15.3.06

Niemals vergessen!

Vor genau einer Woche fand in Köln eine Konferenz zum Thema Ehrenmorde statt, die unter dem Motto „Vergesst niemals Hatun!“ stand und damit an den Mord an Hatun Sürücü (Foto) durch ihre Brüder im Februar 2005 erinnerte. Jan Huiskens, Redakteur der Vierteljahreszeitschrift Prodomo, war vor Ort und hat für Lizas Welt ein Resümee verfasst.

In Deutschland ist der Kulturrelativismus nicht bloß eine Minderheitenposition linker und rechter Rassentheoretiker, sondern Regierungspolitik. Daher war es eine angenehme Überraschung, zum diesjährigen Internationalen Frauentag ausnahmsweise eine Veranstaltung geboten zu bekommen, die Kultur nicht für eine per se schützenswerte Angelegenheit hält, sondern sich stattdessen für das Leid der unter diese Kultur subsumierten Individuen interessiert.

Am 8. März 2006 luden das Internationale Komitee gegen Steinigung, Woman’s Liberation – Iran „No Sharia“ International und die Campaign Against Shari’a Court in Canada zur Konferenz „Vergesst niemals Hatun! Kampagne gegen Ehrenmorde“ in den Karl-Schüssler-Saal der Fachhochschule Köln ein. Die Organisatoren, allesamt mehr oder minder mit der Arbeiterkommunistischen Partei Iran (AKI) verbandelt, hatten illustre Gäste geladen, um ihrem Anliegen, der öffentlich wahrnehmbaren Kritik an Ehrenmorden und Zwangsheiraten, Gewicht zu verleihen. Nicht nur Maryam Namazie (die kürzlich in Großbritannien mit dem Secularist of the Year Award ausgezeichnet wurde und die die englischsprachige Sendung International TV moderiert) und Fatma Sonja Bläser (als Buchautorin zum Thema Zwangsheirat zu einiger Bekanntheit gelangt), waren auf der Konferenz vertreten, sondern auch die wohl derzeit prominenteste Islam-Kritikerin, Ayaan Hirsi Ali. Letztere erschien zwar nur kurz für einen zwanzigminütigen Vortrag, da in den Niederlanden soeben Wahlen stattgefunden hatten und sie dort gebraucht wurde, aber alleine die Tatsache, dass sie den weiten Weg zur Konferenz auf sich genommen hatte, sorgte dafür, dass allerhand Pressevertreter vor Ort waren und somit das Anliegen der öffentlichen Wahrnehmbarkeit der Konferenz Erfolg gehabt haben dürfte.

Allerdings – das muss einschränkend gesagt werden – wies die Rede von Hirsi Ali auch einige Befremdlichkeiten auf. So leitete sie ihre Ansprache mit der merkwürdigen Bemerkung ein, sie habe einen jüdischen Freund gefragt, ob dieser es statthaft finde, den massenhaften Mord an islamischen Frauen im Namen der Ehre als Holocaust zu bezeichnen. Dieser habe zunächst gezögert, doch schließlich seine Zustimmung zur Verwendung dieses Terminus’ versichert, nachdem sie ihm die erschreckend hohen Opferzahlen präsentiert habe. Abgesehen davon, dass es reichlich seltsam anmutet, wenn Hirsi Ali einen jüdischen Freund heranziehen muss, um sich die Legitimation dafür zu verschaffen, einen kruden Vergleich mit der Shoa aufzustellen (sind Juden etwa Holocaust-Experten?), deutet dieser Vergleich selbst darauf hin, dass sie den spezifischen Charakter von Auschwitz, Sobibór und Treblinka nicht erkannt hat oder ihn ignoriert. Die anschließend sehr sachlich ausgebreiteten empirischen Fakten über das globale Ausmaß von Ehrenmorden und Zwangsheiraten hätten jedenfalls dieses inflationären Gebrauchs des Wortes Holocaust (oder auch Gendercide) nicht bedurft. Der Schrecken durchfuhr den Zuhörer auch so bei dem Gedanken daran, wie viele Frauen dieses von Muslimen herbeigeführte „Schicksal“ ereilt.

Deutlich Worte in Sachen Kulturrelativismus fanden auch Mina Ahadi vom Internationalen Komitee gegen Steinigung und Maryam Namazie, die beide kämpferische Reden gegen den Islam und dessen frauenverachtendes Potenzial hielten. Interessant war, dass etwa Ahadi nicht bereit war, eine Trennung zwischen fundamentalistischem und gemäßigtem Islam vorzunehmen, da sie Differenzen zwischen beiden nur in der Radikalität der im Koran enthaltenen Frauenfeindlichkeit ausmachte – der Islam sei patriarchal und sexistisch; ohnehin habe sie nichts für Religionen übrig.

Auf der Konferenz waren endlich einmal weder vermeintlich authentische Vertreter der islamischen Kultur noch europäische Islam-Experten zu hören, sondern Betroffene. Das wurde zum Beispiel in Fatma Sonja Bläsers Vortrag deutlich, der zwar wenig politisch argumentierte, eher schon moralisch und ein wenig predigthaft, aber zu keinem Zeitpunkt aufgesetzt wirkte. Bläser, die selbst mit 19 Jahren einer Zwangsheirat und dem strengen patriarchalischen Familienleben entflohen war, geht heute in Schulen, um junge Frauen und Mädchen dabei zu beraten, wie sie von ihrem gewalttätigen Mann loskommen. Wie viele Mädchen auch in Deutschland zwangsverheiratet werden, wie viele von ihren Männern geschlagen werden oder auch nur nicht ohne Erlaubnis aus dem Haus gehen dürfen, machte sie in ihrer eindrucksvollen Rede deutlich. Dass die Gewalt in der Ehe zwar kein spezifisch islamisches Phänomen ist, sondern auch in christlichen oder atheistischen Ehen nicht eben selten vorkommt, sollte gerade am Internationalen Frauentag betont werden. Allerdings sollte auch nicht die in Deutschland gern überhörte Tatsache verleugnet werden, dass der Anteil an gewalttätigen Ehemännern in islamischen Familien fast doppelt so hoch ist wie der in nichtislamischen. Darauf wies Fatma Sonja Bläser zu Recht hin.

Traurig und störend war, dass bei einigen Rednerinnen gelegentlich ein reflexartiger Antiimperialismus zu Tage trat, der wohl durch die leninistische Prägung der AKI zu erklären ist. So finden sich in dem ansonsten gelungenen Resolutions-Entwurf* zur Konferenz leider auch Sätze wie diese: „Wir verurteilen ausdrücklich jeden militärischen Angriff auf den Iran, welcher wehrlosen Menschen das Leben kostet. Das gegenwärtige ‚dunkle Szenario’ im Irak darf nicht im Iran wiederholt werden.“ Auf welche Weise die AKI das hochgerüstete islamische Regime loszuwerden gedenkt, bleibt absolut schleierhaft, wenn sie die militärische Intervention demokratischer Kräfte von vornherein als unakzeptabel verwirft. Es ist der irrationale, auch von der iranischen Regierung vertretene Antiimperialismus, den die AKI endlich über Bord zu werfen hätte. Denn so befindet sie sich in einem eklatanten Widerspruch zwischen Islam-Kritik hier und Antiimperialismus dort, ohne es zu merken oder zu reflektieren. Dementsprechend konnte dann auch eine Sprecherin auf der Konferenz gegen „zwei Arten von Terror“ – gegen „islamischen Terror“ und „Staatsterrorismus“ nämlich – wettern, wobei sie den „Staatsterrorismus“ selbstredend mit den USA und Israel identifizierte. Solange die AKI an diesem Antiimperialismus festhält, muss sie für diesen ohne Abstriche kritisiert werden – ungeachtet der Tatsache, dass sie zum Thema Islam vernünftige Positionen vertritt.

Jan Huiskens

* Der Entwurf enthält sinnvolle Forderungen wie die nach einem Kopftuch-Verbot für Minderjährige, einer Schließung islamischer Schulen, einem Stopp der staatlichen Unterstützung islamischer Organisationen sowie einem Eingang der Kritik des Kulturrelativismus in den schulischen Lehrplan.