26.8.07

Debütantenbälle

Zwei außergewöhnliche Premieren gab es an diesem Wochenende im deutschen Fußball, doch sie machten keine großen Schlagzeilen – wohl vor allem deshalb, weil sie nicht in der Eliteklasse aufgeführt wurden, sondern im Unterbau, der Zweiten Liga: Beim Spiel zwischen dem FSV Mainz 05 und Borussia Mönchengladbach gab mit dem Mainzer Stefan Markolf (23) am Freitag der erste Gehörlose im Lizenzspielerbetrieb seinen Einstand. Bei den Gästen wiederum kam Roberto Colautti (25) zum Debüt für seinen neuen Klub. Er ist der dritte israelische Profi in Deutschland – und der erste seit zwanzig Jahren.

Stefan Markolf (Foto, links) ist von Geburt an zu 90 Prozent taub. Fußball gespielt hat er schon mit fünf Jahren, in seinem Geburtsort Witzenhausen in der Nähe von Göttingen. Auf dem Platz trägt er widerstandsfähige Hörgeräte, mit denen er Umweltgeräusche jedoch nur bedingt wahrnehmen kann. Sein Gleichgewichtssinn hingegen funktioniert einwandfrei. „Im Verhalten auf dem Platz sieht man dem linken Verteidiger seine Beeinträchtigung dennoch an“, schrieb Daniel Meuren im Tagesspiegel, „im positiven Sinn: Markolf blickt sich deutlich mehr um als anderen Spieler, er sucht öfter den Augenkontakt zu Mitspielern und stimmt mit Gestiken das Verhalten im Abwehrspiel ab“. Gelegentlich kommt es vor, dass er einen Pfiff des Schiedsrichters überhört und weiterspielt; die Referees werden jedoch vor dem Spiel in Kenntnis gesetzt, und daher gibt es auch keine Gelbe Karte.

„Ich habe gegenüber anderen Spielern den Vorteil, dass ich die ganzen Rufe von Mitspielern und von der Seitenlinie nicht höre“, sagt Stefan Markolf, „da rufen ja teilweise drei auf einmal, weil sie alle denken, dass sie am besten positioniert sind“. Das beeinflusst ihn nicht, und so hat er mehr Ruhe, um sich den nächsten Spielzug zu überlegen. Sein Trainer Jürgen Klopp bestätigt: „Stefan hat tatsächlich eine sehr gute Spielübersicht, weil er darauf mehr angewiesen ist als andere Spieler.“ Markolf ist sogar Nationalspieler – in der deutschen Auswahl der Gehörlosen, die 2008 an der Weltmeisterschaft teilnimmt. Ob der Mainzer mit dabei ist, ist allerdings noch nicht sicher – sein Klub braucht ihn ebenfalls. Einen Gebärdendolmetscher muss er übrigens nicht in Anspruch nehmen: Den Anweisungen seines Trainers folgt er, indem er sie ihm im Wortsinne von den Lippen abliest, und seinen Mitspielern kann er sich sprachlich ohne Einschränkung mitteilen.

Letzteres gilt für Roberto Damian Colautti (Foto, rechts) noch nicht, denn sein Wechsel nach Mönchengladbach kam erst vor wenigen Tagen zustande, und so blieb bisher kaum Zeit für den Neuzugang, um sich mit der deutschen Sprache vertraut zu machen. Colautti ist gebürtiger Argentinier und mit einer Israelin verheiratet. Vor drei Jahren wechselte er von den Boca Juniors Buenos Aires zu Maccabi Haifa, für die er in 90 Erstligaspielen 39 Tore schoss – eine sehr gute Bilanz. Noch besser fällt sie jedoch in Bezug auf seine Einsätze in der israelischen Nationalmannschaft aus, für die er seit September letzten Jahres unterwegs ist: Mit sechs Toren in sieben Spielen trug er maßgeblich dazu bei, dass sie sich weiterhin berechtigte Hoffnungen machen darf, an der Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz teilnehmen zu können. Die Borussia hat also einen erfolgreichen Torjäger unter Vertrag genommen, für drei Jahre und eine Ablösesumme, die bei 1,5 Millionen Euro gelegen haben soll.

Dass es gerade die Gladbacher waren, die Colautti verpflichteten, ist dabei kein Zufall. Denn dort sieht man sich bei der Kooperation mit Israel in einer „Vorreiterrolle“, wie Geschäftsführer Stephan Schippers betont. Zu Recht: Schon im August 1969 trug man auf dem heimischen Bökelberg ein Freundschaftsspiel gegen das Nationalteam des jüdischen Staates aus. Und auch der allererste israelische Profi in Deutschland spielte bei den Niederrheinern: Shmuel Rosenthal lief in der Spielzeit 1972/73 dreizehn Mal für den fünffachen Deutschen Meister auf und erzielte dabei ein Tor, nämlich das 2:0 beim 3:1-Sieg gegen Hannover 96. Am Saisonende war Rosenthal DFB-Pokalsieger; im Uefa-Cup verlor sein Klub erst im Finale gegen Liverpool, und in der Bundesliga erreichte er den fünften Platz. Dennoch musste der dreifache israelische Nationalspieler Mönchengladbach wieder verlassen, „wegen seiner zuweilen allzu sorglosen Interpretation der Libero-Rolle“, wie es in der offiziellen Vereinschronik heißt. Länger als Rosenthal spielte David Pizanti in der Bundesliga, nämlich zwischen 1985 und 1987 für den 1. FC Köln. Er kam in dieser Zeit auf 19 Spiele in der höchsten deutschen Spielklasse, und auch sein Klub stand in einem Uefa-Pokal-Endspiel, das er ebenfalls verlor: gegen Real Madrid.

Es hat nicht nur sportliche Gründe, dass Roberto Colautti erst der dritte israelische Spieler hierzulande ist, sondern auch die obligatorischen politischen: „Schon 1972 wurden aus dem Gladbacher Kader Ängste geäußert, die sich mit der allgegenwärtigen Terrorgefahr beschäftigten“, erinnerte Roland Leroi in der Welt. „Der damalige Manager Helmut Grashoff versuchte derlei Sorgen trotz des Attentats auf israelische Sportler bei den Olympischen Spielen in München im September 1972 zu verwischen. Am Ende entpuppten sich die Befürchtungen als grundlos.“ Darauf hofft nun, 35 Jahre später, auch Grashoffs Nachfolger Schippers: „Wir haben uns über dieses sensible Thema natürlich Gedanken gemacht, sehen aber keine Veranlassung zu weiterführenden Maßnahmen“, sagte er. „Unser Busfahrer wird jetzt nicht mit einer Waffe ausgerüstet.“ Anders stellt sich die Lage beim Qualifikations-Rückspiel Deutschlands gegen Israel für die U21-Europameisterschaft dar, das am 8. September nächsten Jahres ausgetragen wird: Man werde vor allem „bei der Auswahl des Stadions die Sicherheitsfrage berücksichtigen“, kündigte DFB-Sprecher Jens Grittner an.

4:1 für die Gastgeber aus Mainz endete der Debütentenball in der Zweiten Liga übrigens, weshalb Stefan Markolf sich vermutlich deutlich lieber an seinen Einstand erinnern wird als Roberto Colautti. Zudem wurde ersterer schon nach 21 Minuten eingewechselt – da hieß es bereits 2:0 –, während der Gladbacher 78 Minuten warten musste, bis er eingreifen durfte. Beim Spielstand von 1:4 gegen sein Team vermochte aber auch er nichts mehr zu retten.