25.5.08

Reise-Führer mit Know-How

Wenn es ins Ausland geht, gehören Reiseführer zum Urlaubsgepäck wie die Sonnenmilch mit hohem Lichtschutzfaktor und die Tabletten gegen Durchfall. Man mag nicht auf die kleinen Taschenbücher verzichten, die einem die Sehenswürdigkeiten, Kneipen und Einkaufszentren des Ziellandes oder -ortes kompakt zusammenfassen und darüber hinaus oft auch mit geschichtlichen Erörterungen, allerlei Hinweisen und mehr oder weniger nützlichen Verhaltensratschlägen aufwarten. Die Auswahl an solchen Guides ist nahezu unüberschaubar, aber es haben sich natürlich ein paar Publikationshäuser herauskristallisiert, denen ein besonderer Zuspruch deutscher Ferienfahrer zuteil wird. Vor allem sich fortschrittlich Dünkende greifen dabei gerne auf die Ratgeber von Reise Know-How aus Bielefeld zurück (einer Metropole, die „als Wirtschaftsstandort längst nicht nur den Liebhabern von Pudding ein Begriff ist“, wie der Verlag versichert). In denen nämlich finden sie neben den gängigen Touristenzielen auch die alternativeren Locations und darüber hinaus in der Regel eine ihren Vorstellungen gemäße Darstellung der Geschichte und Gegenwart des jeweiligen Landes.

Dementsprechend hat man kaum zu erwarten, dass etwa in dem von der freiberuflichen Autorin und Reiseveranstalterin Muriel Brunswig-Ibrahim verfassten Bändchen KulturSchock Vorderer Orient (Syrien, Libanon, Jordanien und Palästina) besonders kritische Worte über die betreffenden Länder oder gar Freundlichkeiten über Israel zu lesen sind. Auf der Homepage des Verlages heißt es zwar, „politische Fragen“ stünden „nicht im Vordergrund“ – obwohl „natürlich auch Intifada, Völkervertreibung und Selbstmordattentate Themen des Buches“ seien –, denn es gehe vor allem um das „normale Leben“ der arabischen Nahostbewohner („Sie heiraten, feiern, sind aktiv und auf Jobsuche. Sie genießen ihre Freizeit, sind engagiert – im Umweltschutz, in der“, jawohl, „Friedensbewegung, im Kunstschaffen.“). Aber ein Blick ins Inhaltsverzeichnis lehrt schnell, dass das Private halt politisch ist und umgekehrt: „Ehre – eine Verpflichtung bis zum Mord“, „Vom Zionistenkongress zur Intifada – Entwicklungen in Palästina“ oder „Amin auf der Flucht – die Geschichte eines politischen Häftlings“ heißen die Kapitel beispielsweise, bevor es wieder um den „Frauentag im Hammam“ im Kontext der „orientalischen Badekultur“ oder ums „Glück zu heiraten“ geht.

Und im Innenteil des Reiseführers wird Klartext geredet, wie Heimo Gruber bestätigen kann. Gruber ist Bibliothekar bei den Büchereien Wien und bekam den KulturSchock Vorderer Orient sozusagen beruflich in die Hände. Er las ihn mit einigem Entsetzen, das auf Seite 210 schließlich seinen Höhepunkt erreichte – dort nämlich, wo die Autorin sich über die oft demonstrative arabische Zustimmung zum Tausendjährigen Reich und seinem Baumeister auslässt. Das veranlasste Gruber, nach der Lektüre eine E-Mail an Reise Know-How zu schreiben:
Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin Bibliothekar bei den Büchereien Wien und habe soeben das in Ihrem Verlag erschienene Buch von Muriel Brunswig-Ibrahim, „KulturSchock Vorderer Orient – Syrien, Libanon, Jordanien und Palästina“ gelesen. Ihre Ankündigung im Impressum – „Wir freuen uns über Kritik, Kommentare und Verbesserungsvorschläge“ – möchte ich benutzen, um Sie auf eine Textstelle aufmerksam zu machen, deren Inhalt mich sehr befremdet hat. Auf den Seiten 210 und 211 heißt es:

„Deutsche Orientreisende sind oft regelrecht schockiert, wenn sie beispielsweise in Syrien mit einem kräftigen ‚Haaail Hitler’ konfontiert werden. ‚Hitler quais’ (dt. Hitler ist gut), meinen viele Araber: ‚Hitler hat es geschafft, die Israelis im Krieg zu schlagen.’ Wenn man hier überhaupt etwas über den Völkermord an den europäischen Juden weiß, dann hält man ihn für jüdische Propaganda. Die europäische Geschichte der 1930er und 1940er Jahre ist hier weitestgehend unbekannt. Es herrschen ganz diffuse Vorstellungen davon, wer Hitler war und was er getan hat. So liegt es an dem deutschen Besucher, seine Gesprächspartner ‚aufzuklären’. Die meisten Araber reagieren peinlich berührt, wenn sie die historischen Tatsachen erfahren und schweigen betreten – vorausgesetzt, sie glauben, was sie hören. Warum aber sollten sie das? Ihre gesamte Umwelt sagt doch etwas anderes. Syrische Zeitungen, ägyptische Scheichs, die Herrschaftseliten. [...] Und die Idee ist gut: Hitler war gegen die Juden. Das kann man im Nahen Osten hervorragend nachvollziehen. Seine anderen historischen Verbrechen vergisst man in Anbetracht dessen schnell.“

Vor allem die letzten Sätze zeugen von einer Empathie („hervorragend nachvollziehen“), für eine Stimmungslage, die dazu angetan ist, bei einem Teil der LeserInnen solche in der arabischen Welt vorhandenen Haltungen – insbesondere, wenn sie in Zusammenhang zu Israel (das die Autorin in diesem Buch durchgängig negativ bewertet) gesetzt werden – „verständlich“ zu machen. Wenn Sie in Ihrem Impressum weiters schreiben, dass alle Informationen „vom Lektorat des Verlages gewissenhaft bearbeitet und überprüft“ worden sind, so erlaube ich mir, das zu bezweifeln.

Mit freundlichen Grüßen
Heimo Gruber
Eine Woche später kam die Antwort. Die zuständige Verlagsmitarbeiterin hatte Grubers Schreiben der Verfasserin Muriel Brunswig-Ibrahim zukommen lassen:
Sehr geehrter Herr Gruber,

ich habe Ihre Kritik an die Autorin des o.g. KulturSchock-Bandes weitergeleitet. Lesen Sie bitte Ihre Stellungnahme, und ich hoffe, dass Sie damit Ihre Meinung über die von Ihnen angeführte Textstelle wandeln können.
Und so sieht sie aus, die Stellungnahme, mit der Heimo Grubers Einwand begegnet wurde:
Ich habe mich bei der Darstellung Israels und seiner Geschichte gewissenhaft und immer auf Uno-Fakten gestützt (zum großen Teil auch mit Quellenangabe im Buch). Vor allem die Leser, die mir Einseitigkeit vorwerfen, lesen selbst sehr einseitig bzw. gehen bereits mit festen Ideen, was sie finden wollen, an mein Buch heran und empfinden dann historische Tatsachen als „negativ“ oder „einseitig“ dargestellt. Das Lektorat – das können Sie gerne glauben – hat mehr als gewissenhaft gearbeitet; bisweilen war ich richtiggehend genervt von deren Penibilität, zum Schluss aber froh und dankbar darüber.

Wenn ich schreibe: „Syrische Zeitungen sagen das [...], und die Idee ist gut: Hitler war gegen die Juden. Das kann man im Nahen Osten hervorragend nachvollziehen. Seine anderen historischen Verbrechen vergisst man in Anbetracht dessen“, bedeutet ja wohl kaum, dass ich diese Idee gut heiße, wenn man den Zusammenhang liest und mir nicht gleich mal wieder Neo-Nazismus vorwerfen möchte. Ich beschreibe mit diesem Satz ganz einfach das, was in den Köpfen derer vorgeht, die eben genau diesen Satz sagen: Hitler quais – Hitler ist gut. Mal davon abgesehen, wer sich die Geschichte und das Verhalten Israels mal wirklich objektiv und nicht gefärbt (z.B. anhand der Uno-Publikationen) anschaut, kann den Arabern nicht verübeln, dass sie Sympathie empfinden für jemanden, der gegen Israel war. Die meisten (und auch das habe ich geschrieben, wie Sie dem zitierten Abschnitt entnehmen können) sind sich nicht darüber im Klaren, dass Juden nicht gleich Israel ist und dass Hitler versucht hat, ein Volk auszulöschen.

Es ist wirklich sehr bedauerlich, dass man sich als Deutsche immer schuldig fühlen muss, wenn man wagt, die Verbrechen Israels zu nennen oder gar zu kritisieren. Ich habe nichts herbei geredet, nichts erfunden. Das ist leider die bittere Wahrheit, und diese kann man gerne in den von mir genannten Quellen nachlesen.

Ich bin übrigens auch keine Anti-Semitin. Ich bin mit einem Semiten verheiratet und habe ein halbsemitisches Kind. Das nur nebenbei.
Das Statement ist ein bemerkenswerter Beleg dafür, wie „Israelkritiker“ und andere Nahostexperten mit jedem Wort, das sie von sich geben, bestätigen, was sie zu widerlegen glauben. Rein deskriptiv will Brunswig-Ibrahim vorgegangen sein („Ich beschreibe mit diesem Satz ganz einfach das, was in den Köpfen derer vorgeht, die eben genau diesen Satz sagen: Hitler quais – Hitler ist gut“), aber dann bricht es doch aus ihr heraus. Auf „objektive“ und „nicht gefärbte“ Uno-Papiere gestützt (also auf eine allzeit unfehlbare Instanz), versteht sie im Grunde ihres Herzens, warum die Araber Hitler gut finden. Gleichzeitig meinten die es aber natürlich gar nicht so, weil sie sich „nicht im Klaren“ seien, „dass Juden nicht gleich Israel ist und dass Hitler versucht hat, ein Volk auszulöschen“. Darüber und über die „anderen“ – das heißt: weniger „nachvollziehbaren“ – „historischen Verbrechen“ werden sie dann von den Deutschen aufgeklärt, sozusagen aus erster Hand also. Auf die Idee, dass sie ihre Hätschelkinder mit diesen Sätzen mal eben entmündigt und für dumm erklärt, kommt die Autorin nicht; ansonsten hätte sie zumindest in Betracht ziehen müssen, dass die Identifizierung von Juden mit Israel sowie die Begeisterung für den deutschen Führer und sein Vernichtungsprojekt originäre geistige Eigenleistungen sind und nicht Ausdruck von Unwissenheit.

Doch damit nicht genug, denn Brunswig-Ibrahim wird auch noch grundsätzlich: „Es ist wirklich sehr bedauerlich, dass man sich als Deutsche immer schuldig fühlen muss, wenn man wagt, die Verbrechen Israels zu nennen oder gar zu kritisieren.“ Man braucht kein Psychologe zu sein, um aus diesen Zeilen herauszulesen, dass es der Urheberin des Reiseführers ein vornehmes Bedürfnis ist, ihrem unstillbaren Verlangen nach „Israelkritik“ nachzugeben – und dass sie sich dabei in den von ihr porträtierten Ländern besonders gut aufgehoben fühlt, weil man dort sozusagen ein geschichtsbewusstes Verständnis für ihr Anliegen zeigt. Mit Antisemitismus hat das alles natürlich rein gar nichts zu tun, mit Rassenkunde dafür jedoch umso mehr: „Ich bin mit einem Semiten verheiratet und habe ein halbsemitisches Kind“, bekennt die selbstständige Schreiberin mit Nachdruck, als wären die Nürnberger Gesetze noch in Kraft, als hätte sich Antisemitismus je gegen andere als die Juden gerichtet und als wären halbe „Semiten“ und ganze Idioten gegen ihn gefeit.

Übrigens findet Muriel Brunswig-Ibrahim auch die Gotteskriegerpartei im Libanon ziemlich knorke, deren „soziales Engagement“ sie in ihrem Reiseführer einfühlsam preist: „Die Hizbollah, einst radikal und menschenverachtend, baute Krankenhäuser auf, Schulen, Waisenhäuser und Rehazentren; außerdem sorgte sie für den Wiederaufbau Beiruts nach dem Bürgerkrieg und schuf eigene Radio- und Fernsehsender“ – die reinste Wohltätervereinigung also. Deren Allah gewogenen Medien seien „nach wie vor antizionistisch“, bildeten „für die Partei Gottes aber“ – wieso aber? Deshalb! – „eine solide Existenzgrundlage und eine Legitimation für ihre weitere zivile Existenz“. Heute spreche die Hizbollah jedenfalls „nicht mehr von einem Gottesstaat, sondern von ‚politischer Verantwortung’“. Was damit gemeint ist, lässt die Verfasserin den „Hizbollah-Fraktionssprecher Muhammad Ghat“ präzisieren: „Wir betrachten unser Bekenntnis zur Demokratie als strategisches Investment, denn welche Zukunft hätte es, gegen die Demokratie zu sein? Natürlich wollen wir den islamischen Staat, aber wenn es dafür keine Mehrheit gibt, dann eben nicht – oder später.“ Ein klarer Fall von Hudna also, aber was das ist, muss man natürlich nicht wissen, wenn man einen Guide über den Nahen Osten schreibt. Wichtiger ist vielmehr dies: „Seit 2002 steht die Hizbollah nicht mehr auf der Liste der terroristischen Vereinigungen der EU, obschon Israel nach wie vor versucht, der Partei diesen Stempel aufzudrücken und so Bombenangriffe auf den Libanon zu legitimieren.“

Wer sich mit Brunswig-Ibrahims Büchlein nach Syrien, Libanon, Jordanien oder in die palästinensischen Gebiete begibt, hat also das folgende wesentliche Reise-Know-How im Gepäck: Die Araber haben an Hitler begreiflicherweise einen Narren gefressen, sind gleichzeitig aber nicht ganz Herr ihrer Sinne, weil sie nicht wissen oder weil ihnen gerade entfallen ist, was der Onkel Adolf sonst noch so alles angestellt hat, außer dass er „gegen die Juden“ war. Die Hizbollah wiederum ist eine Art islamische Caritas, der die Einführung eines Gottesstaates gar nicht so wichtig ist und die von Israel natürlich völlig zu Unrecht bekämpft wird. Das alles sähen auch die Uno und die EU so (womit die Autorin nicht einmal Unrecht hat, was über die genannten Institutionen allerdings eine ganze Menge aussagt).

Eines muss man der 38-Jährigen lassen: Folgt man ihren Unterweisungen, ist man als Deutscher im arabischen Raum tatsächlich auf der sicheren Seite. Und muss außerdem kein schlechtes Gewissen mehr haben, wenn man „Hitler quais“ hört. Denn das kann man schließlich „hervorragend nachvollziehen“. Der KulturSchock ist dann auch gar keiner mehr.