sei ein ungenutztes Militärgebäude gewesen. Und er ließ einen Schwur folgen, dass er sich rächen werde, „vielleicht politisch, vielleicht mit anderen Mitteln“.

Mittlerweile fand die Washington Post heraus, dass die USA während der vergangenen sechs Monate stetig anwachsendes Beweismaterial gesammelt hatten – besonders in dem Monat, in dem der Angriff erfolgte –, und dass Nordkorea bei der Entwicklung einer Nuklearanlage mit Syrien zusammenarbeitete. Die Beweise, so die Zeitung, beinhalteten „dramatische Satellitenaufnahmen, die einige US-Offizielle zu der Annahme führten, dass die Anlage dafür verwendet werden kann, Material für Atomwaffen herzustellen“. Selbst innerhalb der amerikanischen Geheimdienste wurde der Zugang zu diesen Bildern auf eine Handvoll Leute beschränkt, die dem Nationalen Sicherheitsberater der USA, Stephen Hadley, unterstellt wurden.

Die „am wenigsten unwahrscheinlichen“ Möglichkeiten

Warum zögern alle Seiten, die Details dieses außergewöhnlichen Vorfalls bekannt zu geben? „Im Nahen Osten“, so Bret Stephens, leitender Redakteur beim Wall Street Journal und aufmerksamer Beobachter der Region, „geschieht das nur, wenn Vernunftinteressen und das Verlangen nach Schamgefühl zusammenfallen“. Er deutete an, dass eine teilweise Neuauflage des israelischen Luftangriffs, der 1981 auf den irakischen Atomreaktor Osirak geflogen wurde, die „am wenigsten unwahrscheinliche“ Erklärung sei. Eine andere der „am wenigsten unwahrscheinlichen“ Möglichkeiten ist die, dass Syrien plante, seine Terrorkunden mit „schmutzigen“ Bomben zu versorgen, die dann überall in der Welt die Hauptstädte bedrohen würden. Terrorismus ist in Syrien eine Wachstumsindustrie, und es ist nur natürlich, dass das syrische Regime, ermuntert durch seinen iranischen Verbündeten, danach trachtet, Marktführer zu bleiben, indem es die Hizbollah, die Hamas und eine Unmenge palästinensischer Splittergruppen, die in Damaskus Unterschlupf gefunden haben, mit der ultimativen Waffe beliefert.

Die Syrer haben gute Gründe, den Einsatz jetzt zu erhöhen: Bashar al-Assads Alewiten-Regime wird in den kommenden Monaten mit einer Menge unangenehmer Fragen konfrontiert werden – besonders zu seiner mutmaßlichen Rolle bei der Ermordung des früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri und zu seiner aktiven Unterstützung des Aufstands im Irak. Beide Themen könnten das Überleben des Regimes gefährden. Wie groß ist demnach die Versuchung, eine Gegenbedrohung zu schaffen, die Washington und andere zur Mäßigung veranlassen könnte – und die Syrien vielleicht sogar eine begrenzte Rückkehr in den Libanon ermöglicht?

Aber das erklärt nicht, warum die Lieferung offensichtlich zu groß war, um mit dem Flugzeug verschickt werden zu können. Wenn man genauer hinschaut, findet man eine Reihe anderer sehr plausibler Erklärungen. Die Nordkoreaner – intensivem internationalen Druck ausgesetzt – könnten sich dafür entschieden haben, einen erheblichen Vorrat ihres Atommaterials in Syrien zu „parken“, in der Erwartung, ihn zurückzubekommen, wenn sich die Lage entspannt hat. Sie könnten auch einen Teil ihres nuklearen Entwicklungsprogramms ausgelagert und die Syrer dafür bezahlt haben, das Uran anzureichern, während ein internationales Expertenteam damit fortfuhr, Nordkoreas Nuklearanlagen zu inspizieren und unbrauchbar zu machen. Die Schiffsladung könnte sogar – und auch dies gehört zu den am „am wenigsten unwahrscheinlichen“ Erklärungsversuchen – dafür gedacht gewesen sein, Syriens eigenes Atomwaffenprogramm zu unterstützen, das seit Mitte der 1980er Jahre auf dem Zettel steht.

Die Konsequenzen

Abgesehen von der Abwendung der Bedrohung, die sich in Dayr as Zawr entwickelte, ist die strategische Position Israels durch den Angriff gestärkt worden. Erstens hat das Land – wie Generalleutnant Amos Yadlin, Chef des militärischen Geheimdienstes Israels, anführte – „seine Abschreckungskraft wiederhergestellt“, die aufgrund seiner ungeschickten Kriegsführung letztes Jahr im Libanon beschädigt wurde. Zweitens wurde Damaskus daran erinnert, dass Israel weiß, was es zu tun hat, und dass es jederzeit in der Lage ist, auf syrischem Territorium zuzuschlagen. Gleichermaßen ist der Iran davon in Kenntnis gesetzt worden, dass Israel keine nukleare Bedrohung akzeptieren wird. Washington wiederum wurde in Erinnerung gerufen, dass der israelische Geheimdienst in der Region oft eine bessere Führungskraft ist als der eigene – ein entscheidender Punkt angesichts unterschiedlicher Einschätzungen der amerikanischen und israelischen Geheimdienste, was die Entwicklung der iranischen Bombe betrifft. Der iranisch-syrischen Stellvertretertruppe Hizbollah wurde zudem verdeutlicht, dass ihr Luftverteidigungssystem – mit dem sie prahlte, es werde das strategische Gleichgewicht in der Region verändern – angesichts der israelischen Technologie versagt.

Unterdessen teilte ein hochrangiger israelischer Analyst mit, dass der beunruhigendste Aspekt der Angelegenheit, aus einer globalen Perspektive betrachtet, in der Bereitschaft von Staaten besteht, ihre Technologien und Massenvernichtungswaffen zu teilen. „Ich glaube nicht, dass die ehemalige Sowjetunion ihre Technologie für Massenvernichtungswaffen mit jemandem geteilt hat“, sagte er. „Und sie waren vorsichtig genug, die Zahl der Scud-Raketen, die sie verkaufen wollten, zu begrenzen. Seit dem Ende des Kalten Krieges wissen wir jedoch, dass die Russen diese Grenzen signifikant überschritten haben, als sie Raketentechnologie an den Iran verkauften.“

Weit geöffnet wurden die Schleusentore jedoch vom abtrünnigen pakistanischen Atomwissenschaftler Abdul Kadir Khan (Foto), der in Pakistan als Vater der islamischen Bombe verehrt wird. Khan eröffnete faktisch einen Supermarkt der Nukleartechnologie samt ihrer Bauteile und Pläne, der länger als ein Jahrzehnt auf der Weltbühne operierte. Nachdem sein Werk 2004 ausgeschaltet wurde, gestand Khan, dass er Technologie und Material an den Iran, Libyen und Nordkorea geliefert hatte. Proliferationsfachleute sind überzeugt, dass sie die Identitäten von mindestens drei seiner zahlreichen anderen Kunden kennen: Ägypten, Saudi-Arabien und Syrien. Neben atomarem Knowhow soll das Khan-Netzwerk auch Zentrifugen für die Urananreicherung an letzteres verkauft haben. 2003 nahmen die Befürchtungen bezüglich Syriens Atomprogramm zu, als eine zu Versuchszwecken aufgebaute elektronische Abhöranlage der Amerikaner unverwechselbare Signale erfasste, die anzeigten, dass die Syrer die Zentrifugen nicht nur erhalten hatten, sondern sie auch tatsächlich betrieben.

Wenn Israels Militärschlag auf Dayr als Zawr letzten Monat chirurgisch war, dann auch die Handhabung der Nachwirkungen. Die einzige Gewissheit im Nebel der Verschleierung besteht darin, dass am 6. September etwas Großes geschah – etwas sehr Großes. Zumindest veranschaulicht es, dass Massenvernichtungswaffen in den Händen von Schurkenstaaten die größte Bedrohung für den Weltfrieden darstellen. Wir mögen aus diesem Vorfall ohne Krieg herausgekommen sein, aber wenn dem Iran erlaubt wird, weiterhin den nuklearen Weg zu beschreiten, ist es schwer vorstellbar, dass wir wieder so glimpflich davonkommen.

Hattips: barbarashm, Franklin D. Rosenfeld, Spirit of Entebbe

16.10.07

Einspruch gegen die Kapazitäten

Einmal angenommen, man läse in einem Buch mit dem reißerischen Titel Das Ende des Judentums, wie der Autor die Shoa als „Laune der Geschichte“ bezeichnet, die „früheste Ursache für den Antisemitismus im Judentum selbst“ sieht, Israels Politik unablässig mit der der Nationalsozialisten gleichsetzt und schließlich behauptet: „Besonders im vergangenen Jahr scheint sich eine andere Vorhersage im gefährlichen Ausmaß zu bewahrheiten. Ich meine den Mythos – und bis kurzem war es ein solcher –, die Juden hätten es auf die Weltherrschaft abgesehen.“ Weiterhin angenommen, man besuchte eine Veranstaltung, bei der dieser Autor seine Ansichten im Beisein seines ihm gewogenen Verlegers bekräftigt und darüber hinaus erklärt, in Jenin habe die „israelische Wehrmacht“ ein Massaker angerichtet, und an den Checkpoints zu den Palästinensergebieten sei „eine jüdische SS“ unterwegs, während Hitler den durch Versailles „beschämten Deutschen ihren Stolz zurückgegeben“ habe, woran nichts Falsches sei, weil er „Arbeit geschaffen und die Armut abgeschafft“ habe. Angenommen also, man hätte all dies zur Kenntnis genommen oder nehmen müssen: Das Urteil könnte, sofern man wenigstens noch ein paar Latten am Zaun hat, nur lauten, dass man es hier mit zwei veritablen Antisemiten zu tun hat, denen mit allem Nachdruck Einhalt geboten gehört. Doch was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, muss für einen Richter an einem deutschen Landgericht noch lange kein Anlass zum Einschreiten sein. Eher schon verbietet er einem Publizisten mit der Begründung den Mund, dessen „diffamierende Kritik“ an Verfasser und Verleger, mit der er diese in die Nähe nationalsozialistischen und antisemitischen Gedankenguts gerückt habe, sei unzulässig.

Was wie eine schlechte Posse anmutet, ist gleichwohl tatsächlich geschehen: Bei besagtem Autor handelt es sich um Hajo Meyer – „Auschwitz-Überlebender, Physiker, Geigenbauer und Publizist“, wie ihn ein Universitätsprofessor in Leipzig bei der eingangs erwähnten Veranstaltung vorstellte –, bei dem Verleger um Abraham Melzer und bei dem Kritiker um Henryk M. Broder. Dieser hatte auf der Achse des Guten beschrieben, wie Meyer und Melzer „für die Leipziger den Adolf machen“, warum sie „Kapazitäten für angewandte Judäophobie“ sind und wie der Verleger eine „Lücke entdeckte“, die er „fleißig mit braunem Dreck füllt“. Angesichts des Geschriebenen, Veröffentlichten und Gesagten war das eine so zugespitzte wie zutreffende Beobachtung, doch Melzer und Meyer sahen das anders und erwirkten beim Landgericht Frankfurt eine einstweilige Verfügung gegen Broder. Die deutschen Medien stellten verwundert die Frage, ob Juden wirklich Antisemiten sein können oder andere Juden als solche bezeichnen dürfen, und räsonnierten darüber, ob ein deutsches Gericht überhaupt für die Klärung dieses Sachverhalts zuständig ist. In der mündlichen Verhandlung wurde eine der drei Äußerungen als zulässige Meinungsäußerung zwar wieder frei gegeben – nämlich die, Melzer und Meyer hätten „für die Leipziger den Adolf“ gemacht –, die anderen beiden blieben jedoch verboten.

Logisch war das nicht; den juristischen Sieg der Kläger auf einen Zweidrittelerfolg zu kürzen, wirkte eher wie der Versuch des Gerichts, sich einigermaßen geräuschlos aus der Affäre zu ziehen. Dies umso mehr, als der Richter zwar ein bisschen nach den Begriffen „Judäophobie“, „Antisemitismus“ und „Antizionismus“ gegoogelt hatte, sich schließlich jedoch weigerte, die Einlassungen von Melzer und Meyer, die ja erst zu Broders Beitrag geführt hatten, entsprechend zu berücksichtigen. Er beschäftigte sich stattdessen ausschließlich mit der Frage, inwieweit die Reaktionen auf das Buch und den Vortrag eine strafwürdige Schmähung darstellen. Dieses Vorgehen ergibt jedoch nur dann einen Sinn, wenn man a priori ausschließt, dass es sich beim Autor und seinem Verleger um Judenhasser handeln könnte. Dabei hatte Henryk M. Broder dem Gesetzesausleger in der Verhandlung noch Hilfestellung geleistet: „Juden können alles sein, was Nichtjuden auch sind. Sie fahren möglicherweise über rote Ampeln, betrügen die Steuer, sind nicht immer nett zu ihrer Frau – und sind eben bisweilen auch Antisemiten. Juden sind ganz normale Menschen.“

Doch die „Erben der Firma Freisler“, wie Broder die deutsche Justiz nannte (eine Beleidigungsklage gegen diese Einschätzung wurde vom Amtsgericht München zurückgewiesen), sind auf diesem Ohr taub. Und so haben sie ein Urteil gefällt, das antisemitische Äußerungen gegen Kritik immunisiert, wenn sie nur von Menschen getätigt werden, die scheinbar qua Geburt nicht antisemitisch sein können. Das ist insofern wenig überraschend, als auch die allgegenwärtige Inanspruchnahme von jüdischen Kronzeugen für die „Israelkritik“ – also den antizionistischen Antisemitismus – auf diesem Prinzip basiert. Das Gericht ist diesbezüglich nur dem deutschen Mainstream gefolgt. Allerdings macht das die Sache nicht besser, sondern veredelt sie im Gegenteil auch noch mit juristischen Weihen. Es sei denn, das Frankfurter Oberlandesgericht kommt nun zu einem anderen Ergebnis: Dort findet am Donnerstag dieser Woche die Berufungsverhandlung in der Sache Henryk M. Broder vs. Abraham Melzer und Hajo Meyer statt. Voraussetzung wäre allerdings eine Beweisaufnahme, die ihren Namen auch verdient.

Update 18. Oktober 2007: Rund eine Stunde dauerte die heutige Verhandlung vor dem Frankfurter Oberlandesgericht, zu der Henryk M. Broder und Hajo Meyer mit ihren Rechtsanwälten erschienen waren; Abraham Melzer fehlte. Das Urteil wird am 8. November verkündet.

Update 11. November 2007: Zum Verlauf des Prozesses und zur Urteilsverkündung siehe den Beitrag Niederlage für die Judäophobie.

14.10.07

Frieden mit der Walser-Keule

Lautete die Preisfrage, von wem die folgenden Sätze stammen, und böte das Internet keine Suchmaschinen, die Aufgabe wäre gar nicht so leicht zu lösen:
„Es ist nach wie vor so, dass sich Deutsche zu allem Möglichen kritisch äußern dürfen, aber nicht zu Israel. Menschenrechtsverletzungen anderswo anprangern – kein Problem! Mit Blick auf Israel aber kommt das nicht infrage. Ich finde das zutiefst schockierend. [...] In diesem Punkt stehe ich hinter Martin Walsers Kritik an der Auschwitz-Keule. Ja, ich sehe diese Keule, die ständig gegen Deutsche geschwungen wird, falls sie etwas gegen Israel sagen. Tun sie es trotzdem, sagt die Keule sofort: ‚Ich schlage dich mit Auschwitz.’ Ich finde das unerträglich.“
Oskar Lafontaine? Norman Paech? Rainer Rupp? Dreimal nein. Der da in einem Interview mit dem Stern aus seinem Herzen keine Mördergrube macht, ist vielmehr einer, der in seiner Funktion als Kronzeuge regelmäßig die Sympathien all jener Deutschen erobert, die sich wie ihr preisgekrönter Schriftsteller vom Bodensee als verfolgte Unschuld fühlen, als Opfer von Meinungsterror und Maulkorberlassen fremder Mächte: Alfred Grosser. Selten lässt der Politikwissenschaftler eine Gelegenheit ungenutzt, das „erlittene deutsche Leid der Bombennächte und der Vertreibungen“ zu beklagen, die „mutige Hilfe für Juden in Deutschland“ während des Nationalsozialismus allen Ernstes zu einem Massenphänomen hochzujazzen und sich wie der unvermeidliche Rupert „Ich will nicht mehr schweigen“ Neudeck zu fragen: „Ist es nicht eine Verpflichtung der heutigen Juden, an das Schicksal anderer Unterdrückter und Verachteter zu denken?“ Sozusagen als Geste der Dankbarkeit den Deutschen gegenüber, die zwischen dreiunddreißig und fünfundvierzig entgegen anderslautenden Erkenntnissen eine einzige große Judenrettungsbewegung waren und auch heute noch überall auf der Welt aktiv sind, „wenn Grundrechte verletzt werden“ – vor allem dann, wenn es sich bei den Missetätern um die Nachfahren der von ihnen damals Erlösten handelt.

Doch was geschieht stattdessen, folgt man Grosser? Dies: Während der jüdische Staat „Grundrechte verletzt“, „Menschen entwürdigt“, „Palästinenser an der Mauer demütigt“ und sich allerlei anderen Horrors schuldig macht, wird die „Israelkritik“ der Deutschen mit der „Auschwitzkeule“ zum Schweigen gebracht. Der Politologe sagt an keiner Stelle, wer für dieses gewaltsam exerzierte Redeverbot verantwortlich sein soll und wer es ausführt; die Behauptung ist mal im Passiv formuliert, und mal kann die „Keule“ plötzlich selbst sprechen. Lediglich zum Schluss ist – und auch hier nur sehr andeutungsvoll – von „Verbindungen“, „ein paar Telefonanrufen“ und „Beschwerdebriefen“ die Rede, mit denen Grossers jüdische Kritiker angeblich „sanften Druck zur Selbstzensur, zum Schweigen und zum Verschweigen“ ausüben. Israel hingegen handelt stets aktiv, was schließlich in der Behauptung kulminiert, dass seine „Politik den Antisemitismus fördert“ – so, als handle es sich beim Judenhass nicht um eine paranoide Wahnvorstellung der Antisemiten selbst, die konkreter Tätigkeiten oder Unterlassungen von Juden noch nie bedurfte, sondern um eine irgendwo doch begründbare Reaktion auf erlittenes Unrecht.

Dass Grosser nicht explizit sagt, wer die „Israelkritik“ hierzulande vorgeblich hintertreibt, sondern es bei einem bedeutungsschwangeren Raunen belässt, ist kein Zufall. Denn die Bedrohlichkeit einer behaupteten Macht erscheint desto stärker und bekämpfenswerter, je subjekt- und gesichtsloser sie daherkommt – was denjenigen, der sich gegen diese Macht auflehnt, als besonders mutigen Streiter wider die im Verborgenen vonstatten gehende, nach drastischen Konsequenzen schreiende Verschwörung einer sinistren Minderheit gegen die arglose Mehrheit erscheinen lässt. Würde der Wissenschaftler gezwungen, Ross und Reiter zu nennen, wäre er außerdem mit Notwendigkeit blamiert: Die „Israelkritik“ ist in Deutschland nachweislich majoritär – sei es in der Politik, sei es in den Medien, sei es in Internetforen –, und niemand unterdrückt sie. Folgerichtig entpuppt sich die „Auschwitzkeule“ als Einbildung und das Verbot der „Israelkritik“ als Erfindung eines Tabus, das unablässig mit dem Zweck in die Welt gesetzt wird, anschließend gebrochen werden zu können.

Wer diese antizionistischen Konstruktionen in Anspruch nimmt, ist dabei nebensächlich. Falsche Behauptungen werden nicht dadurch richtig, dass sie jemand ausspricht, der qua Herkunft, Glauben, Biografie oder Beruf eine besondere Glaubwürdigkeit oder Authentizität zu vermitteln scheint. Es sei dahingestellt, was einen, der mit seiner Familie 1933 vor den Nationalsozialisten nach Frankreich fliehen musste, eigentlich reitet, den gleichen antisemitischen Unsinn zu erzählen wie ein früheres NSDAP-Mitglied, das als Flakhelfer wie als Friedenspreisträger jederzeit wusste, wo der Deutschen Feind steht. Letztlich bleibt es antisemitischer Unsinn, der auch nicht besser wird, wenn sein Urheber auf die Frage nach der Motivation für seine Philippika antwortet: „Ganz einfach: dass ich unter anderem Jude bin.“ Und die Opfer vermutlich bloß davor bewahren will, rückfällig zu werden.

Für die von Judenmördern zu Judenhelfern Beförderten und ihre Abkömmlinge haben Grossers Tiraden gleichwohl einen unschätzbaren Vorteil: „Ohne seine Alibi-Juden wäre der bekennende Antizionist einfach nur eine arme Sau, die eine koschere Delikatesse werden möchte“, schrieb Henryk M. Broder unlängst. Denn „der bekennende ‚Antizionist’ ahnt natürlich, dass er in Wirklichkeit ein Antisemit ist, so wie ein Kannibale weiß, dass er nicht zum Vegetarier wird, wenn er ein paar Möhren mitkocht. Deswegen muss er sich immerzu der Hilfe jüdischer Zeugen versichern, denn die können – qua Geburt – keine Antisemiten sein. Das ist nicht nur dumm gedacht, es zeugt auch von völliger Unbildung.“ Den neuerlichen Beweis dafür hat Alfred Grosser erbracht, Friedenspreisträger übrigens wie der von ihm so geschätzte Walser, nur früher. Deutschland macht’s möglich.

10.10.07

Talente bei der Imagepflege

Um den Verzicht des deutsch-iranischen Fußballprofis Ashkan Dejagah auf das U21-Länderspiel der DFB-Auswahl in Israel am kommenden Freitag gibt es mittlerweile heftige Diskussionen. Politiker aller Parteien melden sich zu Wort, der Zentralrat der Juden in Deutschland fordert den Ausschluss des Kickers, die Medien vermelden nahezu stündlich den neuesten Wasserstand, und auch in zahllosen Internetforen diskutiert man den Fall intensiv. Mehrheitlich wird dabei Verständnis für Dejagah geäußert; schließlich sei der bloß in Sorge um seine im Iran lebenden Angehörigen, denen Repressalien widerfahren könnten, falls er in Israel gegen den Ball tritt. Mit Antisemitismus habe seine Absage jedenfalls gewiss nichts zu tun. Andere wiederum betonen, dass einer, der nicht gegen ein israelisches Team spielen will, in einer deutschen Nationalmannschaft nichts mehr verloren habe. Der DFB gibt in der ganzen Angelegenheit eine wenig souveräne Figur ab. Seine Funktionäre widersprechen sich gegenseitig, und die Pressemitteilung, in der dementiert wird, dass Dejagah aus politischen Gründen um die Befreiung von der Reise in den jüdischen Staat gebeten hat, vermag schon wegen des späten Zeitpunkts ihrer Veröffentlichung nicht zu überzeugen.

Die Spekulationen über seine Motive heizte der Spieler dabei selbst an. „Das hat politische Gründe. Jeder weiß, dass ich Deutsch-Iraner bin“, wurde er erst in der Bild-Zeitung und danach auch in anderen Blättern zitiert. Der BZ sagte er: „Ich habe mehr iranisches als deutsches Blut in meinen Adern.“ Außerdem „tue ich es aus Respekt, schließlich sind meine“ – in Deutschland lebenden – „Eltern Iraner“. Von einer Furcht vor möglichen Nachteilen für seine Verwandten im Iran oder davor, dass ihm selbst künftig die Einreise in den islamischen Staat verweigert werden könnte, war da noch keine Rede. Im Gegenteil schien Dejagah (Foto) eher positiv über sein Geburtsland zu denken, denn er kokettierte öffentlich damit, in Bälde für dessen Nationalmannschaft aufzulaufen: „Ich habe schon Anfragen vom iranischen Verband.“ Dieser legt bekanntlich großen Wert darauf, dass seine Spieler sich regimetreu verhalten oder doch zumindest kein kritisches Wort über die Mullahs fallen lassen. Dass Dejagah zunächst nicht näher bezifferte „politische Gründe“ für seine Absage des Israel-Länderspiels geltend machte, dürfte bei den Mullahs und den Verantwortlichen des iranischen Fußballverbands daher als Bewerbungsschreiben aufgefasst und mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen worden sein.

Gut möglich, dass der U21-Nationalspieler mit seinem Trainer Dieter Eilts genau diese Karriereoption besprochen hat und ihn schließlich um die Nichtberücksichtigung bat. Denn ein Einsatz für die DFB-Junioren in Israel hätte Dejagah die Möglichkeit genommen, später für den Iran zu spielen, da das Mullah-Regime seinen Sportlern Wettkämpfe mit Israelis verbietet. Dezidiert politische oder persönliche Beweggründe müssen in dem Gespräch mit dem Coach nicht zwangsläufig zur Sprache gekommen sein. Für diese Annahme sprechen auch die anfangs sehr schmallippigen Reaktionen der DFB-Verantwortlichen, als sie mit den Aussagen Dejagahs in der Bild-Zeitung konfrontiert wurden: Offenbar hatte sich der Spieler intern anders geäußert, bevor er in der Öffentlichkeit deutlich wurde, und diese Differenz war anscheinend nicht erwartet worden.

Als es dann die ersten Proteste und Ausschlussforderungen gab, hatte der DFB ein veritables Problem. Denn der Verband, der sich allenthalben seiner Arbeit gegen Antisemitismus und Rassismus im Fußball rühmt, kann es sich nicht leisten, dass einer seiner Auswahlspieler nicht gegen Israel antreten will und durch öffentlichen Statements auch noch die Schlussfolgerung nahe legt, mit der antisemitischen Diktatur in Teheran zu sympathisieren. Also gab es im Grunde genommen nur die Option, entweder Dejagah wegen seiner Äußerungen aus dem Verkehr zu ziehen oder eine Sprachregelung zu finden, die geeignet ist, die Wogen wieder zu glätten und den Verband wie Dejagah selbst aus der Schusslinie zu nehmen. Der DFB entschied sich für letzteres. Keine leichte Aufgabe, zumal angesichts der Tatsache, dass der Kicker dem Iran und seiner Nationalmannschaft bereits deutliche Avancen gemacht hatte. Und so dauerte es bis zum Montagnachmittag, ehe der Verband in einer Presseerklärung Dejagah mit den Worten zitierte: „Ich bitte um Verständnis, dass diese Gründe sehr persönlicher Natur sind und in meinem engsten familiären Umfeld begründet liegen.“ DFB-Präsident Theo Zwanziger (Foto) drückte im selben Schreiben sein Verständnis aus und bemerkte gleichzeitig: „Meine Grundposition und die des DFB ist jedoch klar: Wir werden nicht hinnehmen, dass ein deutscher Nationalspieler aus Gründen der Weltanschauung seine Teilnahme an einem Länderspiel absagt.“

Diesen versuchten Befreiungsschlag dürften dabei die Statuten des Weltfußballverbands entscheidend erleichtert haben. Denn entgegen der Annahme, von der die Medien – und auch dieses Weblog – ausgingen, ist Dejagah gar nicht (mehr) für den Iran spielberechtigt. In Artikel 15 der FIFA-Bestimmungen („Spielberechtigung für Verbandsmannschaften“) heißt es nämlich unter anderem: Besitzt ein Spieler mehrere Staatsbürgerschaften, [...] so steht diesem bis zur Vollendung des 21. Altersjahres [...] das einmalige Recht zu, die Spielberechtigung für Länderspiele eines anderen Verbands, dessen Staatsbürgerschaft er besitzt, zu erlangen.“ Ashkan Dejagah erreichte diese Altersgrenze jedoch bereits am 5. Juli dieses Jahres und kickte anschließend noch in der U21-Mannschaft des DFB. Damit hat sich die Möglichkeit, ins iranische Nationalteam berufen zu werden, für ihn definitiv erledigt. Das wusste er allerdings offenbar nicht, und auch beim DFB herrschte darüber augenscheinlich zunächst Unklarheit. Anders ist es jedenfalls nicht zu erklären, dass anders lautende Informationen so lange unwidersprochen blieben. Wenn DFB-Sprecher Jens Grittner nun verlautbart, Dejagah habe nach Abschluss des 21. Lebensjahres ein Länderspiel für Deutschland bestritten“ und damit „ein klares Zeichen gesetzt, für wen er spielen möchte“, dann ist das angesichts der gegenteiligen Aussagen des Spielers zweifellos vor allem der Versuch, möglichst unbeschadet aus der Sache herauszukommen.

Und daran hatte nun auch Dejagah mitzuwirken. Denn der Angreifer kann sich künftig seinen Flirt mit dem iranischen Verband sparen, weshalb es ihm leichter gefallen sein dürfte, jetzt die Sorge um die Unversehrtheit seiner Angehörigen im Iran offiziell als Grund für seine Weigerung anzugeben, gegen Israel zu spielen. Als er noch davon ausging, Nationalspieler des Iran werden zu können, war davon jedoch nichts zu hören – und ein solches Statement hätte seine Chancen auf einen Einsatz auch fraglos geschmälert, weil es als Kritik an den Mullahs gewertet werden kann. Wie man es auch dreht und wendet: Lautere Motive für Dejagahs Israel-Boykott kommen nicht dabei heraus. Selbst wenn es stimmt, dass er seine privaten Gründe bereits im Gespräch mit seinem U21-Trainer ausgeführt hat, stellt sich allemal die Frage, weshalb er danach in Interviews unbedingt von „politischen Gründen“ als „Deutsch-Iraner“ mit „mehr iranischem als deutschem Blut in den Adern“ sprechen und darüber hinaus auch noch offensiv mit der iranischen Nationalauswahl anbandeln musste, wenn er dem Regime in Wirklichkeit kritisch gegenübersteht.

Dass Dejagah mit seiner Nummer Diskussionen auslösen würde, war abzusehen, und sein plötzlicher Schwenk zum Regimekritiker ist reichlich unglaubwürdig. Entweder war ihm eine mögliche Karriere als Fußballer für die Auswahl des antisemitischen Mullah-Staates trotz allem dann doch wichtiger als die Unversehrtheit der Verwandten, die unter diesem leiden, weshalb die „privaten Gründe“ für die Abmeldung erst einmal keine Erwähnung fanden. Oder er hat aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht und mit der Absage seine offenen Sympathien für das Regime andeuten wollen, bevor er schließlich zurückgepfiffen wurde, weil jedes weitere Wort den DFB in noch größere Nöte gebracht hätte. Das vom Verband gepflegte Image wiederum, ein Vorkämpfer gegen Antisemitismus zu sein, müsste eigentlich schweren Schaden genommen haben. Einzig die Suspendierung Dejagahs von künftigen DFB-Spielen wegen seiner öffentlichen Stellungnahmen hätte es glaubhaft retten können. Doch diese Konsequenz blieb aus, und die späte Erklärung des DFB nährt außerdem den Verdacht, dass die offizielle Rechtfertigung des Fußballprofis, von den FIFA-Regelungen begünstigt, bloß eine abgekartete war. Gleichwohl überwiegt in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung das Verständnis für den Wolfsburger Spieler, und man neigt außerdem dazu, dem DFB-Präsidenten Zwanziger seine vehementen Beteuerungen zu glauben, obwohl sie auf tönernen Füßen stehen – und bisher folgenlos geblieben sind.

8.10.07

Spielt nicht gegen Juden

Wenn die deutsche U21-Nationalmannschaft am kommenden Freitag zu ihrem EM-Qualifikationsspiel in Tel Aviv gegen Israel antritt, wird einer, der normalerweise zum Aufgebot gehört, auf eigenen Wunsch nicht dabei sein: Ashkan Dejagah bat seinen Trainer Dieter Eilts um die Freistellung. „Das hat politische Gründe“, sagte der in der Bundesliga für den VfL Wolfsburg spielende Angreifer. „Jeder weiß, dass ich Deutsch-Iraner bin.“ Und als solcher will er nicht gegen die Juniorenauswahl des jüdischen Staates antreten.

Dejagah wurde am 5. Juli 1986 in Teheran geboren und wuchs in Berlin auf. Seine Eltern sind Iraner; er selbst hat jedoch auch einen deutschen Pass und ist deshalb für die Teams des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) spielberechtigt. Dessen ungeachtet könnte er später noch in die iranische A-Nationalmannschaft berufen werden – eine Möglichkeit, auf die Dejagah offensichtlich spekuliert: „Es gibt lockere Anfragen“, sagte er.

Würde er für die deutsche U21 gegen Israel spielen, käme ein Einsatz für den Iran jedoch nicht mehr in Frage. Denn der islamische Staat verbietet seinen Sportlern den Wettbewerb mit israelischen Aktiven und droht bei Zuwiderhandlung mit dem Ausschluss und weiteren Sanktionen. Bei den Olympischen Spielen 2004 trat der hoch favorisierte iranische Judoka Arash Miresmaeili deshalb nicht gegen den Israeli Ehud Vaks an.

In der Saison 2004/05 hatte der deutsche Rekordmeister FC Bayern München in der Champions League zwei Spiele gegen Maccabi Tel Aviv auszutragen. Bei den Bayern stand damals der inzwischen für Hannover 96 kickende iranische Nationalspieler Vahid Hashemian unter Vertrag. Der fehlte allerdings in den beiden Spielen gegen den israelischen Klub. Die offizielle Begründung lautete, der Stürmer sei verletzt. Dass diese Argumentation nur vorgeschoben war, lag gleichwohl nahe: Der iranische Verband hatte Hashemian mit Konsequenzen gedroht, sollte er mit den Münchnern gegen Maccabi spielen.

Dejagah hingegen ist deutscher Nationalspieler. Und dennoch hatte der DFB Verständnis für sein Ansinnen: „Er hat Trainer Dieter Eilts den Wunsch mitgeteilt. Wir haben darüber gesprochen und werden es akzeptieren“, tat Sportdirektor Matthias Sammer kund. DFB-Präsident Theo Zwanziger betonte zwar: „Ich würde das bedauern. Wenn wir anfangen, nach politischen Dingen aufzuteilen, wäre der Sport der große Verlierer.“ Doch weiter mochte er nicht gehen.

Deutlicher wurde da schon Friedbert Pflüger, der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus: „Das ist unmöglich und völlig inakzeptabel. Sonst fängt jeder an, sich auszusuchen, gegen wen er nicht spielen will.“ Auch eventuelle Sicherheitsbedenken des früheren Herthaners für sich und seine iranische Familie ließ Pflüger nicht gelten: „Er ist deutscher Staatsbürger, es würde in Israel alles für seine Sicherheit getan werden.“ Das bestätigte Ze’ev Seltzer, Jugendkoordinator des israelischen Fußballverbands: „Wir würden ihm einen freundlichen Empfang bereiten. Wir können zwischen Sport und Politik trennen.“

Es ist schon bemerkenswert, dass der DFB die Weigerung Dejagahs, gegen eine israelische Mannschaft zu spielen, ohne Weiteres hinnimmt, statt deutlich Position gegen die „politischen Gründe“ des Kickers zu beziehen und ihn für weitere Einsätze in DFB-Auswahlteams zu sperren, wenn er bei seinem Entschluss bleibt. Dass dem Wolfsburger ein Karriereknick droht, falls er in Tel Aviv aufläuft, kann jedenfalls kein Grund sein, ihn zu Hause zu lassen. Richtig wäre es vielmehr gewesen, Dejagah vor die Wahl zu stellen, entweder weiterhin mit allen Konsequenzen für den DFB zu spielen oder sich für den Iran zu entscheiden. So aber lässt der Fußballverband es nicht nur zu, dass ihm die Mullahs die Aufstellung diktieren; er unterstützt vor allem das antisemitische Regime in Teheran. Und das ist der eigentliche Skandal.

Hattips: Christian H., Martin T., Moritz G., Wolfram D.

Siehe auch den Kommentar zur weiteren Entwicklung der Causa Dejagah:
Talente bei der Imagepflege

6.10.07

Eine deutsche Dynastie

Wer am vergangenen Sonntag nach der Hälfte des Zweiteilers Die Frau vom Checkpoint Charlie, der schwerfälligen Anne Will und dem altgedienten Titel, Thesen, Temperamente immer noch nicht genug von der ARD hatte und auf die in den Fernsehzeitschriften angekündigte Dokumentation über Inge Meysel wartete, wurde überrascht: Statt eines Porträts der Schauspielerin servierte Das Erste mit Das Schweigen der Quandts eine Reportage über eine der betuchtesten deutschen Unternehmerfamilien und deren Verflechtungen mit dem Nationalsozialismus sowie die Nachkriegskarriere dieser Dynastie. Offiziell begründete die Rundfunkanstalt ihre scheinbar spontane Programmänderung damit, dass man die Dokumentation nach ihrer Vorführung auf dem Hamburger Filmfest zeitnah habe ausstrahlen wollen. Doch diese Argumentation ist wenig glaubhaft. Vielmehr dürften zwei andere Faktoren eine entscheidende Rolle gespielt haben: zum einen die Furcht, dass die Sendung im Zuge einer Klage der Familie Quandt per einstweiliger Verfügung ausgesetzt werden muss, und zum anderen die Hoffnung auf einen Coup, der Quote und medialen Nachhall bringt.

Das Unterfangen gelang: Knapp 1,3 Millionen Zuschauer sorgten für einen respektablen Marktanteil von 13,5 Prozent, und die Zeitungen berichteten ausführlich. Allenthalben weiß man nun, was im Grunde genommen gar nichts Neues ist: Die Quandts waren mit den Nazis untrennbar verschränkt und haben massiv von der Zwangsarbeit und den Konzentrationslagern profitiert; nach dem Krieg wurden sie zu Unrecht als unbelastet eingestuft und konnten ihre Laufbahn in der Bundesrepublik ohne jeden Nachteil fortsetzen. Sie retteten BMW erst vor der Pleite, führten den Konzern dann zu voller Blüte und gehören heute mit einem Vermögen von geschätzten 24 Milliarden Euro zu den reichsten Familien hierzulande. Eine typisch deutsche Bilderbuchkarriere, der die NS-Zeit keinerlei Abbruch tat, im Gegenteil: Sie war geradezu die Voraussetzung für Reichtum und Wohlstand.

Weil aber die Quandts die Zeichen der Zeit – im Gegensatz zu Konzernen wie Volkswagen, Allianz, Daimler, Continental oder der Deutschen Bank – nicht erkannten und sich strikt weigerten, ihre Geschichte aufzuarbeiten oder aufarbeiten zu lassen, weckten sie das Interesse der Filmautoren Eric Friedler und Barbara Siebert. Die wiesen nach, was sich die Quandts zuschulden kommen ließen und dass sie dafür nie zur Rechenschaft gezogen wurden. Daran ist überhaupt nichts Falsches, doch eine Frage drängt sich auf: Was sind die Konsequenzen? Deutsche Firmen, denen Zwangsarbeit und Konzentrationslager gerade recht kamen, gibt es sonder Zahl; Nachteile hatten sie nach dem Krieg gleichwohl allesamt nicht zu befürchten, bis Sammelklagen und damit Umsatzeinbußen in den USA drohten. Diesen begegneten sie mit der Gründung eines Entschädigungsfonds, der letztlich zur Erfolgsstory wurde: Mit gerade einmal zehn Milliarden Mark befreiten sich der deutsche Staat und die deutsche Wirtschaft höchst preiswert von allen Ansprüchen.

BMW war eines der Gründungsmitglieder dieses Fonds, doch das reichte den Filmemachern nicht: Sie wollten noch die formelle Anerkennung der Schuld durch die Quandts. Diese hatten nach der Ausstrahlung der Reportage über sie genau zwei Möglichkeiten: Sie konnten das beharrliche Schweigen fortsetzen oder sich dazu entschließen, die Familienhistorie offen legen zu lassen. Und nach anfänglichem Zögern entschieden sie sich für die letztgenannte Option: Der ARD-Film habe die Familie „bewegt“, hieß es in einer Erklärung der Dynastiemitglieder Susanne Klatten, Gabriele Quandt-Langenscheidt, Sven Quandt und Stefan Quandt. „Wir erkennen, dass die Jahre 1933 bis 1945 in unserer Geschichte als deutsche Unternehmerfamilie noch nicht ausreichend aufgearbeitet sind. Wir sind uns als Familie einig, dass wir mit diesem Teil unserer Geschichte offen und verantwortungsvoll umgehen wollen.“

Zu diesem Behufe soll nun ein eigens beauftragter Zeithistoriker im Rahmen eines „an wissenschaftlichen Kriterien ausgerichteten“ Forschungsprojektes die Vergangenheit der Familie unter die Lupe nehmen. Dafür wolle man Akten und Dokumente aus den Familienarchiven zur Verfügung stellen, versprachen die Quandts. Die Ergebnisse werde man dann der Öffentlichkeit vorlegen. Unabhängig davon, was dabei herauskommt, steht eines schon jetzt fest: Die Untersuchung wird ihnen nicht schaden. Es ist längst Konsens in der Bundesrepublik Deutschland, dass man sich offensiv zu seiner Vergangenheit bekennt, solange dadurch keine nennenswerten Kosten entstehen. Und da darf man inzwischen unbesorgt sein: Unter die Forderungen von ehemaligen Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen hat die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft im Juni einen Schlussstrich gezogen. Daher wird auch die BMW-Familie nicht mehr ihr Konto plündern müssen. Was bleibt, ist daher der Nutzen, den die Quandts wie die Deutschen überhaupt aus der Shoa ziehen dürfen. Er besteht aus dem moralischen Kredit namens Vergangenheitsbewältigung, der so preiswert zu haben war wie eine Badehose im Sommerschlussverkauf und inzwischen zu einem echten Investitionsvorteil geworden ist. Doch daran nimmt niemand Anstoß.

Zum Foto: Josef Goebbels mit Familie. Von links: Tochter Hildegard, Ehefrau Magda Goebbels – geschiedene Quandt –, Tochter Helga, Goebbels und Stiefsohn Harald Quandt. – Am 22. November 2007 wird Das Schweigen der Quandts im NDR wiederholt.

Hattips: barbarashm, Marlies Klein

3.10.07

Chill out in Vancouver

Raucher haben es schwer. Allenthalben wachen der Staat und seine Organe über die körperliche Unversehrtheit ihrer Bürger, warnen großflächige Tafeln und kleine Aufkleber vor den Gefahren von allem, was qualmt. In immer mehr Ländern wird den Schmökern untersagt, in der Öffentlichkeit – und dazu zählen Verwaltungsgebäude genauso wie Taxis, Bahnhöfe und sogar Kneipen – ihrem Bedürfnis nachzugehen. Im kanadischen Vancouver ist das nicht anders – zumindest für die meisten. Denn der Stadtrat hat kürzlich eine Ausnahmegenehmigung beschlossen, nach der in den Wasserpfeifen-Etablissements weiterhin gepafft werden darf. Diese seien schließlich, so hieß es zur Begründung, ein „wichtiger kultureller Raum“ für Muslime. Emad Yacoub, ein Restaurantbetreiber in Vancouver, freute sich über die Entscheidung: Solche öffentlichen Räumlichkeiten seien „essenziell für Immigranten aus Kulturen, in denen Wasserpfeife geraucht wird, weil ihnen das hilft, mit den unter Neuankömmlingen verbreiteten Depressionen fertig zu werden und sich wie zu Hause zu fühlen“.

Nun hat es bereits eine Menge Sonderregelungen für Anhänger des Islams gegeben, von muslimischen Fußbädern auf dem Flughafen von Kansas und nach Geschlechtern getrennten Schwimmbädern in Deutschland und Frankreich über die Streichung der Schweinefleischgerichte von den Karten australischer Restaurants bis hin zum Verbot für belgische Polizisten, während des Ramadan Donuts zu essen. Aber die Außerkraftsetzung der Nichtraucherbestimmung für eine ausgewählte Personengruppe in einer kanadischen Großstadt hat ihre ganz eigene Qualität, zumal mit ihr dem nämlichen Kreis gewährt wird, was anderen strikt untersagt ist, wiewohl diese sich auch zu Hause fühlen wollen und deshalb mit einigem Recht auf ihr Recht pochen: „England war eine Zigaretten- und Pfeifenkultur“, bemerkte der bekannte kanadische Blogger Jay Currie. „Das Kanada der Arbeiterklasse war eine Zigarettenkultur. Viele griechische Restaurantbesitzer in Vancouver, die ich kenne, kommen aus einer Zigarettenkultur. Punkrocker sind eine Zigarettenkultur. Aber hey, sie sind keine Muslime und jagen nicht mitten in ihrer Depression irgendwas in die Luft.“

Doch das war nicht der einzige Einwand gegen den Erlass, den Currie hatte; vielmehr verwies er auch auf das, sagen wir, kulturrelativistische Flair der Stadtratverfügung: „Eines der Probleme mit der multikulturellen Haltung und der kulturellen Sensibilität besteht darin, dass diese zu solch rassistischen Ergebnissen führen“, schrieb er. „Indem man eine spezielle Ausnahme für Muslime macht – die die einzige Immigrantengruppe zu sein scheinen, die aktiv diese Art ‚kultureller Gefälligkeiten’ fordert –, erklärt man die muslimischen Bürger grundsätzlich einer speziellen Behandlung für würdig und gleichzeitig der Gesundheitsbelange für unwürdig, die angeblich die Basis der generellen Rauchverbote darstellen.“ Der kanadische Journalist Mark Steyn wiederum stellte darauf ab, dass Islamgläubige durch den Beschluss de facto für mündiger erklärt werden als die übrige Gesellschaft: „Der Staat, in anderen Worten, behandelt Muslime als frei geborene Erwachsene, die den ‚kulturellen Wert’ (das heißt: das Vergnügen) des Rauchens gegen die Gesundheitsrisiken abwägen können. Aber nicht den Rest von uns.“

Dieser Rest hat nun jedoch – zumindest in Vancouver – die Möglichkeit, dem Gesundheitsterror zu entkommen: Er kann einfach zum Islam konvertieren. Vielleicht ist das aber auch nur eine besonders ausgefallene Strategie der lokalen Behörden, Menschen von der Kippe fern zu halten.

Übersetzungen: Lizas Welt – Hattips: barbarashm, Niko Klaric

2.10.07

Überspringender Funke

Wenn man wissen will, was man von der Einladung Mahmud Ahmadinedjads an die Columbia University in New York und seiner Rede dort zu halten hat, fragt man – zumal als Seriosität beanspruchendes Medium – gleich wen? Natürlich einen Politikwissenschaftler, und damit einen aus jener Zunft, deren Wirken vor allem in einer Politikberatung besteht, die sich an allzu deutschen Bedürfnissen orientiert. Das gilt auch und gerade für Hochschulen, die dereinst als linke Kaderschmieden gelten konnten und dabei den unumstößlichen Anspruch verfochten, kritisch zu sein gegenüber den Zuständen im eigenen Land. Was dabei mittlerweile herausgekommen ist, demonstrierte jüngst (und nicht zum ersten Mal) Hajo Funke (62), immerhin Professor am Otto-Suhr-Institut (OSI) der Freien Universität Berlin seit 1993, in einem Interview mit dem Deutschlandradio. Ein Auftritt des iranischen Präsidenten an einer akademischen Lehranstalt in Deutschland sei „schlicht undenkbar“, sagte er dem Sender. Schließlich leugne Ahmadinedjad den Holocaust, und das sei hierzulande „aus gutem Grund strafbar“. Gleichwohl müsse man „mit dem Feind über Dinge, die zu klären sind, reden“, weshalb er eine Einladung zum Zwecke „fairer und direkter Verhandlungen“ unbedingt begrüße.

Holocaustleugner lässt man also besser nicht sprechen, doch man lädt sie ein, um mit ihnen zu einem Deal zu kommen – eine bemerkenswerte Logik. Vielleicht ist es aber auch gar kein Widerspruch, den Funke da von sich gegeben hat, sondern einfach nur die Legitimation des geschichtspolitischen Status quo, den Massenmord an den Juden irgendwie produktiv zu machen – wenn schon nicht für die Vergangenheit, dann qua Bewältigung umso mehr für die Gegenwart. Also kommt Ahmadinedjad Funke wg. Holocaustleugnung – und nur deshalb – „nicht ins Haus“, aber im Grunde genommen findet der Politologe es schade, dass es dieses Hindernis gibt. Schließlich sei Ahmadinedjad „kein Diktator“, und daher müsse man sich „mit den Machthabern im Iran um einen Kompromiss bemühen“. In diesem Zusammenhang hielt Funke auch gleich ein paar gute Ratschläge für den Präsidenten der Columbia University, Lee Bollinger, und darüber hinaus auch für die amerikanische Regierung bereit: Man dürfe „das Nicht-Kommunikative“ nicht zu sehr verschärfen und möge sich, statt den iranischen Regimeführer zu „beleidigen“, lieber mit ihm auf ein offenes Frage-Antwort-Spiel einlassen.

Denn Mahmud Ahmadinedjad wolle keinen Krieg – „und ich glaube, dass das richtig ist“ –, er beabsichtige keinesfalls die Vernichtung Israels und strebe zudem eine Beilegung des Atomstreits an, behauptete Funke. „Das sind drei für die internationalen Beziehungen zentrale Aussagen, für die man nur dankbar sein kann.“ Also sollten sich die USA und der Iran ins Gespräch begeben, auf Augenhöhe im Weißen Haus sozusagen. Das ist für einen deutschen Politikwissenschaftler allen Ernstes die Quintessenz aus dem Auftritt des Mullah-Führers an einer bedeutenden amerikanischen Universität: Ahmadinedjad hat sich glaubwürdig als Friedenstäubchen präsentiert, das dem jüdischen Staat kein Haar krümmen will. Wenn sich Funke gleichzeitig angeblich nicht vorstellen kann, derlei in Deutschland stattfinden zu lassen, dann handelt es sich bloß um eine taktische Finte. Und die ist schon deshalb so durchsichtig, weil es keinen Holocaustleugner gibt, der nicht zum Ziel hat, Israel lieber heute als morgen dem Erdboden gleichzumachen. So sehen sie aus, die viel beschworenen Lehren aus der Geschichte: Um die toten Juden kümmert man sich rührend, die lebenden jedoch sind Verhandlungsmasse. Das ist kein Appeasement, das ist Kollaboration.

Hattip: barbarashm