Merkels Spagat
Angela Merkel hat in ihrer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz, nachdem sie den Vergleich der Situation des Iran heute mit der in Deutschland anno 1938 gezogen hatte, mit den Worten abgeschlossen: „Wir haben aus unserer Geschichte gelernt.“ Damit traf sie exakt den Ton des postnazistischen Konsens’, der die vorbildliche Vergangenheitsbewältigung zum Exportschlager und Standortvorteil gemacht hat und dessen Symbol seit Rot-Grün nicht mehr die „Neue Wache“, sondern das Stelenfeld ist. Da hat sich die CDU nach Kohl inzwischen mitmodernisiert; der Unterschied zwischen Rot-Grün und Schwarz-Rot ist nicht so groß, wie es auf den ersten Blick scheinen mag.
Die derzeitige Situation ist mit der vor dem Irak-Krieg dennoch nur teilweise vergleichbar. Vor dem Irak-Krieg und währenddessen lautete der staatspolitische Kurs unter Schröder: Antiamerikanischer und also deutscher Frieden, nicht zuletzt mit der Begründung, als Deutscher wisse man schließlich, wie es sei, US-Bomben auf den Kopf zu bekommen – daher das vernehmliche „Nie wieder Krieg!“ des deutschen Friedensmobs im Verbund mit seiner Führung. Auch die heutige Bundesregierung gibt deutlich zu verstehen, dass die Deutschen ihre Lektion verstanden hätten und daraus Ansprüche erwachsen lassen dürften.
Dabei hat die CDU/SPD-Regierung einen Spagat zwischen der auch von ihr verteidigten Linie des „Kritischen Dialogs“ – also des Appeasements – und dem Verlangen zu bewältigen, aus der helden- und gewissenhaften Aufarbeitung der deutschen Geschichte noch weiteres Kapital zu schlagen. Das geht aber nur, wenn man die Konstante „Die Alliierten sind auch nicht besser“ beibehält. Erst war es die Bombardierung Dresdens, die – beim Irak-Krieg – als Vergleichsgröße herhalten musste, um die Anklage zu stützen; heute bringt man München 1938 zur Sprache – um anklagend auf die Alliierten zu zeigen, die den NS und die Shoa schließlich nicht verhindert hätten.
Perfide ist daran, dass der Vergleich mit München tatsächlich so abwegig nicht ist – was für den Bezug auf Dresden nicht gilt. Und hier zeigt sich ein Unterschied zu Rot-Grün, der die Sache freilich nicht besser macht. Das demonstrative (und grundsätzlich selbstverständlich zu befürwortende!) Eintreten für Israel und Merkels Worte auf der Konferenz (die sinnigerweise auch in München stattfand) dienen augenscheinlich in erster Linie dazu, weiterhin forsch Forderungen stellen zu können, die „Normalisierung“ voran zu treiben und den nächsten Schritt zu unternehmen, die einstigen Alliierten auf deutsches Niveau herunterzuholen, indem man ihnen steckt, dass sie ja schon mal in einer historisch extrem wichtigen Situation versagt hätten, während die Deutschen inzwischen weiter seien und wüssten, was zu tun sei, wenn mal wieder Juden gefährdet sind.
Den Spagat, von dem ich sprach, bewältigt die Bundesregierung bislang ziemlich gut; repräsentativ dafür steht Angela Merkel, der glaubhafte Sympathien zufliegen, auch von US-Politikern. Diese Sympathien dürften ihren Hauptgrund bei nicht wenigen Staatschefs vorrangig in der Erleichterung darüber haben, sich nicht mehr mit einem Kanzler Schröder abplagen zu müssen. Wie auch immer – bislang scheint Merkel es zu schaffen, die dreisten geschichtspolitischen Absichten nicht als solche erscheinen zu lassen, und in der Tat stellt sie sich ungleich geschickter an als etwa die Dampframme Schröder.
Ein bisschen schimmert hier die alte CDU-Linie durch, die Deutschland als (vorläufigen) Juniorpartner der USA sah und im Windschatten dieses staatsoffiziellen Pro-Amerikanismus fleißig (und erfolgreich) an einer größeren deutschen Weltgeltung werkelte. Rot-Grün hat dann – man ist schließlich links und darf das deswegen – recht rabiat den Kurs verschärft und das mit der Weltgeltung auf eine sehr direkt antiamerikanische Art voran getrieben; eine, die auch in der CDU durchaus Freunde hat, doch einstweilen stellt diese sich noch eine Weile an die Seite der USA, allerdings mit den genannten geschichtspolitischen Absichten, die Rot-Grün gerade nicht widersprechen.
Ich gucke sonst nie Christiansen, aber gestern habe ich eine Ausnahme gemacht. Da saßen Richard Perle, Ralph Giordano, Christian Ströbele, Friedbert Pflüger und Bahman Nirumand. Was deutsch – oder besser gesagt deutsche Ideologie – ist, war da eindrucksvoll zu beobachten. Es ging um die Karikaturen in Jyllands Posten und die massiven Gewaltexzesse in islamischen Ländern sowie um den Iran. Alle haben die Rolle gespielt, die von ihnen zu erwarten war – aber das festzustellen, macht die Sache nicht besser. Ströbele ist ein Linksnazi vor dem Herrn, der im Verbund mit Herrn Nirumand amerikanische Atomkriegspläne herbeifantasierte, beim Iran jedoch keine solchen Vorhaben sehen mochte und sich vom souveränen Perle und dem weisen Giordano ordentlich Schellen abholte. Pflüger stand prototypisch für das, was ich mit dem Spagat meinte: Die Karikaturen, so fand er, seien zu weit gegangen, und dass der Iran den tollen „Kritischen Dialog“ jetzt so untergrabe, sei schon enttäuschend. Daneben wird relativ routiniert und leidenschaftslos das mit der besonderen Verantwortung für Israel heruntergebetet und ansonsten auch noch einmal auf 1938 verwiesen.
Beim Zuschauen habe ich gedacht, was das eigentlich für eine Zumutung für Perle ist, mit deutschen Provinzfürsten wie Ströbele und Pflüger in einer Talkshow zu sitzen und sich auch noch von Nirumand sagen lassen zu müssen, dass die USA den ganzen Spaß da unten eigentlich schuld seien. Dazu ein Publikum, das mir mal wieder gezeigt hat, dass in Deutschland nicht Islamophobie das Problem ist, sondern das Gegenteil. Und natürlich notwendig und zwangsläufig Antiamerikanismus und Antisemitismus.
Sollte es tatsächlich zu einem Waffengang gegen den Iran kommen und es eine deutsche Beteiligung geben – was möglich ist, aber nicht zwingend –, wäre ich gespannt, wie die Reaktionen in der Bevölkerung sein würden. Sicher bin ich mir, dass, wenn allzu offen ausgesprochen würde, dass es nicht unwesentlich um die Sicherheit Israels gehe, die Zustimmung zu einer solchen deutschen Beteiligung ziemlich gering ausfallen würde. Da käme der Mob mit der Linie seiner Regierung vermutlich nicht mit und verstünde nicht, was hinter der Absicht steckt, durch eine Kriegsbeteiligung die Alliierten in der Manege vor sich hertreiben und die Shoa noch weiter historisieren zu können, d.h. das Gelernthaben aus der Geschichte als echten deutschen Auftrag zu sehen.
Könnte also sein, dass es zahlenmäßig weitaus stärkere Proteste gegen einen solchen Krieg geben würde als noch 1999 beim Krieg gegen Jugoslawien – die Deutschen gefallen sich einstweilen vermutlich viel zu gut in der Rolle der Friedensengel, als dass sie da schon wieder einen Linienschwenk vollziehen möchten. Doch selbst wenn die Zustimmung zu einem solchen Militärschlag größer ausfallen sollte, würde das nichts Gutes bedeuten, denn dann wären die Absichten der neuen Regierung und ihrer Kanzlerin einfach nur schneller geteilt worden, und die entsprechend upgedatete deutsche Ideologie wäre rascher konsensfähig als angenommen.
Ich hätte auch nicht gedacht, dass sich so schnell nach dem Regierungswechsel eine Situation einstellen würde, bei der die Option einer deutschen Beteiligung an einem Krieg an der Seite der USA diskutiert wird. Ich weiß nicht, was man tun muss, um einen im Wortsinne Wahnsinnigen wie Ahmadinedjad davon abzuhalten, das zu tun, was er tun wird, wenn man ihn nicht davon abhält: Israel zu vernichten. Wenn militärische Gewalt nötig ist, um das zu verhindern, dann ist das so. Der Iran hat Israel faktisch den Krieg erklärt, und mit ihm den Juden dieser Welt. Wenn er die Möglichkeit bekommt, seine Pläne, Israel von der Landkarte zu tilgen und seine Visionen von einer World without Zionism umzusetzen – was es unbedingt zu verhindern gilt –, hat das ganze existenzielle Bedeutung, da muss man nicht drumherum reden.
Dass genau diese Situation aber Deutschland und seiner Regierung, so ekelhaft das ist, nicht mal ungelegen kommen würde, ist ein weiterer Beleg dafür, dass man die Situation erst befördern kann (sehr wesentlich durch Appeasement und dadurch zwangsläufig auch durch die Stärkung des Mullah-Regimes) und sie dann eiskalt ausnutzt. Selbstverständlich gilt es das auf- und anzugreifen. Ohne deutsche Beteiligung wäre Israel gar nicht erst in die jetzige Situation gekommen.