10.7.08

Kollektive Amnesie in Köln

Als Mitte Juni nach jahrelangem Ringen die Entscheidung gefallen war, wie das geplante Jüdische Museum auf dem Kölner Rathausplatz aussehen soll, gab es allenthalben großen Beifall für das Modell. Auch die Stadtoberen applaudierten vernehmlich – um wenige Tage später, flankiert von der Lokalpresse, den Bauentwurf plötzlich scharf zu kritisieren. Nun steht das Projekt, dem ein Ratsbeschluss aus dem Jahr 2006 zugrunde liegt, erneut in Frage. Die Geschichte einer Provinzposse in der angeblich schönsten Stadt Deutschlands.

Ein Rathausplatz ist gewöhnlich ein zentraler Ort, häufig sogar der Mittelpunkt einer Stadt. Das namensgebende Amtsgebäude wird oft von einer baulich mehr oder weniger attraktiven Fußgängerzone gesäumt, die Touristen wie Einheimische anziehen soll, nicht zuletzt mit Straßencafés und schicken Läden. In Köln aber ist das anders: Dort liegt der Rathausplatz zwar ebenfalls mitten in der City, zwischen Domplatte und Alter Markt. Aber seine Anziehungskraft hält sich, bei Lichte betrachtet, in Grenzen: Er ist leicht abschüssig und Durchgangsgebiet sowohl für Autofahrer wie für Fußgänger; eingerahmt wird er von der Rathauslaube, dem Wallraf-Richartz-Museum und einer großen Wohnanlage, deren Erdgeschoss einige wenige Geschäfte beheimatet. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Rathausplatz zerstört; nach dem Wiederaufbau war er größer als zuvor und ansonsten – typisch für Köln – eine städtebauliche Katastrophe, eine „verhübschte Nachkriegsbrache“, wie Stefan Kraus vom Diözesanmuseum treffend befand.

Die Straße, die direkt am Rathaus vorbei führt, heißt Judengasse – ein Hinweis auf das jüdische Viertel, das sich im Mittelalter an dieser Stelle befand. Wer heute über den Platz geht, sieht die Reste davon: die Mikwe – das jüdische Ritualbad – unter einer Glaspyramide und seit einiger Zeit die Grundmauern der Synagoge, geschützt von einem großen Zelt. 1424 hatte der Rat beschlossen, die Juden „auf alle Ewigkeit“ zu verbannen; die Synagoge wurde anschließend zu einer Kapelle umgebaut. Hier – am historischen Ort also – soll nun ein Haus und Museum der jüdischen Kultur entstehen. Köln hat die älteste jüdische Gemeinde nördlich der Alpen – die Zeugnisse gehen zurück bis ins Jahr 321, zu der Zeit Kaiser Konstantins des Großen –, es verfügt über unvergleichliche jüdische Schätze und die größte Judaica-Sammlung Europas. Aber er hat bislang kein Jüdisches Museum, anders als etwa Frankfurt, München und Berlin.

Doch nicht die Stadt Köln tritt für dessen Bau ein, sondern seit 1996 eine Gesellschaft zur Förderung eines Hauses der jüdischen Kultur in Nordrhein-Westfalen. Mit privaten Mitteln und der Hilfe von Sponsoren will sie ihr Projekt Wirklichkeit werden lassen, und einen anderen Standort als den Rathausplatz hat sie stets abgelehnt. Aus gutem Grund: Das mittelalterliche jüdische Viertel ist das „wichtigste Monument jüdischen Lebens am Rhein“, wie der Vorsitzende des Fördervereins, Benedikt Graf Hoensbroech, zu Recht befand. „Das dort vorhandene archäologische Bauensemble ist in Europa einzigartig.“ Als das Vorhaben jedoch konkreter wurde, regte sich Widerspruch: „Der Platz ruft von sich aus nicht nach einer Bebauung“, fand beispielsweise der Kölner Ex-Stadtkonservator Ulrich Krings, und der Vorsitzende des Kölner Haus- und Grundbesitzervereins, Hanns Schaefer, fürchtete, von einem „Platz der Bürger“ könne nach dem Bau des Jüdischen Museums „keine Rede mehr sein“. Gar für ein „Symbol des Wiederaufbaus nach dem Krieg“ hielt der Vorsitzende des Stadtentwicklungsausschusses, Karl Jürgen Klipper, das Gelände.

Ein Ratsbeschluss und die Folgen

Die Befürworter eines Jüdischen Museums auf dem Rathausplatz waren im Kölner Rat jedoch in der Mehrheit, und so wurde im Mai 2006 der Beschluss gefasst, dem Förderverein das Areal kostenlos zur Bebauung zu überlassen – mit den Stimmen von SPD, FDP und den Grünen, gegen die Stimmen der CDU und bei einer Enthaltung des Oberbürgermeisters Fritz Schramma. Die Entscheidung war allerdings an Bedingungen geknüpft: Zum einen sollte der Verein als Bauherr die Finanzierung in Höhe von geschätzten 15 Millionen Euro alleine gewährleisten; zum anderen sollte ein von der Stadt ausgeschriebener Architektenwettbewerb ermitteln, welches Modell das am besten geeignete ist. Die Teilnehmer standen dabei vor der komplizierten Aufgabe, auch die Archäologische Zone auf dem Rathausplatz zu berücksichtigen. Diese Grabungsstätte – die im Unterschied zum Museum durch die Stadt und das Land finanziert wird – ist ein wesentlicher Baustein des Projekts Regionale 2010, einer Ausstellung des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen zur Förderung der Strukturentwicklung. Sie umfasst neben den mittelalterlichen jüdischen Bodendenkmalen auch Bauten aus der Römerzeit.

Mitte Juni kürte ein international besetzter Gutachterausschuss den Sieger des Wettbewerbs, zu dem 36 Arbeiten eingereicht worden waren. Die Wahl fiel mit der deutlichen Mehrheit von 21:1 Stimmen auf das Architekturbüro Wandel Hoefer Lorch + Hirsch aus Saarbrücken, das bereits die Neubauten der Synagogen in Dresden und München entworfen hatte. Nach dessen Plan soll über der Archäologischen Zone ein mit Stützen versehenes Tragwerk entstehen. Dessen oberer Teil ist aus Stein, der untere ist gläsern und ermöglicht Einblicke auf die Grabungen. Die frühere Synagoge und die Mikwe werden von dem Bau eingeschlossen und von oben belichtet. Durch das Konzept wird das mittelalterliche jüdische Viertel in seinen Grundzügen wiederhergestellt. Die Höhe des Baus bleibt dabei unter der des unmittelbar benachbarten Wallraf-Richartz-Museums.

Die Reaktionen auf den Siegerentwurf fielen durchweg positiv aus, auch bei den Stadtoberen. „Dankbar und froh“ war etwa Oberbürgermeister Fritz Schramma, dass „an dem historischen Platz, wie es ihn in dieser Konstellation nördlich der Alpen kein zweites Mal gibt“, eine Lösung gefunden wurde. Auch Kulturdezernent Georg Quander („mir fällt mit der Entscheidung ein Stein vom Herzen“) und Städtebaudezernent Bernd Streitberger („genial, eine fast poetische Architektur“) zeigten sich sehr zufrieden. Es schien, als seien alle Hürden überwunden, zumal der Förderverein zuversichtlich war, die Frage der Finanzierung – laut Schramma „eine schwierige Aufgabe, aber eine lösbare“ – schnell und erfolgreich zu klären. Das Land Nordrhein-Westfalen habe dabei signalisiert, zwar nicht den Löwenanteil der benötigten Mittel zu tragen, sich aber zu beteiligen, sagte Graf Hoensbroech, der Vorsitzende des Vereins.

Plötzliche Kehrtwende

Doch nur wenige Tage nach der Entscheidung wollten die politischen Verantwortungsträger Kölns plötzlich nichts mehr von ihrem ursprünglichen Urteil wissen. „Der Entwurf stellt einen Riesenkomplex dar, der so hoch ist wie das Rathaus“, klagte der Oberbürgermeister nun im Kölner Stadt-Anzeiger. „Er füllt den vorhandenen Raum sowohl in der Länge und Breite als auch in der Höhe vollständig aus. Weder die Fassade des Rathauses noch die des Wallraf-Richartz-Museums sind überhaupt noch in der Sichtachse erkennbar, die werden schlichtweg zugebaut.“ Zudem sei „im Vorfeld niemals die Frage gestellt worden, wie denn überhaupt die grundsätzliche Akzeptanz einer solchen Bebauung des Rathausvorplatzes ist“, sagte Schramma und forderte eine erneute öffentliche Diskussion über das Projekt. Außerdem seien die Gelder für den Bau noch längst nicht gesichert. Bemerkenswert auch die Kehrtwende des Kulturdezernenten Georg Quander: Er hatte – anders, als es seine erste Reaktion vermuten ließ – im Gutachterausschuss als einziger gegen die Pläne der Saarbrücker Architekten gestimmt: Diese erfüllten die Ausschreibungskriterien zu einem Drittel nicht und gingen „mit der Substanz der Archäologischen Zone sehr rigoros um“, fand er – ebenfalls im Kölner Stadt-Anzeiger.

Die Zeitung bot und bietet aber nicht nur den Verantwortlichen der Stadt Köln breiten Raum für die Darlegung ihrer Knall auf Fall veränderten Ansichten, sondern fiel selbst der kollektiven Amnesie anheim. Von dem Ratsbeschluss aus dem Jahr 2006 ist, wenn überhaupt, nur am Rande die Rede; es scheint schlichtweg in Vergessenheit geraten zu sein, dass die Diskussionen über den Standort Rathausplatz längst gelaufen sind und der Förderverein seit zwei Jahren die feste Zusage hat, dort auf der Grundlage des siegreichen Architektenmodells ein Haus und Museum der jüdischen Kultur bauen zu dürfen. Mehr noch: Das Blatt entwickelte sich zum Sprachrohr der Museumsgegner und heizte die Debatte dabei ordentlich an. In Grafiken war der geplante Baukomplex rot schraffiert wie eine Gefahrenzone, und Chefredakteur Franz Sommerfeld setzte in einem Kommentar zu einer regelrechten Blutgrätsche an: „Ein Verlust für die Stadt“ sei die vorgesehene Bebauung des Rathausplatzes, empörte er sich, denn „einer der wenigen gelungenen Plätze Kölns würde mit einem großen Block zugestellt“. Hier habe John F. Kennedy zu den Bürgern gesprochen, „hier wurde der Sieg der deutschen Handballer in der Weltmeisterschaft 2007 gefeiert“. Und deshalb dürfe man ihn nun nicht „zerstören“. Das Gelände des unweit gelegenen ehemaligen Kaufhauses Kutz sei der bessere Ort für ein Jüdisches Museum.

Doch das war noch nicht alles, denn Sommerfeld unterstellte den Initiatoren des Projektes außerdem, mit ihrem Beharren auf dem Standort Rathausplatz Antisemitismus zu schüren: „Noch ist nur unterschwellig zu vernehmen, der Ort müsse mit Rücksicht auf die jüdische Gemeinde gewählt werden“, hatte er es im Volke rumoren gehört. Doch wenn der Förderverein weiterhin so störrisch sei, drohe bald Schlimmeres: „Jeder Versuch, städteplanerische Entscheidungen durch Hinweis auf die deutsche Schuld gegen Kritik zu immunisieren, spielt denen in die Hände, die die Vernichtung der Juden relativieren und auf antisemitische Reflexe spekulieren.“ Bloß hatte nachweislich überhaupt niemand einen solchen Versuch unternommen, weshalb Sommerfelds Behauptung sich als haltlose Unterstellung entpuppte, deren Botschaft in etwa diese war: Die jüdische Gemeinde schwingt die Antisemitismuskeule, macht damit sämtliche Einwände platt und sich mitten in der Stadt viel zu breit; daher muss sie sich nicht wundern und ist es sogar selbst schuld, wenn Holocaustleugnung und Judenhass Konjunktur bekommen. Eine Stimmungsmache der besonders abgefeimten Art.

Kölscher Klüngel?

Der blitzartige Meinungsumschwung von Schramma & Co. sowie die fast täglichen gegen den Museumsbau auf dem Rathausplatz gerichteten Beiträge in der Kölner Presse schreien förmlich nach einer Erklärung. Und die ist wohl am ehesten im berüchtigten „Kölschen Klüngel“ zu finden, zu dem auch Alfred Neven DuMont zählt. Ihm gehören unter anderem sämtliche Tageszeitungen der Domstadt – neben dem Kölner Stadt-Anzeiger auch die Kölnische Rundschau und das Boulevardblatt Express. In der Welt berichtete Hildegard Stausberg*, in der traditionellen Kölner Gerüchteküche werde von einem Neven DuMont zugerechneten Brief gemunkelt, der den Oberbürgermeister vor einigen Tagen erreicht habe: „Der Verfasser soll das Bauvorhaben ‚sehr kritisch’ gesehen und um ‚umgehende Korrektur’ gebeten haben.“ Wenn es wirklich Neven Dumont gewesen sei, der zur Feder gegriffen habe, erkläre sich auch die ablehnende Haltung seines Stadt-Anzeigers: „Der Herausgeber der Zeitung ist schließlich auch Vorsitzender des Stifterrates des Wallraf-Richartz-Museums. Und der sieht die Museumspläne seit jeher kritisch, weil er in ihnen eine Konkurrenz zum Ungers-Bau erkennt.“

Nun sollen ab dem 16. Juli die Ergebnisse des Architektenwettbewerbs öffentlich ausgestellt werden, wovon sich Oberbürgermeister Schramma nach eigenem Bekunden eine breite Debatte erhofft. Das ist in zweierlei Hinsicht seltsam: Zum einen gab es solche Diskussionen bereits vor dem Ratsbeschluss, der im Übrigen eindeutig besagt, dass „der Rathausvorplatz der einzig mögliche Standort“ für das Jüdische Museum ist und der Förderverein sich verpflichtet, „den ersten Preisträger mit der Durchführung des Bauvorhabens zu beauftragen“. Zum anderen erstaunt die plötzliche Bürgernähe der Stadtoberen – bei anderen Projekten wie dem Bau einer Moschee im Stadtteil Ehrenfeld oder der Nord-Süd-Stadtbahn war man deutlich weniger basisdemokratisch gesinnt.

Auch die Historikerin Ingrid Strobl wunderte sich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk darüber, dass diese Debattenfreudigkeit „ausgerechnet bei einem jüdischen Thema“ aufkommt. Offenbar passe es einigen nicht, dass das jüdische Leben und die jüdische Kultur in Köln „in einer adäquaten Größe dokumentiert werden“, sagte sie. In der Welt argumentierte Rainer Haubrich zudem gegen den Einwand, das Museum verbaue den Rathausplatz zu sehr: „Köln hat keinen Mangel an größeren und kleineren Plätzen in der Umgebung des Domes. Was der Innenstadt dagegen an vielen Stellen fehlt, ist großstädtische Dichte. Die Saarbrücker Architekten fassen durch ihre Neubebauung den eigentlichen historischen Rathausplatz direkt vor dem Rathaus neu. Dadurch stünden dieses bedeutende Denkmal und der Platz davor wieder in einem ausgewogenen Verhältnis, wie man es in vielen anderen Städten beobachten kann.“

Ob man im Schatten des Doms doch noch klug und aus der Provinzposse eine Erfolgsgeschichte wird, bleibt abzuwarten. Ernsthafte Zweifel scheinen jedenfalls angebracht.

* Der Beitrag von Hildegard Stausberg ist mittlerweile aus dem Online-Archiv der Welt entfernt worden und nur noch über den Google-Cache abzurufen. In einem am 16. Juli 2008 an Lizas Welt gerichteten Schreiben der Rechtsanwälte Oppenhoff & Partner, die Alfred Neven DuMont vertreten, heißt es dazu erklärend, ihr Mandant habe keinen Brief an den Kölner Oberbürgermeister geschrieben, und der Axel Springer Verlag habe sich deshalb am 9. Juli 2008 verpflichtet, „entgegenstehende Behauptungen nicht mehr aufzustellen“. Ohne juristische Beanstandung blieb dagegen ein am 3. Juli 2008 ebenfalls in der Welt erschienener Artikel von Rainer Haubrich, in dem der Verfasser darauf hinweist, Alfred Neven DuMont habe „nie ein Hehl daraus gemacht, dass er gegen ein weiteres Gebäude vor dem Wallraf-Richartz-Museum ist – er sitzt im Stifterrat des Hauses“.