Aus der Höhle des Löwen
54 Tote in Kana haben einen eruptiven öffentlichen Aufschrei gegen Israel ausgelöst, der vernehmlich nachhallt. Man konnte ihn bis in die Quartiere der Hizbollah hören, deren Konzept – eine Mischung aus Guerillakampf und Geiselhaft – einmal mehr aufgegangen war: Kaum jemand machte ihr ernsthaft den Vorwurf, aus Wohngebieten heraus ihren antisemitischen Krieg zu führen und sich dabei hemmungslos der libanesischen Bevölkerung zu bedienen, und noch weniger unternahmen auch nur den Versuch, die Frage zu klären, ob es wirklich eine israelische Rakete war, die den Tod brachte, oder ob den in dem zerstörten Haus Befindlichen nicht die Waffen der Hizbollah um die Ohren geflogen sind. Ganz im Gegenteil lief sowohl in den Medien als auch in der Politik so mancher zur Höchstform auf. Einer davon war Jörg Haider, Landeshauptmann Kärntens und nicht erst seit gestern ein bekennender Fan des Islam und von dessen eliminatorischem Antisemitismus. „Österreich muss den israelischen Botschafter zitieren und gegen die Aggression im Libanon protestieren und anschließend den Botschafter nach Hause schicken“, erdreistete der Austronazi sich zu fordern, und wo er schon mal dabei war, legte er sogar noch nach: Die USA agierten als „Kriegstreiber im Nahen und Mittleren Osten“, und „für die Verantwortlichen in Israel“ möge es „ein Kriegsverbrechertribunal geben“. Eines muss man Haider lassen: Er bedient Volkes Stimme meisterlich und spitzt letztlich nur zu, was andere vorläufig lieber noch hinter hervorgehaltener Hand sagen; was als Unverhältnismäßigkeit an Israel kritisiert wird, erweist sich als die alte Mordlust, die Konsequenzen fordert, wie Haider sie benennt – und das soll erst der Anfang sein.
Kana ist daher auch ein Gradmesser dafür, wie ernst es den vermeintlichen Freunden Israels mit ihrer Unterstützung des jüdischen Staates tatsächlich ist. Günther Beckstein etwa, der bayerische Innenminister, hatte noch während der Weltmeisterschaft auf einer Kundgebung gegen eine mögliche Einreise des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedjad in Nürnberg kund getan, er halte den Herrn für einen „Verbrecher“, und Israel müsse vor einem Angriff des Irans unbedingt geschützt werden. Markige Worte, allein, sie kosteten nicht viel: Ein rechtlich sehr wohl mögliches Einreiseverbot stand für Beckstein nicht zur Debatte, und wie es um seine Verbundenheit mit Israel bestellt ist, hat der CSU-Politiker in einer Situation verdeutlicht, in der sie eigentlich besonders gefragt gewesen wäre: „Was Israel macht, ist nicht zu verantworten. Man kann nicht einfach Zivilisten bombardieren und dann von Kollateralschäden reden“, sagte er, als ob dort jemand dieses Wort benutzt hätte und als ob es nicht die Hizbollah gewesen wäre, in deren Verantwortung dieser Vorfall stand.
Unterdessen machte sich einer auf den Weg nach Teheran, der es kurz zuvor in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung geschafft hatte, zunächst die Hizbollah als echtes Friedenshindernis zu outen, um dann Israel umso nachdrücklicher die Verhandlungen mit dieser Judenmörderbande anzuraten: Joschka Fischer, Außenminister ohne Geschäftsbereich. Er hielt dort einen Vortrag zu den „deutsch-iranischen Beziehungen“, dem Appeasement also, das seit jeher läuft wie geschmiert. „Außerdem werde der Grünen-Politiker führende iranische Politiker treffen – voraussichtlich auch Außenminister Manucher Mottaki. Sein Nachfolger Frank-Walter Steinmeier sei über alle Einzelheiten der Reise informiert. Fischer sei vom früheren Chefunterhändler für das iranische Atomprogramm, Hassan Rohani, eingeladen worden“, tickerten die Agenturen. Zu Gast bei Freunden also. Die vermeintliche Parteinahme Fischers für Israel ist da nicht mehr als eine Worthülse, wie Ulrich Sahm aufzeigt: „Als Ex-Bundesaußenminister weiß er besser als jeder andere, warum er nichts getan hat, um die Resolution 1559 umzusetzen, nichts getan hat, um Israel davon abzuhalten, die Stärkung der Hizbollah zu verhindern, nichts getan hat, um Arafat an der Intifada und der Bewaffnung der palästinensischen Milizen zu hindern und gleichzeitig mit allen Mitteln Israel daran zu hindern, auf militärische Angriffe [...] auch militärisch zu antworten.“
Die Zahl derjenigen, die sich von alledem nicht irre machen lassen und Position für Israel beziehen, ist in den letzten Wochen nicht eben größer geworden. Während sich die Feinde des jüdischen Staates inzwischen fast täglich auf den Straßen versammeln und ihrem Hass freien Lauf lassen, gibt es nur wenige Demonstrationen, die für das Gegenteil einstehen.* Doch es gibt sie, immerhin: Etwa 1.500 Menschen waren es in Berlin (Foto links: Stephan Roth), knapp 1.000 am vergangenen Sonntag in Köln. In der Domstadt** hatten knapp zwanzig Gegendemonstranten mit „Israel raus aus dem Libanon“- und den obligatorischen „Internationale Völkermordzentrale – USA“-Parolen zwar versucht, die proisraelische Manifestation zu stören, doch Hauptredner Michel Friedman bremste sie gleich zu Beginn seiner Rede elegant aus, indem er, an die Schreihälse gerichtet, sagte: „Wissen Sie überhaupt, warum Sie hier demonstrieren dürfen? Weil die USA den Nationalsozialismus niedergeschlagen haben!“ Die Kölner Presse schaffte es, all dies vollständig zu verschweigen, und die Schlussworte der Demonstrationsorganisatoren gewährten einen Einblick, womit hierzulande auf und nach Kundgebungen für Israel zu rechnen sein muss: „Die Veranstaltung endet hiermit. Die Polizei wird auch bald abziehen. Dann können wir für Ihre Sicherheit nicht mehr garantieren.“
Eine Sicherheit, die im Großen auch die UNO Israel nicht gewährt; „extrem schockiert und erschüttert“ zeigte sich sein nämlicher Rat von den Geschehnissen in Kana. Erneut wurde der Ruf nach einem sofortigen Waffenstillstand laut. In dieser Höhle des Löwen trat der israelische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Dan Gillerman, ans Mikrofon. Und er sprach Klartext in feindseliger Atmosphäre und einer Situation, die für ihn kaum unangenehmer hätte sein können. Seine bemerkenswerte Rede, in der er begründet, warum die Toten von Kana auf das Konto der Hizbollah gehen, liegt bisher nur in englischer Sprache vor. Lizas Welt hat sie ins Deutsche übersetzt.
„Wenn es keine Hizbollah gäbe, wäre dies nie geschehen“
Rede des israelischen Botschafters bei den Vereinten Nationen, Dan Gillerman, vor dem UN-Sicherheitsrat am 30. Juli 2006
Herr Präsident,
Ich danke dem Generalsekretär dafür, dass er uns mit seiner Anwesenheit beehrt.
Dies ist ein schrecklicher, trauriger und blutiger Sonntag. Dies ist ein Tag, an dem wir gemeinsam mit dem libanesischen Volk trauern und betrübt sind über den Tod von Unschuldigen und Zivilisten in Kana. Diese Menschen, unter ihnen Frauen und Kinder, die bei diesem furchtbaren, tragischen Vorfall getötet wurden, sind möglicherweise durch israelisches Feuer zu Tode gekommen, aber sie sind die Opfer der Hizbollah: Sie sind die Opfer des Terrors. Wenn es keine Hizbollah gäbe, wäre dies nie geschehen. Wenn der Libanon aus dem Würgegriff dieses Monsters befreit wäre, hätte dies nie stattgefunden. Und während wir den Tod jener Menschen betrauern, müssen wir betonen, dass Israel niemals – auch in diesem Fall nicht – auf unschuldige Menschen gezielt hat.
Kana war lange Zeit ein Zentrum der Hizbollah. Sie haben von dort aus Marschflugkörper und Raketen auf Israel geschossen. Wir werden dem Sicherheitsrat einen Film zur Verfügung stellen, der zeigt, wie die Hizbollah eine Rakete direkt hinter einem dreistöckigen Haus abschießt – einem zivilen Wohnhaus, das demjenigen sehr ähnlich ist, das heute in Kana getroffen wurde. Das ist die traurige Realität.
Israel hat die Einwohner von Kana wiederholt dringend ersucht, den Ort zu verlassen. Es würde mich nicht überraschen, wenn die Hizbollah dafür gesorgt hat, dass sie bleiben. Wir haben es mit einem rücksichtslosen, zynischen, gewalttätigen Feind zu tun, mit einer der ungeheuerlichsten Terrororganisationen, die diese Welt je gekannt hat. Sie hat keine Achtung vor israelischem Leben, und sie hat keine Achtung vor libanesischem Leben. Das libanesische Volk ist ihr egal. Sie sind in jede Faser und in jede Zelle dieses Landes eingedrungen, so dass man, um es mit den Worten meines geschätzten libanesischen Kollegen zu sagen, „im Libanon nicht zwischen der Hizbollah und den Libanesen unterscheiden kann“. Die Hizbollah ist nach seinen Worten überall; die Hizbollah hat nach seinen Worten die libanesische Gesellschaft infiltriert, und sie ist ein Teil von ihr geworden.
Aber es gibt einen riesige moralische Ungleichheit zwischen den beiden Seiten. Während unsere Feinde – die allein heute über hundert Raketen auf israelische Städte und Dörfer geschossen haben – speziell auf Frauen und Kinder zielen, um sie zu töten, verteidigen wir uns in diesem brutalen Krieg. Und manchmal – tragischerweise, wie es heute geschah – werden Frauen und Kinder verletzt, weil sie von der Hizbollah als menschliche Schutzschilde benutzt werden. Die Hizbollah hat im Libanon Häuser, die Raketen beherbergen – Häuser, in denen die Familie zusammen mit Raketen schläft. Wenn man neben einer Rakete schläft, wacht man manchmal morgens nicht mehr auf. In Israel haben wir Wohnungen, die mit einem Bombenschutz ausgestattet sind, um die Menschen vor Einschlägen zu schützen; im Libanon haben sie Wohnungen, die sie mit Raketenabschussrampen ausstatten und dabei in Kauf nehmen, dass diese Menschen getötet werden.
Heute sagen wir, dass wir Mitleid mit den Menschen im Libanon und mit den Getöteten haben. Ich habe die Hizbollah nie sagen hören, dass es ihr auch nur um einen einzigen Israeli – eine Frau, ein Kind, einen älteren Menschen, einen Zivilisten oder einen Unschuldigen – Leid tut, der getötet wurde. Nie. Warum? Weil sie speziell auf uns zielt. Dass ist ihr erklärtes Ziel, und das ist es, warum wir kämpfen. Und während für uns jedes tote libanesische Kind ein furchtbarer Fehler und eine Tragödie ist, ist für sie jedes tote israelische Kind ein Sieg und Grund zum Feiern.
Ich sage hier mit Nachdruck, dass ich nicht überrascht wäre – wegen ihres Zynismus, ihrer Brutalität und ihrer totalen Verachtung für menschliches Leben –, wenn das, was in Kana geschah, genau das ist, was die Hizbollah anstrebte. Ich wäre nicht überrascht, wenn dies etwas ist, das sie genau für heute wollten und wünschten, für den Tag, an dem Ministerin Rice sich in der Region aufhält, um eine Regelung zu erreichen. Die Mitglieder des Sicherheitsrates wissen besser als ich, dass die Terroristen, die Extremisten, die Fundamentalisten immer dann, wenn ein Abkommen nahe ist, uns dieses Abkommen entreißen, weil sie keine Einigung wollen.
Und ich muss sagen: Ich glaube, dass das, was hier an diesem Tisch geschieht, genau das ist, was sie erreichen wollten. Während man heute in Israel und an vielen anderen Orten rund um die Welt trauert, wird in Teheran, in Damaskus und in den Hochburgen der Hizbollah wahrscheinlich gefeiert, denn es ist genau das, was sie erhofft haben. Sie wollen, dass der Rat zu einem Waffenstillstand aufruft. Sie wollen, dass er genau das tut, worum er heute von ihr gebeten wurde. Sie wollen, dass der Rat so reagiert, wie er es eben tut. Ich weiß, das sind harte Worte, aber ich glaube sie von ganzem Herzen. Ich flehe die Mitglieder hier an, der Hizbollah nicht in die Hände zu spielen, sie nicht damit zu versorgen, wonach sie streben, während sie ihre eigenes Volk als menschliche Schutzschilde und als Opfer hingeben.
Und gerade heute möchte ich meinen libanesischen Freund bitten: Sagen Sie ihren Menschen, den starken Menschen im Libanon, der Regierung, die Sie vertreten, und Ihrem mutigen Ministerpräsidenten, vor dem wir viel Respekt haben, dass die heutigen Demonstrationen in Beirut sich nicht gegen die Vereinten Nationen richten sollten; sie sollten sich vielmehr gegen die Hizbollah richten. Die Hizbollah ist diejenige, die all Ihren Schmerz verursacht hat. Die Hizbollah ist das Monster, dem Sie erlaubt haben, aufzuwachsen. Wenn Sie sich früher um es gekümmert hätten, wenn Sie Ihre Truppen im Süden eingesetzt hätten, wäre all dies nie passiert. Und wenn der Sicherheitsrat die Resolution 1559 aus dem Jahr 2004 forciert hätte, wäre dies nie geschehen. Sagen Sie Ihrem Volk, es solle nicht für Blut, sondern für Frieden und Hoffnung demonstrieren.
Wenn wir in dieser harten Nachbarschaft und in dieser blutigen Region zusammen leben wollen, müssen wir eine Kultur der Hoffnung schaffen und nicht eine Kultur der Gewalt. Wir müssen eine Kultur schaffen, in der die Kinder, die in Kana getroffen wurden, heute in der Schule gewesen wären, statt zusammengedrängt zu Geiseln der Hizbollah zu werden; eine Kultur, in der die Kinder von Kiryat Shmona heute zur Schule gegangen wären, statt Angst zu haben und wegen der Katjuscha-Raketen in Bombenschutzräumen zusammengedrängt zu werden. Wir müssen die Kultur des Hasses verändern. Wir müssen unseren Kindern Hoffnung lehren. Und wir sollten bei aller Tragik und allem Schrecken das nicht zulassen, was heute geschah, nämlich die Fakten und die Wahrheit zu verändern. Und die sieht so aus, dass die Hizbollah vollständig entwaffnet werden muss. Ansonsten wird die Hizbollah – wenn es einen Waffenstillstand gibt, ihr die Potenziale und großen Waffenarsenale jedoch bleiben – ihr hässliches Haupt erneut erheben.
Und es wird sich nicht nur gegen uns und gegen die Menschen im Libanon erheben, sondern gegen die ganze Region und eine Zivilisation, wie wir sie kennen. Lassen Sie es nicht zu, dass dies der Tag des Irans und Teherans ist, der Sponsoren der Hizbollah. Machen Sie deutlich, dass dies ein Ende haben muss – und das heißt nicht, dass die Anfeindungen und die Bombardierungen ein Ende haben müssen, sondern dass der Terror und die Hizbollah enden müssen. Denn ansonsten wird es weiter Anfeindungen und Bombardierungen geben, und noch mehr Unschuldige werden den Preis dafür bezahlen.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident.
* Weitere Demonstrationen finden in Bälde statt unter anderem am 3. August in Hamburg (18 Uhr, Gerd-Hauptmann-Platz/Mönckebergstraße), am 6. August in Berlin (17 Uhr, Hackescher Markt) und am 10. August in Hannover (18 Uhr, Opernplatz)
** Berichte zu der Demonstration in Köln gibt es beim JuFo Rhein/Ruhr und bei Heplev.
Hattips: Liberty First, Clemens, Esther, Wolfgang Müller
Herzlichen Dank an Heplev für die Fotos