Verwaltungskämpfe
Wenn in Berlin eine Koordinierungskonferenz deutscher NGOs gegen Antisemitismus stattfindet und sich kurz darauf eine zuerst im Auswärtigen Amt gezeigte Ausstellung mit dem Titel „Antisemitismus? Antizionismus? Israelkritik?“ der Frage widmet, „wo legitime Kritik aufhört und die Grenze zum Antisemitismus überschritten wird“: Sind das dann nicht echte Fortschritte im Kampf gegen den Judenhass? Hat sich das Thema tatsächlich „vom Rand in die Mitte der Gesellschaft bewegt“, wie Malte Lehming im Tagesspiegel befand, und falls ja: Ist es dort, sagen wir, gut aufgehoben? Gibt es also Anlass zur Entwarnung, wenn der Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, Wolfgang Benz, sagt: „Kritik an der Politik Israels ist eine ganz natürliche Sache. Viele benutzen sie heute aber als Ventil, um ihre Judenfeindschaft zu äußern – und dann ist es nicht mehr normal“?
Nein, meint der Politikwissenschaftler Jörg Rensmann: Die NGOs wollten vor allem den Zielen der deutschen Außenpolitik genügen und vermieden die Forderung nach einschneidenden Konsequenzen, insbesondere gegenüber dem Iran. Sie machten den Antisemitismus zu einem abstrakten Problem und richteten sich im Mainstream ein: „Die deutsche Zivilgesellschaft überschreitet keine Grenze, die ihr gleichsam autoritär von der jeweiligen Regierungspolitik gesetzt wird. Sie überschreitet sie deshalb nicht, weil es zwischen Zivilgesellschaft und Regierung keinen Widerspruch gibt. Der Stand der hierzulande ‚Wissenschaft’ genannten Antisemitismusforschung spiegelt exakt die Erfordernisse des Auswärtigen Amtes unter Frank-Walter Steinmeier wider.“ Warum vordergründig kritische Konferenzen und Ausstellungen deshalb letztlich Teil des Problems statt Teil der Lösung sind und der Antisemitismus nicht bekämpft, sondern bloß verwaltet wird, analysiert Rensmann in einem Gastbeitrag für Lizas Welt.
Jörg Rensmann
Anmerkungen zur institutionellen Antisemitismusverwaltung in Deutschland
In einem Beitrag für die Jüdische Allgemeine kritisierten Robert Wiesengrund und Christian Heinrich Ende Juni dieses Jahres, was in Deutschland so alles als Bekämpfung des Antisemitismus ausgegeben wird. Weder linker noch islamischer Antisemitismus werde mit hinreichender Schärfe erkannt, schrieben sie; von einer Bekämpfung ganz zu schweigen. Wiesengrund und Heinrich haben Recht; bereits die Empirie zeigt an der Oberfläche das Bewusstsein: Nach einer BBC-Umfrage positionieren sich 77 Prozent der Deutschen eindeutig negativ gegenüber Israel. Auf ähnlich hohe Werte kommen nur die Befragten im Libanon und in Ägypten. Kombiniert mit dem Antiamerikanismus – der gesellschaftlich ebenfalls vorherrschenden und tief internalisierten Ideologie in Deutschland von links bis rechts und von oben bis unten – ist schon lange eine gefährliche Mischung mit bedrohlichen Folgen für die Sicherheit der prospektiv Verfolgten in Europa und Israel entstanden.
Mitte Juni versammelte sich einmal mehr der Koordinierungsrat deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus im Berliner Centrum Judaicum, um „gegen Antisemitismus vorzugehen“: Nahezu ohne Aussprache und akklamatorisch wurde eine Resolution verabschiedet, deren Kernstück die Aufforderung an die Bundesregierung bildete, „in Anlehnung an das Vorgehen anderer Staaten einen jährlichen Bericht zur Antisemitismusbekämpfung herauszugeben und dem Bundestag zuzuleiten“. Immerhin besser als nichts, könnte man meinen, zumal Einrichtungen wie das Berliner AJC unter seiner Leiterin Deidre Berger, das eine harmlose Einrichtung namens Task Force zur Antisemitismusbekämpfung unterhält, oder das den Antisemitismus in Deutschland und den islamischen Judenhass systematisch verharmlosende Zentrum für Antisemitismusforschung gleich ganz fehlten.
Der derzeitige Koordinierungsrat der Koordinierungskonferenz besteht unter anderem aus dem Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum – das es unter Julius Schoeps kürzlich für notwendig hielt, angesichts der Bedrohung Israels ausgerechnet eine Tagung zum Philosemitismus zu veranstalten – und aus der Amadeu-Antonio-Stiftung, die zumindest den vor allem von Linken aller Schulen, Szenen und Richtungen heruntergespielten antisemitischen Antizionismus in der DDR endlich einmal ins Bewusstsein rückt. Daraus zieht die Stiftung jedoch die gesellschaftlich überall anschlussfähige Konsequenz, von einem, sei’s auch veränderten, Begriff des Antifaschismus nichts mehr wissen zu wollen, statt den Totalitarismusbegriff zu diskutieren: Hat die DDR einen historisch präzedenzlosen antisemitischen Vernichtungskrieg geführt? Ist es nicht nach wie vor Sinn und Zweck des „Gedenkstättenkonzepts“ der Bundesregierung, die DDR und den Nationalsozialismus konzeptuell zu identifizieren und letzteren dadurch zu bagatellisieren?
Zum Koordinierungsrat zählt ferner der Persönliche Beauftragte des OSZE-Vorsitzenden zur Bekämpfung des Antisemitismus, Gert Weisskirchen, dessen Strategie im Frühjahr noch darin bestand, seinen Mitarbeiter Veranstaltungen zur „Islamophobie“ organisieren zu lassen: Unter dem Titel „Gegenstrategien gegen Antisemitismus“ (!) sollte dort der „Persönliche Beauftragte des OSZE-Vorsitzenden zur Bekämpfung der Intoleranz und der Diskriminierung gegen Muslime“, Ömur Orhun, über „Diskriminierung und Intoleranz gegenüber Muslimen in Europa und Nordamerika“ sprechen.
Politikberatung für den Außenminister
Zum erwähnten Treffen im Centrum Judaicum kamen Vertreter aller Bundestagsfraktionen. Gitta Connemann (CDU) war jedoch die einzige auf dem Podium, die den Begriff Antizionismus überhaupt in den Mund nahm und ihn mit Antisemitismus gleichsetzte. Jerzy Montag von den Grünen wusste davon zu berichten, dass er sich vor seinen Parteigremien für seine Solidaritätsreise nach Israel während des letzten Libanonkrieges hatte rechtfertigen müssen. Solche Verhöre zeigen, was von der Behauptung des grünen Parteistiftungsvorsitzenden Ralf Fücks zu halten ist, die Achtundsechziger hätten ihre eigene massiv antizionistische Vergangenheit „aufgearbeitet“.
Die besagte Resolution des Koordinierungsrates selbst sieht ausdrücklich vor, Bundesinnen- und -außenministerium an einem zu erstellenden „Antisemitismusbericht“ der Bundesregierung zu beteiligen. Das dürfte in der Praxis darauf hinauslaufen, dass namentlich die Beamten des Außenministeriums – die bis heute nicht einmal eine „Aufarbeitung der Vergangenheit“ ihres eigenen Hauses angehen – in extenso begründen werden, warum die Politik des Staates Israel Antisemitismus verursache respektive fördere, weshalb man mit wichtigen Partnern wie den Klerikalfaschisten in Teheran nicht allzu hart ins Gericht gehen möge.
Überhaupt der Iran. Analog zu den Arbeiten von Klaus Holz – die den Antisemitismus zur bloßen Frage der Semantik machen und keinen Begriff von Staat, Subjekt und Vergesellschaftung haben oder ihn leugnen müssen, um nicht von Psychoanalyse oder spezifischen historischen Bedingungen und Entwicklungen reden zu müssen – generalisiert das Papier des Koordinierungsrates das Problem und macht es zu einem bloß abstrakten. Dies gründet in der Methode und dem gesamten Denkansatz. Es geht gar nicht um die lebensgefährliche Bedrohung von Juden hier und in Israel, sondern um die Bekämpfung des Antisemitismus als „Teil des Kampfes für die Menschenrechte“, deren Begriff bei den Vereinten Nationen bekanntlich dazu dient, Israel permanent und institutionell an den Pranger zu stellen.
Nicht der iranische Vernichtungsantisemitismus wird beim Namen genannt – um, was an dieser Stelle das Mindeste wäre, sofortige politische Konsequenzen von der Bundesregierung zu verlangen, die wie kaum ein Zweiter das Regime in Teheran stützt –, sondern es wird vielmehr zuvörderst die hiesige „Berichterstattung“ verantwortlich gemacht, weil sie die antisemitische Propaganda in den arabischen und islamischen Staaten vernachlässige, die doch ihre Wirkung in Europa und dort nicht nur in den muslimischen Communities zeitige. Das ist richtig und doch nur die halbe Wahrheit. Denn durch die Fokussierung auf eine bloß mangelhafte Berichterstattung trägt die ausschließliche Betonung der Propaganda eher zur Verharmlosung der iranischen Bedrohung bei: Den Akzent nahezu exklusiv der Funktion von antisemitischer Propaganda zu widmen – auch historisch –, birgt die Gefahr, gesellschaftlich vermittelte subjektive Dispositive und geschichtlich spezifische Vergesellschaftungen zu unter-, den Staat jedoch zu überschätzen und die Judenhasser zu entlasten. Der iranische Vernichtungsantisemitismus ist eine konkrete und auch materielle Bedrohung; er hat das Stadium eines bloßen Propagandainstruments nach innen längst verlassen, wie Antisemitismus ohnehin nie allein in dieser Funktion aufgeht.
Der Koordinierungsrat jedoch hält sich in seiner Resolution mit der Benennung des Iran und Syriens als konkrete Bedrohungen für Israel absichtsvoll zurück, um keine Forderungen politischer Art an die eigene Regierung stellen zu müssen. Die Kündigung von Hermes-Bürgschaften und die durchaus mögliche Isolierung der Mullahs zunächst durch wirkungsvolle Sanktionen zu verlangen, ist für sämtliche Initiatoren des Papiers kein Thema. In Abwandlung eines berühmten Wortes von Max Horkheimer ist hierzulande das Reden über den Judenhass aber bedeutungslos, wenn man nicht über den Vernichtungsantisemitismus der Klerikalfaschisten in Teheran reden möchte. Ein NPD-Verbot mag in mancherlei Hinsicht sinnvoll sein; es ist aber auch wohlfeil, weil nahezu überall konsensfähig.
Mit einer Politik gegen die Mullahs jedoch und einer auch öffentlich bekundeten, offensiven Unterstützung der USA in der militärischen Bekämpfung von islamistisch motivierten Schlächtern sieht es ganz anders aus; dergleichen ist mit SPD und Grünen, den Antiamerikanern schlechthin also, nicht zu machen. Eher lässt man sich von Islamisten zum Rückzug aus Afghanistan erpressen; wie schon in Madrid nach den Anschlägen am 11. März 2004 sitzen auch am Werderschen Markt in Berlin die Massenmörder längst mit am Verhandlungstisch. Diese mangelnde Courage mit Rücksicht auf den je eigenen Status im postnazistischen Deutschland entspricht bei allen sonstigen kleinen Fortschritten im Text der Resolution denn auch dermaßen exakt dem zivilgesellschaftlichen Mainstream, dass diese Fortschritte infolge des Unterlassens notwendiger politischer Folgerungen und Forderungen sofort wieder kassiert werden.
Anleitung zur „Israelkritik“
Die deutsche Zivilgesellschaft überschreitet keine Grenze, die ihr gleichsam autoritär von der jeweiligen Regierungspolitik gesetzt wird. Sie überschreitet sie deshalb nicht, weil es zwischen Zivilgesellschaft und Regierung keinen Widerspruch gibt und noch nicht einmal ein Idealismus der am Staatstropf hängenden, nur scheinbar selbstständigen zivilgesellschaftlichen Organe existiert, der über die Grenzen der deutschen Außenpolitik hinausgeht und an dem gewöhnlich der Widerspruch zwischen Ideologie und gesellschaftlicher Wirklichkeit festzumachen ist. Der Stand der hierzulande Wissenschaft genannten Antisemitismusforschung spiegelt exakt die Erfordernisse des Auswärtigen Amtes unter Frank-Walter Steinmeier wider, wie eine dortselbst zu bestaunende Ausstellung zum Antisemitismus beweist, die nicht zuletzt vom Zentrum für Antisemitismusforschung kreiert wurde und wie eine Anleitung zur „richtigen“ und genehmen „Israelkritik“ wirkt.
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt Gernot Erler benannte die dazu erforderlichen Versatzstücke in seiner Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung. Er räumte ein, es gebe Antisemitismus – anscheinend unterschiedslos intensiv – „sowohl in westlichen wie in islamischen Gesellschaften“, als wäre der antizionistische Israelhass nicht gerade in Deutschland, wie die BBC-Umfrage zeigt, und in den palästinensischen Gebieten, wo die „Zivilgesellschaft“ genannte Ansammlung aus barbarischen Clans und Rackets nach wie vor vernichtungsantisemitisch motivierte Mordanschläge goutiert, besonders ausgeprägt. Bezeichnenderweise heißt es bei Erler, „ein neuer Antisemitismus mit verschwimmenden Grenzen zum Antizionismus und zur Kritik am heutigen Israel“ finde „eine wieder wachsende Resonanz“. Fein säuberlich wird also nach wie vor zwischen Antisemitismus und Antizionismus wie „Israelkritik“ unterschieden. Zum Antisemitismus unter Moslems heißt es: „Wir haben eine Debatte über ‚neuen Antisemitismus’. Die Pöbeleien mancher Jugendlicher zum Beispiel, deren Familie aus islamisch geprägten Ländern stammen, beziehen ihre Energie aus den Erfahrungen des ungelösten Nahost-Konflikts; und die Zahl solcher Vorfälle steht in direktem Zusammenhang mit dem jeweiligen Krisenstand dort. Oft steht hier ein eklatanter Mangel an politischer Bildung und Aufklärung Pate.“
Antisemitisch sind die verharmlosend als solche bezeichneten „Pöbeleien“ der bloß mangelhaft gebildeten, bedauernswerten Täter also schon per definitionem nicht; überhaupt könnte der Eindruck entstehen, Antisemitismus sei lediglich ein Problem von Bildung und nicht eine geschlossen, wahnhafte Welterklärung, für die der Antisemit sich entscheidet. Zentral aber ist: Einmal mehr wird, und zwar von Staats wegen, Israel zum Verursacher von Antisemitismus gemacht. Genau hier liegt die Identität von Ideologie und Gesellschaft, von der Adorno sprach, von deutscher Wissenschaft, Politikberatung und Politik. Genau hier sind die Juden in Israel diejenigen, die je nach „Stand des Konflikts“ – also auf der Basis ihres Handelns oder Unterlassens – die migrantischen Jugendlichen auch hierzulande zu bedauernswerten Opfern ohne eigene Handlungsfreiheit machen. Auch deutsche „Antisemitismusforscher“ machen also Juden in Israel zu Tätern: Sie rationalisieren den so genannten palästinensischen Widerstand, dem sie damit die Legitimation verleihen.
Nach innen suggerieren die linken Akteure der Zivilgesellschaft – im Grunde die Feinde der Dialektik der Aufklärung –, erst die Islamkritik locke junge Leute „mit Migrationshintergrund“ in eine „Identitätsfalle“, als seien nicht die islamische Vergesellschaftung und Elendsverwaltung das Problem, sondern deren Kritiker. Nebenbei wird den ganz solidarisch in Schutz Genommenen die eigene Urteilsfähigkeit abgesprochen. Islamkritik wird so zur Ursache des antijüdischen Hasses umgelogen, nicht aber innerfamiliär, gesellschaftlich und medial Tradiertes als Grund für Antisemitismus benannt. Hier hätte die Kritik antisemitischer Propaganda ihren Platz, ohne den Anteil des Subjekts an der Rezeption zu leugnen. Darüber hinaus übt niemand außerhalb der je eigenen Community den Zwang aus, sich zu repressiver Vergesellschaftung und zu einer im Gegensatz etwa zur jüdischen Denktradition bis dato historisch aufklärungsresistenten Religion wie dem Islam zu bekennen, den Holocaust zu leugnen und ihn mit der so genannten Naqba in eins zu setzen, als ginge es per se um Identisches.
Einen anderen Teil von Gernot Erlers Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung bildeten Ausführungen zum Iran: „Wer – wie etwa der iranische Präsident – gegen Israels Existenz hetzt oder den Holocaust leugnet, um Israel indirekt das Existenzrecht abzustreiten, der stößt bei uns auf breiteste Ablehnung und muss mit unserem entschiedenen Protest rechnen. Er isoliert sich auch in einer Staatengemeinschaft, die, so im Rahmen der Vereinten Nationen, jedes Jahr am 27. Januar der Opfer des Holocaust gedenkt.“ Da fühlt man sich doch an den seligen Münchhausen erinnert, denn weder streitet der iranische Präsident nur indirekt das Existenzrecht Israels ab noch sind die Klerikalfaschisten in Teheran ausgerechnet von Deutschland isoliert oder stoßen hier auf „breiteste Ablehnung“.
Ideologische Flankierungen
Ideologisch flankiert werden diese offenkundigen Lügen von Wissenschaftlern, die versichern, Antisemitismus sei allein von außen in islamische und arabische Gesellschaften hineingetragen worden, allein ein Produkt der europäischen Aufklärung, wobei auch der nationalsozialistische Vernichtungsantisemitismus als tatsächlich übertragene und bereitwillig aufgesogene Ideologie relativiert wird: War es universalisierend und verallgemeinernd „die Aufklärung“, so muss es bloßer Zufall gewesen sein, dass die Vernichtung der Juden von Deutschland geplant und in die Tat umgesetzt wurde. Solche „Islamwissenschaftler“ sollten sich zur Abwechslung vielleicht einmal auf den internationalen Forschungsstand beziehen. Die bezeichnenderweise ohne internationale Gäste geplante Sommeruniversität der Technischen Universität Berlin zum Antisemitismus, die im September stattfinden wird, lässt jedenfalls wenig Substanzielles erwarten, sondern wird so schlicht wie üblich den ideologischen Erfordernissen hierzulande genügen.
So lange eine deutsche Regierungsinstitution wie die Friedrich-Ebert-Stiftung, die im Nahen Osten offen antiisraelische Projekte fördert sowie Wissenschaftler beschäftigt und publizieren lässt, deren Motivation das antijüdisch-antiisraelische Ressentiment ist, so lange also eine solche Praxis einer Regierungsstiftung zivilgesellschaftlich nicht als Teil des Problems erkannt wird, wird man den zahnlosen Akteuren in Deutschland Kumpanei vorwerfen müssen, ein taktisches Verhältnis zur Bekämpfung des Antisemitismus, das allein der Imagepflege nach außen dient. Bezeichnenderweise hatte einer der Initiatoren des Papiers des Koordinierungsrates bei der Podiumsdiskussion im Centrum Judaicum auf Nachfrage noch eingeräumt, dass es noch Jahre dauern könne, bis die Bundesregierung sich überhaupt dazu durchringt, einen Antisemitismusbericht vorzulegen.
Man darf sicher sein, dass eine Mischung aus Begriffslosigkeit und Hermetik gegen Kritik sowie politisches Kalkül dazu führen wird, dass gar nichts geschieht. In fünf Jahren mag es einen harmlosen „Bericht“ geben, an dem friedlich vereint und sich die zu erwartenden staatlichen Mittel aufteilend diverse Institutionen gewerkelt haben werden. Aber gibt es dann noch die politische jüdische Souveränität, oder haben Europäer und „Aufarbeitungsweltmeister“ aus Deutschland bis dahin dazu beigetragen – und sei es durch Unterlassung und den hilflosen Appell an abstrakte und kollektivistisch verstandene Menschenrechte –, dass der Staat der Juden, der allein qua Existenz als Stachel der Erinnerung an den bisher präzedenzlosen deutschen Massenmord den kollektiven Narzissmus hierzulande bis heute schädigt, nicht länger existiert?
Update 12. November 2007
Spät gelesen: Replik auf Jörg Rensmann, „Anmerkungen zur institutionellen Antisemitismusverwaltung in Deutschland“
Von Lars Rensmann, Ann Arbor (USA)
In seinem Beitrag zur „institutionellen Antisemitismusverwaltung“ reklamiert Jörg Rensmann, dass es beim Thema Antisemitismus (und überhaupt?) „zwischen Zivilgesellschaft und Regierung keinen Widerspruch gibt“. Diese behauptete Identität von Regierung und Gesellschaft wird belegt durch den Verweis auf bestimmte jüdische und nicht-jüdische Individuen, Gruppen und Organisationen. Jörg Rensmann wirft hierbei verschiedenste unabhängige Forschungsinstitute, NGOs, die den Rechtsextremismus bekämpfen, und pro-israelische Einzelpersonen in einen Topf mit rechten Antisemiten und linksprotestantischen Antizionisten und unterstellt allen ein „identisches“, gleichsam gleichgeschaltetes, in jedem Fall aber einheitliches Interesse, zudem noch einheitlich mit der jeweiligen Bundesregierung. Dieses Interesse sei die Bekämpfung Israels.
Ein solches – im Grunde deterministisches – Argumentationsmuster ist politik- und sozialwissenschaftlich gewagt. Eine Interessensidentität wäre selbst für den NS-Staat eine Übertreibung, wie, anders als Jörg Rensmann suggeriert, u.a. Theodor W. Adorno reflektiert aufgezeigt hat. Bei Jörg Rensmann wird dennoch alles Handeln auf einen homogenen Ursprung – das identische Interesse – zurückgeführt, um zugleich den Akteuren, die dadurch bestimmt seien, in voluntaristischem Gestus individualmoralische Vorhaltungen zu machen. Ich habe in meiner Studie Demokratie und Judenbild dagegen nachgewiesen, dass es sehr wohl auch beim Problem des Antisemitismus auf die konkrete politisch-diskursive Auseinandersetzung in der Demokratie ankommt, also soziales Handeln weder unmittelbar auf „(nationales) Interesse“, noch ausschließlich auf individuelle Moral zurückgeführt werden kann. Für Jörg Rensmann aber spiegelt die „hierzulande Wissenschaft genannte Antisemitismusforschung“ ohnehin in toto schlicht „exakt“ die Erfordernisse des Auswärtigen Amtes wider, namentlich eine Anleitung zur „genehmen Israelkritik“.
Ziel von Jörg Rensmanns Kritik ist auch der Koordinierungsrat deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus, dem ich selbst angehöre. Der Koordinierungsrat ist ein Zusammenschluß verschiedener Organisationen, Einrichtungen, Forschungsinstitute und Einzelpersonen, die sich mit Antisemitismus auseinandersetzen. Sie sind indes keinesfalls für „Antisemitismusfragen zuständig“, als hätten sie einen regierungsamtlichen Auftrag. Sondern deren Engagement im Koordinierungsrat beruht einzig auf Eigeninitiative „von unten“, bis auf Einzelfälle sogar frei von öffentlichen Geldern. Nachdem es seit Jahren keine deartigen Treffen von NGOs gegeben hat (was nicht zuletzt dem Versagen einiger professioneller Organisationen geschuldet ist), hatten verschiedene unabhängige Organisationen und Personen im Sommer schlicht einen neuen Anlauf zur Koordinierung unternommen und hierzu auch Politiker aller Bundestagsfraktionen eingeladen, um zunächst der ursprünglich vor allem von Arno Lustiger formulierten Forderung an die Bundesregierung nach einem jährlichen Antisemitismusbericht Nachdruck zu verleihen. Für Jörg Rensmann heißt dies freilich: der Koordinerungsrat hält sich in Sachen Iran „absichtsvoll“ zurück, „um keine Forderungen politischer Art an die eigene Regierung stellen zu müssen.“ Jede Initiative erscheint so nur als Ausdruck von Dummheit, Naivität und Fassade für die Regierungspolitik, denn der Koordinierungsrat sei, wie alle zivilgesellschaftlichen Akteure, getragen von einer „Mischung aus Begriffslosigkeit und Hermetik gegen Kritik sowie politische[m] Kalkül“.
Mit den unterschiedlichsten Begründungsmustern werden die Unterstützer des Koordinierungsrates von Jörg Rensmann dabei schnell als Gegner der Antisemitismusbekämpfung ausgemacht, eben „identisch“ mit Regierung und Gesellschaft: das Moses Mendelssohn Zentrum sei zu kritisch gegenüber Philosemitismus, die Amadeu-Antonio-Stiftung zu „totalitarismustheoretisch“, da sie eine (im Übrigen m.E. vorzügliche) Ausstellung über Antisemitismus in der DDR nicht mit dem (überflüssigen) Hinweis versehen hat, der Nazismus sei schlimmer gewesen, usw. Die eklektizistische Reihung von solchen Argumenten belegt indes vor allem: Hier geht es darum, die längst gefasste These, sämtliche gesellschaftlichen Akteure (und insbesondere die Mitglieder des Koordinierungsrats) seien Verwalter und Feinde der Antisemitismusbekämpfung, irgendwie zu rechtfertigen, wie sehr an den Haaren herbeigezogen das jeweilige Argument dafür auch sein mag. Diesmal ist die primäre Gretchenfrage, die das pauschale moralische Verdikt rechtfertigen soll: Wie stark engagierst du dich gegen die nukleare Bedrohung Israels durch den Iran?
Das Problem, das hier angesprochen wird, ist ohne Zweifel ein drängendes. Doch erstens ist der Koordinierungsrat von NGOs gegen Antisemitismus kaum die Instanz, die dieses Problem wird lösen können; der Weltsicherheitsrat hat andere Referenzpunkte. Und zweitens ist nach der Logik, die Jörg Rensmann in der Folge appliziert, jeder, der sich (noch) nicht oder vermeintlich noch nicht entschieden zum Thema öffentlich geäußert hat, mehr oder minder automatisch ein Unterstützer des Iran und des iranischen Staatsantisemitismus. Der Koordinierungsrat hätte sich „mindestens“ gegen die Hermes-Bürgschaften der Bundesregierung aussprechen müssen (man fragt sich, was laut Jörg Rensmann die Maximalforderung hätte sein sollen); wenn man dies – wie der Koordinierungsrat – nicht getan hat, ist man Jörg Rensmann zufolge gegen Israel, ergo antizionistisch, ergo antisemitisch. Ein beachtenswerter Argumentationsgang, der einer „Konsequenzlogik“ folgt, die Jörg Rensmann den Akteuren überstülpt. Sie läßt a priori keine Differenzen und Differenzierungen zu: alle sind irgendwie miteinander identisch und israelfeindlich. Dies ist nicht nur analytisch falsch, es ist auch politisch unsinnig.
Ich persönlich und meines Wissens auch der Koordinierungsrat befürworten im Übrigen eine deutlich entschiedene(re) Position gegenüber dem Iran seitens der Bundesregierung, wobei angesichts der – nicht zuletzt israelfeindlichen und antisemitischen – Konfrontationspolitik der iranischen Regierung selbstverständlich auch die Hermes-Bürgschaften auf den Tisch gehören; nur so lassen sich wohl auch militärische Eskalationen vermeiden. Dies war indes, in der Tat, nicht Thema des von Jörg Rensmann so scharf kritisierten ersten Koordinierungstreffens, obschon dort auch islamischer Antisemitismus deutlich zum Gegenstand wurde. Die dort von der übergroßen Mehrheit der 37 anwesenden Organisationen und Personen unterstützte Aufforderung an Parlament und Regierung, einen jährlichen Bericht zu verfassen ist allerdings, anders als Jörg Rensmann suggeriert, kein Anliegen, das in Bundesregierung und Parlament ungeteilte Zustimmung findet. Es ist aber m.E. ein Anliegen, um das es sich in der öffentlichen Auseinandersetzung zu ringen lohnt. Dies nicht zuletzt, um in der Bundesrepublik Deutschland die Sensibilisierung gegenüber dem Problem des Antisemitismus in allen Formen – auch denen des iranischen Staatsantisemitismus – zu erhöhen; dies gilt u.a. auch im Hinblick auf den Umstand, dass – anders als in Frankreich – über Satellit der Hizbollah-Sender Al-Manar („Der Leuchtturm“) weiterhin behördlich ungestört offen antisemitische Propaganda in Deutschland verbreitet, die zur Tötung von Juden aufruft.
Empirische Untersuchungen zeigen hierbei nicht nur einen weitverbreiteten Antizionismus in Deutschland und Europa, sondern auch, dass vor allem mit zunehmender Intensität Antizionismus und Antisemitismus in eins fallen. Dass dabei in den letzten Jahren Israelfeindschaft und Antisemitismus zunehmend „salonfähig“ geworden sind, und dies weit über den Rechtsextremismus hinaus auch in „alten“ Demokratien wie Großbritannien, sollte verstärkt Gegenstand einer ideologiekritischen Forschung werden, die auch die subtileren Verästelungen politischer Mentalitätsgeschichte in Europa vergleichend beleuchtet.
Wer aber, statt eine kritische Diskussion mit denjenigen Akteuren in Politik und Gesellschaft zu suchen, die das Anliegen der Bekämpfung des Antisemitismus teilen, sich in heftigen moralischen Anklagen ad hominem und teils grotesken Desavouierungsversuchen erschöpft, wird zu solcher Aufklärung wenig beitragen. Der Kreis derjenigen in Politik und Gesellschaft, die sich aktiv entsprechend engagieren, ist tatsächlich leider heute überschaubar, wie jüngst Dieter Graumann anmerkte. An einer verabsolutierten Logik der Entdifferenzierung ist indes wenig „kritisch“; die Nivellierung von politischen Unterschieden, Widersprüchen und Konflikten auch dort, wo sie offensichtlich vorhanden sind, ist vielmehr selbst eine kollektivistische Vernebelung der Realität.
P.S.: Selbstverständlich ist dabei Antisemitismusbekämpfung auch „Teil des Kampfes für die Menschenrechte“. Solche Formulierung findet Jörg Rensmann jedoch besonders beanstandenswert. Wer freilich in altlinker Rhetorik den Bezug auf die Menschenrechte mit der Begründung über Bord wirft, sie würden (in diesem Fall durch die UN) mißbraucht, argmuntiert anti-universalistisch und kulturrelativistisch. Hier wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet: Wie anders drückt sich denn Universalismus aus, der heute vielfach von radikal rechts, aber auch links mit engstirnigem kollektivem Partikularismus bekämpft wird, als in den universellen Menschenrechten? Genau sie bilden den Hintergrund des liberalen westlichen Wertekanons, der heute vielerorts Verachtung findet. Gerade der Umstand, dass die Menschenrechte vielfach auf Juden und die Bürger Israels, deren unteilbares Recht auf physische Unversehrtheit, in der Debatte keine Anwednung finden, verdient Kritik; kritikwürdig ist also die partikularistische Moral, die sich hinter manchem universalistischem Anspruch verbirgt. Die Menschenrechte deshalb als bloße Ideologie zu verdammen wäre dagegen politisch und normativ verheerend.
Lars Rensmann lehrt Politikwissenschaft an der University of Michigan, Ann Arbor.