23.8.08

Tochterunternehmen

Im Grunde kann man es kurz machen: Trüge Evelyn Hecht-Galinski nicht den Nachnamen ihres Vaters in ihrem eigenen, dann würde ihr fraglos weit weniger Aufmerksamkeit zuteil, als das seit geraumer Zeit – und derzeit in besonderem Maße – der Fall ist. Aber als Tochter des vor 16 Jahren verstorbenen Vorsitzenden des Jüdischen Gemeinde Berlins und Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, der Auschwitz, Buchenwald und Bergen-Belsen überlebt hat, ist sie ein Zugpferd für die Medien. Sie weiß das selbst am besten: Nicht ohne Grund stellt sie sich stets als „die Tochter von Heinz Galinski“ vor. Der Name alleine macht es allerdings nicht; es sind die Positionen zu Israel, die sie vertritt und die mit ihrem prominenten Namen verknüpft werden – von den Medien und von ihr selbst. Diese Positionen lassen sich ohne große Vereinfachung so zusammenfassen: Israel treibt es mit den Palästinensern wie die Nazis mit den Juden – wenn nicht sogar schlimmer –, die Juden sind also selbst schuld am Antisemitismus, die Welt schaut weg, und am Schlimmsten ist es in Deutschland, wo ein Kartell aus Israel hündisch ergebenen Politikern, sinistren Israel-Lobbyisten und willfährigen Mediencliquen verhindert oder verhindern will, dass der jüdische Staat für seine Schandtaten verurteilt wird, und jeden zum Antisemiten stempelt, der eine solche Verurteilung befürwortet. Ganz im Ernst: Wer nicht versteht, was an solch gefährlichem Unfug antisemitisch ist – gleich, vom wem er stammt –, dem helfen auch langatmige Erklärungen nicht weiter.

Dass Hecht-Galinski (Foto) ihre Ansichten hierzulande gar nicht mal so selten in Leserbriefen und auf Veranstaltungen ausbreiten darf, hat einen Grund: Man druckt, liest und hört sie gerne, weil man sich bestätigt fühlt und weil sie eine prima Kronzeugin für die eigenen Ressentiments gegenüber Israel und den Juden abgibt. Zum Repertoire des Antisemitismus gehört es dabei wesentlich, sich von den Juden verfolgt zu fühlen – und deshalb spricht Hecht-Galinski ihren Fans aus dem Herzen, wenn sie sich über eine proisraelische „Zensur“ ereifert, die jegliche Kritik an Israel unterbinde und unter Strafe stelle. Dass sie aber gar keine große Mühe hat, öffentlich vernommen und beklatscht zu werden, versteht die Tochter aller Töchter nicht etwa als elementaren Widerspruch zu ihren Thesen und nicht als Ausdruck einer doch ziemlich präsenten, weil allseits beliebten „Israelkritik“. Vielmehr begreift sie sich als todesmutige Streiterin wider den zionistischen Konsens in Deutschland, als heldenhafte Kritikerin Israels – und das funktioniert nun mal am besten, wenn man das Tabu erst selbst erfindet und es danach unter lautem Getöse und großer Anteilnahme des Öffentlichkeit bricht. So geschehen in zahllosen Zuschriften an die FAZ, den Stern und die Süddeutsche, so geschehen in diversen Interviews mit der taz und dem Deutschlandfunk, so geschehen auch in der WDR-Radiosendung Hallo Ü-Wagen! am 3. Mai dieses Jahres.

Der dortige Auftritt der Berufstochter veranlasste Henryk M. Broder, an die Intendantin des WDR, Monika Piel, eine E-Mail zu richten, in der er unter anderem schrieb: „Jeder Kölsche Jeck mit zwei Promille im Blut würde sogar an Weiberfastnacht erkennen, dass Frau Hecht-Galinski eine hysterische, geltungsbedürftige Hausfrau ist, die für niemanden spricht außer für sich selbst und dabei auch nur Unsinn von sich gibt. Ihre Spezialität sind antisemitisch-antizionistische Gedankenlosigkeiten, die zur Zeit mal wieder eine kurze Konjunktur haben.“ Seine Mail und Piels Antwort veröffentlichte Broder anschließend auf der Achse des Guten, woraufhin Hecht-Galinski gerichtlich klagte: Ihr – abgrundtief gehasster – Kontrahent möge sie nicht länger eine Antisemitin nennen dürfen. Und sie bekam zunächst Recht: Broder musste das Wort „antisemitisch“ unkenntlich machen. Daraufhin kam es vor kurzem zur Verhandlung vor einem Kölner Gericht, zu der nur Broder erschienen war. Den Vergleichsvorschlag des Anwalts von Evelyn Hecht-Galinski lehnte er ab; nun wird am 3. September das Urteil gesprochen.

Die Causa stieß in den Medien auf reges Interesse; am vergangenen Donnerstag druckte die FAZ sogar einen ausführlichen Kommentar dazu. „Was darf eine Jüdin in Deutschland gegen Israel sagen?“, lautete die einigermaßen reißerische Überschrift, unter der Patrick Bahners eine Suada ins Werk setzte, bei der selbst hartgesottene Antizionisten feuchte Augen bekamen. „Der Antisemitismusvorwurf eignet sich zum moralischen Totschlag“, hieß es darin unter anderem – eine erstklassige Exkulpation der Judenhasser: Nicht vom mörderischen Antisemiten soll nämlich die Rede sein, sondern von demjenigen, der ihn als solchen bezeichnet. Denn dessen vermeintliche Allmacht muss gebrochen werden, bevor noch Schlimmeres passiert: „Wer die Beschreibung eines Gegners als eines Antisemiten durchsetzen kann, hat ihn aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen.“ Offenbar ist es für Bahners also geradezu ein Super-Gau, wenn die Judenfeinde und ihre Propaganda ins gesellschaftliche Abseits gestellt werden. Wer diesen Gau beabsichtigt? Henryk Broder natürlich: „Seine preisgekrönte publizistische Strategie der verbalen Aggression nutzt den Spielraum der Meinungsfreiheit, um ihn einzuschränken: Kritiker Israels sollen eingeschüchtert werden.“

Im Klartext: Nach Ansicht des FAZ-Schreibers ist Broder ein Antidemokrat, der die Demokratie für seine Zwecke missbraucht, um andere in Angst und Schrecken zu versetzen, und dafür auch noch Auszeichnungen wie den Börne-Preis bekommt. Das Weblog Hedonistische Mitte brachte diese Rabulistik treffend auf den Punkt: „Eine ‚Strategie’ nennt man die Anwendung der Sprachmittel des politischen Journalismus womöglich nur bei Juden, die dafür auch noch Preise erhalten – und trotzdem nicht die ‚aggressive’ Klappe halten. Denn so, wie Israel im Krieg gegen den Libanon stets ein ‚Aggressor’ war, weil es seine dorthin entführten Soldaten zurückhaben wollte, so ist natürlich der Jude ‚aggressiv’, der Antisemiten widerspricht. Und schlimmer noch: er ‚nutzt’ den ihm nach Fünfundvierzig gütig eingerichteten ‚Spielraum der Meinungsfreiheit’, um seine staatsschädigende, demokratiefeindliche Wirkung zu entfalten. So und nicht anders steht es in Bahners’ Text: Broder schränkt die Meinungsfreiheit in Deutschland ein, indem er eine israelsolidarische Meinung formuliert! Indem er den dummen und zynischen Vergleich des Nationalsozialismus mit dem Staat Israel, den ein Feuilletonchef der FAZ wohlwollend hinnimmt, als ‚antisemitische und antizionistische Aussagen’ bezeichnet, dadurch also beraubt Broder die Demokratie in Deutschland? Das deutet auf ein ungutes Verständnis von deutscher Demokratie als einen Raubtierkäfig hin, in dem die Dompteure die Staatsfeinde sind.“

Ausgesprochen befremdlich ist auch Bahners’ (Nicht-) Verständnis des Antisemitismus: Bei den Hecht-Galinski „vorgehaltenen Äußerungen handelt es sich nicht um Sätze des Typus, die Juden seien ja alle geldgierig“, befand er; „es geht ausschließlich um Kommentare zur israelischen Politik und zu deren Verteidigern“. Damit offenbarte er eine bemerkenswert schlichte Weltsicht, deren Begriff vom Judenhass irgendwo in den dreißiger und vierziger Jahren hängen geblieben ist und vom sekundären Antisemitismus – den der israelische Psychoanalytiker Zvi Rex einst in dem markanten Satz „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen“ reflektierte – genauso wenig etwas wissen will wie vom antisemitischen Charakter des Antizionismus und der „Israelkritik“. Der unsägliche und jeder Grundlage entbehrende Vergleich des jüdischen Staates mit dem nationalsozialistischen Deutschland, wie ihn Evelyn Hecht-Galinski mehrfach angestellt hat, er ist für Bahners nur ein allemal legitimer „Kommentar zur israelischen Politik“. Und wer das, wie Broder, anders sieht, begeht „moralischen Totschlag“. So einfach ist das. Dabei verhält es sich genau umgekehrt: Jeder Gewissenlose wird beim Anblick eines Juden an seine Gewissenlosigkeit erinnert, und er wird keine Ruhe finden, bis der letzte Jude, der ihn daran erinnern könnte, nicht mehr ist. Die „israelkritischen“ Juden, sie kommen allenfalls ein bisschen später dran.

War es nicht die FAZ, die seinerzeit den Vorabdruck von Martin Walsers Tod eines Kritikers stoppte, weil sie erkannte, dass eine Romanfigur die antisemitische Karikatur Marcel Reich-Ranickis ist? Was macht Evelyn Hecht-Galinski besser als den Dichter vom Bodensee? Will der FAZ-Feuilletonchef, wie Thekla Dannenberg im Perlentaucher vermutete, „nur festlegen, wer die Keule schwingen darf und zu welchem Zweck?“ Offenbar verhält es sich so – zur allgemeinen Zufriedenheit der FAZ-Leser übrigens: Endlich sagt’s mal jemand! Demnach sind also die Antisemitismuskritiker eine Gefahr für die (deutsche) Demokratie und nicht die Antisemiten. Sie sind es, die zum Schweigen gebracht werden sollen, notfalls mit gerichtlichen Mitteln. Und mit den Mitteln der „Zeitung für Deutschland“, die unter Berufung auf „Stimmen aus der israelischen Friedensbewegung“ noch den Vergleich der „Einzäunung des Westjordanlands“ mit dem Warschauer Ghetto für diskutabel hält. Denn wie hatte es Evelyn Hecht-Galinski formuliert? „Ghetto ist heute ein gebräuchlicher Begriff, das betrifft die Vorstädte, das betrifft amerikanische Ghettos, das ist ein normaler Begriff.“ Gut, dass ihr Vater das nicht mehr gehört hat.

Herzlichen Dank an Urs Schmidlin für wertvolle Hinweise. – Lesetipp: Heinz Gess, Quälgeister der Schuldabwehr (PDF-Datei)