27.2.08

Arik zum Achtzigsten

Wäre Ariel Sharon noch bei Bewusstsein und hätte er die heutigen nassforschen Aufforderungen der deutschen Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul an die israelische Regierung zu kommentieren gehabt, er hätte nur das zu wiederholen brauchen, was er bereits zu Beginn des Jahres 2002 in seinem ersten Interview mit einer deutschen Zeitung sagte: „Was sollen wir tun? Kapitulieren? Ich bin ein Jude. Zum ersten Mal seit 2000 Jahren haben die Juden ein winzig kleines Land, 15-mal kleiner als Deutschland. Israel ist das einzige Land in der Welt, wo die Juden das Recht haben, sich selbst zu verteidigen. Und dieses Recht werden wir nie aufgeben. [...] Wir wissen, was den Juden im Zweiten Weltkrieg angetan worden ist. Sie in Deutschland oder Europa sollten deshalb nicht einmal versuchen, uns zu Konzessionen zu bewegen. Solche Ratschläge werden wir nicht akzeptieren. Vielleicht würde das mit einem anderen Premier funktionieren. Aber nicht mit mir. Nicht mit mir.“ Doch Sharon ist nicht mehr zu Bewusstsein gelangt, seit er am 4. Januar 2006 infolge starker Hirnblutungen in ein künstliches Koma versetzt wurde, das bis heute fortdauert.

1942 trat Ariel Sharon, Sohn eines polnisch-deutschen Vaters und einer russischen Mutter, als gerade einmal 14-Jähriger der Haganah bei; im Alter von 20 Jahren kommandierte er bereits eine Infanteriekompanie im israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948. Er prägte die Geschichte Israels vom ersten Tag an entscheidend, sowohl militärisch – etwa während der Suezkrise, im Sechstagekrieg und dem Yom-Kippur-Krieg – wie auch als Politiker, beispielsweise in seiner Funktion als Verteidigungsminister (zweimal), Außenminister, Vorsitzender des Likud, Gründer der Kadima und als Premierminister, der er seit 2001 war. Es muss letztlich Spekulation bleiben, wie sich die israelische Innen- und Außenpolitik in den letzten beiden Jahren entwickelt hätte, wenn Sharon Regierungschef hätte bleiben können. Aber dass er mit seinem Weitblick, seiner Entschlusskraft und seinem Durchsetzungsvermögen vor allem in Israel schmerzlich vermisst wird, ist gewiss, so umstritten er stets gewesen sein mag.

Heute wird Ariel Sharon achtzig Jahre alt.* Aus diesem Anlass sei hier das letzte Interview dokumentiert, das er gegeben hat. Es erschien am 3. Januar 2006 – einen Tag, bevor Sharons Dauerkoma begann – in der japanischen Zeitung Nikkeinet (und in englischer Sprache drei Tage später in der Yediot Ahronot). Sharon äußerte sich darin über die Frage einer Teilung Jerusalems, die Road Map, den palästinensischen Terror, das iranische Atomprogramm, die Zukunft der Golanhöhen und die Situation in Syrien. Nichts davon hat an Aktualität und Dringlichkeit verloren. Lizas Welt hat das Gespräch ins Deutsche übersetzt.

„Die Zeit arbeitet nicht für diejenigen, denen der Iran Sorgen bereitet“

Interview mit Ariel Sharon

Nikkeinet/Yediot Ahronot,
3./6. Januar 2006



Ist es für die Palästinenser möglich, die Hauptstadt zu teilen?

Für uns ist Jerusalem nicht verhandelbar. Und wir werden deshalb nicht über Jerusalem verhandeln. Jerusalem wird immer die vereinigte und unteilbare Hauptstadt Israels bleiben.

Glauben Sie, es wird in die Geschichte eingehen, dass die Palästinenser in Camp David eine Chance verpassten, als sie das Angebot des damaligen Premierministers Ehud Barak ablehnten, Jerusalem zu teilen?

Ich glaube nicht, dass sie das in die Praxis hätten umsetzen können. Ich denke auch nicht, dass das jüdische Volk bereit ist, Jerusalem zu teilen. Ich glaube, dass die Palästinenser viele Fehler gemacht haben, aber hauptsächlich als Ergebnis des Terrors, des Mordens und des Blutvergießens. Ich habe mit dem Rückzug [aus dem Gazastreifen] einen harten und schmerzlichen Schritt unternommen, aber nachdem wir Gaza verlassen hatten, hörte der Terror nicht auf. Ich sah, dass der Terror nach dem Rückzug nicht gestoppt wurde.

Gestern wurden zehn Kassam-Raketen aus Gaza nach Israel abgefeuert. Wie wird Israel reagieren?

Es ist die oberste Pflicht der Palästinensischen Autonomiebehörde, den Terror zu stoppen. Das Problem ist, dass sie keinerlei Schritte in diese Richtung unternehmen. Die Road Map sieht eindeutig vor, dass der Terror vollständig aufhören muss, wenn es Fortschritte geben soll. Ich war bereit, für einen dauerhaften und wirklichen Frieden schmerzhafte Kompromisse einzugehen. Aber ich habe auch sehr deutlich gemacht, dass Israel in Sicherheitsfragen keinerlei Kompromisse machen wird, nicht jetzt und nicht in der Zukunft.

Sie sagten, der Terrorismus haben auch nach Israels Rückzug aus Gaza nicht aufgehört. Gibt es Vorstellungen über einen einseitigen Rückzug aus der West Bank, die vergleichbar mit dem Abzug aus dem Gazastreifen sind?

Nein, nein, die Antwort ist nein. In Samaria und Judäa ist die Road Map der Plan. Wir haben weder jetzt noch in der Zukunft einen einseitigen Rückzug aus diesen Gebieten vor.

Was geschieht, wenn die Hamas in diesem Monat die palästinensischen Wahlen gewinnt?

Die Hamas ist eine Terrororganisation, in deren Programm von der Auslöschung des jüdischen Volkes und des Staates Israel die Rede ist. Sie ist keine Partnerin für Verhandlungen. Wenn sie entwaffnet und ihr Programm verboten würde, dann wäre die Situation eine andere. Aber ich erkenne diesbezüglich keine wie auch immer gearteten Schritte, die Mahmud Abbas unternimmt. Wir werden deshalb mit den Terroristen der Hamas so verfahren, wie wir immer mit ihnen verfahren sind.

Was denken Sie über das iranische Atomprogramm?

Der gewählte iranische Präsident legt sich mutwillig mit dem Westen an und nimmt größere Risiken auf sich als seine Vorgänger. Er entwickelt sein Atomprogramm weiter und baut es aus, womit er das Pariser Abkommen verletzt, und er fährt mit der Urananreicherung fort. Sowohl seine wiederholten Bemerkungen und jüngsten Stellungnahmen zu Israel als auch seine Handlungen zeigen, welche Gefahren Israel durch ein solch radikales iranisches Regime droht, das weiterhin das Ziel verfolgt, über atomare Kapazitäten verfügen zu können. Was Israel betrifft, lautet die Frage nicht, ob der Iran seine nuklearen Ziele erreicht oder nicht – das kann immer noch ein paar Jahre dauern. Die Frage lautet vielmehr, wann er die technologische Fähigkeit haben wird, um die Atombombe zu bauen. Unserer Einschätzung nach kann er das innerhalb eines Jahres. Die Zeit arbeitet jedenfalls nicht für diejenigen, denen der Iran Sorgen bereitet.

1981 veranlasste der damalige israelische Premierminister Menachem Begin Luftschläge gegen den Irak, um die atomare Aufrüstung dieses Staates zu verhindern. Werden Sie angesichts der drohenden nuklearen Gefahr durch den Iran wie Begin 1981 handeln, wenn der kritische Punkt erreicht ist und diplomatische Lösungen nicht greifen?

Ich war Mitglied des Kabinetts, als damals die Entscheidung getroffen wurde, und ich habe 1981 eine wichtige Rolle bei der Entscheidungsfindung gespielt. Zunächst einmal glaube ich, dass die Rahmenbedingungen damals andere waren als heute. Ich glaube, wir befinden uns heute immer noch in der Phase diplomatischer Fortschritte. Der Iran sollte vor den UN-Sicherheitsrat gebracht werden, und ich glaube, es können immer noch Sanktionen erlassen werden. Das Ganze ist noch zu stoppen.

Wie sehen Sie die Situation in Syrien?

Zunächst einmal müssen Sie wissen, dass Syrien gemeinsam mit dem Iran die terroristische Hizbollah deckt. Syrien ist das Zuhause von Terrororganisationen, das Zuhause etwa der Hamas, des Islamischen Djihad und der PFLP. Es gibt ungefähr zehn oder elf palästinensische Terrororganisationen – die radikalsten von ihnen haben ihr Hauptquartier und Aufmarschgebiet in Damaskus. Terroristen werden in Syrien ausgebildet, und die Waffen kommen von dort und aus dem Iran. Ich glaube, das ist etwas, das gestoppt werden sollte.

Glauben Sie, dass die Golanhöhen für immer unter israelischer Souveränität bleiben werden?

Ich kann mir keine Situation vorstellen, in der Israel nicht auf den Golanhöhen sitzen wird. 19 Jahre lang befand sich dieser nördliche Teil Israels in einem schweren Abnutzungskrieg. Wir werden nicht mehr in diese Lage kommen, obwohl Israel niemals Syrien angreifen wird.

Der japanische Premierminister Junichiro Koizumi brannte darauf, Sie nach Japan einzuladen. Zudem wird Koizumi voraussichtlich den Nahen Osten einschließlich Israel besuchen. Was erwarten Sie von dem bilateralen Treffen mit ihm?

Israel sieht eine große Wichtigkeit und Bedeutung darin, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern auszubauen, und es ist sehr wesentlich, dass sich diese Bindungen weiterentwickeln. Außerdem ist für uns die Rolle Japans im Nahen Osten von großem Gewicht. Japan kann mit Sicherheit dabei behilflich sein, die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) in ihren Reformbemühungen zu unterstützen. Seit den Osloer Verträgen hat Japan die PA bereits mit 800 Millionen Dollar unterstützt. Ich werde mein Versprechen erfüllen und Japan nach den Wahlen besuchen – als israelischer Premierminister.

* Nach dem gregorianischen Kalender wurde Ariel Sharon am 27. Februar 1928 geboren.

Hattips: Franklin D. Rosenfeld, Mark G., Heinrich K., Wind in the Wires

Im Jerusalemer Sender infolive.tv ist ein 33-minütiger Filmbeitrag zu sehen, der sich mit Ariel Sharon, seinem Leben und seinem Wirken befasst: Sharon At 80 – The Legend Behind The Man. – Lesetipp: Warrior. The Autobiography of Ariel Sharon.

26.2.08

An der Kette der Hamas

Es hätte der nächste propagandistische Coup der Hamas werden sollen, doch die vollmundig angekündigte „Menschenkette“ zwischen Rafah im südlichen Gazastreifen und dem 40 Kilometer entfernten Beit Hanoun im Norden wies am Montag beträchtliche Lücken auf. Denn nur etwa 5.000 Palästinenser statt der erwarteten 50.000 beteiligten sich an dieser Aktion „gegen die Belagerung von Gaza“, obwohl die Schüler extra dafür vom Unterricht befreit worden waren.

Wenn man hierzulande den Begriff „Menschenkette“ hört, denkt man wohl unweigerlich vor allem an die friedensbewegten Demonstrationen gegen den Nato-Doppelbeschluss und die Nachrüstung zu Beginn der achtziger Jahre. Das mit über 200.000 Teilnehmern größte Händchenhalten in Deutschland reichte dabei am 22. Oktober 1983 von Stuttgart bis Neu-Ulm. Andernorts gab es sogar noch höhere Zahlen, etwa 1989 im Baltikum oder 2004 in Taiwan. „Menschenketten“ gelten im Allgemeinen als Ausdruck, wo nicht als Inbegriff der Friedfertigkeit; schließlich kann nicht schlagen oder gar schießen, wer die Hände anderer in seinen eigenen hält. Zumindest nicht gleichzeitig.

Die Hamas weiß um den hohen Symbolgehalt, den diese Protestform vor allem in den westlichen Ländern und deren Medien hat; sie weiß also, welche Wirkung von einer „Menschenkette“ ausgeht und wie die Bilder von ihr aufgenommen werden. Und was könnte unschuldiger und Mitleid erregender daherkommen als Frauen und Kinder, die sich Hand in Hand an einem Grenzzaun – oder zumindest in dessen Nähe – aufreihen und auf selbst gebastelten Plakaten und Transparenten ihr Leid beklagen, das ihnen durch diese Absperrung entstehe, während in unmittelbarer Nähe Tausende von finster dreinschauenden gegnerischen Soldaten ihre Knarren einsatzbereit halten?

Dabei beobachtete die israelische Armee das vordergründig pazifistische Treiben aus guten Gründen mit Misstrauen und höchster Aufmerksamkeit. Denn es war alles andere als unwahrscheinlich, dass die Hamas einen ähnlichen propagandistischen Volltreffer zu landen gedachte wie vor wenigen Wochen, als sie die Grenzanlagen zwischen dem Gazastreifen und Ägypten beseitigte. Was nicht geringe Teile der Weltöffentlichkeit damals als spontane Selbstbefreiung vermeintlich halb verhungerter Palästinenser aus dem angeblich größten Gefängnis der Welt missverstehen wollten, war jedoch nichts anderes als ein von langer Hand vorbereiteter Coup der Gotteskrieger mit dem Ziel, den Terror über Ägypten nach Israel einsickern zu lassen, nachdem die israelischen Befestigungen und Kontrollen nahezu unüberwindlich geworden waren.

Seitdem wuchsen im jüdischen Staat die Befürchtungen, dass die Hamas auf ähnliche Weise auch das Überrennen israelischer Militärstellungen orchestrieren könnte. Und aus einem solchen Massensturm könne sie nur als Siegerin hervorgehen, schrieb Amos Harel in der Ha’aretz: „Wenn es einigen der von der Hamas zu Tausenden an die Grenzen gebrachten Leuten gelänge, nach Israel einzudringen, obwohl israelische Truppen in der Gegend sind, durchbräche Hamas erneut den Ring der wirtschaftlichen Isolation um Gaza. Wenn Israels Armee dann das Vorrücken der Marschierer mit gewaltsamen Mitteln verhinderte und Demonstranten tötete, hätte die Hamas die israelische Brutalität gegenüber den Massen, die um ein Leben in Gaza kämpfen, unter Beweis gestellt.“

Diese „Win-Win-Situation“ (Harel) habe jedoch eine Achillesferse: „Die Hamas hat das Überraschungsmoment nicht mehr auf ihrer Seite.“ Denn in Israel sind längst Maßnahmen ergriffen worden, um diesen worst case möglichst schon im Vorfeld zu verhindern: Entlang dem Sicherheitszaun wurden – von der Armee bewachte – Pufferzonen geschaffen, um demonstrierende Palästinenser auf Distanz zu halten und Grenzverletzungen so unwahrscheinlich wie möglich zu machen. Ein Eindringen in diese Bereiche wird geahndet, notfalls mit Gewalt. Das weiß die Hamas natürlich, doch es hielt sie nicht davon ab, vor allem Frauen und Kinder zu einer „Menschenkette“ zu dirigieren.

„Die letztlich bescheiden gebliebene Zahl von Protestlern wird den Hamas-Offiziellen jedoch zu Denken geben“, resümierte Clemens Wergin in der Welt. „Hier zeigt sich einerseits die im Gazastreifen herrschende Unzufriedenheit mit der Hamas. Zum anderen wissen die Palästinenser, dass es sich nicht um eine fundamentale, sondern allein eine taktische Wende der Hamas handelt, die wie die Hizbollah im Libanon jederzeit bereit ist, Zivilisten der eigenen ideologischen Ziele wegen in den Tod zu schicken.“ Wenn von einer „Wende“ überhaupt die Rede sein kann – weit eher handelt es sich um eine Erweiterung des Repertoires der Hamas, die bewusst die ganz überwiegend antiisraelische Nahostberichterstattung westlicher Medien in ihr Kalkül einbezieht.

Und obwohl die Beteiligung an der „Menschenkette“ weit geringer ausfiel als geplant, „ist es der Hamas gelungen, eine erfolgreiche PR-Aktion zu lancieren, indem sie mit den Bildern von Schildern tragenden Frauen und Kindern das friedliche Antlitz Gazas präsentierte“, konstatierte Wergin. „Dass das ein Muster ohne Wert ist, zeigen die gleichzeitig mit dem friedlichen Protest gestarteten Kassam-Angriffe auf die israelische Kleinstadt Sderot, bei der ein israelischer Junge schwer verletzt wurde.“ Doch diese neuerliche Attacke war in den deutschen und europäischen Medien einmal mehr bestenfalls eine Randnotiz, was zum wiederholten Male verdeutlichte, welch verlässliche De-facto-Bündnispartner die Hamas hat. Wie zum Beweis schloss denn auch die taz-Korrespondentin Susanne Knaul ihren Beitrag über die „Menschenkette“ mit den Worten: „Die Hamas hat sich wiederholt zu einem Waffenstillstand bereit erklärt. Israel lehnt das ab.“ Quod erat demonstrandum.

23.2.08

Lackmustest für Sarkozy

Ein Gericht in Paris wird am kommenden Montag darüber entscheiden, ob das Einfrieren von Konten der Iranischen Zentralbank (CBI) in Frankreich zum Zwecke der Entschädigung von Terroropfern rechtmäßig war oder ob die Konten wieder freigegeben werden müssen. Die Beschlagnahmung der Gelder hatten zwei amerikanische Staatsbürger erwirkt, die bei Selbstmordanschlägen des Islamischen Djihad und der Hamas im Gazastreifen und in Jerusalem schwer verletzt worden waren. Ein amerikanisches Gericht hatte ihnen und zehn weiteren Anschlagsopfern Kompensationszahlungen in Höhe von 87,5 Millionen Dollar zugesprochen, die gegen den Iran geltend zu machen seien, da dieser der Hauptfinanzier der palästinensischen Terrororganisationen sei. Weil das Mullah-Regime jedoch keine Gelder mehr in den USA angelegt hat, die gepfändet werden könnten, wichen die Kläger nach Frankreich aus und erreichten zunächst einen Teilerfolg: Die französischen Behörden nahmen die amerikanischen Urteile als Rechtsgrundlage und froren Ende Dezember des vergangenen Jahres 117 Millionen Dollar auf Konten ein, die die Iranische Zentralbank bei der Natexis Banques Populaire und der Bank Melli führte. Doch das französische Justizministerium erhob umgehend Einspruch und stellte sich auf die Seite des Irans. Zur Begründung hieß es, staatliche Zentralbanken genössen grundsätzlich Immunität – auch die iranische CBI. Am 24. Januar hob ein Gericht die Einfrierung daher wieder auf, wogegen wiederum einer der Anwälte der Terroropfer juristisch vorging. Am Montag fällt nun eine endgültige Entscheidung, die in vielerlei Hinsicht Präzedenzcharakter hat.

Die beiden Hauptkläger in dieser Angelegenheit sind Seth Klein Ben Haim und Jenny Rubin. Seth Klein Ben Haim (32) war am 9. April 1995 mit einem Überlandbus unterwegs von Ashkelon zur jüdischen Siedlung Gush Katif im südlichen Gazastreifen, als bei Kfar Darom, das ebenfalls im Gazastreifen liegt, ein Selbstmordattentäter einen mit Sprengstoff bestückten Lkw in den Bus steuerte. Acht Insassen wurden dabei ermordet und 52 zum Teil schwer verletzt, darunter Ben Haim. Der Islamische Djihad bekannte sich kurz darauf zu dem Anschlag. Jenny Rubin (26) wurde am 4. September 1997 gemeinsam mit über hundert weiteren Menschen verletzt, als sich gleich drei Selbstmordbomber der Hamas in der stark belebten Ben Yehuda Street in der Jerusalemer Fußgängerzone in die Luft sprengten und dabei vier Menschen ermordeten.

Auf der Grundlage des 2001 verabschiedeten Financial Anti-Terrorism Act der USA klagten beide auf Entschädigungszahlungen durch die Schuldigen für die Attentate; Ben Haim tat dies gemeinsam mit seinem Vater und seinem Bruder, Rubin zusammen mit acht weiteren Opfern. Vor dem District Court of Columbia bekamen sie jeweils Recht: Rubin am 10. September 2003, Ben Haim am 24. März 2006 (1). In beiden Fällen wies das Gericht die Verantwortlichkeit für die Mordanschläge dem Iran als maßgeblichem Unterstützer und Hauptfinanzier des Islamischen Djihad und der Hamas zu und verurteilte ihn zu einer Kompensationszahlung an die zwölf Kläger in Höhe von insgesamt 87,5 Millionen Dollar.

Doch die Mullahs haben ihre Gelder längst sukzessive aus den USA abgezogen, und deshalb gibt es keine Möglichkeit, dort Konten einzufrieren und die Anspruchsberechtigten mit dem beschlagnahmten Vermögen zu entschädigen. Ganz anders sieht es jedoch jenseits des Atlantiks aus: „Experten vermuten, dass in europäischen Ländern, darunter Deutschland, Milliardensummen auf Konten liegen, die dem Iran zugerechnet werden“, schrieb die Financial Times Deutschland (2). Also wandten sich Ben Haim und Rubin an Frankreich, dessen Recht das Einfrieren kompletter Konten zulässt. Und tatsächlich beschlagnahmten die dortigen Behörden Ende Dezember 2007 die Summen, die die Iranische Zentralbank dort akkumuliert hatte. „Es ist zum ersten Mal gelungen, Gelder zugunsten von Terroropfern zu lokalisieren und anzuhalten“, zeigte sich Christoph Martin Radtke, französischer Anwalt der Kläger, erfreut von diesem Vorgehen.

Das Justizministerium jedoch intervenierte prompt gegen die Entscheidung: Nach französischem Recht genössen Zentralbanken prinzipiell Immunität, da sie ausschließlich souveräne Aufgaben erfüllten. Das wiederum erstaunte Radtke: Eine solche Einmischung sei „ziemlich ungewöhnlich in einem Zivilprozess und äußerst selten“, befand er. Dennoch gab ein französisches Gericht dem Einspruch des Ministeriums statt und hob die Einfrierung der Konten Ende Januar auf. Weil der Jurist jedoch Rechtsmittel einlegte, wird die Angelegenheit jetzt erneut und abschließend verhandelt. Es sei nicht zulässig, die CBI mit anderen Zentralbanken gleichzusetzen, sagte Radtke: „Die CBI nimmt nicht ausschließlich hoheitliche Aufgaben wahr. Vielmehr agiert sie wie jede kommerzielle Bank, weshalb sie keine Immunität erhalten kann.“

Die nun anstehende Entscheidung ist in verschiedener Hinsicht bedeutsam. Zum einen trifft sie eine Aussage darüber, ob man in Europa doch noch willens ist, im Iran einen der Hauptverantwortlichen für den internationalen islamischen Terror zu sehen, entsprechende – auch finanzielle – Konsequenzen folgen zu lassen und die Opfer monetär zu ihrem Recht kommen zu lassen. Zum anderen ist sie aber auch ein Lackmustest für Nicolas Sarkozy und seine Regierung. Kürzlich hatte der französische Staatspräsident noch gesagt: „Ich werde nicht die Hände von Leuten schütteln, die sich weigern, Israel anzuerkennen.“ Wie ernst das gemeint ist, wird nicht zuletzt der Prozess am Montag zeigen.

Anmerkungen:
(1) Die Gerichtsurteile liegen Lizas Welt vor.
(2) Nicola de Paoli: Terroropfer wollen an Teherans Konten, in: Financial Times Deutschland vom 22. Januar 2008 (nur Printausgabe).

19.2.08

Football’s coming out?

„Fußball ist eines der letzten heterosexuellen Milieus“, stellte die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Ausgabe vom vergangenen Sonntag fest. „Niemand, der sagt: Ich bin schwul, und das ist auch gut so“, wie es Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister Berlins, im Juni 2001 auf einem Parteitag der Berliner SPD tat. „Auch Moderatorinnen, Schauspieler oder Modeschöpfer haben sich in den letzten Jahren zu ihrer Homosexualität bekannt. Ganz offensichtlich aber ist der Fußball in dieser Beziehung kein Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklung.“ Sondern „viel archaischer“ als etwa die Politik, wie Nationalspieler Philipp Lahm vom FC Bayern München kürzlich in einem Interview mit dem schwulen Lifestyle-Magazin Front befand. Immer noch wird in den Bundesligastadien „schwul“ oder „Schwuler“ in der Absicht gegrölt, gegnerische Spieler und Fans herabzuwürdigen, und immer noch gilt es – nicht nur hierzulande – als nahezu undenkbar, dass ein Fußballprofi offen schwul lebt, ja, dass es überhaupt schwule Berufskicker gibt. Inzwischen lassen zwar einige Spieler zaghafte Ansätze eines Problembewusstseins erkennen und hat die Zahl der Veröffentlichungen, die sich mit dieser Thematik beschäftigen, deutlich zugenommen. Doch während die – möglichen und tatsächlichen – Folgen eines öffentlichen coming out bezahlter Balltreter mittlerweile auch in auflagenstarken Medien erörtert werden, machen die meisten um die Frage, warum sich die Homophobie gerade im (Männer-) Fußball weiterhin nahezu ungehemmt austoben kann, zumeist einen großen Bogen.

Ängste und Doppelidentitäten

Nach Jahrzehnten, in denen die Schwulenfeindlichkeit so selbstverständlich zum Fußball gehörte wie Tore und Freistöße, ist es gleichwohl schon ein spürbarer Fortschritt, dass sie überhaupt in kritischer Absicht thematisiert wird. Das – inzwischen eingestellte – Fußball-Monatsmagazin Rund widmete ihr im Dezember 2006 sogar einen Heftschwerpunkt. Die Redakteure Oliver Lück und Rainer Schäfer präsentierten darin das Ergebnis ihrer zweijährigen Recherche, während der sie sich unter anderem mit zwei schwulen Bundesligaspielern unterhalten hatten. Diese erzählten von ihrer Angst vor den Konsequenzen, mit denen sie rechnen, wenn sie sich dazu bekennen, Männer zu lieben und nicht Frauen: Sie fürchten, durch die Presse gezogen, von den Mannschaftskollegen ausgegrenzt und von den Fans – den eigenen wie den gegnerischen – beschimpft, verhöhnt und ausgelacht zu werden. „Die eigentliche Sexualität wird deshalb anonym in der Schwulenszene ausgelebt“, schrieben Lück und Schäfer, und ansonsten werden, „um der Norm und dem Idealbild des heterosexuellen Sportlers zu genügen, von Spitzensportlern und deren Clans mühsam und aufwändig konstruierte Doppelidentitäten mit Frauen und Kindern geschaffen“.

Dementsprechend sieht das Innenleben eines schwulen Profikickers auch aus, wie Rainer Schäfer in einem Interview mit dem Stern verdeutlichte: „Einerseits wird er angehimmelt von seinen Fans, die davon ausgehen, dass er heterosexuell und ‚normal’ ist, auf der anderen Seite muss er einen zentralen Teil seiner Persönlichkeit verbergen, nämlich seine Homosexualität.“ Dadurch sei er gezwungen, Verdrängungsmechanismen aufzubauen und seine Sexualität im Verborgenen auszuleben. Das führe zu großen psychischen und sozialen Problemen: „Die Spieler sollen funktionieren, und das ist schwierig, wenn man immer von Ängsten und Zweifeln geplagt ist, wenn man seine Familie belügen muss. Dieses Konstrukt aus Lügen und Notlügen macht es nicht gerade leichter, sich auf den Profifußball zu konzentrieren und seine Leistung zu erbringen.“ Und daran werde sich so lange nichts ändern, wie Homosexualität im Fußball ein Tabu bleibe und die Klubs und Verbände bei der Thematik mauerten. „Oben steht Rassismus, da wird inzwischen was getan, dann kommen die Frauen und die Behinderten, da wird sich auch eingesetzt“, resümierte Schäfer. „Für die Schwulen wird gar nichts getan. Auch für die Spieler ist das kein Thema, damit will man nicht in Berührung kommen, die Ablehnung ist riesengroß.“

„Mit dem Arsch zur Wand“

In der Tat sind die Beispiele homophober Äußerungen von Bundesligaspielern zahlreich. Paul Steiner etwa, zu seinen aktiven Zeiten Verteidiger des 1. FC Köln, sagte einmal: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Schwule Fußball spielen können.“ Zumindest seien sie nicht „hart genug, um im Profigeschäft zu bestehen“. Dieser Ansicht war auch Rekordnationalspieler Lothar Matthäus. Torhüter Frank Rost hielt es zu seinen Schalker Zeiten ebenfalls für ausgeschlossen, dass es in der Bundesliga schwule Kicker gibt; falls aber doch, sei er auf der Hut: „Ich dusche immer mit dem Arsch zur Wand.“ Und der frühere Düsseldorfer Spieler Michael Schütz glaubte: „Man würde gegen so einen nicht richtig rangehen, weil eine gewisse Furcht vor Aids da wäre.“ Von den Zuschauerrängen tönt es sogar noch wüster als aus der Kabine, wie Gerd Dembowski vom Bündnis Aktiver Fußball-Fans (BAFF) in einem Beitrag für das Buch Tatort Stadion schilderte: „Wurde in den achtziger Jahren zum Beispiel ‚Ewald, der Schnelle, der Homosexuelle’ gegen den späteren Trainer Ewald Lienen intoniert, folgte in den Neunzigern ‚Toni Polster, jeder kennt ihn, den Stricher aus Wien’ oder beispielsweise ‚Uwe Kamps ist homosexuell’ nach der Melodie des Beatles-Hits ‚Yellow Submarine’. Der Schiedsrichter ist schon mal eine ‚Schwuchtel’, ‚weil der schwul pfeift’ – was auch immer das bedeuten mag. ‚Schwuler, schwuler BVB’ oder ‚Arbeitslos und homosexuell, das ist der VfL’ – es kann alle und jeden treffen, sogar ganze Vereine.“ Dembowskis BAFF-Kollege Martin Endemann ergänzte: „Sehr viele Choreografien beschäftigen sich damit, dass der Gegner schwul ist. Ganze Kurven verbreiten homophobe Inhalte. Nähme der DFB Homophobie in seinen Strafenkatalog auf, müsste er fast jedes Bundesligastadion dichtmachen und jedes zweite Spiel abbrechen.“

Was geschehen kann, wenn sich im bezahlten Fußball Aktive zu ihrem Schwulsein bekennen, mögen zwei Beispiele illustrieren. Das eine davon betrifft den – inzwischen verstorbenen – niederländischen Schiedsrichter John Blankenstein, der keinen Hehl daraus machte, homosexuell zu sein. „Diese Ehrlichkeit wurde in Holland sehr positiv aufgenommen“, sagte er dem Magazin Rund, „ich wurde nie angefeindet“. Anders war es jedoch, als er 1994 das Finale der Champions League zwischen dem AC Mailand und dem FC Barcelona leiten sollte, bevor ihm das Spiel vom europäischen Fußballverband UEFA wieder entzogen wurde: „Den Italienern war ich als Holländer nicht unparteiisch genug, da bei Barcelona mehrere Holländer im Team spielten. Und diese rosa Sportzeitung ‚La Gazzetta dello Sport’ schrieb außerdem, dass ich ja schwul sei, was erst recht gegen mich sprechen würde.“ Ähnliches habe er auch in England vor einem Länderspiel erlebt: „Der ‚Daily Mirror’ schrieb mit großen Buchstaben: ‚Tonight’s referee is gay’.“ Dennoch habe es ein schwuler Unparteiischer im bezahlten Fußball einfacher als ein schwuler Spieler: „Schiedsrichter sind individueller, wir haben keine Fans, es sind sowieso alle gegen uns. Da macht es keinen Unterschied, dass ich auch noch schwul bin.“

Das zweite Beispiel bestätigt Blankensteins These: Justin Fashanu war 1990 der erste Profi überhaupt, der öffentlich kund tat, schwul zu sein. In der Folge wollte ihn kein Verein mehr haben, wie Martin Krauß im Freitag schrieb: „Die Fußballwelt mag so etwas nicht, und Fashanu flüchtete nach Kanada, wo es zwar kaum Geld zu verdienen gibt, man ihn aber in Ruhe ließ. Als er wieder nach Großbritannien zurückkam, musste er zunächst bei einem Provinzverein anheuern, dann bei einem besseren Club, der ihn aber entließ wegen ‚Verhaltens, das eines Fußballers nicht würdig ist’. Fashanu erhängte sich am 2. Mai 1998 in einer Garage in London. Er musste, daran lassen seine Freunde keinen Zweifel, sein Outing in einer homophoben Gesellschaft mit dem Tod bezahlen.“ Mit einem Suizid rechnet die Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling zwar nicht, wenn sich erstmals auch ein Bundesligaspieler zu seinem Schwulsein bekennen würde. Doch einschneidende Konsequenzen für den Betreffenden unterhalb dieser Schwelle sagt auch sie voraus: „Sicher würde dieser Spieler durch die Medienlandschaft gereicht. Und wenn er noch aktiv sein sollte, wäre seine Karriere wahrscheinlich beendet. Vielleicht würde er sogar aufgefordert, die Mannschaft zu verlassen, weil viele Vereine noch immer der Meinung sind, ein homosexueller Fußballspieler würde das ganze Team diskreditieren.“

Kleine Fortschritte

Inzwischen sind zumindest kleine Fortschritte zu verzeichnen, allen voran im englischen Profifußball. Dort hat sich der nationale Verband, die Football Association, bereits vor sieben Jahren in seiner Satzung verpflichtet, gegen Diskriminierungen vorzugehen, die die sexuelle Orientierung betreffen. Anfeindungen gegen Homosexuelle können seitdem mit Stadienverboten geahndet werden. Im August 2006 wurden zwei Fans von Norwich City wegen schwulenfeindlicher Äußerungen sogar von einem Gericht zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Und auch Spieler beziehen Position: Starkicker David Beckham etwa äußerte öffentlich, er sei stolz darauf, Schwulen als Pin-up-Boy zu dienen. Ähnliches wird aus Italien vermeldet, wie Rainer Schäfer im Gespräch mit dem Stern berichtete: „Der Nationalspieler Alberto Gilardino wurde dort von der Nationalen Schwulenvereinigung zur Ikone gekürt. Er hat diese Ehrung genutzt, um darauf hinzuweisen, dass er sich wünscht, dass jeder leben kann, wie er möchte, und nicht wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden soll.“ Und auch in Deutschland nehmen vereinzelt und vorsichtig Spieler Stellung gegen die Schwulenfeindlichkeit in ihrem Sport. Philipp Lahm beispielsweise versicherte: „Wenn ein Spieler schwul ist, ist er trotzdem mein Mannschaftskollege, und für mich würde sich im Umgang mit ihm nichts ändern. Ich registriere das nicht, für mich geht es darum, welche Ansichten jemand hat und ob er sich vernünftig verhält. Ich lebe gerne in einer liberalen, offenen Gesellschaft, in der ein tolerantes Miteinander ohne diskriminierende Vorurteile möglich ist.“

Solche Selbstverständlichkeiten sind allerdings immer noch die Ausnahme, zumal auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und die Klubs bislang wenig Bereitschaft zeigten, gegen Homophobie aktiv zu werden. Und wenn, dann erschöpfen sich die Statements zumeist in allgemeinen Versprechungen, gegen Diskriminierungen jedweder Art vorzugehen. Bei den Fußballfans tut sich da schon mehr. So hat beispielsweise im Jahr 2005 das Netzwerk Football Against Racism in Europe (FARE) in Zusammenarbeit mit der European Gay and Lesbian Sports Federation (EGLSF) einen „Fünf-Punkte-Plan gegen Sexismus und Homophobie“ verabschiedet und das zu FARE gehörende deutsche Bündnis Aktiver Fußball-Fans (BAFF) die Initiative „Zeig dem Fußball die rosa Karte!“ ins Leben gerufen. Zudem haben inzwischen zehn Bundes- und Zweitligisten schwul-lesbische Fanklubs: Den Anfang machten am 7. August 2001 die Berliner Hertha-Junxx; der jüngste von ihnen heißt Andersrum rut-wiess und ist seit dem 15. November 2007 offiziell im Fanklub-Register des 1. FC Köln eingetragen. Aber längst nicht alle rannten bei ihrem Lieblingsverein offene Türen ein. Die Rainbow Borussen aus Dortmund etwa wurden zunächst nicht als offizieller Fanklub anerkannt, dann wurde verschwiegen, dass es sich um einen Verein von Schwulen und Lesben handelt, und später verweigerte ihnen der BVB die Merchandising-Rechte.

Die Frage nach dem Warum

Dessen ungeachtet hat in den letzten Jahren die Sensibilität für das Thema Schwulenfeindlichkeit in den Profiligen zugenommen; auch auflagenstarke Medien beschäftigen sich von Zeit zu Zeit mit der Problematik. Allerdings wird dabei häufig die Frage umschifft, warum gerade der Männerfußball noch immer ein solcher Hort der Homophobie ist und weshalb er der gesellschaftlichen Entwicklung dermaßen hinterherhinkt. Auch der Rund-Redakteur Rainer Schäfer entgegnete dem Stern auf die diesbezügliche Frage nur knapp: „Vielleicht liegt es daran, dass der Fußball sich sehr männlich gibt und darin sehr viele Macho-Attitüden zu finden sind. Daraus wird immer die These gesponnen, dass Homosexuelle sich im harten Männersport nicht zurechtfinden, weil sie ohnehin zu weich wären, diesen Sport zu betreiben.“ Zumindest wird Homosexualität offenkundig „sportartenspezifisch unterschiedlich bewertet“, wie Tanja Walther in einer Studie für die EGLSF befand: „Eiskunstläufer dürfen eher schwul sein als Fußballer; Fußballerinnen gelten immer als lesbisch, nicht aber Leichtathletinnen.“ Doch wieso ist Fußball „eine Domäne heterosexueller, monokultureller Männlichkeit“ und „eng verbunden mit dem Bild vom starken Mann“, obwohl er doch, wie der Historiker Ulf Heidel bemerkte, „Männern ein Repertoire körperlich intimer Gesten erlaubt, die an anderen Orten als liebevoll, erotisch oder sexuell erlebt würden“?

Heidel selbst löste dieses vermeintliche Paradox auf, indem er auf die traditionell männerbündischen Strukturen in der populärsten Sportart der Welt verwies – die dort so fest verankert seien wie sonst nur in der Armee – und in diesem Zusammenhang den Begriff der Desexuierung einführte, das heißt die „Dethematisierung von sexuellem Begehren und sexueller Identität“. Diese umfasse die Vereinnahmung und Zurichtung des Körpers zum Zwecke des erstrebten Erfolgs der Mannschaft, weshalb auch der Sex „dem übergeordneten Interesse des Männerbundes“ unterstehe. Damit einher gehe der Ausschluss von Frauen respektive deren Degradierung zu Sexual- und Reproduktionsobjekten oder zur „Bedrohung der mühsam erlangten Perfektion von Körper oder Konzentration“. Zudem beruhe die Desexuierung „auf der Regulierung dessen, was zwischen den Spielern als statthaft und dem Mannschaftsgefüge zuträglich gilt und was nicht“. Genau darin bestehe letztlich der „‚Trick’ des Männerbundes, im geeigneten Moment Praktiken körperlicher Nähe nicht nur zu erlauben, sondern zur Intensivierung des Zusammenhalts zu befördern“. Dass das Ausziehen des Trikots nach einem Torerfolg, das „Tätscheln und Wuscheln, Umarmen und Bespringen, Herzen und Küssen von Spielern wie Zuschauern“ nicht als sexuell wahrgenommen werde, sei dabei „ein Effekt kultureller Gewöhnung“. Dies veranschauliche die Skepsis, „die den im nördlicheren Europa erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgekommenen Ausdrücken gemeinsamen Jubelns entgegengebracht wurden“. Denn noch 1981 „befürchtete die FIFA offensichtlich eine Art Schwulisierung, als sie das Küssen als ‚unmännlich, übertrieben gefühlsbetont und deshalb unangebracht’ brandmarkte“.

Doch selbst wenn Küsse eher selten zum Jubelrepertoire von Spielern zählen, gehören „offen zur Schau gestellte Emotionen im Fernsehen genauso zu einer erfolgreichen Torszene wie deren Vorbereitung“, resümierte Heidel: „Die Jungs können sich eben gerade so lange ‚unschuldig’ zusammen über den Rasen wälzen, solange der ‚Heterosexualitätsverdacht’ unangefochten bleibt. All dies würde ein schwuler Spieler in Frage stellen, denn unvermeidlich wäre mit ihm der Verdacht im Spiel, dass nicht Freude, sondern Begehren ihn den körperlichen Kontakt suchen lässt. Gerade dass der Männerbund weitestgehend von jeglicher Sexualität gesäubert ist, lässt schon den Gedanken an einen schwulen Spieler zur verräterischen Angstfantasie werden.“ Das gilt analog auch für den Jubel auf den Tribünen oder in den Kneipen und Wohnzimmern, bei dem sich plötzlich Männer in die Arme fallen, die derlei abseits des Fußballs eher selten praktizieren und entsprechende Versuche brüsk mit der Bemerkung zurückweisen, schließlich „nicht schwul“ zu sein. Dass dabei außerdem das Verdrängen eigener sexueller Wünsche – das umso größer ist, je lauter und primitiver die homophoben Invektiven vorgetragen werden – und die Selbstversagung eine maßgebliche Rolle spielen, liegt auf der Hand. Der Fußball bietet insoweit eine gesellschaftlich sanktionierte Möglichkeit, diesen unterdrückten Bedürfnissen nachzugeben – und zwar kollektiv –, ohne dabei so etwas wie den Verdacht zu erregen, der heterosexuellen Norm nicht zu entsprechen.

Was tun?

Die Frage, ob und wann sich der (Männer-) Fußball der gesellschaftlichen Entwicklung anpasst, bleibt derzeit noch unbeantwortet. Offen schwul lebende Fußballprofis, die von Mitspielern wie Fans nicht behandelt werden wie Aussätzige, scheinen momentan noch nicht denkbar; gleichwohl muss der Männerbund als klassisches Erfolgsrezept und Sublimationsstrategie im Fußball nichts sein, was zwangsläufig und dauerhaft überlebt. Vor nicht allzu langer Zeit waren auch Frauen und Mädchen in den Stadien noch eine Ausnahme, die von der männlichen Mehrheit bestenfalls geduldet wurde, und kaum jemand konnte sich vorstellen, dass sich daran jemals etwas ändern würde. Aufklärungskampagnen und Maßnahmenkataloge können zweifellos hilfreich sein, um der Homophobie den Garaus zu machen; zudem wäre es wünschenswert, wenn von Funktionären, Trainern und prominenten Spielern entsprechende Initiativen ausgingen. Und dabei kommt es entgegen einer verbreiteten Annahme gerade nicht darauf an, dass sich die ersten schwulen Fußballer öffentlich selbst outen. Vielmehr gilt, was Rainer Schäfer konstatierte: „Wenn ein bekennend heterosexueller Spieler sagen würde, ‚Leute, wo ist eigentlich das Problem?’, dann wäre das längst kein so ein großes Thema mehr.“ Zumindest würde er etwas anstoßen, das mehr als überfällig ist.

Tipps zum Weiterlesen:
· Gerd Dembowski: Von Schwabenschwuchteln und nackten Schalkern. Schwulenfeindlichkeit im Fußballmilieu, in: Gerd Dembowski/Jürgen Scheidle (Hg.): Tatort Stadion. Rassismus, Antisemitismus und Sexismus im Fußball, Köln 2002, S. 140-146.
· Martin Endemann: Kategorie Gay. Homophobie im Profi.Fußball, in: outcome!, April 2006, S. 12-15.
· Rainbow: Geschichte und Gegenwart der Homosexualität im Sport.
· Tanja Walther: Kick it out. Homophobie im Fußball. Herausgegeben von der European Gay and Lesbian Sport Federation (EGLSF), Berlin 2006.

16.2.08

Judenhass als Völkerrecht

Wie es um Norman Paech bestellt ist, den Bundestagsabgeordneten und „Völkerrechtsexperten“ der Linkspartei, wusste der unvergessene Eike Geisel schon vor fünfzehn Jahren. Als Paech (Foto) nämlich seinerzeit in der Hamburger Lehrerzeitung den Judenstaat für den Judenhass im Land der Judenmörder und ihrer Nachfahren verantwortlich machte („Israel muss sich fragen, ob seine Palästina-Politik nicht einem latenten Antisemitismus in Deutschland Nahrung gibt“) und ein entsprechendes Handeln einforderte („Dem können wir nicht entgegensteuern, indem wir schweigen“), formulierte Geisel in konkret: „Die demagogische Figur dieser Wendung hat Tradition. Es handelt sich bei ihr um eine besonders beliebte Formel antisemitischer Agitation, um die Formel vom ‚provozierten Antisemitismus’. [...] Nicht vom Antisemitismus will er [Paech] [jedoch] reden, sondern von dessen Zulieferern in Israel. Der Anwalt der Menschenrechte, als der er sich versteht, präsentiert sich gerade dadurch als ein Gegner des Judenhasses, dass er die Juden beschwört, die Anlässe dazu aus der Welt zu schaffen.“ Und dass der „Völkerrechtler“ über die angebliche israelische Beihilfe zum Antisemitismus nicht schweigen konnte und kann, verdankt er einem ganz besonderen Initiationsritus: dem Pfingsterlebnis einer Israelreise.

Die hatte Norman Paech 1968 unternommen, „in der Aura der Kollektivschuld“, wie er festzustellen sich beeilte. „Und dort“, bemerkte Eike Geisel, „war ihm zuteil geworden, worauf die Wallfahrer nach Lourdes immer nur vergeblich hoffen: Gesundheit. ‚Ich wurde erst dort auf die Lage der Araber aufmerksam’, berichtete er über das wundersame Mittel seiner dauerhaften Genesung. ‚Seit jener Zeit fühle ich mich in dieser Frage gefordert’, beschrieb er im salbungsvollen Jargon des Berufspolitikers die anhaltende moralische Wirkung dieser Entdeckung.“ Denn von der „Aura der Kollektivschuld“ erlöst und die Leiden der Palästinenser vor Augen, konnte Paech endlich, „aus dem Schatten Hitlers heraustreten“, wie Geisel resümierte: „Nun war er frei für eine neue kollektive Aufgabe ganz eigener Art, nämlich für die des Bewährungshelfers. Und wie viele andere Absolventen des Bildungsurlaubs im Nahen Osten entdeckte er eine exklusive Fürsorgepflicht der Deutschen für Israel: ‚Ich vermag nicht’, begründete er dieses Ansinnen, ‚als Konsequenz aus den Verbrechen der Generation vor uns zu schweigen, wenn die Überlebenden, ihre Kinder und Enkel Menschenrechte anderer verletzen.’“

Vierzig Jahre nach Paechs Pfingsterwachen hat sich daran immer noch nichts geändert, wie ein Interview zeigt, das unlängst die taz mit ihm führte. „D
ie deutsche Politik interpretiert ihre Freundschaftspflicht gegenüber Israel schon seit Jahrzehnten falsch“, sagte er dort. „Gerade wir müssten viel mehr Druck machen, dass Israel die seit 1967 völkerrechtswidrig besetzten Gebiete räumt und einen souveränen palästinensischen Staat ermöglicht.“ Denn auf diese Weise erledigten sich „80 Prozent der Konflikte in der Region“; zudem wäre „Israels Sicherheit viel besser gewährleistet als heute“. Und so hätte sich Auschwitz doch noch für Täter wie Opfer gelohnt: Die Juden haben seitdem schließlich ihren eigenen Staat, und die Gerade-wir-als-Deutsche-Deutschen fungieren als dessen selbst ernannte Sozialarbeiter. So mutierte die Kollektivschuld zur Kollektivgeduld, und aus einem Volk von Judenreferenten ist eines von Nahostexperten geworden, deren inoffizieller Vorsitzender Norman Peaech ist.

Der nämlich hat im Gegensatz zu den Israelis aus der Geschichte gelernt, dass Auschwitz eine Besserungsanstalt war. Woraus zwangsläufig folgt: „Die Bundesregierung muss unmissverständlich klarstellen, dass das Vorgehen Israels die Grenzen der zulässigen Selbstverteidigung überschreitet.“ Und wo diese Grenzen jüdischer Wehrhaftigkeit zu liegen haben, wusste man in Deutschland schon immer ganz genau, also auch im Falle der Entführung israelischer Soldaten durch die Hizbollah im Vorfeld des Libanonkrieges vom Sommer 2006: „Das war ohne Zweifel eine sinnlose Provokation und ein völkerrechtswidriges Verbrechen der Hizbollah“, gab sich Paech im Gespräch mit der taz generös, wobei er offen ließ, wie denn eine sinnvolle Provokation der Gotteskrieger auszusehen gehabt hätte. Aber egal: „Israel hätte also das Recht gehabt, mit kleinen Trupps auf libanesisches Gebiet nachzueilen, um die Täter zu suchen und zu stellen.“ Da hätte sich Nasrallahs Mörderbande aber sowas von gefürchtet und sicher sofort freiwillig die Waffen gestreckt! „Israel hat dann aber begonnen, systematisch Ziele im ganzen Libanon zu bombardieren. Erst dann hat die Hizbollah mit dem Abfeuern von Raketen begonnen.“ Und dadurch quasi per Notwehr das Völkerrecht sowie en passant auch das Weltbild des Norman Paech wieder geradegebogen.

Der hat jedenfalls – Überraschung! – „große Zweifel, ob ein isolierter Grenzzwischenfall ein umfassendes Selbstverteidigungsrecht auslöst“. Schließlich ging es der Hizbollah zeit ihrer Existenz ja immer nur um ein kleines Stückchen vom Kuchen in Form von „isolierten Grenzzwischenfällen“ und nicht etwa um die ganze Bäckerei namens Israel. Und wenn deren Konditoren auch noch „mit einem unzulässigen Vernichtungskrieg gegen Milizen und Bevölkerung im Libanon vorgehen“, dann vermutlich deshalb, weil sie das Blut für die Herstellung von Matze benötigen. Das sagt Paech zwar nicht – aber wer die Juden für die Nazis von heute hält, dem ist zweifellos alles zuzutrauen. Zumal ihn auch der Hinweis des Interviewers, die Hizbollah verstecke doch sich und ihre Waffen gezielt in zivilen Wohngebieten, nicht im Mindesten anficht: „Das mag in Einzelfällen so sein, rechtfertigt aber nicht die Bombardierung von Wohnvierteln.“ Man wüsste allzu gerne, wie groß die Summe solcher „Einzelfälle“ eigentlich sein muss, damit Paech darin eine antiisraelische Strategie erkennt. Sie geht vermutlich in mathematisch nicht mehr fassbare Dimensionen.

Dafür weiß der 69-Jährige umso besser, dass alles, was Israel tut, aus reinem Kalkül geschieht und jedenfalls nicht unter der Rubrik „Einzelfälle“ zu verbuchen ist: „Mir scheint, man hat den Grenzzwischenfall mit Hizbollah zum Anlass genommen, die bereits seit langem geplante Besetzung des Libanon umzusetzen.“ Belege für diese aberwitzige These, die vor allem von einer monströsen Realitätsverleugnung zeugt, bleibt Norman Paech selbstverständlich schuldig. Mag er sich auch mit dem vordergründig honorigen Titel „Völkerrechtler“ schmücken – er ist in erster Linie ein deutscher Ideologe mit „einer durchsichtigen Plumpheit, einer von keinerlei intellektuellen Regungen ins Wanken gebrachten Geradheit“, wie Eike Geisel schon 1993 befand. Die Pfingstreise Paechs vor vierzig Jahren – so viel ist sicher – war dabei übrigens nicht der Anfang von dessen Karriere als linker Vorzeigeantisemit, sondern allenfalls eine Angelegenheit, die ihm die nötige street credibility verschaffen sollte. Und die Israel noch nicht mal mit einem Einreiseverbot ahndete. Schade eigentlich.

Hattip: Benny Weinthal

14.2.08

Strike!

Er stand seit Mitte der achtziger Jahre in den Fahndungsbüchern diverser Geheimdienste, allen voran in denen des Mossad und der CIA. Nach dem 11. September 2001 setzten ihn die USA auf die Liste der meistgesuchten Männer. Ihm wird eine Beteiligung an ungezählten Morden, Anschlägen und Entführungen zugeschrieben, und er war das wohl wichtigste Scharnier zwischen der Hizbollah und dem Iran. Die Bezeichnung „Top-Terrorist“ verdiente er wie kaum ein Zweiter. Wo er sich aufhielt, blieb allerdings stets ein Rätsel. Nun hat die Suche nach Imad Fayez Mugniyah ein Ende: Am Dienstag wurde er in der syrischen Hauptstadt Damaskus von einer Autobombe getötet.

Für die Hizbollah war erwartungsgemäß sofort klar, dass Mugniyah (Foto) „von der Hand zionistischer Israelis zum Märtyrer“ gemacht wurde, weshalb die Terrortruppe sofort ihren obligatorischen Racheschwur folgen ließ. Doch die israelische Regierung dementiert, für das vorzeitige Ableben des 45-Jährigen verantwortlich zu sein. Gleichwohl ist die Erleichterung im jüdischen Staat wie auch in den USA groß: Danny Yatom etwa, ehemaliger Leiter des israelischen Geheimdienstes Mossad, bezeichnete die Tötung Mugniyahs als „großen Erfolg der freien Welt in ihrem Kampf gegen den Terror“ und als „ernsten Schlag für die Hizbollah“. Wer auch immer Mugniyahs Beseitigung organisiert habe, habe jedenfalls gezeigt, dass er „operativ sehr gut aufgestellt“ sei. Und Sean McCormack, Sprecher des US-Innenministeriums, befand bündig: „Er war ein kaltblütiger Killer, ein Massenmörder und Terrorist, der unzählige Unschuldige das Leben gekostet hat.“

Wahre Worte, denn Imad Fayez Mugniyah führte im Wortsinn ein Leben für den Terror. Seine diesbezügliche Karriere begann er wahrscheinlich in Yassir Arafats Leibgarde, bevor er zu einer der entscheidenden Figuren bei der Hizbollah wurde und maßgeblich an deren Ausbau zur internationalen Terrororganisation beteiligt war. „Seine offizielle Rolle dort ist unklar“, schrieb Dan Darling im FrontPage Magazine, „verschiedene Quellen beschreiben ihn als Kopf der Sicherheitsabteilung der Hizbollah, als Mitglied des Djihad-Rates der Gruppe, als Chef ihres Geheimapparats oder als Verantwortlicher für externe Operationen“. Möglicherweise habe er sogar sämtliche dieser Funktionen bekleidet, „aber eines ist klar: Mugniyah war das Herz aller bedeutsamen Terrorangriffe der Hizbollah in den letzten 25 Jahren“. Er war gewissermaßen ihr Architekt, Koordinator und Spezialist. Und er unterhielt allerbeste Beziehungen zu den Mullahs, deren besondere Protektion er genoss; er bildete sozusagen das Scharnier zwischen ihnen und der Gotteskriegerpartei im Libanon. Noch im Januar traf er sich mit Mahmud Ahmadinedjad in Damaskus.

Die Liste der Morde, Anschläge und Entführungen, für die Mugniyah verantwortlich gemacht wird, ist schier endlos. Sie umfasst unter anderem die Bombenanschläge auf die amerikanische Botschaft im Libanon 1983 (63 Tote), auf ein Camp der US-Marines in Beirut im Oktober 1983 (über 200 Tote), auf die israelische Botschaft in Argentinien 1992 (29 Tote), auf ein jüdisches Kulturzentrum in Buenos Aires 1994 (95 Tote) und auf die Türme der saudischen Stadt Khobar 1996 (20 Tote). Zudem wird Mugniyah die Verantwortlichkeit für die Entführung zahlreicher Bürger westlicher Staaten in den achtziger Jahren, einer Maschine der Trans World Airlines (TWA) auf dem Weg von Athen nach Rom 1985 (inklusive der bestialischen Ermordung des US-Navy-Angehörigen Robert Stethem), der israelischen Soldaten Benny Avraham, Adi Avitan und Omar Souad im Südlibanon sowie des IDF-Colonels Elchanan Tennenbaum im Jahr 2000 und der IDF-Soldaten Eldad Regev und Ehud Goldwasser am 12. Juli 2006 zugeschrieben. Nach dem 11. September 2001 setzten ihn die USA auf die Liste der meistgesuchten Männer und schrieben eine Prämie von fünf Millionen Dollar für Informationen aus, die zu seiner Ergreifung führen.

Doch Imad Fayez Mugniyah schien fast fünfundzwanzig Jahre lang unauffindbar, zumal er ständig sowohl sein Äußeres als auch seinen Aufenthaltsort wechselte. Bis er am vergangenen Dienstag durch eine Autobombe in Damaskus doch noch zur Strecke gebracht wurde. „Es wird lange dauern, bis die Hizbollah einen Erben finden wird“, umriss Ex-Mossad-Chef Danny Yatom die unschätzbare Bedeutung dieser Operation. Denn Mugniyah ist für Nasrallahs Bande vorerst unersetzlich, und hinzu kommt, dass sein Ende den Gotteskriegern ihre Verwundbarkeit an einer entscheidenden Stelle gezeigt hat: „Wer ihn töten kann, kann jeden innerhalb der Hizbollah töten“, urteilte Yatom. Das wird diese zwar nicht von der Planung und Durchführung weiterer Terrorattacken abhalten, aber ihr fehlt nun ein strategisch und operativ ausgesprochen wichtiger Kopf. Und auch den Iran dürfte der Verlust nicht unwesentlich schmerzen. Das sind zweifellos gute Nachrichten, die Sean McCormack trefflich auf den Punkt brachte: „Die Welt ist ein besserer Ort ohne diesen Mann.“

Hattips: Franklin D. Rosenfeld, Wind in the Wires

13.2.08

Zeichen der Barbarei

In Italien tobt sich derzeit einmal mehr der Antisemitismus aus, und seine Adepten demonstrieren dabei neuerlich den Variantenreichtum des Judenhasses: Während Linke mit Unterstützung arabischer Schriftsteller gegen die Einladung israelischer Schriftsteller zur Turiner Buchmesse zu Felde ziehen, haben italienische Neonazis auf einer Internetseite eine „schwarze Liste“ mit den Namen von 162 Hochschullehrern veröffentlicht, denen sie vorwerfen, jüdisch zu sein und Israel zu unterstützen.

Eigentlich ist das, was die Veranstalter der im Mai stattfindenden Internationalen Buchmesse in Turin getan haben, eine schiere Selbstverständlichkeit: Anlässlich des kommenden sechzigsten Geburtstags Israels luden sie Schriftsteller aus dem jüdischen Staat als Ehrengäste ein. Doch es kam, wie es kommen musste: Sofort protestierten Linke gegen diese Ehrerbietung. „Sechs Jahrzehnte Unterdrückung der Palästinenser!“, tönten sie, unterstützt vom Literaturnobelpreisträger des Jahres 1997, Dario Fo (Foto oben, links). Es folgte eine erregte Debatte in Politik und Medien, die zusätzlich dadurch befeuert wurde, dass auch arabische Autoren unter dem Vorsitz des Holocaustleugners Mohammed Salmawi die Einladung der israelischen Schriftsteller als „Provokation gegenüber der arabischen Welt“ bezeichneten und dass Tariq Ramadan (Foto oben, rechts) neuerlich zu einer Fatwa gegen Israel aufrief, weil es „unanständig“ sei, „einen Staat zu feiern, dessen Regierung die Menschenrechte nicht im geringsten respektiert und täglich das palästinensische Volk erniedrigt“.

Die italienischen Neonazis waren in dieser Angelegenheit zwar eher unterrepräsentiert. Aber das lag nicht daran, dass sie deren antiisraelischer Stoßrichtung nicht folgen mochten. Vielmehr landeten sie ihren eigenen Coup: Auf ein Weblog (1) mit dem kurzen und bündigen Namen „Re“ („König“, Screenshot rechts) und dem zutiefst christlichen Motto „Via – Veritá – Vita“ („Der Weg, die Wahrheit, das Leben“) stellten sie eine „schwarze Liste“ mit den Namen von 162 an italienischen Universitäten lehrenden „docenti ebrei“ („jüdischen Dozenten“), die von den katholischen Rechtsextremisten bezichtigt werden, „Propaganda für Israel zu machen und ihre Interessen auf Kosten des italienischen Volkes zu verteidigen“. Bereits Mitte November des vergangenen Jahres hatten die namentlich bislang nicht bekannten Betreiber des Blogs eine solche Aufstellung publiziert; damals umfasste sie 84 Hochschullehrer (2). Die Vereinigung der Jüdischen Gemeinden Italiens erstattete nun Anzeige; Innenminister Giuliano Amato ließ das Internet-Tagebuch umgehend schließen. Auch Schulminister Giuseppe Fioroni war entsetzt: „Es ist eine Schande. Es ist unannehmbar, dass eine Art von digitalem Ku-Klux-Klan der Moderne solche Listen veröffentlichen kann, mit denen Juden verunglimpft werden.“

Zu den von den Neonazis ins Visier genommenen Dozenten gehört auch Donatella Di Cesare (Foto). Sie ist Professorin für Sprachphilosophie an der Sapienza, der größten Universität Europas in Rom; außerdem lehrt sie Jüdische Philosophie am Collegio Rabbinico Italiana der Hebräischen Universität Jerusalem. In einem offenen Brief (3) wendet sie sich nun an die Öffentlichkeit und bittet um deren Unterstützung, beispielsweise in Form von Solidaritätsschreiben an Ihre E-Mail-Adresse; diese wird sie anschließend publizieren. Lizas Welt dokumentiert im Folgenden Di Cesares Appell.

Liebe Freunde, liebe Kollegen, liebe Studenten!

Viele von euch, in Italien und im Ausland, werden schon wissen, dass am 8. Februar 2008 in einem neonazistischen Blog eine Liste von „docenti ebrei“ („jüdischen Dozenten“) veröffentlicht worden ist, die dort als „jüdische Lobby“ bezeichnet werden. Von diesen Dozenten wird behauptet, sie monopolisierten die italienischen Universitäten. Es sind etwa 160 (manche sind nichtjüdisch). Auf Initiative des Innenministers Amato ist das Blog von der italienischen Polizei geschlossen worden. Zugleich hat das Ministerium für die Universität Nebenklage erhoben. Das Gleiche hat auch die Vereinigung der Jüdischen Gemeinden Italiens getan.

Die stigmatisierten Dozenten werden beschuldigt, Juden, Zionisten und Israelfreunde zu sein; außerdem werden sie beschuldigt, in Italien zu leben, aber die Gesetze einer „supranationalen Gemeinschaft“, das heißt Israels, zu befolgen, und deshalb die Jugend zu korrumpieren. Die Liste war von Parolen gesäumt, die zum Boykott Israels, aber auch der „jüdischen Gemeinden Italiens“, aufforderten.

Ich hätte nie gedacht, meinen Namen in einer solchen Liste zu sehen, mehr noch: Ich hätte nie gedacht, je in meinem Leben überhaupt eine solche Liste zu sehen, schon gar nicht in Italien. Einen Augenblick lang dachte ich, ein Stück aus den dreißiger Jahren zu lesen. Aber neben meinem Namen fanden sich auch diejenigen vieler Freunde und Kollegen.

Leider hat sich das politische und kulturelle Klima in Italien schon seit langem verschlechtert. Für diejenigen, die im Ausland leben, ist das kaum vorstellbar. In Italien war all das, was die Kontroverse um die Buchmesse in Turin und um den „Boykott Israels“ dort begleitet hat – nachdem Israel aus Anlass der Staatsgründung vor sechzig Jahren eingeladen worden war –, ein deutliches Zeichen. Ein prominenter Philosoph unterstützt offiziell diesen Boykott. Der neue Antisemitismus kommt von weit her, aber er ist eben neu. Er ernährt sich vom Nahostkonflikt und zieht Gewinn aus der Tragödie zweier Völker. Wer den Boykott gegen Israel unterstützt, muss sich der Wirkungen bewusst sein, die das hat, und sie verantworten.

Der Hass, der einst gegen die Juden gerichtet war, wendet sich heute gegen den Staat Israel, der zum Pariastaat, zum Symbol für alles Böse in der Welt geworden ist. Am Remembrance Day als Opfer erinnert, werden die Juden an dem nächsten Tag zu israelischen „Vollstreckern“ gemacht. Die Anklagen gegen die jüdischen Professoren auf der Neonazi-Website sind sehr eloquent.

Die jüngsten Stellungnahmen der katholischen Kirche, die in keiner Weise den Gedanken und Gefühlen der Katholiken entsprechen, und vor allem die letzten Erklärungen von Papst Benedikt XVI. und seine reaktionären Initiativen (etwa die zur Wiedereinführung des Karfreitagsgebets für die Bekehrung der Juden) fördern den Dialog überhaupt nicht. Im Gegenteil haben sie dazu beigetragen – und tragen sie dazu bei –, ein Klima nutzloser, schädlicher Feindseligkeit und Gegensätzlichkeit zu erzeugen.

Es ist dann auch kein Zufall, dass Universitätsdozenten ins Visier genommen worden sind – vor allem diejenigen, die an der Universität La Sapienza in Rom arbeiten. Die Aggression gegen Intellektuelle ist das erste Zeichen der Barbarei.

Wir bitten um eure und Ihre Solidarität. Ein Wort, eine Geste können wichtig sein. Wir haben es aus der Geschichte gelernt. Ich habe euch und Ihnen diesen Brief geschickt, damit ihr und Sie Freunde und Kollegen informieren könnt.

Donatella Di Cesare

Anmerkungen:

(1) Die Website ist nicht mehr aufzurufen, aber im Speicher von Google wird man noch fündig: http://tinyurl.com/2bb44r
(2) Im Google-Cache: http://tinyurl.com/yufcwy
(3) Eine englische Fassung des offenen Briefes hat Hannes Stein auf der Achse des Guten online gestellt; die italienische Version findet sich unter anderem bei der Federazione lavoratori della conoscenza.

Hattips: barbarashm, Olaf K.

10.2.08

Gastspiel-Grotesken

Claus Peymann hatte sich alles so schön vorgestellt. Noch schnell mit dem Berliner Ensemble die Premiere von Shakespeares Richard III. aufgeführt, und dann nichts wie ab nach Teheran mit der Truppe, ins Land der Mullahs, zum „wichtigsten Gastspiel unseres Theaters in den letzten Jahren“. Doch ungeteilten Beifall gibt es für diese Exkursion dummerweise nicht: Ein Komitee gegen deutsche Kultur im Iran und anderswo hatte für vergangenen Freitag zu einer Protestkundgebung aufgerufen, die unmittelbar vor dem Beginn des Shakespeare-Stücks stattfinden sollte. Denn: „Peymann verweigert sich der Solidarisierung mit den von Folter, Verfolgung und Ermordung bedrohten unangepassten Frauen, Homosexuellen und allen, die sich nicht unterwerfen wollen. Er kolla­boriert mit einem Regime, das Juden vernichten will und zum Zweck der nachholenden Perfektionierung von Auschwitz an Atom­bomben arbeitet. [...] Die Ideologie des Kulturaustauschs auf der Grundlage der islamischen Zensur ist der freiwillige Verrat an der Aufklärung. Es geht nicht um Kunst, es geht um Gewalt, die umso reibungsloser funktionieren kann, wenn in Teheran die sorgsam drapierte Theaterkulisse die Realität verdeckt und in Berlin der Kunstgenuss davon ungestört bleibt.“

Den Vorwurf der Kollaboration mit dem Mullah-Regime konnte Peymann (Foto) jedoch einfach nicht verstehen: „Wir werden in Teheran für ein neugieriges, intelligentes, großstädtisches Publikum unsere Aufführungen spielen“, versicherte er treuherzig, und: „Wir werden dort so wenig für die Herrschenden und Staatsführer spielen, wie wir hier in unserem Theater am Schiffbauerdamm für Angela Merkel, Gerhard Schröder oder Klaus Wowereit Theater spielen.“ Ist ja auch alles irgendwo dasselbe, folgt man dem Intendanten des Berliner Ensembles. Und überhaupt gehe es ihm und den Seinen doch bloß um Kulturbereicherung: „Unser Gastspiel ist nicht der Ausdruck einer Solidarität mit der vorherrschenden politischen Meinung des Iran, [...] und es ist schon gar nicht eine Demonstration für oder gegen ein politisches System.“ Nein, man mag sich nicht einmischen, wenn Frauen wegen Verstößen gegen die islamischen Bekleidungsvorschriften öffentlich verprügelt und eingesperrt, „Ehebrecher“ gesteinigt und Homosexuelle hingerichtet werden. Und man hält ebenfalls den Mund, wenn der Präsident des Iran ankündigt, den jüdischen Staat Israel von der Landkarte zu tilgen. Schließlich ist „eine Demonstration für oder gegen das System ausschließlich eine Sache der Iraner selbst“. Und das zwangsläufig auch dann, wenn die gegen das System demonstrierenden Menschen verhaftet, gefoltert und ermordet werden.

Obwohl es offensichtlich ist, dass derlei vermeintliche Äquidistanz nichts weniger darstellt als die offene Kumpanei mit dem Terror der Mullahs, begreift Peymann seine Mission explizit als unpolitische – oder vielleicht doch nicht? „In einem vom Krieg bedrohten Land ein Anti-Kriegsstück wie die ‚Mutter Courage’ von Brecht zu spielen, hat eine besondere Bedeutung“, befand er nämlich. Und bekam darauf am Freitagabend von den rund 50 Demonstranten vor seinem Theater die passende Antwort: „Die Tatsache, dass es sich bei der islamischen Republik keinesfalls um ein vom Krieg bedrohtes Land handelt, sondern um ein Land, das bereits einen Krieg führt – sowohl nach innen gegen die eigene Bevölkerung als auch nach außen durch die Unterstützung von Terrorbanden wie Hamas und Hizbollah –, wurde von Peymann ignoriert“, schrieb das Komitee gegen deutsche Kultur im Iran und anderswo in einer Presseerklärung. „Stattdessen meinte er, man solle doch auch einmal über die ‚amerikanische Bombe’ reden.“ Schon bezeichnend, dass der Theatermann sich auf die Unabhängigkeit der Kunst beruft (von der die Iraner nur träumen können), sobald das Gastspiel seiner Combo als politische Stellungnahme für das iranische Regime kritisiert wird, um gleichzeitig dezidiert politisch zu werden, wenn es um die Gründe geht, warum er in einem angeblich „vom Krieg“ – vulgo: von den USA – „bedrohten Land“ ein Antikriegsstück zum Besten gibt. Das muss es wohl sein, was Peymann meinte, als er ausrief: „So lebendig ist Theater!“

Doch das deutsche Lehrstück war noch nicht zu Ende, als Peymann die Diskussion mit den Demonstranten schließlich abbrach, um Shakespeare auf die Bretter zu bringen. Vielmehr ging das Theater weiter – nicht nur auf der Bühne am Schiffbauerdamm, sondern auch und vor allem vor deren Eingangstoren. Lesen Sie im Folgenden, welche Groteske sich dort am Freitagabend wahrhaftig zutrug; Christian J. Heinrich hat das Geschehene protokolliert.


Christian J. Heinrich

Hochhuth und der Schäferhund

Ein deutsches Lehrstück


Personen: Journalist – Subjekt I – Subjekt II – Rolf Hochhuth (Foto rechts) – Denunziant – Kulturbürger – Demonstrantin

Szene: Der Abend des 8. Februar 2008; im Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm beginnt in wenigen Minuten die Premiere der Neuinszenierung von Shakespeares Richard III. Der Regisseur Claus Peymann diskutiert vor dem Gebäude mit einem Grüppchen Demonstranten über seine Absicht, in wenigen Tagen in Teheran die Brechtsche Mutter Courage aufzuführen. Die Diskussion endet, Peymann geht ab. Am Rande stehen zwei junge Menschen und unterhalten sich.

* * * * *

Journalist (hinter Peymann hereilend): Das ist... das gibt... das gab es lange nicht: Theater, Meute, Polizei! Shakespeare wird vom Mob bedroht!

Subjekt I (zu Subjekt II): Ich weiß nicht recht, mit Peymann diskutieren? Der Mann hält reichlich viel vom eig’nen Kopf, der meint zu wissen, was er tut; bei dem ist jedes Argument vergeudet. Die Mullahs aber freut sein Stück. Es warnt vorm Krieg. Kein Zweifel, wen sie da gemeinsam als Opfer halluzinieren.

Subjekt II: Vielleicht hast du ja Recht, doch wir selbst wollen es einmal versuchen. Sieh an, Rolf Hochhuth steht da vorn, ein gar nicht minderer Kerl. Man soll sich nicht mit Kleineren begnügen. Herr Hochhuth!

(Subjekt II läuft auf Rolf Hochhuth zu, legt freundlich den Arm um seine Schulter und wendet sich an Subjekt I.)

Subjekt II: Komm, mach ein Foto von uns zweien, das ist Rolf Hochhuth. Mann des Wortes! Mann der Tat!

(Hochhuth fühlt sich geschmeichelt und posiert vor der Kamera.)

Subjekt I: Ganz recht, ich will das Bild schnell machen, der Hochhuth ist doch wohlbekannt. Vor allem, weil der große Dichter sich Tapferkeit zu wagen wagt. (knipst)

Subjekt II (an Hochhuth): Genau so ist es, ein rechter Mann, der Redefreiheit fordert, wenn Auschwitz angezweifelt wird. Sie waren es doch, der David Irving beisprang, als der den Holocaust geleugnet?!

Hochhuth (irritiert): Nein. Ja. Ich mein’... was soll das? Herr Irving ist in Schutz zu nehmen! Er schrieb ein großartiges Werk!

Subjekt II (zu den ins Theater strömenden Menschen): Hört her, ihr Menschen der Kultur: Der hochbetagte Antifa nahm einen Nazi grad in Schutz. Denn David Irving, wie man weiß, gilt in den äußerst rechten Kreisen als einer, der Geschichte biegt, bis Auschwitz einem Kurort gleicht. Und das... ein großartiges Werk?

Hochhuth (sich vor den neugierigen Menschen rechtfertigend): Sehr wohl, und außerdem: Herr Irving hatte schwer zu leiden. Man muss doch einmal Nachsicht zeigen: Die Mutter – jüdisch! Darüber kam er nie hinweg.

Subjekt I (lacht höhnisch auf): Der Mann hat Recht, ich kenne das. Auch ich hab eine Mutter – sie: eine Jüdin, ich: ein Wrack. Auch ich kam nie hinweg. Das muss doch allerhand erklären. Und dann mein Schäferhund. Fürwahr! Auch der ein Jud’, und bissig!

(Hochhuth versteckt sich hinter den umherstehenden Menschen, als wäre der Hund tatsächlich in der Nähe, rückt den übergroßen Schlipsknoten zurecht, richtet verlegen die braune Pelzmütze.)

Denunziant (tritt vor): Holla, die Herren, wer sind denn Sie? Den alten Mann zu foppen! Das macht man nicht. Das ist zu dreist. Die Namen will ich wissen!

Subjekt I: Die Namen? Die sind ganz egal, allein die Sache gilt. Was ist davon zu halten: Ein großer deutscher Dichterfürst ergreift Partei für einen, der Auschwitz eine Lüge nennt? Da wüsst’ ich gern, was Sie wohl dazu denken.

Denunziant: Ich? Denken? Nun, das interessiert mich nicht, ich will nur Ihre Namen. Also heraus damit! Stehen Sie nicht mit Ihrem Namen ein, dann sind Sie Demagogen, verstecken sich und sind ganz feige, und alles ist gelogen.

Subjekt I: Als ob das Argument an Wahrheit und an Kraft gewönne, wenn nur ein großer Name dahinter stünde.

Subjekt II: Nun lass, wir wollen uns offenbaren: Max Müller dürfen Sie mich nennen, mein Freund ist Moishe Meier! (grinst)

Denunziant (empört brüllend): Ich sag’s doch: Lüge! Lüge!

(Empörtes Raunen unter den Umherstehenden.)

Subjekt II (leise, lächelnd zu Subjekt I): Wenn nur der Herr erahnen würde, dass unsere Namen wirklich so austauschbar und so banal sind wie die genannten.

Kulturbürger (springt dem Denunzianten bei): Ich bin empört, ich fass’ es nicht! Was Sie sich hier erdreisten! Das ist Provokation!

Subjekt II: Ein Schimpfwort wurde grad verwandt: „Provokation“, so heißt es hier. Das also lernen wir vor Brechts Theater!

Kulturbürger: Sehr wohl, das ist so geistig arm, den Hochhuth anzugeh’n. Der alte Mann verdient es nicht, dass Sie nach seiner Würde trachten!

(Zustimmung vieler Umherstehender.)

Subjekt II: Zur Würde doch gehört es, ganz und gar ernst zu nehmen, was der Dichter uns da sagte; er ist doch wohl noch mündig?! Zudem: Der Mensch hat jedes Recht, weise zu werden mit dem Alter. Und leider aber auch das Recht, recht dumm dabei zu werden. Die Frage aber bleibt, ob denn die Leugnung des Holocaust derart zu rechtfertigen ist.

Denunziant (macht einen Schritt nach vorn): Was soll die Frage? Bin ich jetzt etwa ein Holocaustleugner?

(Erschrockenes Raunen bei den meisten Anwesenden.)

Subjekt I: Gesten der Verteidigung dort, wo man gar nicht angegriffen wurde... Ob Peymann und die Mullahs, ob Hochhuth und der Irving: Die Frage bleibt, ob Judenhass gerechtfertigt wird.

Demonstrantin (eilt hinzu, spricht zu den Subjekten): Könnt ihr bitte etwas leiser sein? Die ganze Aufregung lenkt nur ab. Das ist nicht gut – die Presse schaut schon her, und auch die Polizei. Dabei wollen wir doch unsere Redebeiträge halten. Also bitte: Mäßigung!

(Die Demonstrantin entschwindet, Rolf Hochhuth drängelt sich für ein einziges Wort nach vorn.)

Hochhuth (zu den Subjekten): Arschlöcher!

Subjekt II: Linksfaschist!

Subjekt I (leise zu Subjekt II): Das war jetzt nicht sehr diskursiv.

(Beide Subjekte lachen, der Kulturbürger hyperventiliert.)

Kulturbürger: Sehen Sie, Sie wollen doch nur jeden Dialog verhindern! Würden die Israelis doch nur mehr mit den Palästinensern reden...

Subjekt I: Sie sind ganz außer sich! Doch wie äußern Sie sich zu unserer eigentlichen Frage: Toleranz für die Leugnung der Shoah? Für Islamisten in Teheran, für Nazis in Europa? Mithin: Wo bleibt Ihre Empörung gegen den Wahn, die Juden wieder morden zu wollen?

Denunziant: Ihre Namen haben Sie uns immer noch nicht verraten. Also verraten wir Ihnen auch nicht unsere Meinung.

Kulturbürger: Ja, denn Ihr Thema ist nicht unser Thema, dazu müssen wir uns nicht äußern.

Subjekt II: Die Bürger ohne Meinung. Bei Brecht schon hieß es: „Du darfst nicht neutral sein!“ Doch sind wir hier nicht in Andalusien, und ich sehe auch keine Frau Carrar. Ich vernehme nur allerlei herabgesunkenes Kulturgut: Viel Kultur, doch nichts daran ist gut.

Kulturbürger: Und überhaupt, was interessiert Sie das ganze Gerede vom Antisemitismus? Sie sind doch gar keine Juden...

Subjekt II: Na, wir können ja mal nachschauen!

(Subjekt I und Subjekt II öffnen Ihre Gürtelschnallen und trachten danach, die Hose zu lüften. Allgemeines, lautstarkes Entsetzen. Fast alle wenden sich zum Eingang des Theaters. Nur ein paar Neugierige warten ab, ob die beiden Subjekte Ernst machen. Machen sie aber nicht; sie verschließen die Gürtel wieder und gehen zu dem Häuflein Demonstranten fort. Es erklingen Redebeiträge.)

Subjekt I (leise zu Subjekt II): Nun sitzen die Bürger drinnen bei ihrer Kultur. Und die zivilisatorischen Restposten bleiben draußen.

Subjekt II: Schau da drüben, die Spree, ein hoher Pegel. Man wünschte sich, nicht uns, sondern denen stünde das Wasser derart hoch bis zum Hals.

Fotos: Daniel Fallenstein

6.2.08

Gaza, Dimona und die Folgen

Etwas mehr als ein Jahr lang gab es in Israel keinen Selbstmordanschlag. Das heißt nicht, dass es niemand versucht hätte – die israelische Armee und die Sicherheitsdienste verhindern solche Anschläge regelmäßig und zumeist ziemlich geräuschlos –, aber es ist seit Januar 2007 zumindest keinem „Shahid“ mehr gelungen, sich in einer Menschenmenge in die Luft zu sprengen. Nun hat es doch wieder einer geschafft, nämlich in der südisraelischen Stadt Dimona. Dass dabei nicht noch mehr Menschen ermordet oder verletzt wurden, lag vor allem an der Reaktionsschnelligkeit eines israelischen Polizisten. Denn der erschoss den zweiten Attentäter. Dieser war durch seinen explodierenden Märtyrerkollegen verletzt worden und lag am Boden. Während einige Sanitäter auf ihn zueilten, um ihn zu versorgen, versuchte der Mann mit aller verbliebenen Kraft, seinen Sprengsatz zu zünden. Bevor ihm das gelang, verhinderte der Polizist noch Schlimmeres.

Knapp zwei Wochen, nachdem die Hamas ihre mehrmonatigen Vorbereitungen abgeschlossen und die Grenzanlagen zwischen dem Gazastreifen und Ägypten medienwirksam beseitigt hat, ist damit das eingetreten, was das Ziel der Übung war: Das suicide bombing hat Israel wieder eingeholt. Denn die Shoppingtour der Bewohner von Gaza im Nachbarland – deren Ausmaß erstaunlich groß ausfiel, wenn man bedenkt, dass diesen Menschen angeblich fortwährend eine Hungerkatastrophe droht – war natürlich nur eine Begleiterscheinung der gewaltsamen Grenzöffnung. Deren eigentlicher Zweck bestand darin, den Terror über Ägypten nach Israel einsickern zu lassen, nachdem die israelischen Befestigungen und Kontrollen nahezu unüberwindlich geworden waren. Und es war nur eine Frage der Zeit, wann es wieder so knallen würde, wie die Hamas und andere vernichtungswütige Israelfeinde sich das vorstellen. Mehrere Organisationen rissen sich deshalb förmlich darum, die Verantwortung für das Attentat in Dimona zu übernehmen – darunter die Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden, die bekanntlich mit der Fatah assoziiert sind. So viel zur vermeintlichen Friedfertigkeit der Abbas-Partei.

Nun hat Israel ein Sicherheitsproblem von 300 Kilometern Länge. Denn genau diese Strecke misst die Grenze zwischen Ägypten und Israel. „Ohne einen Zaun, der diese Grenze effektiv verschließt, und angesichts der Schwierigkeiten Ägyptens, den Gazastreifen abzuriegeln – die Grenze wurde am Montag erneut durchbrochen –, kann eine Welle zusätzlicher Versuche von Terroranschlägen in den kommenden Wochen erwartet werden“, schrieben Amos Harel und Avi Issacharoff in der Ha’aretz. Das zeigt einmal mehr, wie alternativlos und effektiv die Sperranlagen sind, die Israel entlang der Grenze zur Westbank und zum Gazastreifen errichtet hat. Sofern Ägypten auf Dauer nicht in der Lage sein sollte, palästinensische Terroristen vom Eindringen nach Israel abzuhalten, wird ein solcher Schutzwall auch an der israelisch-ägyptischen Grenzlinie unausweichlich sein. Doch der Grenzdurchbruch der Hamas und das Attentat in Dimona zeigen auch die Legitimität und Notwendigkeit der gezielten Ausschaltung führender Terroristen durch die israelische Armee und deren Eingreifen gegen Terrornester wie das in Jenin. Denn solange die Terrorführer um ihr Leben rennen müssen, haben sie Schwierigkeiten, den nächsten Anschlag zu planen und auszuführen. Und genau deshalb kann von einer „Gewaltspirale“ auch keine Rede sein, ganz im Gegenteil.

Um die internationalen Reaktionen und die hiesigen Medien schert sich Israel ohnehin besser nicht. Ginge es nach den Europäern oder den Vereinten Nationen, dann bliebe dem jüdischen Staat nämlich nur die Selbstentwaffnung. Wenn man den allfälligen Kommentaren folgt, soll Israel am besten tatenlos zusehen, wie es von Kassam-Raketen beschossen wird, wie Selbstmordattentäter ihr Werk verrichten und wie die Hamas Fakten schafft, ohne auch nur im Mindesten belangt zu werden. Israel soll seine Kontrollen aufgeben, den Palästinensern kostenlos Strom und Brennstoff liefern und sich ohne jede Gegenleistung aus den umstrittenen Gebieten zurückziehen. Wehren darf es sich nicht. Und auch die barbarischen Freudenfeiern in Gaza über den Anschlag in Dimona – bei denen Blumen und Süßigkeiten verteilt wurden – soll es einfach über sich ergehen lassen, während die Palästinenser milliardenschwer alimentiert werden, nicht zuletzt von der EU. Für Waffen ist jedenfalls immer Geld da. Das freut übrigens auch den Iran, der in der Hamas einen wichtigen Stützpunkt hat und sie großzügig finanziert. Die Welt, sie ist wirklich ein Irrenhaus.

5.2.08

In eigener Sache

Seit heute hat Lizas Welt mit www.lizaswelt.net eine eigene Domain (großer Dank an Daniel Fallenstein!). Im Grunde genommen ändert sich dadurch nicht viel, denn diese Domain verweist auf den Blog, und die alte Adresse wird automatisch auf die neue umgeleitet. Bookmarks und Feeds brauchen also nicht erneuert zu werden. Auch die Permalinks zu den bisherigen Beiträgen bleiben gültig.

Es wäre jedoch freundlich und praktisch, wenn die Betreiber von Blogs und Websites, die in ihrer Blogroll einen Link zu Lizas Welt gelegt haben, auf die neue Adresse www.lizaswelt.net umstellen würden, beispielsweise deshalb, damit sich die Suchmaschinen und Technorati an die neue Domain gewöhnen. Danke dafür.