23.5.09

Lampenputzers Bettlektüre



Eines der schönsten Gedichte von Erich Mühsam heißt „Der Revoluzzer“ und ist „der deutschen Sozialdemokratie“ gewidmet. Es handelt von einem „Revoluzzer, im Zivilstand Lampenputzer“, der am Ende seiner Karriere ein Buch schreibt, „wie man revoluzzt und dabei doch Lampen putzt“. Freilich, nicht nur die Sozialdemokraten haben den Dreh raus, wie man seinen Rücken schrubben kann, ohne sich dabei die Hände nass zu machen. Wissenschaftler können es auch, und ganz besonders gut kann das der Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA), Prof. Dr. Wolfgang Benz, eine Kapazität auf seinem Gebiet. Benz verdankt sein Ansehen dabei nicht den Ergebnissen seiner Studien, sondern seiner Methode: Er erforscht einen Antisemitismus ohne Antisemiten, ein abstraktes Phänomen also. Würde jemand über Prostitution forschen und dabei kein Wort über Prostituierte und Zuhälter verlieren, müsste er mit kritischen Nachfragen rechnen. Ebenso Virologen, die Epidemien beschreiben und dabei deren Verbreiter ignorieren. Benz dagegen schafft es, wortreich über den Antisemitismus zu theoretisieren, ohne sich der Antisemiten anzunehmen. So baut er ein virtuelles Gehäuse auf, in dem niemand wohnt; der Antisemitismus, das „Gerücht über die Juden“ (Adorno), ist nur noch ein Gegenstand wissenschaftlichen Interesses. Über die Täter wird nicht geredet und über die prospektiven Opfer auch nicht, denn das wäre mit einer doppelten Grenzüberschreitung verbunden: politisch und geografisch – von den Neonazis zu den Islamisten und von Auschwitz nach Busher, wo die Mullahs ein Kernkraftwerk bauen.

Lieber lässt Benz darüber räsonieren, warum arbeitslose muslimische Jugendliche für antisemitische Ideen anfällig sind. Nicht einmal den Historiker Heinrich von Treitschke, dessen Ausruf „Die Juden sind unser Unglück“ den „Stürmer“ zierte, mag Benz als Antisemiten charakterisieren; vielmehr nennt er ihn in seinem Buch „Was ist Antisemitismus?“ einen „renommierten Historiker“ und einen „M­ann von Reputation“. Ebenso reserviert-zuvorkommend zeigt er sich gegenüber Jürgen Möllemann. Wenn aber weder der nationalliberale Abgeordnete von 1871 bis 1884 noch sein Münsteraner Widergänger von der FDP Antisemiten waren – wer ist es dann? Der Titanic-Witz aus dem Jahre 2002 – „Schrecklicher Verdacht: War Hitler Antisemit?“ – könnte auch eine Pointe aus dem Hause Benz sein.

Selbst in eigener Sache agiert das Berliner ZfA mit dezenter Zurückhaltung. Vor kurzem hat es vor dem Berliner Kammergericht einen Prozess gegen einen „renommierten Verschwörungstheoretiker“ verloren, der nicht als Antisemit bezeichnet werden wollte, obwohl er sich einschlägig geäußert hatte, unter anderem mit den Worten: „Die Verbrechen an den Juden haben ein Recht auf einen angemessenen Platz in der Geschichte. Sie haben ein Recht darauf, dass man an sie denkt und sich ihrer als Warnung erinnert – auch als Warnung vor Verbrechen der Juden. Denn sonst wäre das Opfer Millionen jüdischer Menschen völlig umsonst gewesen.“ Einen Antisemitismusprozess gegen den Urheber solcher Sätze zu vergeigen, ist eine Meisterleistung – so, als würde der Verfassungsschutz einen Prozess gegen Horst Mahler verlieren, der nicht als Rechtsradikaler tituliert werden möchte. Das ZfA hat die Niederlage wie ein Knöllchen fürs Parken im Halteverbot eingesteckt. Die 5.000 Euro Schmerzensgeld, die es zahlen muss, werden als Kollateralschaden abgebucht. Dabei wäre gerade ein solcher Fall eine kleine wissenschaftliche Anstrengung wert: Was ist Antisemitismus heute? Wie äußert er sich? Und wo kommt das unheilbar gesunde Gewissen bei Antisemiten her?

Doch das Zentrum beschäftigt sich statt mit solchen Fragen lieber mit der „Islamophobie“. Und weil es im wahren Leben bisweilen so zugeht wie im Fußball, hat letztlich jeder die Fans, die er verdient – weshalb es nur folgerichtig ist, dass das ZfA für seine Gleichsetzung des „antiislamischen Rassismus’“ mit dem Judenhass stehende Ovationen von einem bekommt, der unter anderem schon den Hoh- und den Möllemann verteidigt, dem Muslim Markt wortreich sein Leid geklagt und den inzwischen eingestellten Watchblog Islamophobie der Islamkonvertitin Dagmar Schatz mitbetrieben hat. Arne Hoffmann heißt der Beifallspender, der noch eine andere Passion pflegt, die auf den ersten Blick so gar nichts mit seiner Leidenschaft für die „Israelkritik“ und den Islam zu tun hat: das Verfassen von Büchern mit markerschütternden Titeln wie „Sex für Fortgeschrittene“, „Onanieren für Profis“ und „Männerbeben“ nämlich. Vor allem die zuletzt genannte Schrift wird in Rezensionen schon mal als „Standardwerk“ angepriesen, „nicht nur für die Männerrechtsbewegung, sondern für Männer überhaupt“. Keine Frage: Hoffmann ist ein echter Bescheidwisser.

Dabei haben seine Verteidigung von ausgewiesenen Antisemiten, sein Israelbashing, sein Flirt mit dem Islam, seine Nachhilfe für Onanisten und sein Jammern über die angebliche Unterjochung der Herren der Schöpfung durch allgegenwärtige Radikalfeministinnen mehr miteinander gemein, als es bei flüchtigem Hinsehen der Fall zu sein scheint. Zunächst einmal stehen sie alle für die Lust am Brechen vermeintlicher Tabus, am Kampf gegen die „politische Korrektheit“, die nach Hoffmanns Auffassung von interessierten Kreisen wie ein Diktat à la McCarthy eingesetzt wird und nonkonformes Denken mit aller Macht verhindern soll. Doch keines dieser Tabus existiert wirklich; im Gegenteil bewegt sich Hoffmann mit seinen Ansichten mitten im gesellschaftlichen Mainstream, irgendwo zwischen Finkelsteins „Holocaust-Industrie“, diversen Nachmittagstalkshows und Charlotte Roches „Feuchtgebiete“. Was sich da als „Querdenkerei“ ausgibt, erfüllt in Wirklichkeit die Konsumbedürfnisse einer frustrierten Masse, die ihre Befriedigung nicht zuletzt daraus zieht, sich Verbote erst einzubilden und sie dann in einem Akt konformistischer Rebellion vor Kühnheit zitternd (M. Walser) zu übertreten.

Aber es könnte noch andere Gründe geben, warum Hoffmanns Islamophilie, seine Abneigung gegenüber Israel, seine Männerrechtlerei und sein Sexpertentum sich nicht nur nicht ausschließen, sondern prächtig ergänzen. Denn im frauenverachtenden Islam können Männer noch Männer sein und voll auf ihre Kosten kommen: ursprünglich, rücksichtslos und ohne das ganze jüdisch-zivilisatorische Emanzipationsgedöns. Es gibt keine Sorgerechtsfragen, keine Lehrer(innen), die Mädchen bevorzugen, und Kopfschmerzen schützen nicht vor dem Koitus. Hoffmann selbst hat im Interview mit dem Muslim-Markt einen durchaus offenherzigen Einblick in seine Triebstruktur gegeben: „Ich glaube, dass man hinter vielen erotischen Texten eine verdrängte Sehnsucht nach religiösen Erfahrungen finden kann.“ Und da dürfte der Islam mit seinen 72 Jungfrauen natürlich besonders attraktiv sein, auch wenn es die sechs Dutzend Gespielinnen erst postum gibt.

Doch Vorsicht: Wer derlei Kritik an der repressiven Gegenwart und der Todessehnsucht des Islam äußert, ist für Hoffmann ein islamophober Rassist. Auf die Idee, dass viele Muslime „sich möglicherweise sogar freuen würden, von einigen kulturellen Gebräuchen ihrer Heimatgesellschaft freigestellt zu werden“, wie Magnus Klaue in einem lesenswerten Aufsatz schrieb, kommt Hoffmann nicht. Vielmehr billigt er mit seiner Verteidigung des Islam, resümierte Klaue, „die im Kern faschistische Herrschaftspraxis vieler islamischer Staaten im Namen ‚kultureller’ und ‚religiöser’ Differenz“. Und am Antisemitismus – hierzulande wie im arabisch-muslimischen Raum – sind die Juden Hoffmann zufolge letztlich ohnehin selbst schuld, weil sie ihn durch ihr Verhalten erst schürten. Alles, was ihnen widerfährt, fällt nach dieser Logik zwangsläufig in alter deutscher Tradition quasi automatisch unter die Rubrik „Notwehr“.

So weit würde das Zentrum für Antisemitismusverharmlosung nicht gehen. Aber mit seinem Tagungsband hat es dem Multiprofi Arne Hoffmann eine veritable Triebabfuhr ermöglicht, ein echtes Männerbeben sozusagen. Jede Wette: Als Gegenleistung hat Wolfgang Benz einen von Hoffmanns Rammelratgebern geschickt bekommen. Auf die entsprechende Rezension darf man schon jetzt gespannt sein. Schade, dass Erich Mühsam nicht mehr lebt. Auf solcherlei Bettlektüre für Lampenputzer hätte er gewiss einen passenden Reim gehabt.