17.8.06

Cui bono?

Was sind der Waffenstillstand und die UN-Resolution 1701 wirklich wert? Ist Israel sicherer geworden, oder darf sich die Hizbollah – und mit ihr der Iran und Syrien, die Hamas und der Islamische Djihad – tatsächlich als Sieger fühlen? Ministerpräsident Ehud Olmert und seine Regierung haben in der israelischen Bevölkerung jedenfalls deutlich an Vertrauen verloren; weit mehr als die Hälfte hält es für einen Fehler, dass Israel die militärischen Maßnahmen zu seiner Verteidigung eingestellt hat. Währenddessen weigert sich die Hizbollah erwartungsgemäß, ihrer Entwaffnung und Auflösung zuzustimmen. Beistand erhält sie dabei einmal mehr von UN-Generalsekretär Kofi Annan.

Der sagte, für die Zerschlagung der Hizbollah hätten die Vereinten Nationen „kein Mandat“; die UN-Truppen könnten der libanesischen Armee allenfalls behilflich sein, die Terrororganisation zu entwaffnen. Das freute wiederum den Hizbollah-Vertreter Scheich Nabil Kauk, der die Stationierung von 15.000 libanesischen Soldaten im Süden des Landes ausdrücklich begrüßte – was nicht weiter verwunderlich ist, wenn man um den Einfluss der Hizbollah auf die Armee und die dortigen Sympathien für die Mörderbande weiß. Prompt kamen der libanesische Premierminister Fuad Siniora (oberes Foto, links) und Hizbollah-Führer Hassan Nasrallah (rechts) überein, dass die Hizbollah ihre Waffen behalten darf, sie aber nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen soll. „Wenn die Resolution nicht umgesetzt wird, müssen wir handeln, um eine Wiederbewaffnung der Hizbollah zu verhindern. Es muss Druck auf die Hizbollah für eine Entwaffnung geben, oder es wird eine weitere Runde geben“, stellte ein Sprecher von Premierminister Olmert klar.

„Diese Regierung muss abtreten, weil sie jeden Tag, den sie an der Macht ist, den Schaden verschlimmert, den sie bereits verursacht hat, und die Gefahr für Israel vergrößert“, forderte Caroline Glick in der Jerusalem Post Konsequenzen politischer und personeller Art aus der Zustimmung der Verantwortlichen zu dem Waffenstillstand, der dem jüdischen Staat nur Nachteile einbringe: „Der Grund dafür, dass die Resolution des UN-Sicherheitsrats jeden einzelnen israelischen Anspruch ignoriert, besteht darin, dass Israel nicht aggressiv genug seine Ziele verfolgte.“ Deutlich optimistischer bewertet Tim Hames in der Times die jüngsten Entwicklungen: „In der Rangordnung von Siegen ist es nicht so beeindruckend, nicht zerstört, nicht entwaffnet oder nicht diskreditiert worden zu sein“, kommentiert er die Freudenfeiern der Hizbollah. Diese sei durch die israelischen Militärschläge schwer getroffen worden und habe ihren Raketenvorrat nahezu aufgebraucht. „Wenn die libanesischen Truppen die Hizbollah nicht pazifizieren können, dann wissen die Minister dort sehr gut, dass Israels Luftwaffe nach Beirut zurückkommen wird“, sorgt sich Hames nicht um Israels Sicherheit – die sich in letzter Zeit eher verbessert als verschlechtert habe –, zumal dann, wenn auch arabische Gegner des Iran in Israel einen Alliierten erkennten. Der Beitrag liegt bisher nur in englischer Sprache vor. Lizas Welt hat ihn übersetzt.


Tim Hames

Wenn das eine Niederlage war, müssen die Israelis noch für viele weitere beten


The Times, 14. August 2006


Wenn doch Israel bei seiner Öffentlichkeitsarbeit so effektiv wäre wie bei den Militäroperationen – die Ergebnisse des Konflikts an seiner Grenze zum Libanon wären so viel ausgeprägter. Doch wie es aussieht, wird die wirkliche Bedeutung der UN-Resolution, die heute in Kraft tritt, völlig verdreht. Die Hizbollah feiert eine Art „Sieg“, wenn auch einen rein oberflächlichen. In einer bizarren Situation scheinen sowohl Politiker der ganz Linken als auch der ganz Rechten der gleichen Ansicht zu sein wie die Terroristen. Sie alle liegen gründlich daneben.

Woraus besteht letzten Endes diese Behauptung der Hizbollah? Die Organisation hält es für einen Triumph, dass sie nach gerade einmal vier Wochen Kampf nicht vollständig „zerstört“ worden ist. Sie stellt das den trüben Erfahrungen, die verschiedene arabische Armeen 1967 gemacht haben, als Kontrast gegenüber. Sie wurde noch nicht entwaffnet und wird in naher Zukunft vielleicht auch weder formell neutralisiert werden, noch ist sie auf der arabischen Straße diskreditiert worden; im Gegenteil hat sie ihre Popularität sogar verbessert. Der Hizbollah-Führer Hassan Nasrallah erklärt sich deshalb zum „neuen Nasser“.

In der Rangordnung von Siegen ist es nicht so beeindruckend, nicht zerstört, nicht entwaffnet oder nicht diskreditiert worden zu sein. Um Henry V. in Agincourt handelt es sich jedenfalls kaum. Der Gedanke, dass der Sechstagekrieg den militärischen Standard für die arabische Welt repräsentiert, ist eine einigermaßen beschämende Vorstellung. Angesichts der kläglichen Erfahrungen des echten Nasser sollten sich die Israelis nicht zu sehr von der Erwartung einer neuerlichen Inkarnation beunruhigen lassen, und auch die arabische Straße war vor dem Beginn der Zusammenstöße nicht so ambivalent, was Israels Existenz betrifft.

Die Fakten, die nun klar zutage treten, legen also eine gänzlich andere Einschätzung nahe.

Erstens: Der Schaden, den die IDF der Infrastruktur und den Ressourcen der Hizbollah zugefügt hat, ist groß – größer als der Schaden, den sie selbst genommen hat. Eine beträchtliche Zahl an Hizbollah-Raketenabschussrampen und -Kämpfern wurde ausgeschaltet, während die israelische Armee nicht mehr als ein paar Panzer und, zu ihrem eigenen Bedauern, etwa einhundert Soldaten verlor. Für eine Körperschaft, die beständig dem Kampf ausgesetzt ist, ist das kein spektakulärer Dämpfer.

Zweitens: Die Hizbollah hat einen großen Prozentsatz ihres Raketenarsenals mit nur sehr geringem Gewinn eingesetzt. Nur in der Alice im Wunderland-Welt des Nahen Ostens kann es als „Triumph“ einer terroristischen Organisation gelten, einfach Katjuscha-Raketen Richtung Israel abzuschießen, von denen ungefähr 95 Prozent nichts von Wert trafen. Die Hizbollah brauchte sechs Jahre, um einen Vorrat aufzubauen, den sie im Wesentlichen verschwendet hat.

Drittens: Die Regierung im Libanon, die sich in den letzten sechs Jahren ostentativ weigerte, ihre Soldaten in den Süden des Landes zu schicken, ist verpflichtet worden, den Vereinten Nationen zu versprechen, dass sie das nun tun wird. Sie wird darüber hinaus de facto unter der Kontrolle einer viel größeren internationalen Truppe stehen, als sie vorher in der Region stationiert war – eine, die danach beurteilt werden wird, ob sie Erfolg hat respektive in welchem Ausmaß sie für Ruhe sorgt.

Die weitergehenden strategischen Konsequenzen der jüngsten Ereignisse sind jedoch noch bedeutsamer. Die Hizbollah war bis zum 11. Juli ausschließlich ein Problem für Israel. Das Dilemma ist nun internationalisiert worden. Es ist nun von höchster Wichtigkeit für die libanesische Regierung und den UN-Sicherheitsrat. Wenn die libanesischen Truppen die Hizbollah nicht pazifizieren können, dann wissen die Minister dort sehr gut, dass Israels Luftwaffe nach Beirut zurückkommen wird. Die UNO wird zu der Einschätzung gelangen, dass es, wenn sie den Frieden nicht behaupten kann, die Hizbollah gewesen sein wird, die den vom Sicherheitsrat auferlegten Waffenstillstand gebrochen hat, und dass dann ihre eigene Autorität gefährdet ist. Das ist ein wichtiger Durchbruch für Israel. Wenn man Premierminister Ehud Olmert vor sechs Wochen erzählt hätte, dass die Hizbollah Anfang September nicht mehr tonangebend im Südlibanon sein werde, hätte er das nicht für möglich gehalten.

Zudem hat sich Israels Sicherheit stärker verbessert, als das bisher gesehen wird. Vor weniger als drei Jahren war die Nordgrenze Israels der Hizbollah ausgesetzt; seine Ostgrenze zur Westbank war so porös, dass Selbstmordattentäter sie regelmäßig durchbrachen, und sein Militär war mit dem bitteren und oft vergeblichen Versuch beschäftigt, die Hamas in Gaza einzudämmen. Mit sofortiger Wirkung kann es sicher sein, die Hizbollah hinter den Fluss Litani im Libanon zurückdrängen zu können; die Absperrung, die es um die Westbank herum errichtete, hat die Zahl der Selbstmordanschläge auf das Niveau eines bedauerlichen Ärgernisses reduziert, und bei der Hamas, deren militärische Führung durch Israel in einer Serie umstrittener Schläge im Jahr 2004 enthauptet wurde, ist es wahrscheinlicher, dass sie mit einem Bürgerkrieg mit der Fatah beschäftigt ist, als dass sie Herrn Olmert ernsthaft Unbehagen bereitet.

Eine Dimension dieser Geschichte wird sich möglicherweise als die entscheidende erweisen. Die vergangenen Wochen haben die entscheidende Rolle des Iran als politischer Patron des Terrorismus offen gelegt, wie auch die Dreistigkeit und das Ausmaß seiner Ambitionen, das Image des Islam zu prägen. Nichts davon hat Israel überrascht. Es war ein heftiger Schlag für Ägypten, Jordanien und Saudi Arabien. Juden stellen keine Gefahr für den sunnitischen Islam dar. Die schiitische Herausforderung ist eine andere Sache. Wenn die Krokodilstränen um den Libanon einmal getrocknet sind (was höchstens einen Monat dauern wird) und sich die Stimmung auf der arabische Straße verbessert hat (was nicht viel länger dauern wird), wird den sunnitischen Regimes deutlich werden, dass Israel ein Alliierter gegen den Iran ist. Die gegen Israel gerichtete Rhetorik wird nicht abebben, aber sie wird zunehmend unwichtiger sein.

Dass libanesische Zivilisten ohne Verbindung zum Terrorismus währenddessen starben, ist eine Tragödie höchsten Ausmaßes. Israel vertraute zu Beginn zu sehr auf die Luftschläge und gab seinen Kontrahenten damit die Gelegenheit zur Propaganda. Letzten Endes hängt sein Überleben jedoch nicht von arabischen „Herzen und Köpfen“ oder von Meinungen ab, die von Fernsehzuschauern zum Besten gegeben werden, die viele tausend Kilometer entfernt leben. Es setzt stattdessen darauf, entscheidende Kämpfe zu gewinnen. Wenn das eine „Niederlage“ ist, dann kann sich Israel viele ähnliche Ergebnisse leisten.

Die beiden unteren Fotos zeigen zerstörte Gebäude in der Nähe des Hauptquartiers der Hizbollah in Beirut nach einer israelischen Militäraktion Mitte Juli 2006

Hattips: Matthias Küntzel, Franklin D. Rosenfeld, Wolfgang Müller