18.6.06

Abgewinkt

Die „sportliche Lösung“, von der nicht nur Sozialdemokrat Wiefelspütz geträumt hatte, ist Realität geworden: Nach dem 0:2 gegen Portugal steht bereits vor dem letzten Gruppenspiel fest, dass die Mannschaft des Iran die Vorrunde der Fußball-WM nicht überstehen wird. Dadurch dürfte sich zweierlei erledigt haben: ein Besuch Mahmud Ahmadinedjads sowie – damit verbunden – die Beschäftigung der Bundesregierung mit dieser Causa. Nur sein diplomatischer Pass schütze den Holocaustleugner im Amt des iranischen Präsidenten vor einer Verhaftung, hatte der bayerische Innenminister Günther Beckstein im Rahmen einer Kundgebung vor dem ersten Match des Iran in Nürnberg behauptet. Er umschiffte dabei eine Stellungnahme gegen seinen Amtskollegen auf Bundesebene, Wolfgang Schäuble, der Ahmadinedjad ein „guter Gastgeber“ sein wollte – und es für dessen Stellvertreter Mohammed Aliabadi bei den bisherigen Partien des Iran auch war. Darüber hinaus ignorierte Beckstein die Möglichkeit eines Einreiseverbots in die EU, wie es beispielsweise gegen den weißrussischen Präsidenten Aliaksandr Lukashenko verhängt wurde.

Auch vor dem gestrigen Spiel des Iran gegen Portugal in Frankfurt gab es Proteste. Bereits am Freitag hatten knapp 150 Menschen bei einer Demonstration zur Solidarität mit Israel aufgerufen; am Samstag versammelten sich in der Mainstadt dann zwischen 500 und 1.500 Menschen (je nach Quelle) zu einer Kundgebung unter dem Motto „Keine Gastfreundschaft für Volksverhetzer!“ vor der Alten Oper. Dort nannte der Historiker und Auschwitz-Überlebende Arno Lustiger den iranischen Präsidenten das, was er ist: einen „pathologischen Judenhasser“, der „als zweiter Hitler in die Geschichte eingehen“ und Israel in einen „atomaren Holocaust stürzen“ wolle. Zudem kritisierte er Innenminister Wolfgang Schäuble für dessen „überflüssige, vorauseilende Ehrerbietung“, die eine Provokation aller jüdischen Menschen in Deutschland darstelle. Gemeinsam mit Michel Friedman forderte Lustiger erneut ein EU-weites Einreiseverbot für Ahmadinedjad.

Der Publizist Hannes Stein wiederum verlas einen mysteriösen Brief, den er „per verschleierter Eilbotin“ von dem Mullah-Vorturner erhalten hatte und der, ja doch, ganz und gar erstaunliche Botschaften enthielt, während Justus Wertmüller in seiner Rede für die Redaktion der Zeitschrift Bahamas begründete, warum schwarz-rot-goldene Fahnen (nicht nur, aber vor allem) auf Kundgebungen für Israel nichts zu suchen haben. Ein bemerkenswerter Beitrag, auch und gerade angesichts der derzeit ubiquitären Beflaggung des Landes; im Folgenden soll er dokumentiert werden.

Eine Kritik an deutschen Winkelementen auf proisraelischen Kundgebungen

Am 11. Juni haben einige Leute schwarz-rot-goldene Fahnen auf die Nürnberger Kundgebung gegen Ahmadinedjad mitgebracht. Das war unpassend, und ich fände es nützlich, hier in Frankfurt Kundgebungsteilnehmer mit deutschen Fahnen aufzufordern, sie bitteschön wieder einzupacken. Ich bin mir zwar fast sicher, dass solche Patrioten weit verbindlichere Freunde Israels sind als sogenannte Kritiker, die nur darauf gelauert haben, unsere Kundgebungen wegen zwei Fahnen und einem bayerischen Innenminister als nationalistisch, rassistisch und im Kern sogar antisemitisch zu verunglimpfen. Lassen Sie mich trotzdem meine Kritik an deutschen Winkelementen auf proisraelischen Kundgebungen begründen.

Jüdisch-amerikanische und israelische Organisationen verteilen gerne einen kleinen Sticker, auf dem die israelische und die amerikanische Fahne Seit’ an Seit’ im Wind flatternd dargestellt sind. Ich trage diesen Sticker ganz gerne, besonders in Kreuzberg, wo Deutschland am deutschesten ist. Einen ähnlichen Sticker vertreibt auch die Deutsch-Israelische Gesellschaft, nur dass hier die deutsche Fahne partnerschaftlich neben der israelischen weht. Den würde ich niemals tragen! Denn im einen Fall ist die auf dem Sticker symbolisierte amerikanisch-israelische Partnerschaft Realität, im anderen, die unterstellte deutsch-israelische kaum mehr als Wunschdenken.

Die USA und gerade ihre von Präsident Bush angeführte Regierung haben unter Beweis gestellt, dass sie die Freundschaft mit Israel ernst meinen. Regierungsvertreter der USA veranstalten zum Beispiel keine Propaganda gegen die Grenzbefestigungsanlagen, die Israel gegen den palästinensischen Terror gerade aufbaut. Wie anders in Deutschland: Manche von Ihnen erinnern sich vielleicht noch daran, welche Schelte vom Auswärtigen Amt, in dem damals Frank-Walter Steinmeier als Staatsekretär Dienst tat, der damalige Innenminister Schily über sich ergehen lassen musste, nur weil er während eines Israel-Besuchs Verständnis für die Selbstverteidigungsanlage geäußert hatte.

Amerikanische Offizielle haben bald nach 9/11 darauf hingewiesen, dass es sich bei den Terroranschlägen nicht nur um antiamerikanische, sondern eben auch antiisraelische Angriffe gehandelt habe. Präsident Bush, der sinngemäß gesagt hatte: „Die Terroristen wollen die Art, wie wir leben, vernichten“, war damit gar nicht so kleingeistig und selbstbezogen, wie ihm in Europa unterstellt wurde. Er hatte nämlich unter der „Art, wie wir leben“ auch die Art, wie Israelis leben, gefasst. Unmittelbar nach 9/11 kam es überall in den USA zu einer Welle der Empathie mit Israel, in den Medien, bei ganz normalen Bürgern und auch in der Politik. „Jetzt endlich können wir verstehen, was Ihr seit so vielen Jahren durchmachen müsst!“ So oder ähnlich äußerten sich viele Amerikaner unmittelbar nach 9/11 gegenüber Israelis. Vergleichbare Aussagen waren und sind vom offiziellen Deutschland – in Politik oder Medien – höchstens und vereinzelt in der Springerpresse, und auch vom kleinen deutschen Mann auf der Straße nur sehr ausnahmsweise zu hören gewesen.

Gerade in den Jahren seit 9/11 ist deutlich geworden, dass die Fahnen Israels und der USA nicht nur symbolisch nebeneinander wehen. Eine Begründung für den militärischen Sturz des Ba’th-Regimes war zum Beispiel der unbestreitbar wahre Hinweis darauf, dass Saddam sich die Vernichtung Israels zum Ziel gesetzt hat und systematisch palästinensische Terrororganisationen und Märtyrerfamilien mit Geld, Waffen, Know-How und Unterschlupfen ausgestattet hatte. Und, um auf den Atomkonflikt mit dem Iran zu kommen: Wer, bitte, nimmt die iranische Bedrohung Israels ernst und fordert Konsequenzen, als da sind: Ultimaten und Sanktionen bis hin zur Drohung mit dem Militärschlag? Außer aus Israel selbst kommen solche Töne nur aus den USA und sicherlich nicht von der Regierung oder der Öffentlichkeit der Bundesrepublik Deutschland.

Ich werde mich dort, wo deutsche Fahnen wehen, wohl niemals recht wohl fühlen. Aber: Wenn die Bundesregierung und mit ihr wenigstens ein großer Teil der Öffentlichkeit sagen würden: „Wir werden das Atomwaffenprogramm des Iran niemals hinnehmen und uns in dieser Frage geschlossen hinter den jüdischen Staat stellen“, wenn sie es bei solchen Worten, die noch relativ leicht ausgesprochen sind, nicht bewenden lassen, sondern hinzufügen würden: „Wir werden alle unsere diplomatischen, politischen, finanziellen und, wenn alles nichts hilft, auch militärischen Ressourcen ausschöpfen, um gemeinsam mit Israel und den USA dieses Programm zu stoppen!“, dann müsste ich sie hinnehmen, die eine oder andere schwarz-rot-goldene Fahne neben den hoffentlich viel zahlreicheren blau-weißen.

Aber es ist doch nicht so. Frau Merkel hat zwar im Januar eine bemerkenswerte Rede vor dem American Jewish Congress gehalten, wurde aber sofort danach vom Koalitionspartner und großen Teilen der Öffentlichkeit zurückgepfiffen. Seither schweigt sie und überlässt Steinmeier das Wort, der beinahe täglich erklärt, dass eine militärische Option „mit uns“ überhaupt nicht in Frage komme. Wie kann man aber auf zwischenstaatlicher Ebene einem totalitären Regime den verbrecherischen Wunsch nach der Bombe ausreden? Doch nicht durch schöne Worte und schon gar nicht dadurch, dass man ihm neuerdings sogar die Urananreicherung zubilligt. Das aber ist die Politik Chinas, Russlands und – immer fröhlich mit dabei – Deutschlands. Sind die israelsolidarischen Worte von Leuten, die eine solche Politik machen oder öffentlich unterstützen, auch nur das Papier wert auf, dem sie geschrieben sind?

Im Aufruf zu dieser Kundgebung, den die Redaktion, der ich angehöre, gerne unterschrieben hat, steht eine zweideutige Forderung: „Keine Gastfreundschaft und keine Eintrittskarte für einen Volksverhetzer, der wiederholt den Holocaust geleugnet hat, Israel von der Landkarte tilgen will, zur Judenvernichtung aufruft, Terror finanziert und“ – jetzt wird es spannend – „die gesamte zivilisierte westliche Welt bedroht und verhöhnt.“ Gäbe es eine westliche Welt, die eine Vorstellung von Zivilisation hätte, wie sie etwa in den USA, in Israel und mit Einschränkungen in Großbritannien, den Niederlanden oder Dänemark von der Mehrheit geteilt wird, ich könnte zustimmen. Sind aber westliche Länder zivilisiert, in denen Gruppen und Einzelpersonen, die mit Israel ohne Wenn und Aber solidarisch sind, Gegenstand geheimdienstlicher Nachforschungen werden, wie sonst die NPD oder Mili Görüs? Doch, auch das gibt es in Deutschland. Schauen Sie in den Verfassungsschutzbericht von 2004!

Halten Sie Länder ernsthaft für durch den Iran bedroht und verhöhnt, deren Elder Statesmen die Kooperation mit der Hamas bzw. das Appeasement mit dem iranischen Mullah-Regime predigen und in denen zu befürchten steht, dass die Außenpolitik diesen Empfehlungen bis ins Detail folgen wird? Lesen Sie die jüngsten öffentlichen Einlassungen von Altkanzler Schröder und Ex-Außenminister Fischer! Hören Sie Herrn Steinmeier genau zu, und führen Sie sich vor Augen, dass erst vor fünf Wochen ein Minister der Hamas-Regierung zu Gast bei Bundestagsabgeordneten verschiedener Parteien war! Nein, die Protagonisten der westlichen Appeasementpolitik gegenüber Regimes und Banden, denen die Auslöschung Israels eine Herzensangelegenheit ist, kann ein Ahmadinedjad gar nicht verhöhnen. Sie sind doch selbst der Hohn auf alles, was man unter Westen und Zivilisation früher einmal gefasst hat. Die Amadinedjads dieser Welt wollen solche westlichen Länder zumindest vorerst auch gar nicht bedrohen: Die tanzen ja längst nach ihrer Pfeife! Und wenn einmal, wie in Spanien geschehen, eine Regierung ausschert, reichen einige Bomben und 201 Tote – und ein zivilisiertes westliches Volk rennt zu den Wahlurnen und macht genau dort sein Kreuz, wo ein bin Laden es sehen will.

Verhöhnt werden nicht die Bundesregierung oder die Deutschen in ihrer Mehrheit, sondern nur wir wenigen, die ohnmächtig zuschauen müssen, wie Europa zusammen mit Russland und China Israel an seine Schlächter verkauft. Verhöhnt werden wir nicht von Ahmadinedjad, sondern von der deutschen Öffentlichkeit und Politik. Das iranische Regime bedroht auch nicht uns, die wir in einer westlichen Appeasement-Zivilisation leben. In die Schusslinie sind nicht die Länder von Old Europe geraten, sondern die Bürger Israels und die der USA. Darüber hinaus kann es die Bewohner aller Länder treffen, die mit dem jüdischen Staat und seinem engsten Verbündeten gegen den antisemitischen Terror kooperieren. Also sicherlich nicht die Deutschen.

Ich lebe, wie jeder vernünftige Mensch auch, lieber ohne Angst vor Terroranschlägen. Aber bevor ich mich von Nazis – seien sie nun deutsch und braun oder islamistisch und grün – nötigen lasse, jüdische, amerikanische oder religionskritische Menschen ihrem mörderischen Zugriff auszuliefern, wage ich lieber etwas. Die Verteidigung der westlichen Zivilisation – und die gibt es nur an der Seite Israels – vor solchen Zumutungen wäre es mir schon wert, mit einem mulmigen Gefühl in die U-Bahn einzusteigen. Würde das eine Mehrheit im Land und die Regierung genauso sehen, dann – und keinen Moment früher – mag in einem Meer von israelischen Fahnen von mir aus auch die eine oder andere deutsche wehen.