28.11.07

Aus der Propagandaschleuder

Ach, ist das schön, dass es das frühere FDJ-Blatt junge Welt noch gibt, die tägliche Pflichtlektüre für den griesgrämigen Zoni und den schlecht gelaunten Westlinken. Denn die Presselandschaft litte fraglos derben Mangel, sollte die Propagandaschleuder aus der Berliner Karl-Liebknecht-Straße dereinst vom Schlitten steigen und ihre Leser- wie Belegschaft dem Klassenfeind überantworten müssen – der mediale Globus wäre jedenfalls um eine echte Rarität ärmer. Doch einstweilen wehrt sich die Postille noch wacker gegen ihren Untergang, und abgesehen davon, dass man so viel kindlichem Trotz fast schon wieder mit einer gewissen Anerkennung begegnen möchte, ist es vor allem der sprichwörtliche Bierernst, mit dem in dieser Zeitung so überholte wie widerlegte Dogmen immer wieder aufgesagt werden, der sich ein ums andere Mal ungewollt in sein genaues Gegenteil verkehrt und so selbst scheinbar sachliche Darstellungen zur nachgerade humorigen Groteske mutieren lässt.

Jüngstes Beispiel ist die heutige Titelstory, verfasst von Rüdiger Göbel, einem der beißwütigsten Kettenhunde des deutschen Antiimperialismus. „Frei nach dem Motto der US-Friedensbewegung ‚Nicht in unserem Namen’ haben Zehntausende Palästinenser gegen die Nahostkonferenz von Annapolis demonstriert“, weist er bereits zu Beginn seines Leitartikels die engagiertesten und entschlossensten Judenhasser als fromme Lämmchen aus, die zugleich jedoch ein Hauch von Seattle und Heiligendamm umweht: „Während die Proteste am Dienstag im Gazastreifen von der regierenden Hamas unterstützt wurden, gingen im Westjordanland bewaffnete Fatah-Milizen gegen Gipfelgegner vor.“ Die Gegenüberstellung zwischen (legitimer) „Regierung“ und (illegitimen) „Milizen“ ist dabei natürlich kein Zufall, denn die Nationalbolschewiken unterstützen selbstverständlich die Mörderbande Hamas, für sie das zarte Pflänzchen genuiner Volksherrschaft inmitten des ganzen fremdbestimmten Unkrauts.

„Die Entscheidungen, die in Annapolis getroffen werden, sind für das palästinensische Volk nicht bindend“, zitiert Göbel denn auch einen Hamas-Sprecher, um ihm sogleich zärtlich mit einem „Wie auch?“ unter die Arme zu greifen. Denn wenn die Masse es so will, ist selbst der Islamofaschismus lupenreinste Demokratie und daher entschiedene Empörung angesagt: „Obwohl die Hamas bei den letzten regulären Wahlen in den palästinensischen Gebieten die absolute Mehrheit der Stimmen erzielt hatte, war sie nicht in die USA eingeladen worden.“ Das wollte sie zwar nachweislich auch gar nicht, aber was soll man sich groß mit solchen Nebensächlichkeiten aufhalten, wenn der Ruf „Plenum!“ ohnehin viel lieblicher klingt: „Und so hatte die Organisation am Montagabend in Gaza kurzerhand eine ‚Gegenkonferenz’ veranstaltet, um auf ‚Gefahren einer Normalisierung der Beziehungen zu Israel’ hinzuweisen.“ Wie sich dieser „Hinweis“ konkret anhörte, dokumentiert Göbel – vermutlich bloß aus Platzgründen – nicht, deshalb sei der Wortlaut hier auszugsweise nachgereicht: Annapolis sei für die Palästinenser „eine zweite Nakba“, ließ die Hamas verlautbaren, George W. Bush ein „Kreuzzügler“ und „Zionist“ und „ganz Palästina muslimisch“. Schließlich gelte: „Das Recht auf Rückkehr nach Haifa, Jaffa und Jerusalem ist nicht verhandelbar“.

Alsdann kommen auch noch die Mullahs ins Spiel – mit einer Idee, die Göbel höchst attraktiv findet und entsprechend zu verpacken weiß: „Iran lud am Dienstag Interessierte für die kommenden Tage zu einem alternativen Nahostgipfel ein“, schreibt er. Was auf solchen „alternativen Gipfeln“ verhandelt wird, weiß man nicht erst seit der Holocaustleugner-Konferenz in Teheran vor knapp einem Jahr – und diesmal wird es zweifellos nicht anders sein, wie der junge Welt-Redakteur per ausführlichem Zitat bestätigt: „Vertreter aller palästinensischen Organisationen, ‚die für die Befreiung ihres Landes kämpfen’, würden in dieser oder der kommenden Woche erwartet, sagte Regierungssprecher Gholamhossein Elham in der iranischen Hauptstadt. ‚Annapolis repräsentiert nicht die Palästinenser und läuft ihren Rechten zuwider.’ Israel habe als Besatzungsmacht in den palästinensischen Gebieten ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit’ zu verantworten und besitze daher keine Legitimität.“ „Befreiung ihres Landes“ ist halt schlicht ein Synonym für Judenvernichtung.

Zum Schluss folgt noch ein aufmunternder Ruf nach ganz drüben: Ihr seid nicht alleine! „Es blieb Nichtregierungsorganisationen vorbehalten, auf die ‚humanitäre und politische Krise’ im Gazastreifen aufmerksam zu machen“, lobt Rüdiger Göbel die kämpfende Basis: „40 internationale, israelische und palästinensische Gruppen forderten zum Gipfelbeginn ein sofortiges Ende der israelischen Blockade und ein Ende der internationalen Isolation.“ In dem dazugehörigen Aufruf werden die obligatorischen Mythen verbreitet, inklusive der Klagen über die „stetigen Verschlechterungen in den Bereichen Bildung, medizinische Versorgung, Beschäftigung und Wirtschaft“; der Gazastreifen sei nämlich ein einziges großes Gefängnis für 1,5 Millionen Palästinenser, die „ein Leben ohne überlebensnotwendige Mittel und ohne Entwicklungsmöglichkeiten“ führten. Schuld daran ist – natürlich – Israel, das sich zwar aus Gaza zurückgezogen hat, aber dennoch für alles verantwortlich sein soll, was dort passiert; das den Raketenbeschuss genauso gleichmütig ertragen soll wie die Vernichtungsdrohungen; das die Bevölkerung mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgen soll, obwohl die Hamas entsprechende Lieferungen immer wieder zurückweist, und das die Grenzkontrollen abschaffen möge, obwohl vollkommen klar ist, wozu die Hamas das nutzen wird.

Aber Dogma ist Dogma – in der palästinensischen wie in der jungen Welt –, und daher darf und soll sich nichts ändern, selbst wenn alles in Scherben fällt. Eine gute Nachricht aus Annapolis gab es dabei sogar für Göbel und die Seinen: Mahmud Abbas hat bereits angekündigt, eventuelle Verhandlungsergebnisse mit Israel in einem Referendum zur Abstimmung zu stellen. Da wird die Propagandaschleuder wieder auf Hochtouren laufen, bevor sie dann irgendwann vielleicht doch über den Jordan geht.

26.11.07

Hansestadt ohne Pietät

Schon wieder eine Auszeichnung für Tony Judt in Deutschland: Nachdem ihm bereits die Stadt Osnabrück vor knapp drei Monaten für sein „engagiertes Eintreten für Meinungsfreiheit, Multilateralismus und friedliche Konfliktlösung“ einen nach Erich Maria Remarque benannten Friedenspreis schenkte, bedenkt der Bremer Senat den New Yorker Professor für Europäische Studien am kommenden Freitag mit dem diesjährigen Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken. „In ihrer Begründung würdigte die Jury Tony Judt als eine Persönlichkeit, die sich in der öffentlichen Debatte über Europa und den Westen auf vielfältige Weise engagiere“, heißt es in einer Presseerklärung: „als Historiker, der wisse, dass historische Ereignisse nicht ohne ihre vielfältigen Kontexte verstanden werden können, als politischer Denker, der seine Sicht auf die Geschehnisse der Zeit in die öffentliche Kontroverse einbringe, schließlich als politischer Essayist, der streitbarer Zeuge seiner Zeit sei.“ Und damit nicht genug: „Die Jury würdigt mit der Preisvergabe auch seinen Einsatz für ein besseres Verständnis Europas im amerikanischen Raum, ein Verständnis, das nicht von unüberbrückbaren Gegensätzen, sondern von einer streitbaren Auseinandersetzung über eine gemeinsame Gegenwart und Zukunft ausgeht.“

Was die Bremer Landesregierung da mit immerhin 7.500 Euro honoriert, lässt sich unter anderem in einem über tausend Seiten starken Wälzer nachlesen, den Judt (Foto) unlängst vorgelegt hat: Die Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart. Der Zweite Weltkrieg ist ihm darin eine allgemeine „Katastrophe, in die Europa sich gestürzt hatte“ und die irgendwie allerlei Opfer produziert habe, hüben wie drüben sozusagen. Wer will es da schon genauer wissen, zumal es von „den Vorstellungen einiger hochrangiger Nazis abgesehen“ im Krieg doch gar „nicht um die Juden“ gegangen sei – deren Vernichtung demzufolge offenbar so eine Art Kollateralschaden gewesen sein muss – und „die größten materiellen Zerstörungen“ darüber hinaus gar nicht von den Deutschen verursacht worden seien, sondern durch „die beispiellosen Luftangriffe der Westalliierten in den Jahren 1944 und 1945“ sowie den „unerbittlichen Vormarsch der Roten Armee nach Westen“. Ursache und Wirkung werden dabei völlig verdreht oder unkenntlich gemacht, und zum Schluss haben eben alle irgendwo „Kriegsverbrechen“ begangen. Auschwitz ist für Judt auch keine deutsche, sondern eine europäische Tat und deshalb so eine Art europäischer Gründungsakt, ein Erbe, das letztlich zur Sinnstiftung taugt, denn „die wieder entdeckte Erinnerung an Europas tote Juden“ sei schließlich „Definition und Garantie für die wiedergefundene Humanität des Kontinents“.

Und wenn es tote Juden sind, die das ideologische Gefüge zusammenhalten sollen, stören die (über)lebenden zwangsläufig umso mehr. Deshalb ist Judt auch der Staat Israel ein veritabler Dorn im Auge, denn dass dieser die Konsequenz aus der Vernichtung der europäischen Juden ist, kann und darf nicht sein. Israel sei „ein verspätetes Gebilde“, schrieb der Brite daher schon 2003, ein „typisches separatistisches Projekt des späten 19. Jahrhunderts“, das „in eine Welt importiert“ worden sei, „die sich weiterentwickelt hat“ – und zwar „in eine Welt der Menschenrechte, der offenen Grenzen und des Völkerrechts“. Dass es seit 1948 noch diverse Staatsgründungen gab und insbesondere nach 1989 so ziemlich jedes Völkchen eigene Pässe drucken durfte, ficht den Historiker dabei nicht an, schließlich geht es nicht um irgendwen: Die „Idee eines ‚jüdischen Staates’ an sich“ habe „ihre Wurzeln in einer anderen Epoche und in einer anderen Region“. Das heißt: „Israel ist, kurz gesagt, ein Anachronismus“, in dem sich „eine Volksgruppe – eben die jüdische – über die anderen erhoben hat. Obwohl heute für einen solchen Staat eigentlich kein Platz mehr ist“ – zumal die israelische Regierung ohnehin nur aus „Faschisten“ bestehe.

Das wird es wohl sein, was der Bremer Senat meint, wenn er Tony Judt als „politischen Denker“ rühmt, „der seine Sicht auf die Geschehnisse der Zeit in die öffentliche Kontroverse“ einbringe, und ihn als „politischen Essayisten“ feiert, „der streitbarer Zeuge seiner Zeit“ sei. Denn auch wenn die Jury nicht explizit auf die Invektiven des Preisträgers gegen den jüdischen Staat Bezug nimmt, darf man zweifellos mit einigem Recht davon ausgehen, dass sie sie zumindest wohlwollend zur Kenntnis genommen hat. Dieser Auffassung ist auch die Jüdische Gemeinde Bremens, die in einem offenen Brief an die Jury, den Senat und die den Preis mitfinanzierende Heinrich-Böll-Stiftung gegen die Ehrung protestiert: „Der Historiker Judt ist bei weitem nicht so anerkannt und gepriesen wie der Israelkritiker Judt“, heißt es darin. „Als Erbe Edward Saids vertritt er die offizielle palästinensische propagandistische Sicht auf die Geschichte, samt den erfundenen und verdrehten Fakten sowie dem antiisraelischen Vokabular.“ Judts Methode sei es, „Zitate, die seine Meinung untermauern, zu manipulieren oder schlicht zu erfinden“, und „sein Programm eines binationalen Staates ist, nach den treffenden Worten Leon Wieseltiers, ‚keine Alternative für Israel’, sondern ‚die Alternative zu Israel’“.

Hannah Arendt würde sich vermutlich im Grabe umdrehen, wüsste sie, wem man da eine nach ihr benannte Auszeichnung gewährt. „Will man auf solche Weise ein gutes Gewissen herzaubern, indem man sagt, sie sei eine Kritikerin Israels gewesen, die Preisverleihung an Judt geschehe ihr also ganz recht?“, fragen Elvira Noa und Grigori Pantijelew stellvertretend für das Präsidium der Bremer Jüdischen Gemeinde. „Wir würden dies als Pietätlosigkeit bezeichnen.“ Arendt selbst sagte einmal, auch das vermeintlich „andere“ und „bessere“ Deutschland, das aus seiner Geschichte gelernt zu haben glaubt, sei „noch durch einen Abgrund von der zivilisierten Welt getrennt“. Wie Recht sie bis heute hat, zeigt sich in Bremen einmal mehr. Am Tag nach seiner Huldigung nimmt Tony Judt übrigens im Institut Français der Hansestadt an einem Diskussionsforum teil – „in Erwartung einer Israel-Debatte“, wie die taz bereits frohlockt. Das Thema der Debatte: „Bedrohung und Politik“. Vielleicht kommen ja Mearsheimer und Walt auf einen Plausch vorbei. Schließlich tingeln die gerade mit ihrer Neuauflage der Protokolle der Weisen von Zion durch die Republik.

Hattips: Jan-Philipp Hein, Moritz A.

22.11.07

Ente oder Déjà-vu?

Eine Meldung, die gestern über den Ticker der Deutschen Presse-Agentur (dpa) lief, weckte Assoziationen zu den Diskussionen, die es vor wenigen Wochen um den Fußballprofi Ashkan Dejagah gab: Nachdem der für den VfL Wolfsburg kickende Deutsch-Iraner sich geweigert hatte, mit der U 21-Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes in Israel anzutreten, soll nun der in Emden geborene, frühere Freiburger, Lübecker, Kaiserslauterer und Koblenzer Spieler Ferydoon Zandi (Foto) – wie Dejagah im Besitz sowohl der deutschen als auch der iranischen Staatsangehörigkeit – das Training beim zyprischen Erstligisten Apollon Limassol abgebrochen und den Klub verlassen haben, weil dieser einen israelischen Coach verpflichtete. Das behauptete jedenfalls die iranische Nachrichtenagentur Fars, die von der dpa als Quelle zitiert wurde. Doch Zandi dementierte: „Ich bin gar nicht mehr bei Limassol unter Vertrag. Ich wohne zurzeit in Hamburg, halte mich selbst fit und werde wohl in den nächsten Tagen einen Vertrag im Ausland unterschreiben“, sagte er nach Auskunft der Bild-Zeitung. Und er ergänzte: „Falls ich dort noch unter Vertrag wäre, sähe ich kein Problem, unter einem israelischen Trainer zu spielen. Fußball ist Fußball, Politik ist Politik.“

Auf den einschlägigen Internetseiten herrscht nun Verwirrung. Die in der Regel aktuelle und zuverlässige Website transfermarkt.de beispielsweise gab zunächst an, Zandi habe nur bis zum Sommer dieses Jahres in Zypern gespielt und sei seitdem vereinslos, änderte im Laufe des gestrigen Abends jedoch ihren entsprechenden Eintrag. Auf der Seite weltfussball.de wiederum liest man, der Profi sei tatsächlich nur bis zum Juni für Apollon Limassol tätig gewesen und derzeit ohne Arbeitgeber. Folgt man hingegen dem Fachmagazin kicker und Zandis (selten aktualisierter) Homepage, spielt der 28jährige immer noch in der zweitgrößten Stadt der Mittelmeerinsel. Bild widerspricht dem freilich und zitiert dazu den neuen, israelischen Trainer Apollons, Yossi Mizrahi, mit den Worten: „Er ist schon vor einem Monat weg, ich kenne Zandi gar nicht.“

Man wird also abwarten müssen, was in den nächsten Tagen an Informationen kolportiert wird. Ferydoon Zandis Auskunft scheint fürs Erste allerdings glaubwürdiger als die einer iranischen Nachrichtenagentur, die vor allem handfeste Propaganda für das Mullah-Regime betreibt – zumal auch die Interviews, die der Sohn einer deutschen Mutter und eines iranischen Vaters bisher gegeben hat, darauf schließen lassen, dass es sich bei ihm durchaus nicht um einen antisemitischen Eiferer handelt. Denn nicht zuletzt die Gespräche, die der Spiegel und das Fußballmagazin 11 Freunde vor zwei Jahren mit Zandi geführt haben, zeigen, dass sich der Deutsch-Iraner nicht leicht mit seinem Entschluss getan hat, nach fünf U 21-Länderspielen für sein Geburtsland letztlich doch für den Iran aufzulaufen, und dass er das nicht tat, weil er die politischen Ziele dieses Landes teilt.

„Für mich war es gar nicht die Frage, ob ich für Iran oder für Deutschland antrete, sondern: Will ich überhaupt für Iran spielen?“, äußerte sich der 55fache Bundesligaspieler gegenüber dem Spiegel. „Ich wusste nicht, ob es moralisch die richtige Entscheidung ist“, sagte Zandi, der nach eigenen Angaben bis dato lediglich einmal als Kleinkind in dem Land war und seine Informationen über den Iran vor allem über Bekannte bezog, die ihm erzählten, „wie schön es dort ist und dass sie immer wieder gerne dort hinfahren“. Persisch spreche er leidlich gut; mit dem Schreiben hapere es allerdings noch. Er sei konfessionslos, doch „was die Mentalität und viele Wertvorstellungen betrifft, passe ich sicher zum Islam“, sagte er zu 11 Freunde. Fragen zu Israel wich er lieber aus: „Es gibt sicherlich politische Dinge, über die man streiten kann. Aber da will ich lieber nichts groß zu sagen“, verweigerte er dem Spiegel eine konkrete Auskunft, um dann in 11 Freunde zu befinden: „Ich persönlich bin mir sicher, dass alle iranischen Spieler zum sportlichen Wettkampf mit einer israelischen Mannschaft bereit wären. Es gibt aber politische Dinge, auf die wir Sportler keinen Einfluss haben.“

Damit verhält sich Zandi letztlich so wie die allermeisten iranischen Sportler: Die Karriere genießt höchste Priorität. Das Mullah-Regime verbietet Wettkämpfe mit Athleten des jüdischen Staates und droht für den Fall der Zuwiderhandlung mit massiven Repressalien. Offenen Widerspruch dagegen tut praktisch niemand kund. Das ist nicht zuletzt hinsichtlich der Frage von Bedeutung, was Ahmadinedjad und die Seinen eigentlich unternähmen, wenn ein nennenswerter Teil der iranischen Aktiven deutlich machte, weder mit den Vernichtungsplänen gegen Israel noch mit der massiven Repression im Inneren einverstanden zu sein. Teheran setzt aus Gründen der Reputation, des Images und des Strebens nach „Normalisierung“ stark auf sportliche Erfolge, doch die sind nur mit den Besten der Guten zu erreichen. Und wenn die sich kollektiv dem politischen Ansinnen der Islamisten verweigerten, hätten diese zweifellos ein Problem.

Der ehemalige deutsche Junioren-Nationalspieler Ferydoon Zandi mochte diesbezüglich jedoch nicht die Initiative ergreifen; inzwischen hat er 18 Länderspiele für den Iran bestritten, davon zwei während der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Ein Problem, „unter einem israelischen Trainer zu spielen“, will er gleichwohl nicht haben. Der Praxistest, er steht nach dem derzeitigen Stand der Dinge jedoch noch aus.

20.11.07

Ende einer Menschenhatz

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Österreich ein weiteres Mal wegen seiner Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit verurteilt und gleichzeitig eine Entscheidung des Wiener Oberlandesgerichts aus dem Jahr 2002 kassiert. Das OLG hatte seinerzeit die Behauptung der rechtsradikalen österreichischen Wochenzeitung Zur Zeit und ihres Herausgebers Andreas Mölzer (Foto), „der jüdische Journalist Karl Pfeifer“ habe eine „Menschenhatz“ auf den Politologen Werner Pfeifenberger eröffnet und ihn dadurch in den Tod getrieben, als „zulässige Wertung“ eingestuft und eine Klage Pfeifers abgewiesen. Der zog deshalb vor den EGMR und bekam dort nun Recht.

Seinen Ursprung hatte das Verfahren dabei vor mehr als zwölf Jahren. Der damals an der Fachhochschule Münster lehrende österreichische Politikwissenschaftler Werner Pfeifenberger hatte 1995 dem Jahrbuch für politische Erneuerung der FPÖ einen Aufsatz mit dem Titel „Internationalismus gegen Nationalismus – eine unendliche Todfeindschaft?“ überlassen und in ihm stramm antisemitische Ansichten vertreten. (1) So schrieb er beispielsweise von einem „jüdischen Krieg“ gegen Deutschland, der „nicht im September 1939“ ausgebrochen sei und „nicht im Mai 1945“ geendet habe: „Er ist viel älter und wird als allgegenwärtiger Nachkriegskrieg bis zum heutigen Tage ausgetragen, mit anderen Mitteln, auf anderer Ebene, aber nicht weniger hasserfüllt und nicht weniger verderblich als vor einem halben Jahrhundert. Die Hasstiraden der Verleumdungskampagne gegen Kurt Waldheim sollten noch einmal jedermann deutlich vor Augen führen, dass dieser Weltkrieg noch lange nicht ausgestanden ist.“ Pfeifenbergers Ausfälle gipfelten in der Behauptung, „dass ‚Judäa’ kurz nach Amtsantritt der nationalsozialistischen Regierung nicht nur dieser, sondern ganz Deutschland den Krieg erklärte“.

Karl Pfeifer befand daraufhin in einem Beitrag für die Zeitung der Israelitischen Kultusgemeinde Wiens, Pfeifenberger wärme „die alte Nazi-Mär von der jüdischen Weltverschwörung langatmig auf“, nehme eine „klassische Täter-Opfer Umkehr“ vor und verwende „Nazidiktion“. (2) Der Politikprofessor wollte diese Einschätzungen nicht akzeptieren und versuchte, sie gerichtlich untersagen zu lassen. Damit scheiterte er jedoch, denn sämtliche Instanzen betrachteten Pfeifers Urteile als zulässige Äußerungen. In der Zwischenzeit war – vor allem durch die nimmermüden Aktivitäten studentischer Gruppen – auch die Leitung der Fachhochschule Münster auf die rechtsradikalen Auslassungen ihres Professors aufmerksam geworden; 1997 entband sie ihn von seiner Lehrtätigkeit. Nachdem die anschließende fristlose Kündigung durch das Land Nordrhein-Westfalen durch ein Gericht für ungültig erklärt worden war, wurde der Apartheid-Sympathisant Pfeifenberger 1999 an die FH Bielefeld versetzt, wo er nicht mehr lehren, sondern „nur“ noch forschen durfte.

Mittlerweile war gegen ihn in Österreich zudem ein Strafverfahren wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung eingeleitet worden. Noch vor der Hauptverhandlung, die Ende Juni 2000 stattfinden sollte, stürzte Pfeifenberger in den Alpen in den Tod. Mehrere Nachrichtenagenturen meldeten daraufhin, der Politologe habe Selbstmord begangen. Doch die rechtsradikale Zeitschrift Zur Zeit sah das erwartungsgemäß anders: Für sie war Pfeifenberger das Opfer einer „Jagdgesellschaft“ mit Karl Pfeifer an der Spitze. Denn der habe mit seinem Artikel aus dem Jahr 1995 „eine Menschenhatz eröffnet, die in der Folge bis zum Tod des Gehetzten gehen sollte“, schrieb Zur Zeit in einem Beitrag mit dem Titel „Tödlicher Tugendterror“, der unter einem Pseudonym veröffentlicht wurde. Unter dem Text befanden sich steckbriefartige Porträts von zehn Personen, die von dem Blatt für den Tod Pfeifenbergers verantwortlich gemacht wurden. Der Herausgeber der Gazette, Andreas Mölzer, startete zudem eine publizistische Kampagne gegen Pfeifer und bezeichnete ihn selbst in Bittbriefen an die Abonnenten als „mörderischen Hetzer“.

Der Wiener Journalist, der 1938 vor den Nazis fliehen musste, verklagte daraufhin Zur Zeit und Mölzer wegen übler Nachrede. Zunächst bekam er Recht; die Zeitung und ihr Chef wurden im März 2001 zu einer Zahlung von 3.650 Euro verurteilt. Doch das Wiener Oberlandesgericht kippte diesen Beschluss in mehreren Entscheidungen zwischen Oktober 2001 und August 2002: Zunächst befand eine Richterin – die eine harmlose Karikatur Jörg Haiders als Teufelchen noch für „grob ehrenrührig“ gehalten hatte –, der Vorwurf einer mörderischen Menschenhatz sei eine „zulässige Meinungsäußerung“; schließlich habe Zur Zeit bloß eine „Schlussfolgerung und Wertung“ vorgenommen und „keine Tatsachenbehauptung“ aufgestellt. (3) Danach revidierte der schon für die erste Instanz zuständige Richter plötzlich seine Meinung, stufte eine Beleidigung, die er wenige Monate zuvor noch mit einer Geldstrafe geahndet hatte, nun als „zulässige Kritik“ ein und sprach Andreas Mölzer frei. Schließlich bekräftigte das OLG Wien diese Urteile erneut: Zur Zeit und ihr Herausgeber hätten ihre Äußerungen über Karl Pfeifer auf ein „ausreichendes Tatsachensubstrat“ gestützt, das die „Wertung“, Pfeifenberger sei Opfer einer Jagd geworden, „für möglich erscheinen lässt“.

Pfeifer rief daraufhin den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an und bekam dort nun Recht: Der EGMR sah in dem OLG-Urteil eine Missachtung des Artikels 8 (Recht auf Schutz des Privatlebens) der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die von Zur Zeit und Andreas Mölzer erhobenen Beschuldigungen ließen sich auch nicht mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung rechtfertigen, befanden die Richter, denn der Journalist sei einer kriminellen Handlung bezichtigt worden, ohne dass die ihm gegenüber erhobenen, schwer wiegenden Anschuldigungen mit Fakten untermauert worden seien. Für den materiellen und immateriellen Schaden wurde ihm eine Entschädigung von insgesamt 15.000 Euro zugesprochen. Karl Pfeifer war erleichtert: „Ich bin dem EGMR dankbar, dass ich nicht mehr dieser Justiz ausgeliefert bin“, sagte er. Er kritisierte zudem die „Schlampigkeit und Einäugigkeit“ der österreichischen Behörden sowie die staatliche Förderung für Zur Zeit, die sich allein zwischen 2004 und 2006 auf rund 137.000 Euro belief.

Das Urteil, mit dem eine grobe Fehlentscheidung des Oberlandesgerichts in Wien korrigiert und die Hatz auf Karl Pfeifer beendet wurde, ist eine schallende Ohrfeige sowohl für die österreichische Justiz als auch für Andreas Mölzer und sein Organ. Pfeifer hatte den Beitrag eines rechtsradikalen Politikprofessors zutreffend als antisemitisches Pamphlet analysiert, nicht mehr und nicht weniger. Und selbst wenn Werner Pfeifenberger Suizid begangen haben sollte, weil er die Konsequenzen seines Wirkens nicht ertragen konnte oder wollte, so lag das allein in seiner Verantwortung. Dass österreichische Gerichte anschließend die antisemitischen Tiraden und Hetzjagden einer Faschopostille und ihres Herausgebers allen Ernstes für eine „zulässige Kritik“ hielten, ist eine weitere Groteske, an denen es dem Alpen-Absurdistan nicht mangelt. Das europäische Gericht hat demgegenüber die Grundrechte gestärkt und deutlich gemacht, wo die Grenze zwischen dem Recht auf das freie Wort und einer Hasspredigt verläuft.

Anmerkungen:
(1) In: Lothar Höbelt/Andreas Mölzer/Brigitte Sob (Hrsg.): Freiheit und Verantwortung – Jahrbuch für politische Erneuerung 1995, Eigenverlag, Freiheitliches Bildungswerk, Politische Akademie der FPÖ, Wien 1995
(2) Karl Pfeifer: Freiheitliches Jahrbuch 1995 mit (Neo-) Nazi-Tönen, in:
Die Gemeinde, Offizielles Organ der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, 3. Februar 1995
(3) Aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 15. Oktober 2001 (Az: 18 Bs 229/01, liegt Lizas Welt vor)

18.11.07

Die Quadratur des Kreises

Groß war das Echo auf die leidenschaftliche Rede, die Uli Hoeneß kürzlich auf der Jahreshauptversammlung des FC Bayern München hielt. So mancher Fan des Rekordmeisters fühlte sich beschimpft und beleidigt, als der Manager des Klubs auf die Beschwerde einiger Anhänger über die schlechte Stimmung in der Allianz-Arena mit einem Wutausbruch reagierte. Auch in den Medien rümpfte man verschiedentlich die Nase über die Äußerungen des 55jährigen. Dabei ist der sich „im Grunde treu geblieben“, wie Roland Zorn in der FAZ vollkommen zu Recht schrieb, „da jeder weiß, wie sozial, emotional und gelegentlich auch aggressiv dieser ebendeshalb von den Anhängern des Bundesligaprimus sonst hoch geschätzte Bayern-Boss in seiner oft allzu direkten Wortwahl ist“. Es war jedenfalls gerade nicht die so oft behauptete Bayern-Arroganz, die während Hoeneß’ knapp zweiminütiger Eruption als Lava in den Saal strömte, und geplant oder inszeniert war seine erregte Antwort auf die Kritiker ebenfalls nicht. Dafür spricht schon, dass der sonst so eloquente Schwabe ein paar Mal hörbar ins Holpern und Stocken geriet.

Vor allem aber fühlte sich ein dem Motto „Kapitalismus mit Herz“ folgender „fürsorglicher Vereinspatriarch“ (Süddeutsche Zeitung) herausgefordert, sein Lebenswerk und seinen Lebensinhalt zu verteidigen. Denn der bekennende Gewerkschaftsfeind Uli Hoeneß (Foto) begreift den FC Bayern, anders als der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge, weniger als einen gewöhnlichen Konzern denn als großen Familienbetrieb. In diesem wuchs er seit seinem Amtsantritt vor 28 Jahren – als damals gerade einmal 27jähriger – allmählich in die Rolle eines Vaters hinein, „der sich verlässlich um persönliche Belange seiner Angestellten und Vertrauten kümmert, um den Alkoholiker wie den an Krebs erkrankten Ex-Spieler“, wie Ludger Schulze in der Süddeutschen Zeitung befand. „Auch dass Prämien im Erfolgsfall nicht nur an die Fußballer, sondern bis hinunter zum Platzwart ausgeschüttet werden, schafft eine einmalige Motivation und Identifikation mit dem eigenen Verein.“

Und Hoeneß lebt diese Identifikation vor: Wer sieht, wie er in Bayern-Schal und -Mütze auf der Bank sitzt, wie ausgelassen er sich nach Toren, Siegen und Titeln freut und wie aufbrausend er regelmäßig auf kritische Fragen – sei es von Journalisten, sei es von Fans – reagiert, weiß: Der Mann ist selbst der größte Fan dieses Klubs. Dabei muss er ein ums andere Mal diverse Widersprüche bewältigen. Denn einerseits ist der FC Bayern – nicht zuletzt durch Hoeneß’ Arbeit – längst vom Fußballverein zur erfolgreichen Aktiengesellschaft mutiert, die Jahr für Jahr neue Rekordgewinne verzeichnet und auf europäischer Ebene als einziges deutsches Fußballunternehmen halbwegs konkurrenzfähig ist, weshalb sie letztlich nicht wie ein Familienbetrieb geführt werden kann, weil der Wettbewerb einigermaßen gnadenlos ist und mit Notwendigkeit immer wieder bedauernswerte Opfer fordert. Andererseits trägt der Münchner Klub im Unterschied zu Branchengrößen wie Real Madrid, dem FC Chelsea oder dem AC Mailand immer noch mittelständisch-familiäre Züge; waghalsige Investitionen oder Risikoanleihen scheut man in der Regel genauso wie unter menschlichen Aspekten unpopuläre Maßnahmen.

Einen weiteren Spagat müssen Hoeneß und sein Klub in Deutschland bewältigen: Hierzulande werden sie als Maß aller Dinge angesehen, als Verein, dessen Dominanz erdrückend ist und den man als Fußballfan nicht zuletzt deshalb entweder liebt oder aufrichtig hasst. Diese Polarisierung ist gut fürs Geschäft, denn nichts wäre dem Image abträglicher als Mittelprächtigkeit oder Indifferenz. Gleichzeitig müssen die Münchner bemüht sein, auch auf internationaler Ebene wettbewerbsfähig zu bleiben, und das geht nur über eine entsprechende Liquidität und Refinanzierung, die einen Teil der eingefleischten Anhängerschaft in vielfacher Hinsicht hart trifft: Zum einen durch das Umwerben einer finanzkräftigen, aber weitgehend leidenschaftslosen Kundschaft, die den Stadionbesuch entweder lediglich als Alternative zum Kino-, Theater- oder Musicalbesuch begreift oder vor allem deshalb in die Allianz-Arena geht, um gesehen zu werden. Und zum anderen durch Repressalien gegenüber der Stehplatzbelegschaft in der Kurve, die zwar als Stimmungsmacher benötigt wird, aber aufgrund ihrer anders gelagerten Interessen, ihrer Unberechenbarkeit und nicht zuletzt ihrer weitaus geringeren monetären Möglichkeiten eine immer kleiner werdende und aus Sicht des Vorstands teilweise kontraproduktive Rolle spielt.

Das Vermitteln oder gar Auflösen dieser Widersprüche ist kaum möglich. Denn der FC Bayern kann schlechterdings nicht allen gerecht werden: Er braucht die Logenbesitzer, die mehrere hunderttausend Euro pro Saison in die Kasse spülen, und die zahllosen Familienväter und -mütter, die ein- bis zweimal pro Spielzeit 40 Euro pro Nase investieren, um gemeinsam mit ihrem Nachwuchs Ribéry, Toni, Klose & Co. aus der Nähe sehen zu können, ohne dabei so etwas wie akustisches Engagement zu entwickeln. Gleichzeitig ist er aber auch auf die Stehplatzfans angewiesen, die als einzige für so etwas wie Atmosphäre sorgen (und damit den Erlebniswert beträchtlich vergrößern) können und außerdem als authentischer Ausdruck originärer Vereinsliebe gelten, dabei jedoch gelegentlich den Kundenschreck geben, indem sie sich vernehmlich darüber beklagen, dass die Logeninhaber „nur zum Fressen“ da seien und der Rest sich verhalte wie Touristen bei der Begutachtung einer Sehenswürdigkeit.

Der Vortrag von Uli Hoeneß auf der Jahreshauptversammlung zielte auf die letztgenannte Gruppierung, und dabei kann man ihm letztlich nicht vorwerfen, inhaltlich Unrecht gehabt zu haben. „Für die Scheiß-Stimmung seid ihr verantwortlich, nicht wir. Wer glaubt ihr eigentlich, wer euch finanziert? Das sind die Leute in der Loge, denen wir das Geld aus der Tasche ziehen“, rief er ins Mikrofon. Und auch wenn sich darüber streiten lässt, ob diese Form der Quersubvention wirklich beabsichtigt ist, so ist dem Manager im Ergebnis nur schwer zu widersprechen. Denn die Eintrittspreise des FC Bayern nehmen sich sowohl im Vergleich zu den meisten anderen Bundesligaklubs als auch und vor allem in internationaler Perspektive moderat aus. Mit seiner Feststellung „Ihr wollt Ribéry und Toni, aber keinen Champagner in den Logen. Wir sollen die Champions League gewinnen, aber es darf nichts kosten“ lag Hoeneß ebenfalls sicher nicht daneben. Würde man dem Wunsch der Kurvenfans folgen und zu Zeiten zurückkehren, in denen der Fußball noch weniger salon- und marktfähig war – der FC Bayern hätte fraglos nicht einmal annähernd die Möglichkeit, seinem Publikum die Stars zu präsentieren, die vom überwiegend teilnahmslosen Haupttribünengast bis zum lautstarken Südkurvenfan einhellig begrüßt werden.

Es existiert also ein Dilemma, das nicht aus der Welt zu schaffen ist: Ohne das nötige Kleingeld und die entsprechende Akquise in betuchteren Kreisen wäre der FC Bayern München nicht in der Lage, erfolgreich Fußball zu spielen; zugleich sorgt er durch seine Politik für nachvollziehbaren Unmut bei nicht wenigen, die ihm trotz knapper Kasse seit Jahren die Treue halten. Uli Hoeneß weiß sehr wohl um diesen Zwiespalt. Aber auch wenn er sich emotional den Letztgenannten vermutlich eher verbunden fühlt, kann er es sich nicht leisten, die zahlungskräftige Kundschaft zu verprellen. Nichtsdestotrotz kann man ihm nicht nachsagen, die Bedürfnisse der Kurve einfach zu ignorieren. Der offene Brief, den der Bayern-Vorstand im Anschluss an seine Mitgliederversammlung veröffentlichte, mag einigermaßen handzahm sein; dass er aber überhaupt geschrieben wurde, zeugt davon, dass der Erfolgsklub seine Reputation nicht nur den besseren Plätzen überantwortet. Das mag der Versuch einer Quadratur des Kreises sein – aber Fußball ist nun mal nicht nur Mathematik. Zum Glück.

16.11.07

One hit Integrationswunder

Es ist nicht überliefert, ob Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in seiner Freizeit gelegentlich Rap hört und sich vielleicht sogar in der entsprechenden Szene auskennt. Besonders wahrscheinlich ist es nicht, und das nicht nur deshalb, weil er – wie auch sein französischer Amtskollege Bernard Kouchner – eine ziemlich unbeholfene Figur machte, als er sich bei der Aufnahme des „Deutschland“-Songs in den Background-Chor des deutsch-türkischen Sängers Muhabbet (Foto, links) einreihte. Vielmehr scheint der Sozialdemokrat so gar nicht gewusst zu haben, auf welches vorgebliche Integrationswunder er sich da eingelassen hat, das den niederländischen Filmemacher Theo van Gogh vor dessen Ermordung am liebsten noch in den Keller gesperrt und gefoltert hätte und das auch der Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali den Tod wünscht. Inzwischen könnte Steinmeier (Foto, rechts) es wissen und auf Abstand gehen, doch er zieht es stattdessen vor, die Kritiker des Rappers zu attackieren: „Ich hätte mir gewünscht, dass man sich vielleicht konkret mit dem beschäftigt hätte, was Herr Muhabbet in den letzten zwei Jahren gemacht hat“, sagte der Minister. Und er empfiehlt, „unaufgeregt“ mit der Angelegenheit umzugehen.

Aber seien wir nicht gar zu ungerecht und widmen uns, wie gewünscht, tatsächlich einmal in aller Sachlichkeit den Verdiensten des 23jährigen Musikers, der mit bürgerlichem Namen Murat Ersen heißt. Vor allem seine Liedtexte müssten ja geradezu vorbildlich sein, denn ansonsten wäre der Chef des deutschen Außenamtes wohl kaum auf die Idee gekommen, gerade ihn mit der Produktion eines „Integrationssongs“ zu beauftragen, der zeigen solle, „dass wir vom Reichtum der Kulturen profitieren“ und dass es „bei allen Fehlern und Versäumnissen“ auch „gelungene Kooperationen“ gebe. Suchen muss man jedenfalls nicht lange: Das Stück „Im Westen“ beispielsweise, das Muhabbet 2004 kreierte, verspricht schon des Titels wegen einigen Aufschluss. Und tatsächlich gibt der Barde gleich zu Beginn zu verstehen, wie wohl er sich in seiner Geburtsstadt am Rhein immer gefühlt hat:
„Wo ich herkomm’? Ich komm’ aus der Küche der Hölle!
Den meisten von euch Fotzen ist der Ort bekannt als Kölle.
Hier ist nichts, wie es ist, alles stinkt nach Fisch und Gülle,
Two-faces und Masken gibt’s in Hülle und Fülle. [...]
Diese Stadt ist voller Schwuchteln und Schlampen,
oberflächlicher Ottos und richtig linken Ratten.“
Da kann man schlechterdings nicht meckern: Gesellschaftskritisch, reflektiert und weltoffen ist er zweifellos, dieser Muhabbet. Doch damit nicht genug – lyrisch veredelte, konstruktive Handlungsoptionen gegen die von ihm aufgezeigten Missstände hat er auch noch anzubieten:
„Denn ich weiß: Der Hund, der bellt, ist der Hund, der niemals beißt.
Ich bin der, der schweigt und dir das Messer zeigt.
Nachdem ich zugestochen habe, warn’ ich dich: Geh nicht zu weit!
Kill dich, denn für Fotzengelaber hab ich keine Zeit.
In der Hauptstadt der Schwulen, dem deutschen Hollywood
lebt jeder nach dem Trend der Medien und Clubs.“
In seinen anderen Songs klingt das nicht viel anders; stets wird das, sagen wir, Elend der Gegenwart mit all seinen Verlockungen und Versagungen angeprangert, doch der erfrischende Optimismus des jungen Rappers ist ungebrochen: „Aus allen Ecken der Republik kommen meine Wölfe / vereinen uns zu einer Macht, stürme euere Höfe“, heißt es etwa in dem Lied „Das Tum“. Und auch in dem Joint Venture mit Steinmeier und Kouchner sang Murat Ersen Klartext:
„Denkst du, ich werde mich ergeben?
Denkst du, ich halt’ nicht dagegen?
Denkst du, dass ich still und schweigend
mich hier einfach auf deinen Boden leg’?
Es geht nicht, wir geben nicht auf.
Wir streiken, wir gehen den Weg hinauf.
Ihr haltet uns alle nicht auf.
Ihr werdet seh’n, wir schaffen es auch.“
Das entschlossen klingende „Dagegenhalten“ und „Schaffen“, von dem hier die Rede ist, erhält spätestens vor dem Hintergrund dessen, was Ersen zur Fernsehjournalistin Esther Schapira im Beisein seines eigenen Managers und von Schapiras Kollege Tamil Kaylan sagte, allemal eine ganz eigene Bedeutung. Dass der Sänger nun versucht, seine Rechtfertigung der Ermordung von Theo van Gogh und seine Tötungsfantasien gegenüber Ayaan Hirsi Ali als „Missverständnis“ zu verkaufen, ist deshalb in diesem Zusammenhang nachgerade enttäuschend; schließlich konnte man ihm bisher nicht vorwerfen, in Bezug auf seine im Refrain des „Deutschland“-Songs erhobenen Forderungen – nämlich die „Karten auf den Tisch“ zu legen und sich nicht zu „verschließen“ – nicht großzügig in Vorleistung getreten zu sein.

Noch desaströser jedoch ist letztlich das, was Frank-Walter Steinmeier zu alledem zu sagen hat. Zugegeben: Es ist zweifellos schwer, in aller Öffentlichkeit eingestehen zu müssen, dass der Coolness-Faktor und die street credibility, die man gerade demonstriert zu haben glaubt, doch nicht ganz so prall daherkommen wie erhofft. Andererseits hätte der Außenminister eigentlich nur seinen Vorzeigeintegranten Muhabbet beim Wort nehmen müssen. Denn dessen Credo lautet: „Nix zu wissen ist nicht peinlich, nichts dazuzulernen ist peinlich.“ Doch so weit wollte der juvenile Gelegenheitsrapper nicht gehen. Vielleicht ist das aber auch gar nicht seiner Unwissenheit geschuldet, sondern nur konsequent: Wer sich gegenüber den iranischen Mullahs mal als Appeaser und mal als Kollaborateur betätigt, wird im Zweifelsfall auch nicht für Islamkritiker wie Esther Schapira, Tamil Kaylan, Theo van Gogh oder Ayaan Hirsi Ali einstehen. Sondern unter Integration einen Kulturrelativismus verstehen, der noch die abseitigsten Fantasien als Gewinn betrachtet.

Hattip: barbarashm

13.11.07

Alpen-Absurdistan

Neues aus dem Land, in dem immer noch der Mythos gepflegt wird, man sei „das erste Opfer der Nazis“ gewesen: Das staatlich geförderte, rechtsradikale österreichische Wochenblatt Zur Zeit feiert seinen zehnten Geburtstag und erhält dabei herzliche Glückwünsche auch von der Sozialdemokratie, die ihrerseits das neueste Buch über die „Israel-Lobby“ vorstellen lässt, welches wiederum in einem Werbeprospekt von Zur Zeit neben anderen antisemitischen Schinken angepriesen wird. Der Bundesparteiobmann der FPÖ bekommt derweil von einem SPÖ-Politiker den Ritterschlag zum „aufrechten Deutschnationalen“.

Es war eine rauschende Party, die Zur Zeit kürzlich anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens feierte. Im österreichischen Fernsehen sah man Männer mit seltsamen Kopfbedeckungen und Schmissen im Gesicht, die in germanomanen Kreisen den Akademiker schmücken. Herbert Schaller, Rechtsbeistand von Neonazis und Redner bei der Teheraner Konferenz der Holocaustleugner im Dezember vergangenen Jahres, hielt eine Rede, und von seinem gleichgesinnten Kollegen David Irving wurde erst eine Videobotschaft an die Kameraden in Wien übermittelt, bevor man ihn auch schriftlich zu Wort kommen ließ (1). In der Jubiläumsausgabe der Zeitschrift zog Chefredakteur und Herausgeber Andreas Mölzer, der außerdem für die FPÖ im Europaparlament sitzt, kräftig vom Leder; er feierte sich und sein Propagandaorgan als Bastion der Pressefreiheit und attackierte die Gegner des Blattes. Der Journalist Karl Pfeifer beispielsweise wurde von ihm in bekannter antisemitischer Manier als „blinder Uralt-Schreiber aus dem Umfeld der israelitischen Kultusgemeinde“ diffamiert. (2)

Dennoch – oder gerade deshalb – ließen es sich zahlreiche Gratulanten nicht nehmen, dem Periodikum, das zunächst zwei Jahre lang die Österreich-Ausgabe der ultrarechten deutschen Zeitschrift Junge Freiheit war (3), herzlichste Glückwünsche auszurichten. Darunter war mit dem SPÖ-Mann Herbert Tumpel auch der Präsident der österreichischen Bundesarbeitskammer, an die jeder abhängig Beschäftigte seinen Pflichtbeitrag entrichten muss. „Ich schätze es, dass die ‚Zur Zeit’ auch darüber berichtet, was wir aus Sicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sagen“, ließ Tumpel ausrichten. (4) „Aktuell muss weiter alles gegen die nach wie vor zu hohe Arbeitslosigkeit getan werden – und wenn es neue Arbeitsplätze gibt, müssen dafür vor allem die Jungen ausgebildet und Arbeitssuchende geschult werden. Darüber wünsche ich mir eine faire Berichterstattung. Alles Gute zum zehnjährigen Jubiläum! So geht er wohl, der nationale Sozialismus.

Auf genau 136.889 Euro und 44 Cent beläuft sich der Zuschuss, den die österreichische Regierung der Zeitschrift zwischen 2004 und 2006 im Rahmen der Presseförderung zukommen ließ, und auch in diesem Jahr wird die Faschopostille weiterhin staatlich subventioniert. Dieses Geld kann sie dabei nicht zuletzt in die Werbung und den Vertrieb ihres Buchdienstes stecken, den sie gemeinsam mit der ebenfalls rechtsradikalen Zeitschrift Aula betreibt. Im neuen Katalog (5) findet sich dabei so ziemlich alles, was der moderne Deutschnationale braucht, von antiamerikanischen Verschwörungstheorien zum 11. September und David Irvings Erlebnissen und Gedanken in österreichischen Kerkern über Eva Hermans Buch Das Eva-Prinzip bis hin zu antisemitischen Pamphleten wie Judenfragen von Claus Nordbruch, Die Holocaust-Industrie von Norman G. Finkelstein oder Blumen aus Galiläa von Israel Shamir alias Jöran Jermas (für das ausdrücklich mit dem Hinweis geworben wird, das Buch sei in Frankreich verboten und der Verleger zu einer Haft- und Geldstrafe verurteilt worden).

Und der Buchdienst preist noch ein weiteres Werk an, das die Herzen der Antisemiten jeglicher Couleur höher schlagen lässt, nämlich Die Israel-Lobby von John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt. Im dazu gehörigen Werbetext heißt es, die „renommierten Politologen“ zeigten, „dass die US-Außenpolitik zunehmend beeinflusst wird“, und zwar „von einem losen Verbund proisraelischer Organisationen und Personen“. Deren „mächtigste Waffe“ sei „der Vorwurf des Antisemitismus gegenüber denen, die es wagen, sich kritisch zu äußern“. Das sieht man allerdings längst nicht nur bei den Rechtsaußen so: „Die Autoren fordern eine objektive Debatte über die Politik Israels“, befindet auch das sozialdemokratische Renner-Institut, und es kommt zu dem Schluss: „Dass sie dafür wütend angegriffen werden, bekräftigt ihre Thesen.“ Einen guten Grund zur Kritik dieser Schmähschrift mit Tradition kann es nämlich gar nicht geben, denn: „Fundiert und kompetent zeigen sie [Mearsheimer und Walt], wie die Lobby, ein loser Verbund von Individuen und Gruppen, arbeitet und welche Erfolge sie bereits erzielt hat.“

Was Zur Zeit Recht ist, ist einer Einrichtung, die 1972 „von der SPÖ als Träger der politischen Bildungsarbeit nominiert“ wurde, also definitiv billig, weshalb sie just gestern in Wien diese Neuauflage der Protokolle der Weisen von Zion im Rahmen der Veranstaltungsreihe Voices from America vorstellen und diskutieren ließ. Aber vielleicht war das auch nur konsequent. Denn Karl Renner – der Namensgeber des Instituts, der von 1918 bis 1920 österreichischer Staatskanzler und nach dem Krieg Bundespräsident war – hatte 1938 dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich zugestimmt und im August 1945 beteuert, die österreichischen Nationalsozialisten hätten doch recht eigentlich keinen Krieg gewollt, sondern „höchstens, dass man den Juden etwas tut“.

Bei so viel Einigkeit zwischen den Antiimps von links bis rechts wollte Caspar Einem nicht nachstehen. Schließlich wusste der Sohn einer geborenen von Bismarck und frühere Verantwortliche für den Geschäftsbereich Gas des österreichischen Mineralölkonzerns ÖMV schon immer, mit wem es die Deutschen und Österreicher eher nicht so gut können. Im Januar 2005 etwa warb der Präsident des Bundes sozialdemokratischer AkademikerInnen (BSA) in einem Interview mit Zur Zeit um Verständnis für die Weigerung der Sozialdemokraten, nach dem Zweiten Weltkrieg die jüdischen Intellektuellen ins Land zurückzuholen: Man habe halt „den Eindruck oder zumindest den Vorwurf vermeiden wollen, man wäre eine Judenpartei“. Und nun, kurz vor seinem Rückzug aus der Politik und seiner Rückkehr in die Wirtschaft, hatte er auch noch ein gutes Wort für den Bundesparteiobmann der FPÖ, Heinz-Christian Strache, übrig. Strache – von dem kürzlich noch ein Foto veröffentlicht wurde, auf dem er den so genannten Kühnen-Gruß entbietet – sei nämlich „ein aufrechter Deutschnationaler“, der anders als Jörg Haider halte, was ausgemacht worden sei. (6) Warum die SPÖ von Straches Partei dennoch die behaupteten „Welten trennen“ sollen, führte Einem nicht aus.

Gewiss: Sozialdemokraten sind keine Nazis. Aber warum das so ist, wissen sie bisweilen selbst nicht so genau. Vor allem nicht im Alpen-Absurdistan.

Anmerkungen:
(1) http://tinyurl.com/29wfjc
(2) Zur Zeit Nr. 43-44/07, S. 38
(3) http://tinyurl.com/29usum
(4) Zur Zeit Nr. 45/07, S. 17
(5) (Noch) nicht online verfügbar, liegt Lizas Welt jedoch vor
(6) Österreich, 13.10.2007

Herzlichen Dank an Karl Pfeifer für wertvollste Recherchen und Hinweise.

11.11.07

Niederlage für die Judäophobie

Drei Wochen nach der Berufungsverhandlung sprach das Frankfurter Oberlandesgericht am vergangenen Donnerstag sein Urteil im Prozess zwischen Henryk M. Broder und dem Verleger Abraham Melzer sowie dessen Autor Hajo Meyer. Die Entscheidung war dabei ein klarer Punktsieg für Broder: Nachdem bereits das Landgericht der Mainstadt die Einschätzung des Publizisten, seine beiden Kontrahenten hätten „den Adolf gemacht“, für rechtlich zulässig erklärt hatte, darf Broder Melzer und Meyer nun auch als „Kapazitäten für angewandte Judäophobie“ bezeichnen. Lediglich die Äußerung der Ansicht, Melzer habe „eine Lücke gefunden“, die er „mit braunem Dreck füllt“, bleibt ihm untersagt.

Der vorsitzende Richter Jürgen Maruhn gab zu Beginn der Verhandlung, der Melzer fern geblieben war, eine vorläufige Einschätzung des 16. Zivilsenats des OLG Frankfurt ab. Die zentrale Frage des Verfahrens sei, ob Broders Statements eine Meinungsäußerung oder eine Schmähkritik darstellten. Dabei sei das Gericht hinsichtlich der Qualifizierung Melzers und Meyers als „Kapazitäten für angewandte Judäophobie“ zu der Auffassung gelangt, diese bewege sich im Rahmen des Zulässigen, auch wenn sie sich gegen Juden richte. Denn die Existenz eines jüdischen Antisemitismus könne schlechterdings nicht bestritten werden, sagte der Richter. In den USA gebe es eine breite Diskussion über ihn, und diese Debatte sei inzwischen auch in Deutschland angekommen. „Es mag umstritten sein, wann eine Kritik an der israelischen Regierungspolitik antisemitisch ist, aber es ist unstrittig, dass sie oft judenfeindliche Züge trägt“, fuhr Maruhn fort. Und angesichts dessen, was in Meyers Buch stehe und bei der Lesung in Leipzig gesagt worden sei, halte das Gericht die Einstufung Melzers und Meyers als „Kapazitäten für angewandte Judäophobie“ für statthaft.

Anders verhalte es sich mit Broders Äußerung, Melzer habe „eine Lücke gefunden“, die er „mit braunem Dreck“ fülle: Bei ihr handle es sich um eine Schmähkritik, denn die Farbe braun wecke Assoziationen zum Nationalsozialismus, fand der Richter: „Der Durchschnittsleser könnte das so verstehen, dass der Melzer-Verlag NS-Gedankengut verbreitet. Und das geht zu weit.“ Broders Anwalt Jan Hegemann widersprach: Der Begriff „brauner Dreck“ könne auch ein Synonym für Fäkalien sein und müsse deshalb nicht zwangsläufig mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht werden. Doch selbst wenn man diesen Zusammenhang zugrunde lege, habe Meyer „sehr wohl Anknüpfungspunkte an den NS“ geboten. Insbesondere seine Behauptung, die Juden hegten Weltherrschaftspläne, sei ein „genuin antisemitisches Element der Nazipropaganda“ gewesen.

Hajo Meyers Rechtsbeistand Gernot Lehr hingegen war der Auffassung, bei der Urteilsfindung müsse vor allem die „persönliche Betroffenheit“ seines Mandanten berücksichtigt werden. Dieser sei schließlich ein Opfer des Nationalsozialismus und dürfe daher nicht als „Kapazität für angewandte Judäophobie“ bezeichnet werden. Zudem habe sich Meyer nur „antizionistisch geäußert“, und das sei „qualitativ etwas völlig anderes als Antisemitismus“. Auch Hajo Meyer (Foto) bestand auf diese Unterscheidung: „Ich bin stolz auf die Errungenschaften des Judentums, aber nicht auf den Zionismus“, sagte er. Als Antisemit bezeichnet zu werden, empfinde er jedenfalls als Beleidigung. „Die fanatischsten Zionisten sind im Übrigen gar keine Juden, sondern Christen, die in den USA Geld für illegale Siedlungen in Israel sammeln“, tat Meyer kund, der seine Ausführungen lediglich als „Kritik an der israelischen Politik“ verstanden wissen wollte und dazu einen recht eigenwilligen historischen Vergleich zog: „Die Zweigs waren doch auch keine Antideutschen, bloß weil sie gegen die deutsche Kriegspolitik waren.“

Henryk M. Broder widersprach seinem Kontrahenten: „Meyers Buch steht eindeutig in der Tradition der ‚Protokolle der Weisen von Zion’ und ähnlicher Schriften der Jahrhundertwende“, sagte er. Meyer könne sich auch nicht auf seinen Status als Überlebender des Nationalsozialismus zurückziehen: „Auschwitz war keine Besserungsanstalt, sondern ein Vernichtungslager. Ein moralischer Gewinn resultiert daraus nicht.“ Zudem sei die Unterscheidung zwischen Antisemitismus und Antizionismus unsinnig: „Kein Antisemit gibt zu, dass er ein Antisemit ist, daher braucht er den Antizionismus als Rettungsanker, wenn ihm jemand auf die Schliche kommt.“ Und das gelte auch für Juden, die weder einen Bonus noch einen Malus beanspruchen könnten: „Es gibt Krankenschwestern, die Patienten töten, und Rechtsanwälte, die einen Versicherungsbetrug begehen. Warum soll es also keine Juden geben, die Antisemiten sind?“ Der Rechtsstreit zwischen ihm und seinen Prozessgegnern sei zudem ein asymmetrischer: „Es kann nicht sein, dass es einen Maulkorb für die Kritiker des Antisemitismus gibt, die Antisemiten aber freie Fahrt haben.“

Das Oberlandesgericht gab nun, drei Wochen nach der Verhandlung, sein Urteil bekannt, das nach dem Verlauf des Berufungsprozesses keine Überraschung mehr war: Broder darf sowohl Melzer als auch Meyer „Kapazitäten für angewandte Judäophobie“ nennen; dass sie „den Adolf gemacht“ hätten, war bereits von der vorherigen Instanz, dem Frankfurter Landgericht, für eine zulässige Einschätzung gehalten worden. Nur die Ansicht, Melzer fülle eine Lücke mit „braunem Dreck“, darf nach wie vor nicht geäußert werden. Warum das letztlich inkonsequent ist, hat Broders Anwalt Hegemann nachvollziehbar dargestellt. Dennoch ist die Entscheidung des OLG, gegen die keine Revision zugelassen wurde, bemerkenswert. Denn dass ein Gericht der Frage, ob es auch jüdischen Judenhass gibt, weder ausgewichen ist noch sie verneint hat, ist in der deutschen Rechtsgeschichte neu. Das Urteil ist deshalb nicht nur für Abraham Melzer und seinen Autor Hajo Meyer eine deutliche Niederlage, sondern auch für all jene, die sich bevorzugt auf jüdische Kronzeugen berufen, um ihren Antisemitismus gewissermaßen mit einem Koscher-Stempel zu versehen.

Az: 16 U 257/06

Update 21. November 2007: Auch in den USA sind das Verfahren und sein Urteil Thema. Benjamin Weinthal hat in The Jewish Press mit Unterstützung von Belinda Cooper einen Beitrag dazu veröffentlicht: German Court Rules On „Kosher Anti-Semitism“

8.11.07

Comebacks auf Herz und Niere

Der Pokal hat seine eigenen Gesetze, lautet eine Fußballbinse, die abgedroschen zu nennen noch stark untertrieben wäre. Doch in der vergangenen Woche wurde sie mit neuem Leben gefüllt, und zwar im Wortsinn. Denn bei den DFB-Pokalspielen der ersten und zweiten Mannschaft von Werder Bremen ereignete sich wirklich Außergewöhnliches: Zunächst gab Ivan Klasnić (27) sein Comeback, der erste Profi, der mit einer Spenderniere spielt. Tags drauf kam dann Jairo Mosquera (19) zum Einsatz, knapp vier Monate nach einem Herzstillstand. Und beide Spieler konnten sich nicht nur über ihre Rückkehr auf den Platz freuen, sondern auch noch über sportliche Erfolge: Klasnić warf mit dem Regionalligateam des SV Werder den Zweitligisten FC St. Pauli aus dem Wettbewerb; Mosquera erzielte beim 4:0-Sieg der Bremer Bundesligaelf gegen den MSV Duisburg sogar ein Tor.

Der Leidensweg des Ivan Klasnić (Foto) begann im November 2005: Während einer Blinddarmoperation wurden schlechte Nierenwerte festgestellt, die sich schließlich zu einer Niereninsuffizienz ausweiteten. Eine Transplantation war deshalb unausweichlich, doch der erste Versuch im Januar 2007 schlug fehl: Der Körper stieß das Organ ab, das von Klasnićs Mutter gespendet worden war. Zwei Monate später lag der Angreifer erneut auf dem Operationstisch; nun war es eine Niere seines Vaters, die ihm eingepflanzt wurde. Und diesmal verlief die Prozedur erfolgreich. Dennoch war es völlig ungewiss, ob Klasnić jemals wieder Fußball spielen können würde. Die Medikamente schwemmten seinen Körper auf; einen ersten Belastungstest beim früheren Nationalmannschafts-Arzt Wilfried Kindermann bestand er nicht. Doch Klasnić dachte nach eigener Auskunft nie daran, mit dem Kicken aufzuhören, und auch sein Klub unterstützte ihn nach Kräften, nicht zuletzt durch die Vertragsverlängerung im vergangenen Sommer.

Am Dienstag letzter Woche feierte der kroatische Nationalspieler dann nach monatelanger Schinderei in der Reha – für ihn „die härteste Zeit meines Lebens“ – sein Comeback. Noch nicht bei den Profis, sondern „nur“ in Werders Reserve, dafür aber gleich in einem Pokalspiel, bei dem nur der Sieger eine Runde weiterkommt. Und das Match war noch aus einem anderen Grund ein ganz besonderes. Denn der Gegner der Bremer war der FC St. Pauli – jener Verein, bei dem Klasnić als Fußballer groß geworden war und für den er sieben Jahre lang spielte, bis er 2001 an die Weser wechselte. „Es ist wie ein Kreis“, sollte er später sagen, „ich habe bei St. Pauli angefangen als Profi und bin als neugeborener Fußballer gegen St. Pauli zurückgekehrt“. 15.000 Zuschauer kamen ins Stadion, und dass sich ein nicht geringer Teil davon wegen Klasnić ein Ticket gekauft hatte, ist durchaus keine allzu kühne Behauptung. Denn nicht nur die Bremer Fans feierten ihn mit „Ivan, Ivan“-Sprechchören, sondern auch die etwa zehntausend Anhänger des Hamburger Kiezklubs.

2:2 stand es nach 90 Minuten und auch nach der 30-minütigen Verlängerung, was für die eine Klasse tiefer spielende Zweitvertretung des SV Werder bereits ein beachtlicher Erfolg war. Der Rückkehrer hatte beide Bremer Tore eingeleitet; „ansonsten war vom ‚neuen Klasnić’ zu sehen, was man vom ‚alten’ noch kennt“, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Die meiste Laufarbeit überließ er den anderen, aber dafür macht ihm beim Dribbling und bei der Ballbehandlung nach zehn Monaten Pause schon wieder kaum jemand etwas vor.“ Nach 67 Minuten wurde er unter den Ovationen des Publikums ausgewechselt und feuerte seine Mannschaft anschließend von der Bank aus an. Mit Erfolg: Sie gewann das Elfmeterschießen und kam dadurch eine Runde weiter. „Als die Fans meinen Namen gerufen haben“, sagte Klasnić nach dem emotionalen Spiel, „hätte ich weinen können. Es hat schon beim Einlaufen überall gekribbelt“.

Nun will der Stürmer so bald wie möglich auch wieder für Werders Profimannschaft auflaufen. Deren Trainer Thomas Schaaf steht diesem Ansinnen zwar grundsätzlich positiv gegenüber, will aber zugleich nichts überstürzen: „Wir setzen Ivan nicht unter Druck und geben ihm die Zeit, die er braucht.“ Der Coach weiß, dass sein ehrgeiziger Spieler dauerhaft auf einem schmalen Grat wandelt. Morgens und abends muss Klasnić Tabletten nehmen, die verhindern, dass die Niere erneut abgestoßen wird. „Diese starken Medikamente haben erhebliche Nebenwirkungen“, erläutert Professor Jürgen Klempnauer von der Medizinischen Hochschule Hannover, der Klasnić operierte und ihn auch weiterhin betreut. Doch ansonsten hat der Mediziner keine Einwände gegen eine Fortsetzung der sportlichen Karriere seines Patienten – auch deshalb, weil der einen Glasfiberschutz trägt, der das Spenderorgan vor Schlägen oder Tritten schützt. „Ein Restrisiko bleibt“, sagt Klempnauer, „aber das ganze Leben ist eine Folge von Risiken“.

Am Tag nach Klasnićs Comeback erlebten die Zuschauer im Bremer Weserstadion dann die nächste Rückkehr eines Spielers, mit der nicht unbedingt zu rechnen war. Genau genommen war es sogar ein Debüt. Denn obwohl Jairo Mosquera (Foto) seit 2005 bei Werder unter Vertrag steht, hatte er bis dato noch kein Spiel für den Klub absolviert und war zwischenzeitlich an den dänischen Erstligisten Sonderjyske sowie den damaligen Zweitligisten Wacker Burghausen ausgeliehen worden. Bei Carl Zeiss Jena hatte der Kolumbianer im Sommer dieses Jahres zudem ein Probetraining bestritten und dabei während eines Waldlaufs plötzlich einen Schwächeanfall erlitten, in dessen Folge sein Herz mehrere Sekunden lang still stand. Doch auch Mosquera kehrte auf den Fußballplatz zurück. „Geholfen hat mir dabei die Geschichte mit Ivan Klasnić“, sagte er. „Zu sehen, wie er sich rangekämpft hat, war eine unheimliche Motivation für mich.“ Sein Einstand verlief nach Maß: Im Pokalspiel gegen den MSV Duisburg in der 80. Minute eingewechselt, erzielte er acht Minuten später das Tor zum 4:0-Endstand und war anschließend „überglücklich, dass ich gespielt und auch noch getroffen habe“. Mosqueras Zukunft in Bremen ist jedoch ungewiss, denn der Verein überlegt, ihn erneut auszuleihen.

Ivan Klasnić hingegen kann sich sicher sein, bei Werder bleiben zu dürfen. Bis zu seinem ersten Einsatz bei den Profis seit dem 17. Dezember 2006 werden zwar noch ein paar Tage vergehen. Aber einstweilen bleiben ihm ja die Spiele mit dem Reserveteam. Dort musste er am vergangenen Sonntag in der Partie gegen die zweite Mannschaft von Energie Cottbus nach 32 Minuten ausgewechselt werden. Aber nicht, weil ihm seine Niere ein Problem bereitete, sondern wegen einer Oberschenkelverletzung. Das dürfte allerdings ein vergleichsweise komfortables Problem für ihn gewesen sein.

5.11.07

Runder Tisch mit Mahler

Da staunt der Fachmann, und der Wunde laiert sich: Ein prominenter Jude, Michel Friedman nämlich, schlägt sich für das Magazin Vanity Fair volle zwei Stunden lang mit einem prominenten Neonazi in Person von Horst Mahler herum. Nur verbal, versteht sich, denn Friedman hält es „für wichtig, dass man nicht nur über diese Leute spricht, sondern exemplarisch auch mit ihnen“, und zwar, „um sie sich selbst demaskieren zu lassen“ und „damit sie ihre hässliche Fratze zeigen und wir sie uns vor Augen halten“. Die Redaktion der Zeitschrift findet, dass dieser Plan voll aufgegangen ist: „Wir veröffentlichen dieses Interview, weil wir glauben, dass es eine bessere Bloßstellung der deutschen Rechtsextremen nie gegeben hat.“ Die Selbstauflösung der NPD infolge einer Austrittswelle ungeahnten Ausmaßes dürfte also nur noch eine Frage der Zeit sein. Und sollte sie doch länger auf sich warten lassen als geplant, weil ein paar Verfassungsschützer um ihren Arbeitsplatz fürchten, muss Friedman halt noch einmal ran, am besten am runden Tisch mit den Herren Apfel und Voigt sowie ein paar Kadern der Freien Kameradschaften.

Im Ernst: Selten war ein Skandal so inszeniert und so langweilig. Wer Mahler (Foto) ist und wie er tickt, ist mehr als hinlänglich bekannt. Wer das bislang trotzdem nicht wusste, wollte es auch nicht wissen. Bloßzustellen oder zu demaskieren gibt es bei ihm nichts, weil er sich nie eine Maske aufgesetzt hat, sondern seit jeher sagt, was er denkt, und denkt, was er sagt. Dafür hat er ein paar Mal im Knast gesessen und seine Zulassung als Anwalt verloren, und noch nicht einmal Mahler selbst behauptet, missverstanden worden zu sein. Es gibt keinen vernünftigen Grund, mit Nazis zu reden; wichtig ist alleine, sie daran zu hindern, das zu tun, was sie tun, wenn man sie nicht daran hindert. „Ob man sie dafür einsperrt oder sie dafür auf den Obduktionstisch gelegt werden müssen, ist mir gleich“, schrieb Wiglaf Droste einmal, und er hatte damit Recht. Friedmans Brachialpädagogik hingegen läuft ins Leere; was bleibt, sind letztlich zehn Druck- und 28 Online-Seiten, die den Leser zum Voyeur eines gewollten Tabubruchs machen und ihm dadurch Lustgewinn verschaffen sollen.

Denn der Erkenntnisgewinn aus der Unterhaltung tendiert gegen null. Von Interesse – wenn auch nicht wirklich neu – sind allenfalls Mahlers Ausführungen zu den Kontinuitäten in seinem biografischen Werdegang vom führenden RAF-Mitglied zu einem der bekanntesten deutschen Rechtsradikalen und der diesbezüglichen Rolle des Antisemitismus. „War die RAF, was Ihre [Mahlers] Positionen angeht, dass die Juden des Teufels sind, waren Andreas Baader, Ensslin, Meinhof auch Ihrer Meinung, damals schon?“, will Friedman wissen, und Mahler antwortet: „Ja, sicher“, bevor er präzisiert: „Für uns war damals der Begriff ‚der US-Imperialismus’, und jetzt sieht man klarer, was der US-Imperialismus ist, und insofern: Der Feind ist derselbe.“ Nur habe die RAF seinerzeit „ein Schuldgefühl gegenüber den Juden“ gehabt und sei deshalb „peinlich berührt“ gewesen, „als in Palästina, als wir da in diesem Lager der Fedajin waren, die Fedajin kamen mit Hitlerbildern und sagten: Guter Mann“. Das „war für uns schwierig“.

Doch nichts ist unmöglich, denn man hatte vorgesorgt: „Damals war das, was Sie jetzt unter Antijudaismus verstehen, der Antizionismus und die Kritik an der Politik Israels als eines jüdischen Staates im Verhältnis zu seinen Nachbarn. Das war uns präsent, und insoweit sind wir dann auch in der Kritik an den Juden sehr weit gegangen für damalige Verhältnisse.“ Mit anderen Worten: Weil der offene Antisemitismus zumindest offiziell desavouiert war, mussten andere Kanäle gefunden werden, und wer wäre für diese Suche geeigneter gewesen als Linke, die stets von sich behaupteten, den Judenhass entschieden zu bekämpfen, und daher unverdächtig schienen? Eine komfortable Situation jedenfalls, die Mahler – und nicht nur er – zu nutzen wusste: „Ich muss Ihnen sagen, weswegen ich [...] in diese Entwicklung RAF eingetreten bin, weil im jüdischen Gemeindehaus am 9. November 1969 eine Plastikbombe, also ‚Pattex-Bombe’, gefunden wurde. [...] Eine Gruppe, die ich kannte, hat sie dort deponiert, um gegen Israel zu demonstrieren. Und dann habe ich gesagt: ‚Das geht nicht, das ist ein völlig falscher Weg. Mit unserer Vergangenheit können wir das nicht machen.’ Und dann habe ich also meine Vorstellungen entwickelt, wie man es machen müsste, und dann hat mein Gesprächspartner gesagt: ‚Ja, wenn du das so weißt, warum tust du es nicht?’ Das war für mich praktisch zwingend der Befehl, es zu tun.“

Folgerichtig nahmen er und Seinesgleichen – aus taktischen Erwägungen heraus – nicht mehr jüdische Einrichtungen in Deutschland ins Visier, sondern man suchte verstärkt die Kooperation mit den Feinden Israels im arabischen Raum. Als Konsequenz daraus verglich die RAF den jüdischen Staat immer häufiger mit dem nationalsozialistischen Deutschland, begrüßte die Ermordung israelischer Sportler bei den Olympischen Spielen 1972 in München als „antifaschistische Tat“, ließ sich von arabischen Israelfeinden militärisch ausbilden und führte gemeinsam mit palästinensischen Terroristen Flugzeugentführungen durch, um nur einige Beispiele zu nennen. Inhaltlich, sagt Horst Mahler, habe er damals wie heute „immer für dasselbe“ gekämpft: „für die Freiheit des deutschen Volkes“. Nur habe die „jüdische Gräuelpropaganda gegen das deutsche Volk“ heute „keine Macht mehr“ über ihn. Und deshalb spart er es sich inzwischen, seinen Antisemitismus hinter einer „Israelkritik“ zu verstecken wie noch zu seinen RAF-Zeiten.

In gewisser Weise konnte sich Mahler also stets als Teil einer Avantgarde und seiner Zeit voraus fühlen. Denn heute ist der Antizionismus hierzulande Mainstream. Und auch wenn er sich nicht in dem Maße gewaltsam Bahn bricht wie in den siebziger Jahren und sich meist nicht offen als Bestandteil des „Kampfes für die Freiheit des deutschen Volkes“ ausweist: Dass die Feinde des jüdischen Staates von der Hamas über die Hizbollah bis zu den iranischen Mullahs mit viel Verständnis, teilweise sogar mit offener Sympathie bedacht werden und dass der Vergleich Israels mit Nazideutschland sich ausgesprochen großer Beliebtheit erfreut, zeigt, dass der Antisemitismus längst nicht nur eine Angelegenheit von Desperados ist. Doch auch für diese Einsicht bedarf es keines Interviews mit einem Neonazi. Und von Friedman intendiert war sie ohnehin nicht.