15.8.07

Berliner Amateurgroteske

Dass sich ein ordentliches Gericht mit der Frage befassen muss, in welcher Klasse ein Fußballverein kicken darf, kommt nicht alle Tage vor; schließlich werden solche Dinge in der Regel auf sportlichem Wege geklärt. Doch nun hat der TuS Makkabi Berlin per einstweiliger Verfügung erwirkt, dass seine zweite Mannschaft in der höchsten Kreisliga der Hauptstadt spielen kann. Vorangegangen war eine ganze Reihe schier unglaublicher Fehler und Versäumnisse der Sportgerichtsbarkeit, deren Beginn fast ein Jahr zurückliegt: Damals führten antisemitische Ausschreitungen zum Abbruch eines Makkabi-Spiels.

Beim Spiel der Reservemannschaft der VSG Altglienicke gegen die Zweitvertretung von Makkabi hatte im September 2006 eine Gruppe von Neonazis unablässig Hassparolen wie „Synagogen müssen brennen“, „Führer, Führer, Führer“, „Auschwitz ist wieder da“, „Dies ist kein Judenstaat, dies ist keine deutsche Judenrepublik“, „Vergast die Juden“ und „Wir bauen eine U-Bahn bis nach Auschwitz“ gegrölt. Der Schiedsrichter wollte davon jedoch nichts mitbekommen haben und reagierte auch auf mehrere eindringliche Hinweise von Makkabi-Spielern nicht. Der gastgebende Verein blieb ebenfalls untätig. Nach 78 Minuten verließen die Gästekicker deshalb den Platz; die Partie war damit vorzeitig beendet. In der anschließenden Sportgerichtsverhandlung wurde der Referee lebenslänglich gesperrt (inzwischen darf er allerdings wieder Spiele in der Freizeitliga pfeifen); die VSG Altglienicke hingegen kam ausgesprochen glimpflich davon: Sie musste lediglich zwei Heimspiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit austragen (die in den Kreisligen ohnehin kaum anwesend ist), an einem „Seminar gegen Rassismus“ teilnehmen und Platzordner stellen, die bei antisemitischen oder rassistischen Parolen einschreiten sollen. Geldstrafen, Punktabzüge oder Sperren gab es nicht.

Das abgebrochene Spiel wurde neu anberaumt und musste wiederum abgebrochen werden, diesmal jedoch, weil der Platz unbespielbar geworden war. Im dritten Anlauf am 25. März dieses Jahres konnte die Partie dann zu Ende geführt werden, mit einem 4:1 für Altglienicke II. Weil der Klub jedoch sieben Spieler aus seiner ersten Mannschaft eingesetzt hatte, legte Makkabi Einspruch ein und bekam Recht: Das Sportgericht befand am 23. April, der Einsatz von Kickern der „Ersten“ in der „Zweiten“ sei „erst nach Ablauf von 10 Tagen, spätestens jedoch nach zwei tatsächlich stattgefundenen Punktspielen“ der ersten Mannschaft zulässig.* Diese Fristen habe Altglienicke nicht beachtet, weshalb das Match mit 6:0 Toren und 3 Punkten für Makkabi gewertet wurde. Anschließend wurden die entsprechenden Tabellen amtlich korrigiert. Die Angelegenheit schien beendet. Makkabis Reserveteam schloss die Saison Anfang Juni als Dritter der Kreisliga B ab und stieg dadurch auf.

Doch am 5. Juli – einen Monat nach dem Ende der Spielzeit 2006/07 – trudelte unerwartet ein neues Urteil ein. In ihm hieß es jetzt, der erstinstanzliche Spruch sei aufgehoben worden; das Wiederholungsspiel werde nun doch gewertet wie ausgetragen, also mit einem 4:1 für Altglienicke. Dadurch war Makkabi nur noch Vierter und kein Aufsteiger mehr. Das Verbandsgericht des Berliner Fußball-Verbands (BFV) hatte die Fristenregelung für den Einsatz höherklassiger Spieler in der Reserve eines Klubs anders ausgelegt; der entsprechende, nicht eindeutig formulierte Passus in der Spielordnung – „erst nach Ablauf von 10 Tagen, spätestens jedoch nach zwei tatsächlich stattgefundenen Punktspielen“ – beziehe sich auf die jeweiligen zweiten Mannschaften, nicht auf die ersten. Somit sei der VSG Altglienicke kein Verstoß vorzuwerfen.

Allerdings hatte das Verbandsgericht zwei schwere Fehler begangen: Zum einen hatte es den TuS Makkabi nicht, wie vorgeschrieben, von der Berufung der Altglienicker – die bereits am 8. Mai eingegangen war – in Kenntnis gesetzt; zum anderen hatte es seine Entscheidung nicht innerhalb der vorgesehenen Frist von 18 Tagen getroffen, sondern erst nach zwei Monaten. „Man kommt nicht umhin zu vermuten, dass der TuS Makkabi bewusst im Glauben belassen wurde, das Sportgerichtsurteil sei rechtskräftig geworden und die drei Punkte aus dem Wiederholungsspiel seien gesichert“, zeigte sich Makkabis Präsident Tuvia Schlesinger (Foto) befremdet. Er wandte sich an das Präsidium des BFV, wies es auf die gravierenden Fehler der Fußballjuristen hin und bekam zur Antwort, es bleibe nur die Möglichkeit eines „Gnadengesuchs“ beim Verbandsvorstand. Darauf wollte sich Schlesinger nicht einlassen: „Es kann nicht sein, dass wir als Opfer des unsportlichen Verhaltens von Altglienicke und angesichts der offensichtlichen, schweren Formfehler des Verbandsgerichts als Geschädigter um Gnade bitten sollen.“ Er schlug als Kompromiss eine Aufstockung der Kreisliga A von 16 auf 17 Mannschaften vor. Anders sei die Angelegenheit nicht befriedigend zu regeln.

Schließlich kam es doch noch zu einer erneuten Verhandlung vor dem Verbandsgericht, das diesmal in anderer Besetzung tagte. Am 2. August fällte es sein abschließendes Urteil: Die „schwer wiegenden Verfahrensmängel der vorerkennenden Kammer“ seien zwar nicht von der Hand zu weisen; dennoch bleibe ihr Beschluss in Kraft, die Punkte aus dem Wiederholungsspiel der VSG Altglienicke zuzuerkennen, auch wenn das „bedauerlich für den TuS Makkabi“ sei und einen „bitteren Beigeschmack“ habe.* Der Vorschlag einer Aufstockung der Kreisliga A wurde rundweg abgelehnt. Tuvia Schlesinger bat das BFV-Präsidium daraufhin neuerlich darum, aktiv zu werden, doch dort winkte man nun ab: Es werde in dieser Angelegenheit nichts mehr unternommen.

Makkabi blieb letztlich nichts anderes übrig, als die Justiz einzuschalten. Ende letzter Woche beantragte der Klub angesichts des bevorstehenden Saisonbeginns eine einstweilige Verfügung, die kurz darauf vom Berliner Landgericht bestätigt wurde. Nun erwägt der BFV, Rechtsmittel einzulegen, und auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) überlegt, ob er tätig werden soll. Die beiden Verbände fürchten um ihre Autonomie und darüber hinaus ein Durcheinander im Spielplan, sollte die Zugehörigkeit des TuS Makkabi erst nach einem längeren Gerichtsprozess geklärt sein. Immerhin erkannte DFB-Präsident Theo Zwanziger: „In den unteren Klassen haben wir es mit Menschen zu tun, die sich für Fußball interessieren, die aber oft nicht die juristische Ausbildung haben, um solche sensiblen Maßnahmen durchführen zu können. Da haben wir Fortbildungsbedarf.“ Tuvia Schlesingers Fazit fiel allerdings noch wesentlich deutlicher aus:
„Eine 18-Tage-Frist für die Berufungsverhandlung wurde auf den unverhältnismäßig langen Zeitraum von nahezu 60 Tagen, bis nach Saisonende, ausgedehnt, und so im Nachhinein ein sicher geglaubter Aufstieg revidiert. Eine Regelung zum sportliche fairen Wettbewerb der zweiten Mannschaften wurde ins Gegenteil verkehrt. Ein Rechtsorgan des Fußball-Verbands, das zugibt, rechtswidrig gehandelt zu haben, aber dann zynisch feststellt, das Opfer dieser Rechtsmängel hätte eben einfach Pech gehabt. Ein Verband verschanzt sich hinter seiner angeblichen ‚Rechtsprechung’, seinen Sonntagsreden und ist, wenn es um die reale Umsetzung geht, nicht bereit, seiner hochtrabenden Ankündigung eines Kampfes gegen Diskriminierung und Rassismus auch Taten folgen zu lassen. [...] Der TuS Makkabi Berlin kann sich des Eindrucks nicht erwehren, in voller Absicht nicht über eine Berufung informiert worden zu sein, um ihm eigene Handlungsmöglichkeiten zu nehmen.“
Angesichts der kaum zu fassenden Fülle an Fehlern und Peinlichkeiten, die sich sowohl das Verbandsgericht als auch der Berliner Fußball-Verband geleistet haben – und die auch nicht mit dem Verweis auf den Laienstatus der Fußballrichter zu entschuldigen sind –, ist das Resümee des Makkabi-Präsidenten mehr als nachvollziehbar. Formal mögen der Spielabbruch im vergangenen September und der von den Hobbyjuristen verschuldete Streit um die Punkte aus dem Wiederholungsspiel nichts miteinander zu tun haben. Dass der TuS Makkabi Berlin aber ohne jedes eigene Zutun als mehrfach Geschädigter aus dem Ganzen hervorgeht, ist schlichtweg absurd. Die Sturheit und Hartnäckigkeit, mit der das Sportgericht sich trotz offenkundiger schwerster Fehler selbst dem sinnvollen Kompromiss verweigert, eine Kreisliga um einen Verein aufzustocken, grenzt ans Groteske und legt den Verdacht nahe, dass hier tatsächlich ein unliebsamer Verein benachteiligt werden soll. „Werden wir etwa so behandelt, weil wir ein Verein mit jüdischen Wurzeln sind?“, fragt Tuvia Schlesinger. Zu Recht.

* Pressemitteilung des TuS Makkabi Berlin vom 13. August 2007 (nicht online abrufbar, liegt Lizas Welt jedoch vor)