Kavaliersdelikt Antisemitismus
Ein widersprüchliches und in weiten Teilen reichlich merkwürdiges Urteil hat das Sportgericht des Berliner Fußball-Verbands (BFV) nach dem Ende September abgebrochenen Kreisliga-Fußballspiel zwischen der Reservemannschaft der VSG Altglienicke und der zweiten Mannschaft des TuS Makkabi Berlin, bei dem Zuschauer ungehindert antisemitische Hassparolen grölten, gefällt: Während Altglienicke mit ausgesprochen milden Strafen davon kam, wurde der Schiedsrichter der Partie auf Lebenszeit gesperrt.
Zwei Heimspiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die verpflichtende Teilnahme an einem „Seminar gegen Rassismus“ und das Stellen von Platzordnern, die bei antisemitischen oder rassistischen Parolen einschreiten sollen – das sind die Sanktionen, die gegen die Volkssportgemeinschaft aus Altglienicke verhängt wurden. Geldstrafen oder Sperren gab es nicht, und auch die Punkte wurden dem Klub trotz des Spielabbruchs nicht abgezogen: Die Begegnung wird auf neutralem Platz wiederholt. „Das Urteil reicht weiß Gott nicht aus, um ein Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus zu setzen“, sagte der Makkabi-Vorsitzende Tuvia Schlesinger (Foto unten). Deutlicher wurden Spieler der Zweitvertretung des Vereins: „Es hätte einen Punktabzug und Geldstrafen geben müssen. Und zwei Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit sind lächerlich – in der Kreisliga schaut doch ohnehin kaum jemand zu“, kritisierte Rafael Tepmann. Und sein Mannschaftskollege Alexander Zoi meinte: „Altglienicke ist nicht hart genug bestraft worden. Und über dieses Seminar lachen die doch nur.“ Auch außerhalb des Klubs stieß die Entscheidung des Sportgerichts auf Unverständnis: Der Zentralrat der Juden in Deutschland sprach von einer „moralischen Bankrotterklärung“. Sein Vizepräsident Dieter Graumann nannte das Urteil „grotesk milde“, „lächerlich“ und „brandgefährlich“. Der Präsident des BFV, Bernd Schultz, verteidigte hingegen die harmlosen Maßnahmen: Sie hätten „eher helfenden als strafenden Charakter“. Das „Antirassismus-Training“ koste den Verein rund 1.000 Euro; „das ist schon eine Sanktion, die nicht ganz ohne ist“, meinte er.
Wesentlich härter fiel die Strafe gegen Referee Klaus Brüning aus: Er darf nie wieder ein Fußballspiel pfeifen und von keinem Verein mehr als Mitglied geführt werden. Damit schenkte das Sportgericht den Einlassungen des Unparteiischen, der keine antisemitischen Sprüche und Gesänge gehört haben wollte, keinen Glauben. „Wer auf dem Platz absolut nichts hört und darüber hinaus die Hinweise der Spieler ignoriert, rassistische Rufe zu unterbinden, der ist als Schiedsrichter nicht tolerabel“, war BFV-Präsident Schultz mit dem Urteil gegen den Spielleiter zufrieden. Auch der sportliche Leiter des TuS Makkabi, Claudio Offenberg, meinte: „Mit diesem Detail sind wir sehr einverstanden.“ Dennoch sei der Beschluss insgesamt „vollkommen inkonsequent“. Und tatsächlich ist es höchst seltsam, dass der Referee für ein Vergehen lebenslänglich gesperrt wurde, das dem Klub aus Altglienicke gleichzeitig wenig schmerzhafte Sanktionen einbrachte: Auch dessen Vertreter – namentlich die Trainerin und die Spieler – hatten in der Sportgerichtsverhandlung wahrheitswidrig angegeben, keine antisemitischen Schmähungen vernommen zu haben. Weshalb der Verein dann jedoch nicht mit einem Punktabzug belegt wird, keine Geldstrafe zu entrichten hat und mit der Teilnahme an einem vermutlich völlig folgenlosen „Antirassismus-Seminar“ – dessen Titel bereits nahe legt, dass etwa die politischen und ideologischen Unterschiede zwischen Rassismus und Antisemitismus kein Thema sein werden – eine freundliche Bewährungsauflage bekommt, ist schlicht nicht nachvollziehbar.
Das Urteil des Berliner Sportgerichts macht letztlich deutlich, dass die ganzen Kampagnen des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) und seiner Regional- und Landesverbände gegen die vor allem im Amateurfußball immer zahlreicher und schlimmer werdenden Ausschreitungen von Neonazis nicht mehr sind als hilf- und wirkungslose Appelle, die niemandem weh tun und deren Ernsthaftigkeit daher elementar in Frage gestellt werden muss. An einer Einzelperson wie einem Schiedsrichter ein Exempel zu statuieren, ist nicht schwer und heuchelt Tatkraft und Entschlossenheit, wo es zuvörderst darum geht, sich selbst aus der Schusslinie zu bringen. Denn wenn ein Verein, dessen Zuschauer so lange antisemitische Parolen dreschen dürfen, bis die gegnerische Mannschaft vom Platz geht, dessen Spieler und Verantwortliche sich ausdauernd taub stellen und noch nicht einmal hinterher ein Wort des Bedauerns finden, von nachhaltigen und einschneidenden Maßnahmen verschont bleibt, wird das wohl kaum dazu führen, dass sich Szenen wie in Altglienicke – mit fast 20 Prozent der Wählerstimmen eine absolute NPD-Hochburg – künftig nicht wiederholen. Sprüche wie „Synagogen müssen brennen“, „Dies ist kein Judenstaat, dies ist keine deutsche Judenrepublik“ oder „Vergast die Juden“ erscheinen 61 Jahre nach Auschwitz als reines Kavaliersdelikt. Kaum zu glauben.