29.3.06

Palästina an der Leine

Es gibt schon richtig gruselige Veranstaltungen in Deutschland. Seit dem 24. März und noch bis zum kommenden Samstag steigt in Hannover das Festival für Kultur und Politik in Palästina, dem man den irgendwo zwischen infantil und größenwahnsinnig anzusiedelnden Titel Filistina gegeben hat. Das Ganze ist aber nicht bloß die Angelegenheit irgendeines besonders hemdsärmeligen Palästina-Grüppchens, sondern wird außerdem von städtischen und regionalen Einrichtungen unterstützt, die gewiss auch ein paar Euro haben springen lassen. Federführend beteiligt an der Idee und ihrer Umsetzung ist Raif Hussein, Vizepräsident der Palästinensischen Gemeinde Deutschlands, Alphatier der örtlichen Palästina-Initiative und Gründer von Najdeh e.V., einer sich selbst als „soziale Hilfsorganisation für die Palästinenser“ deklarierenden Organisation, der es um die „Situation der Palästinenser im besetzten Palästina und im Exil“ geht, die also – darin der Hamas ähnlich – gleichsam staatliche Aufgaben wahrnimmt und mit dieser repressiven Form der Wohlfahrt selbstverständlich ein politisches Anliegen verbindet.

Filistina hat allerlei zu bieten: Klavierkonzert und „Palästina kulinarisch“, einen Film mit den „Girls of Jenin“ und einen Workshop – inklusive abschließender Podiumsdiskussion – namens „Der Westen und die arabische Welt“, noch einen Film, ein Theaterstück, eine Ausstellung mit dem Titel „Palästina, Alltag unter Besatzung“ (die den „Kanon der festgeschriebenen Bilder aufbrechen und den Blick auf die prekäre Lage und den Alltag der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten lenken [will], der seit 36 Jahren von der israelischen Besatzung bestimmt wird“), eine Lesung zu der Frage, ob es in Ramallah Diskos gibt, und schließlich und endlich ein Konzert mit Liedern „zum großen Teil aus eigener Feder“, und falls nicht, sind es „vertonte Texte libanesischer und palästinensischer Dichter: zeitgenössische Poesie vertont in melodischer arabischer Rhythmik“. Was man sich unter „zeitgenössischer Poesie“ in Ländern wie den vorgenannten auszumalen hat, ist wohl am ehesten dem Genre der „in melodischer arabischer Rhythmik“ vorgetragenen Schauermärchen zuzurechnen, und auch die anderen Veranstaltungen verheißen vor allem heftige Attacken auf Intellekt und Emotionshaushalt – das Festival ist ein öffentlich gefördertes Tribunal gegen Israel, auch wenn es am Wochenende endet. Und einmal mehr wird deutlich, wie hegemoniefähig Kulturrelativismus daherkommt – als völkischer Spuk.

Ein paar Aufrechte gibt es, die ein Problem mit dieser antisemitischen Folklore haben. Sie heißen Gruppe Antikrauts, wirken in Hannover und haben sich zu dem Workshop und der folgenden Debatte begeben, um die traute Eintracht zu stören. Beim einen wie beim anderen Event nämlich waren Referenten am Werk, die aus ihrem Hass auf Juden im Allgemeinen und auf Israel im Besonderen keinen Hehl machen: Der Antiimp-Opa Karam Khella, der bestreitet, dass sich der iranische Atomsprengkopf Ahmadinedjad je antisemitisch geäußert hat; der ehemalige Vizepräsident von Möllemanns Deutsch-Arabischer Gesellschaft, Aref Hajjaj, der zwischen „moderaten und radikalen Islamisten“ trennen möchte und die Hamas nicht nur wegen ihrer Suppenküche zu den Ersteren zählt; schließlich der Bonner Politologe Kinan Jaeger, der der Ansicht ist, im Islam herrsche in Wirklichkeit keine antisemitische Massenmobilisierung; vielmehr zeichne er sich durch „intakte Familienverhältnisse“, „Gastfreundschaft“ und „Spendenbereitschaft“ aus. Ein Trio Infernale, ohne Zweifel.

Die Antikrauts wollten Flugblätter gegen diese bizarre Veranstaltung verteilen und bekamen dafür den geballten Volkszorn zu spüren: Ein Mitglied von Husseins Palästina-Initiative trachtete die Aktivisten handgreiflich an der Verbreitung ihrer Ausarbeitung zu hindern, der Moderator entzog ihnen das Wort bei kritischen Beiträgen, sie wurden als „Faschisten“ beschimpft und erhielten zusätzlich noch eine kostenlose Lektion in Rassenkunde von einigen Anwesenden, die versicherten, sie könnten gar keine Antisemiten sein, weil sie ja qua Erbanlage selbst Semiten seien. Canossa lässt grüßen.

Da das Flugblatt der Gruppe nicht online verfügbar ist, soll es hier in Gänze dokumentiert werden.*

Filistina 2006: Volksfest der Antisemiten

Sie besuchen eine Veranstaltung zum Thema „Der Westen und die arabische Welt“ im Rahmen des Filistina-Festivals 2006, veranstaltet von der Palästina-Inititative des Raif Hussein. Vielleicht sind Sie mit dem Antisemitismus dieser Initiative und der heutigen Referenten vollkommen einverstanden, dann sind Sie Teil des Problems und nicht Ziel unserer Aufklärungsbemühungen, da wir wissen, dass Antisemiten sich schlichtweg nicht aufklären lassen wollen, da ihre Projektionen für ihr Bild von sich und der Welt eine Leidenschaft darstellen, durch die sie eine Identität zu gewinnen glauben, die darin besteht, das Projizierte, die Nicht-Identität, zu verfolgen und zu vernichten. Nun lassen die Juden nicht mehr einfach so über sich verfügen, da sie als notwendige Konsequenz aus dem im Holocaust kulminierten Antisemitismus einen Staat gründen konnten, der diesem Anspruch der Antisemiten auf Verfügung und Vernichtung entgegensteht. Daher ist heute Israel das primäre Ziel der Aggressionen der Antisemiten in aller Welt.

Der Initiator: Raif Hussein, Berufspalästinenser

Im Interview mit der völkischen Tageszeitung junge Welt vom 4. Februar dieses Jahres (1) verurteilt der Vizepräsident der Vertretung des derzeit aggressivsten antisemitischen Kollektivs der Welt, der Palästinenser, die „Widerstandsstrategie“, wie er es nennt, der per Volkswillen zur Regierung des Terrors aufgestiegenen Mörderbande der Hamas, welche in ihrer Organisationscharta erklären, was die Deutschen spätestens seit Adolf Hitler wissen, dass die Juden hinter allen Kriegen und Übeln in der Welt stecken, hinter Kapitalismus wie Kommunismus, um die Weltherrschaft zu erlangen, was in der Charta mit den Protokollen der Weisen von Zion „belegt“ wird (2). Die Selbstmordattentate, dieses Sein zum Tode, deren erklärtes Ziel es ist, im Namen Allahs und des palästinensischen Volkskollektivs, also aufgrund von Aberglauben, möglichst viele Juden in Stücke zu reißen, diese beste deutsche Tradition, verurteilt Hussein nicht etwa aufgrund ihrer barbarischen Raserei, aufgrund des wahllosen Tötens von Menschen, weil sie Juden sind, nein, er verurteilt sie, weil sie „der palästinensischen Sache mehr geschadet“ haben „als alles andere in den vergangenen 40 Jahren“ (3), also aus dem selben Grunde wie ein Mohamed Mahathir, ehemaliger malaysischer Ministerpräsident, Selbstmordattentate ablehnt, da sie für einen langangelegten Endkampf der Muslime gegen die Juden hinderlich und kontraproduktiv seien (4). Also aufgrund eines Antisemitismus der Vernunft, der schon die Initialisierung des deutschen Vernichtungsprogrammes war.

Hussein möchte aber nicht vorschnell pauschalisieren: So differenziert er innerhalb der Hamas, die sich auf das Töten von Juden eingeschworen hat, zwischen Gemäßigten und Radikalen, also zwischen Leuten wie Hussein, Mahathir und Hitler einerseits und den ungestümen Suizidbombern andererseits. Der Westen allerdings, so weiß Hussein, wolle die Hamas und damit das Volk nur erniedrigen, also in ihrem erhabenen islamischen Ehrgefühl verletzen, wenn er darauf dränge, Israel anzuerkennen, wodurch die Radikalen gestärkt würden. Was ja nur heißen kann, dass die Existenz Israels, und also der Juden, das islamische Ehrgefühl verletzt, und daher aus Gründen der Würde Israel vernichtet werden müsse. Er wünscht sich also ein „Über-Auschwitz“ (Amery). Weiter spricht er von einer Apartheidmauer, womit er die Sicherheitsbarriere meint, die bereits viele willige Massenmörder von ihren Taten abgehalten hat. In Verdrehung seiner eigenen Wünsche brandmarkt er damit Israel als rassistisch und faschistisch.

In einem Interview der Rechtspopulisten vom Linksruck (5) bezeichnet er Israel überdies als „koloniales Projekt“, womit er durchblicken lässt, dass er Israel erstens keine lange Lebenszeit mehr gewähren möchte, da ein Projekt nur etwas Vorübergehendes ist, und zweitens wärmt er die Mär der jüdischen Weltverschwörung auf, indem er Israel zur nur jüdischen Kolonie degradiert, was ja heißen muss, dass es dazu noch das entsprechende jüdische Imperium geben müsse, welches in der antisemitischen Fabulation letztlich die ganze Welt sei, im engeren sich aber aktuell meist auf die USA konzentriert. Da dem Antisemiten die jüdische Schuld immer schon a priori feststeht, weiß auch Hussein, dass es Israels schuld sei, dass die Hamas neben den besorgten Geldern aus Europa nun auch großzügig vom Iran fürs Judenmorden belohnt wird. Was die Antisemiten den Juden antun wollen, das behaupten sie als jüdische Machenschaft, so wollen Nationalsozialismus und Islamismus die Weltherrschaft, und behaupten darum, die Welt vor einer jüdischen Weltherrschaft zu retten. So ist Hussein auch Unterzeichner eines Aufrufs zur Bildung einer internationalen Komitees für den Schutz des palästinensischen Volkes (6) vor der „schleichenden ethnischen Säuberung“, des „Völkermordes“, den die Israelis angeblich an den Palästinensern vollziehen würden, wobei doch die Wahrheit ist, dass die meisten Palästinenser durch andere Palästinenser bei internen Machtkämpfen und beim Vollzug von islamischen Strafen gegen Sünder und vermeintliche Kollaborateure ihres Lebens beraubt werden.

Karam Khella: Mufti des Antiimperalismus

Karam Khella (Foto) ist Stichwortgeber von Generationen deutscher Antisemiten, ihren Antisemitismus zeitgemäß als Antizionismus zu übertünchen, den Nationalsozialismus nicht dort zu verorten, wo er seine tatsächlichen ideologischen und tatkräftigen Erben hat, also im arabisch-islamischen Lager, sondern auf die Opfer des Antisemitismus selbst, auf die Juden und ihren Staat, zu projizieren, um sich selbst zu entlasten und die Fortführung des antisemitischen Krieges zu heiligen. So redet Khella unermüdlich von einem „jüdischen Faschismus“ und bezeichnet Israel als „ein einziges Kontinuum des Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ (7), womit er nach wie vor voll im Zeitgeist liegt, meinen doch die meisten Deutschen, Israel sei der neue Nazistaat (8) und die größte Gefahr für den Weltfrieden (9), mit anderen Worten: „Die Juden sind unser Unglück!“ (Treitschke, Hitler). Khella glaubt, die USA hätten im Zuge ihres Weltherrschaftsstrebens das künstliche Israel errichtet, dessen Funktion die Unterdrückung von authentisch-organischen Völkern sei (10).

Khellas Idiotie reicht soweit, dass er auf einer Veranstaltung des AStA Hamburg im Jahre 2000 gar behauptete, die Juden würden aus Israel schon von alleine verschwinden, wenn Frieden geschlossen werde, da es ihnen „dort zu heiß“ sei. Khella tritt auch als Holocaust-Revisionist auf: Über den Nazi-Verbrecher und eliminatorischen Antisemiten, dem Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, der bewirkte, dass tausende jüdische Kinder in die Gaskammern von Auschwitz kamen, und der muslimische SS-Divisionen auf dem Balkan aufstellte, erklärt Khella: „1940 (hat) Husseini einen richtigen Schritt gemacht. [...] Er ist nach Deutschland gefahren, um Druck auf die Nazis auszuüben, mit politischen Mitteln, aufzuhören mit dieser Verfolgung, die Probleme schafft. [...] Husseini hat die Palästinafrage islamisch legitimiert, hat versucht, muslimische Freunde zu gewinnen und so kann ich mir gut vorstellen, dass er diese Funktion auch in anderen islamischen Gemeinden auf dem Balkan getragen hat.“ (11)

Khellas Äußerungen deuten darauf hin, dass er durchaus informiert ist und dass er mit der Unterstützung und Beteiligung des Muftis am antisemitischen Vernichtungskrieg der Deutschen vollkommen einverstanden ist. Der Mufti hatte im November 1943 erklärt: „Araber und Mohammedaner! [...] Das, was die Deutschen uns annähert und uns auf ihre Seite bringt, ist die Tatsache, dass Deutschland in kein arabisches oder islamisches Land eingefallen ist und seine Politik seit Alters her durch Freundschaft den Mohammedanern gegenüber bekannt ist. Deutschland kämpft auch gegen den gemeinsamen Feind, der die Araber und Mohammedaner in ihren verschiedenen Ländern unterdrückte. Es hat die Juden genau erkannt und sich entschlossen, für die jüdische Gefahr eine endgültige Lösung zu finden, die ihr Unheil in der Welt beilegen wird.” (12)

So bitten wir Sie, den werten Leser, so Sie noch bei Verstande und nicht schon dem Antisemitismus völlig verfallen sind, den Antisemiten in Wort und Tat entgegenzutreten. Hussein und Khella sind nur zwei, wenn auch exponierte und sonderlich eifrige Beispiele eines Phänomens, dass etwas sehr allgemeines hat, nämlich dadurch, dass die bestehenden Verhältnisse den in diesen Verhältnissen seienden Menschen anders erscheinen, als sie tatsächlich sind. Das Alltagsbewusstsein der Menschen, die durch Wert und Recht sich im Unwesen gesellschaftlicher Vermittlung befinden, wodurch der Selbstwiderspruch der Gattung konstituiert und reproduziert wird, ist hochgradig verschwörungstheoretisch und antisemitisch. Wo aber der Antisemitismus siegt und seinen Vernichtungswunsch realisieren kann, kommt der Mensch seinem Ende immer näher.

Gruppe Antikrauts, Hannover

Anmerkungen
* Diskussionen über Filistina sind möglich beim Anti-Defamation-Forum Berlin.
(1) Junge Welt, 04.02.2006: „Palästina wird ganz sicher kein zweites Afghanistan“
(2) Hamas-Charta (englische und deutsche Auszüge)
(3) Ebenso der heutige Referent Aref Hajjaj in seiner Erklärung als Vizepräsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft des verstorbenen Antisemiten Jürgen Möllemanns vom 5. März 2002: „Selbstmordattentate, jene aus der Sicht der palästinensischen Sache wahrlich kontraproduktive Form des Kampfes“
(4) Mahathir erhielt für seine Endkampf-Forderung stehende Ovationen von den versammelten islamischen Staatsführern auf dem islamischen Gipfeltreffen in Kuala Lumpur am 16. Oktober 2003. Vgl. Frankfurter Rundschau und diesen Blog
(5) Linksruck Nr. 214, 8. Februar 2006: Naher Osten: Frieden heißt Gerechtigkeit.
(6) Aufruf zur Bildung eines Komitees für den Schutz des palästinensischen Volkes
(7) Karam Khella (1988): Der Imperialismus sitzt in den Köpfen der Linken, in: Redaktion Arbeiterkampf (Hg.): Deutsche Linke zwischen Israel und Palästina, Hamburg, S. 19
(8) Wilhelm Heitmeyer (Hg., 2005): Deutsche Zustände. Folge 3, Frankfurt
(9) EU Commission (2003): Iraq and Peace in the World. Flash Eurobarometer 151, November 2003
(10) Karam Khella (1987): Jederzeit, überall, mit allen Waffen. Imperialismus heute, Theorie und Praxis Verlag, Hamburg
(11) Karam Khella (1989): Zionismus und palästinensischer Widerstand, Wien, S. 71 ff., zit. nach: Matthias Küntzel (2002): Djihad und Judenhass. Über den neuen antijüdischen Krieg, Freiburg, S. 154
(12) Klaus Gensicke (1988): Der Mufti von Jerusalem: Amin El-Husseini und die Nationalsozialisten, Frankfurt