Kavaliersdelikt Antisemitismus

Zwei Heimspiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die verpflichtende Teilnahme an einem „Seminar gegen Rassismus“ und das Stellen von Platzordnern, die bei antisemitischen oder rassistischen Parolen einschreiten sollen – das sind die Sanktionen, die gegen die Volkssportgemeinschaft aus Altglienicke verhängt wurden. Geldstrafen oder Sperren gab es nicht, und auch die Punkte wurden dem Klub trotz des Spielabbruchs nicht abgezogen: Die Begegnung wird auf neutralem Platz wiederholt. „Das Urteil reicht weiß Gott nicht aus, um ein Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus zu setzen“, sagte der Makkabi-Vorsitzende Tuvia Schlesinger (Foto unten). Deutlicher wurden Spieler der Zweitvertretung des Vereins: „Es hätte einen Punktabzug und Geldstrafen geben müssen. Und zwei Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit sind lächerlich – in der Kreisliga schaut doch ohnehin kaum jemand zu“, kritisierte Rafael Tepmann. Und sein Mannschaftskollege Alexander Zoi meinte: „Altglienicke ist nicht hart genug bestraft worden. Und über dieses Seminar lachen die doch nur.“ Auch außerhalb des Klubs stieß die Entscheidung des Sportgerichts auf Unverständnis: Der Zentralrat der Juden in Deutschland sprach von einer „moralischen Bankrotterklärung“. Sein Vizepräsident Dieter Graumann nannte das Urteil „grotesk milde“, „lächerlich“ und „brandgefährlich“. Der Präsident des BFV, Bernd Schultz, verteidigte hingegen die harmlosen Maßnahmen: Sie hätten „eher helfenden als strafenden Charakter“. Das „Antirassismus-Training“ koste den Verein rund 1.000 Euro; „das ist schon eine Sanktion, die nicht ganz ohne ist“, meinte er.

Das Urteil des Berliner Sportgerichts macht letztlich deutlich, dass die ganzen Kampagnen des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) und seiner Regional- und Landesverbände gegen die vor allem im Amateurfußball immer zahlreicher und schlimmer werdenden Ausschreitungen von Neonazis nicht mehr sind als hilf- und wirkungslose Appelle, die niemandem weh tun und deren Ernsthaftigkeit daher elementar in Frage gestellt werden muss. An einer Einzelperson wie einem Schiedsrichter ein Exempel zu statuieren, ist nicht schwer und heuchelt Tatkraft und Entschlossenheit, wo es zuvörderst darum geht, sich selbst aus der Schusslinie zu bringen. Denn wenn ein Verein, dessen Zuschauer so lange antisemitische Parolen dreschen dürfen, bis die gegnerische Mannschaft vom Platz geht, dessen Spieler und Verantwortliche sich ausdauernd taub stellen und noch nicht einmal hinterher ein Wort des Bedauerns finden, von nachhaltigen und einschneidenden Maßnahmen verschont bleibt, wird das wohl kaum dazu führen, dass sich Szenen wie in Altglienicke – mit fast 20 Prozent der Wählerstimmen eine absolute NPD-Hochburg – künftig nicht wiederholen. Sprüche wie „Synagogen müssen brennen“, „Dies ist kein Judenstaat, dies ist keine deutsche Judenrepublik“ oder „Vergast die Juden“ erscheinen 61 Jahre nach Auschwitz als reines Kavaliersdelikt. Kaum zu glauben.