Zielscheiben des Volkszorns
Wen der Hype um die Fußball-Weltmeisterschaft im Juni und Juli jetzt schon nervt, dem sei diskret gesteckt, dass die Hysterie ihrem eigentlichen Höhepunkt erst noch entgegensieht. Doch die Einstimmung auf den nationalen Taumel läuft bereits auf vollen Touren, und bisweilen scheint es nichts Wichtigeres zu geben als die todernsten Diskussionen darüber, wie die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) trotz eines höchst mittelmäßigen Personals den ultimativen Erfolg einfahren kann, ob der Chefübungsleiter nun ein fleißiger Deutscher ist oder doch nur ein amerikanischer Blender und wer bei der WM in der Schießbude stehen soll. Derartiges wird zur Schicksalsfrage hochgejazzt, und man kann es deshalb auch als fußballinteressierter Mensch kaum erwarten, bis das Turnier endlich vorbei ist.
Besonders genau wird man einstweilen jedoch verfolgen müssen, wie sich Verantwortliche und Deutschlandfans im zu erwartenden Misserfolgsfall verhalten. Der amerikanische Politikwissenschaftler und Soziologe Andrei S. Markovits befürchtet, Trainer Klinsmann könnte dann „zur persona non grata in seinem Heimatland werden“ und müsse „ernsthaft um seine Sicherheit besorgt“ sein. Dem Vorwurf des Vaterlandsverrats könnten jedoch auch die Spieler ausgesetzt sein, und hier vor allem jene beiden, die längst nicht jeder uneingeschränkt gerne im Nationaltrikot kicken sieht. Die Rede ist vom Schalker Gerald Asamoah (Foto oben) und dem Bremer Patrick Owomoyela (Foto unten), deren dunkle Hautfarbe sie – trotz Du bist Deutschland-Kampagne und ostentativ zur Schau gestellter, vermeintlicher Weltoffenheit – zur Zielscheibe des Volkszorns machen könnte, wenn es bei der Gastgebertruppe nicht so läuft wie gewünscht.
In England, Frankreich und den Niederlanden – um nur einige Beispiele zu nennen – ist es seit Jahrzehnten nichts Besonderes mehr, dass Schwarze und Weiße gemeinsam in der Eliteauswahl des Landes spielen. Nun soll nicht behauptet werden, in diesen Staaten gebe es keine Anfeindungen gegen Menschen dunkleren Teints; gleichwohl ist es dort weit alltäglicher als in Deutschland, dass Kicker unabhängig von der Tönung ihrer Haut in das jeweilige Nationalteam berufen werden. Das hängt entscheidend damit zusammen, dass es in diesen Ländern ein Staatsbürgerschaftsrecht gibt, das nicht auf dem ius sanguinis basiert, weshalb insbesondere Fußballer, deren Vorfahren aus ehemaligen Kolonien eingewandert sind, ganz problemlos englische, französische oder niederländische Internationale werden können.
In Deutschland kam 1974 und 1975 mit Erwin Kostedde, Kind eines amerikanischen GIs und einer Deutschen, erstmals ein nicht ganz Weißer zu drei Spielen in der DFB-Elf, bevor Gerald Asamoah am 29. Mai 2001 (!) beim 2:0 gegen die Slowakei der erste „wirklich“ schwarze deutsche Nationalspieler wurde. Wie wenig selbstverständlich das Mitwirken eines dunkelhäutigen Fußballers in den Reihen des dreifachen Weltmeisters war, zeigt das demonstrative Aufhebens, das seinerzeit um dieses Debüt gemacht wurde. Und die Frage, ob ein gebürtiger Ghanaer denn überhaupt die nötige Textfestigkeit beim seit 1984 obligatorischen Mitsingen der deutschen Hymne habe – was so eine Art Idiotentest darstellt – war durchaus nicht nur scherzhaft gemeint. Als der in Hamburg aufgewachsene Patrick Owomoyela dreieinhalb Jahre später sein erstes Länderspiel bestritt, gab es darum nicht mehr ganz so viel Theater, doch gewöhnt hat man sich hierzulande noch immer nicht daran, dass nicht mehr alle nationalen Balltreter so blütenweiß sind wie das Trikot, das sie tragen.
Und während man beim DFB und der Deutschen Fußball-Liga (DFL) schon länger darüber sinniert, wie man die „Überfremdung“ (so das Fachmagazin kicker) der Bundesliga stoppen und „deutsche Talente“ fördern kann, ist man in anderen Kreisen schon einen Schritt weiter. Deutsche Neonazis planen nämlich nicht nur Solidaritätsbezeigungen mit dem Judenhasser im Amt des iranischen Präsidenten, sondern fordern auch den Ariernachweis für Nationalspieler: Eine Faschovereinigung verbreitete Plakate und Aufkleber mit dem Konterfei Gerald Asamoahs und versah sie mit dem Satz „Nein Gerald, Du bist nicht Deutschland”, und die NPD bot einen WM-Planer feil, der den Schriftzug „Weiß. Nicht nur eine Trikot-Farbe! Für eine echte NATIONAL-Mannschaft!“ trug und dessen Cover einen Spieler mit der Rückennummer 25 zeigte – die Patrick Owomoyela gehört.
Der Bremer Profi hat nun eine einstweilige Verfügung unter Androhung einer Strafe von bis zu 250.000 Euro gegen die Verbreitung dieses rassistischen Pamphlets erwirkt. Der DFB und Owomoyela persönlich haben zusätzlich auch Strafanzeige und Strafantrag bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Berlin gestellt und die sofortige Beschlagnahmung des Werbematerials der NPD gefordert; darüber hinaus wird der Abwehrspieler wegen der Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte auf finanzielle Entschädigung klagen.
Man muss wegen solcher Invektiven nicht zum Fan der deutschen Fußballauswahl werden. Aber wenn es sie schon unbedingt geben muss, gehören nazistische und rassistische Schmähungen gegen ihre Spieler selbstredend zurückgewiesen, ohne damit die Ehrenrettung einer per se nationalistischen Veranstaltung betreiben zu wollen. Wer jetzt glaubt, Kampagnen à la NPD seien doch bloß vergleichsweise vernachlässigenswerte Randerscheinungen, sei noch darauf hingewiesen, dass neonazistische Gruppierungen in den letzten Jahren zwar die Tribünen der Bundesligastadien nicht mehr in dem Maße zu ihrer Bühne machen konnten wie noch in den 1990er Jahren, ihren Antisemitismus und Rassismus dafür jedoch bei Amateurspielen, vor allem im Osten der Republik, mit brutaler Gewalt ausagieren. Und Begegnungen der deutschen Nationalmannschaft ziehen den Mob ohnehin magisch an.