26.3.08

Jekyll & Hyde in Bonn

Es gibt eine Geschichte, die das Weltbild und den Geisteszustand des notorischen Quälgeistes Ludwig Watzal besonders anschaulich illustriert, auch wenn sie schon eine Weile zurück liegt. Anfang Juni 2005 veröffentlichte der Politikwissenschaftler in der Wochenzeitung Freitag eine ausführliche Rezension des von Jöran Jermas alias Israel Shamir verfassten und im Promedia Verlag erschienenen Buches Blumen aus Galiläa, das sowohl bei Holocaustleugnern als auch bei linken Antizionisten spitze Schreie der Begeisterung ausgelöst hatte. Der Wiener Publizist Karl Pfeifer wies seinerzeit überzeugend nach, dass es sich bei dem Werk um eine durch und durch antisemitische Hetzschrift handelt, die „Zeichen eines Brückenschlags antiimperialistischer Linker mit Rechtsextremisten“ ist. Watzal hingegen adelte Shamirs Ergüsse als „freimütige Darstellung Israels und seiner Politik, die viele so nicht sehen und wahrhaben wollen“, und verlieh dem Verfasser anerkennend das Attribut „bissig-literarisch“. Geschlagene acht (!) Monate später ruderte er dann zurück, wiederum im Freitag. Kamen ihm Shamirs Tiraden bis dato „intellektuell durchaus anspruchsvoll vor“, weil sie „philosophischen, theologischen, literarischen und gesellschaftspolitischen Sachverstand“ offenbart hätten, so müsse er nun konzedieren: „Dazwischen gibt es immer wieder Formulierungen, die bedenklich stimmen“ (er meinte vermutlich „nachdenklich stimmen“ oder „bedenklich sind“), ja, sogar „völlig inakzeptabel“ seien und „judeophobes, verschwörungstheoretisches und antisemitisches Denken“ zum Ausdruck brächten. Seine ausgesprochen späte Kehrtwende begründete Watzal mit den dürren Worten: „Als Rezensent dieses Buches war ich überrascht, dass es auch israelische Antisemiten gibt, hatte aber als Deutscher Skrupel, einem Israeli Antisemitismus vorzuwerfen.“

Einmal abgesehen davon, dass der vermeintliche Israeli längst ein Schwede geworden und nach eigenen Angaben zum Christentum konvertiert war, empfand es der promovierte Politologe also offensichtlich nicht als Peinlichkeit, sein Urteil über Shamirs Ansichten weniger an wissenschaftlichen, also inhaltlichen Kriterien festgemacht zu haben als vielmehr vor allem an der Herkunft respektive Staatsangehörigkeit des Autors. Und Watzals treuherzige Behauptung, er habe „als Deutscher Skrupel“ gehabt, „einem Israeli Antisemitismus vorzuwerfen“, war nichts weiter als eine so klägliche wie durchschaubare Ausrede: Ihm war in seiner ersten Rezension im Freitag deutlich die Freude darüber anzumerken, für seinen eigenen kruden Standpunkt scheinbar einen jüdischen Kronzeugen der Extraklasse gefunden zu haben. Erst ein knappes Dreivierteljahr später wurde bei Watzal aus dem „Israelkritiker“ Shamir, der „die brutale Unterdrückung der Palästinenser mutig anprangert“, plötzlich der Antisemit Shamir. Diese erstaunliche Wendung war allerdings nicht Folge einer langsam gereiften Einsicht des Politikwissenschaftlers, sondern bloß ein taktischer Kniff: Die Blumen aus Galiläa waren in der Presse zwischenzeitlich dermaßen einhellig als Traktat eines fanatischen Judenhassers verrissen worden, dass selbst Watzal gar nicht mehr anders konnte, als vorübergehend den Rückzug anzutreten – zumal sogar einige seiner wichtigsten antiisraelischen Kronzeugen bereits auf Distanz zu Shamir gegangen waren. Watzal versuchte in seiner zweiten Besprechung zwar noch verzweifelt, den Antizionismus vor dem Antisemitismus zu retten, doch dieses Ansinnen war naturgemäß zum Scheitern verurteilt – schließlich hatte er selbst gerade einmal mehr eindrucksvoll demonstriert, dass das eine mit dem anderen identisch ist. Dumm gelaufen.

Und auch wenn es Watzal sonst stets darum zu tun ist, den Volksmund zu füttern: Er ist die personifizierte Widerlegung der landläufigen Ansicht, dass Schaden klug macht. Eher schon verfährt er seit ehedem wie die Katze, die das Mausen nun mal nicht lassen kann. Skrupel wie jene, die er gegenüber dem angeblichen Israeli Shamir „als Deutscher“ gehabt haben will, sind ihm dabei prinzipiell fremd: Israel ist für Watzal eine „wild gewordene Kolonialmacht“, die eine „ethnische Säuberung“ an den Palästinensern vollziehe – einem „Dritte-Welt-Volk, das um seine Selbstbestimmung und Freiheit kämpft“ – und dabei noch schlimmer vorgehe als Südafrika während der Apartheid. Vom palästinensischen Terror schreibt er grundsätzlich nur in Anführungszeichen, denn er zieht es vor, in ihm den Ausdruck eines „legitimen Widerstandsrechts“ zu sehen. Den Oslo-Prozess bezeichnet Watzal als „palästinensisches Versailles“ und die Camp-David-Verhandlungen 2000 als Versuch eines amerikanisch-israelischen „Diktatfriedens“. Vom neuesten Buch des antizionistischen Historikers Ilan Pappe („Die ethnische Säuberung Palästinas“) ist er genauso begeistert wie die rechtsradikale Deutsche Nationalzeitung – der Pappe darob auch gleich ein Interview gewährte –, während er Pappes Kontrahenten Benny Morris schlicht für einen Rassisten und Kolonialisten hält. Die Aufzählung ließe sich beliebig fortführen, denn an Material mangelt es wirklich nicht, um unumwunden feststellen zu können: Ludwig Watzal ist – auch wenn er juristisch schon mal das Gegenteil feststellen lassen will – ein Antisemit vor dem Herrn, der Natan Sharanskys 3-D-Test dementsprechend mit Sternchen besteht.

Deshalb hat er auch eine Menge Fans, bei Attac wie beim Linksruck, bei der Deutsch-Arabischen Gesellschaft wie bei der Westfälisch-Palästinensischen Seelsorge für gestrandete Hobbykünstler, bei der Antiimperialistischen Koordination wie bei der Eisernen Krone. Sie alle laden ihn gerne ein oder veröffentlichen mit Vergnügen Texte von ihm. Letzteres geschieht zwar nicht immer mit Watzals ausdrücklicher Zustimmung, aber darauf kommt es auch gar nicht an – schließlich ist es kein Zufall, dass die Judenhasser aller Fraktionen ihn so unwiderstehlich finden. Deshalb ist der manische Aufwand, den Watzal im Fall eines nicht von ihm autorisierten Abdrucks betreibt, nichts weiter als eine Spiegelfechterei, die über inhaltliche Kongruenzen nicht hinwegtäuschen kann. Dessen ungeachtet reagiert der 57-Jährige stets nach dem gleichen Schema, wenn ihm jemand auf die Schliche gekommen ist: Er fühlt sich von einem „verleumderischen Netzwerk“ verfolgt oder sieht sich als Opfer einer „Diffamierungskampagne von antideutschen und neokonservativen Extremisten“ und verschickt „Richtigstellungen“, in denen er umständlich nachzuweisen versucht, diese oder jene Veröffentlichung nicht genehmigt zu haben, und in denen er darüber hinaus die gegen ihn gerichteten Vorwürfe zu widerlegen glaubt, sie in Wirklichkeit jedoch mit jeder weiteren Zeile nur bekräftigt. Dabei tun seine Kritiker im Grunde genommen nichts anderes, als ihn zu zitieren und damit deutlich zu machen, dass er sich seine Anhänger redlich verdient hat. Misszuverstehen ist dieser Mann jedenfalls nicht und Opfer irgendwelcher Verleumdungen schon gleich gar nicht.

Letztlich heißt der Skandal dennoch nicht Ludwig Watzal, sondern Bundeszentrale für politische Bildung. Für die BpB ist Watzal nämlich immer noch als Redakteur tätig – und das spricht Bände. Zwar hat sie ihm vor drei Jahren untersagt, seine Publikationen zum Thema Nahost respektive Israel mit seiner Funktion bei der Bonner Behörde in Verbindung zu bringen. Doch wenn er als „Privatperson“ – also quasi als Freizeitantisemit – gegen den jüdischen Staat zu Felde zieht, nimmt sein dem Bundesinnenministerium unterstellter Arbeitgeber ausdrücklich keinen Anstoß. Mit anderen Worten: Watzal darf schreiben, was er will, er darf sich dabei nur nicht als Mitarbeiter der BpB zu erkennen geben. „Das ist eine interessante Konstruktion, sozusagen eine Neuauflage der Geschichte von Dr. Jekyll und Mr. Hyde mit einem beamtenrechtlichen Hintergrund“, kommentierte Henryk M. Broder auf der Achse des Guten treffend. „In letzter Konsequenz könnte man sich fragen, ob Jack the Ripper nicht ein ganz normaler Metzger war, der in seiner freien Zeit einem Hobby nachging, das mit seiner beruflichen Tätigkeit nichts zu tun hatte.“ Dass die Einrichtung, die früher Bundeszentrale für Heimatdienst hieß, keinen Handlungsbedarf in der Causa Watzal sieht, ist andererseits nur konsequent. Denn mit Israel hat man es dort generell nicht so. Ganz öffentlich übrigens, nicht nur privat.