Umma statt Emma
Eins kann man der Zeitung mit dem neckischen Kürzel taz ganz sicher nicht nachsagen: Dass sie sich nicht in all den Jahren seit ihrer Gründung stets als Vorkämpferin für Frauenrechte & Gleichberechtigung ins Gefecht geworfen hätte. Wie sehr (nicht nur) deren Verständnis von menschlicher Emanzipation jedoch auf den Hund gekommen ist, zeigt sich immer dann besonders nachdrücklich, wenn es als Fortschritt in Sachen Geschlechtergerechtigkeit gepriesen wird, dass Frauen den gleichen Mist zu erzählen willens und in der Lage sind wie Männer. Ein fürwahr prächtiges diesbezügliches Beispiel findet sich in der vorgestrigen Ausgabe des Erzeugnisses aus der Berliner Kochstraße, nämlich ein Interview von deren Israel-Korrespondentin Susanne Knaul mit der künftigen palästinensischen Frauenministerin Maryam Saleh (Foto), 1953 geboren und bis zu ihrer Nominierung für dieses Amt als Professorin an der Al-Quds Universität tätig – genauer gesagt an der Fakultät für Islamstudien im Bereich Da’wa (was übersetzt so viel bedeutet wie „Aufruf zum Islam“) und Religionsprinzipien.
Eine Akademikerin wird also Ministerin in einer islamischen Regierung – wenn das nicht unglaublich progressiv klingt: Kinder & Karriere, Bildung & Beruf, die reinste Selbstverwirklichung, fast wie bei den Grünen. Da hat sich der jahrzehntelange Kampf gegen den zionistisch-faschistischen Siedlerstaat und für das freiheitsliebende palästinensische Volk doch mal so richtig gelohnt. Außerdem sieht man, dass das mit der Hamas eigentlich gar nicht so schlimm sein kann wie von manchen befürchtet, wenn sie sich neben Suppenküchen und Judenmord sogar ein Frauenministerium leistet. Und Saleh gibt sich auch gleich ausgesprochen problembewusst und zielorientiert: „Das palästinensische Volk lebt in einer tiefen Misere. Wir müssen Armut und Arbeitslosigkeit bekämpfen, und wir wollen den Konflikt beenden.“
Hört sich gut an, oder? Einsichtsvoll, moderat und zugleich kämpferisch. Und dann ist die gute Frau noch nicht einmal Mitglied der Regierungspartei! Aber nur deshalb: „Die Hamas erlaubt Frauen keine Mitgliedschaft.“ Schon hier müssten die linksdeutschen Träume eigentlich platzen wie Seifenblasen – wenn es nicht ausgesprochen nachvollziehbare Argumente für diese Regelung gäbe: „Denn die Mitglieder laufen Gefahr, von der Besatzungsarmee verhaftet oder exekutiert zu werden.“ Das heißt also, dass die Verordnung der Hamas sogar eine ganz besonders frauenfreundliche Maßnahme darstellt. Wenn es nun aber doch einer „Scharia-Expertin“ wie Saleh im Kabinett bedarf, bietet der Parlamentarismus allerlei Kniffe, um die Besatzungsarmee auszutricksen: „Ich wurde Mitglied der Partei Veränderung und Reform. Die Hamas hat mich auf die Liste der Kandidaten gesetzt.“ Dort gehört sie auch hin, denn: „Die Hamas repräsentiert meine Vorstellungen.“ Als da wären: „Das Rückkehrrecht für die Flüchtlinge, das Ende der Besatzung, Veränderung und Reform. Die Korruption, die sowohl Folge der Besatzung sein kann als auch Ergebnis von einseitigen Entscheidungen der früheren Regierung, muss ein Ende haben.“
All das dürfte vor allem in der EU fraglos ungeteilten Beifall finden, und nicht nur bei antiimperialistischen Kampfeinheiten und Friedensgrüppchen, sondern auf allerhöchster politischer Ebene. Dass diese Forderungen jedoch bloß diplomatisch verklausuliert auf das ersehnte Ende Israels abstellen, könnte längst bekannt sein. Denn alleine das Ziel eines „Rückkehrrechts für die Flüchtlinge“ – deren Status sich auf ähnliche Weise vererbt wie beim Bund der Vertriebenen – bedeutet nicht weniger als das Setzen auf die demografische Waffe, weil konventionelle bisher nicht zum gewünschten Erfolg geführt haben.
Die Interviewerin könnte das wissen, wenn sie es denn wissen wollte, aber Susanne Knaul fragt Saleh stattdessen lieber nach der Zweck-Mittel-Relation zur Beseitigung Israels: „Die Hamas verfolgte bislang (!) den Weg der Gewalt und des Märtyrertodes, um die Besatzung zu beenden. Wie stehen Sie dazu?“ Eine echte journalistische Meisterleistung: „Gewalt“ und „Märtyrertod“ sind demnach nicht Ausdruck eines irrationalen antisemitischen Wahns, sondern ein „Weg“, der zu einem bestimmten, rationalen und allemal legitimen „Ziel“ – der „Beendigung der Besatzung“ nämlich – führen soll und nicht etwa zur Vernichtung Israels. Für so viel Verständnis ist die künftige Frauenministerin natürlich dankbar: „Jeder Mensch hat die Pflicht, um seine Freiheit zu kämpfen, wenn er unterdrückt wird. Das ist in unserer Religion, im Islam, so. Das ist nichts Schlechtes. Jedes Land wird seine Söhne in den Kampf zur Verteidigung schicken, wenn es besetzt ist. Ich lehre meine Kinder, ihr Heimatland zu lieben. Auch wenn die Mütter die Kinder nicht unmittelbar zum Märtyrertod anhalten, dann verstehen die Söhne doch, dass der Kampf ihre Pflicht ist.“
„Freiheit“ von „Unterdrückung“ und „Besetzung“ meint in dieser Sichtweise eine Welt ohne Juden. Das wussten schon die Nazis, die daher ihre „Söhne in den Kampf zur Verteidigung“ schickten, dazu ihre Kinder lehrten, „ihr Heimatland zu lieben“ und sich darauf verlassen konnten, dass die Söhne verstehen, „dass der Kampf ihre Pflicht ist“. Doch auf diesen Gedanken kommt die Journalistin selbstverständlich nicht, weshalb sie im Anschluss daran bloß wissen möchte, ob die Hamas gewillt sei, auf Gewalt zu verzichten und Israel anzuerkennen, ganz so, als ob Maryam Saleh das nicht längst verneint hätte. Und sie kontert dementsprechend auch mit einer Gegenfrage: „Warum stellt ihr keine Bedingungen an Israel, uns anzuerkennen? Arafat und Abbas haben Israel längst anerkannt, umgekehrt aber erkennt Israel nicht die Palästinenser und ihre Rechte an, wie das Rückkehrrecht der Flüchtlinge.“
Hier hakt die taz-Reporterin doch noch einmal nach, sei es, weil sie es als Journalistin nicht besonders mag, keine direkte Antwort zu bekommen, sei es – was kein bisschen weniger wahrscheinlich sein muss –, weil sie einer Bekräftigung der Aussage mit Sympathie entgegen sieht: „Sie sind also nicht bereit, die Bedingungen zu akzeptieren?“ Und gibt sich schließlich zufrieden, als Saleh zu Protokoll gibt: „Sobald Israel Palästina in den Grenzen von 1967 anerkennt, die Siedlungen auflöst und den Mauerbau einstellt, können wir über Schritte in Richtung Frieden nachdenken.“ Großzügig, nicht wahr? Zumindest ein Teil der Hamas hat rasch eine Form, sagen wir, zielgruppenorientierter Diplomatie erlernt, mit der sich ihre europäischen Gesprächspartner in der Regel zufrieden geben: Wenn Israel alles tut, um dem Terror schutzlos ausgeliefert zu sein, also faktisch der Möglichkeit seiner Liquidation zustimmt, ist man auf palästinensischer Seite generös bereit, „über Schritte in Richtung Frieden nach[zu]denken“ – einen Frieden, den der jüdische Staat nicht erleben würde, weil er es gar nicht soll.
Zum Schluss des Gesprächs wagt Susanne Knaul noch zwei Vorstöße in Richtung „Kleiderordnung für Frauen“ sowie „Ehegesetze, das Heiratsalter und Polygamie“. Heiße Eisen also, doch Maryam Saleh gelingt es souverän, sich an ihnen nicht die Finger zu verbrennen. In Bezug auf die Kopftuchfrage lässt sie wissen, man mache „Vorschläge“, und „jedem bleibt selbst überlassen, dem zuzustimmen oder nicht. Wir werden niemanden zum Kopftuch zwingen“. Außerdem sei das vollkommen zweitrangig, denn: „Das Problem ist, dass wir noch immer unter Besatzung leben. Es geht jetzt nicht um den Aufbau eines islamischen Staates, sondern um unsere Unabhängigkeit. Anschließend können wir unsere Agenda neu überdenken.“ Genau wie die „Schritte in Richtung Frieden“, vermutlich.
Es ist ein Charakteristikum islamischer Gesellschaften und Rackets, dass sie ihre Nöte, Probleme und Schwierigkeiten niemals als hausgemacht begreifen, sondern der Existenz eines angenommenen äußeren Feindes zwingend bedürfen, sollen nicht Repression, Jenseitsbezogenheit, Armut und eklatante gesellschaftliche Widersprüche irgendwann dazu führen, dass ihnen der ganze Laden selbst um die Ohren fliegt. Auch der „Kampf gegen die Korruption“ hat nur das Ziel, für die Einheit der Umma schädliche Partikularinteressen zum Verschwinden zu bringen. Es braucht solche Menschen wie Maryam Saleh, um das Modell Islam als attraktive Alternative zur westlichen Dekadenz erscheinen zu lassen – auch und gerade für Frauen. Im taz-Interview lobpreist die palästinensische Frauenministerin denn auch geradezu überschwänglich die großen Freiheiten des weiblichen Geschlechts unter dem Allmächtigen: „Im Islam ist es für ein Mädchen möglich, schon im Alter von 16 Jahren zu heiraten. Sie muss nicht, aber sie kann. Manche Politikerinnen wollen das Alter hochsetzen. Solche Gesetze gibt es nicht einmal in westlichen Ländern.“ Zwangsverheiratung? Vermutlich eine Erfindung der zionistischen Presse! Und was, bitteschön, ist denn gegen Polygamie einzuwenden? Nichts: „Manchmal ist eine Frau unfruchtbar oder kann die Bedürfnisse ihres Mannes nicht befriedigen. In diesem Fall kann der Mann mehr als eine Frau haben.“ Um die Bedürfnisse von Frauen geht es schließlich nicht, wo kämen wir sonst hin? Außerdem: „Das ist gut, weil es die Frauen schützt, denn der Mann würde sonst fremdgehen.“ So bleibt wenigstens der Kreis der Konkurrentinnen überschaubar und der Zickenkrieg aus – diese Probleme verstehen sie bei einem kulturrelativistischen Post-68-Blatt nur zu gut. Schließlich: „In westlichen Ländern kann ein Mann zehn Frauen haben, mit denen er nicht verheiratet ist. Wer schützt hier die Rechte der Frauen?“
Das fragt sich gewiss auch die taz und daher nicht mehr nach. Vergessen Sie Ayaan Hirsi Ali, Necla Kelek, Nasrin Amirsedghi, Serap Cileli oder Seyran Ates. Es lebe die Hamas, Vorkämpferin für den Feminismus und gegen das Patriarchat!