21.3.08

Mind the gap

Man muss Angela Merkels Rede vor der Knesset nicht unbedingt gelesen haben, um zu dem Schluss zu kommen, dass sie die wohl beste war, die jemals von einem führenden Mitglied des politischen Personals der Bundesrepublik Deutschland in Israel gehalten wurde. Denn bereits eine Reihe von Indikatoren zeigt genau das an: Wenn die Kommentatoren in den deutschen Medien nahezu unisono – und teilweise in scharfem Ton – bemängeln, die Kanzlerin sei ihren Gastgebern gegenüber nicht kritisch genug gewesen (und in den diversen einschlägigen Internetforen aus dem gleichen Grund Gift und Galle gespuckt wird), dann muss Merkel eine ganze Menge richtig gemacht haben. Sie dürfe „sich nicht von der Umarmung Israels erdrücken lassen“, schnarrte denn auch Thorsten Schmitz in der Süddeutschen Zeitung und moserte: „In ihrer Rede kamen die Palästinenser mit fast keinem Wort vor.“ Merkel müsse aber „ihre Unabhängigkeit bewahren und Israel ohne Phrasen und Verklausulierungen für dessen Besatzungs- und Siedlungspolitik kritisieren“. Das fand erwartungsgemäß auch die unvermeidliche Ulrike Putz auf Spiegel Online: „Ein bisschen mehr Biss, wie ihn Außenminister Frank-Walter Steinmeier unlängst an den Tag legte, als er den geplanten Ausbau jüdischer Siedlungen in Ost-Jerusalem kritisierte, hätte an dieser Stelle sicher nicht geschadet. Und dem Ansehen Deutschlands bei den arabischen Staaten gut getan.“ Genau darum nämlich, folgt man einer nassforschen Nahostkorrespondentin, muss es offenbar gehen, wenn die deutsche Kanzlerin dem jüdischen Staat zum sechzigsten Geburtstag gratuliert: Sie muss das Ansehen des Nachfolgestaates des Dritten Reichs bei jenen mehren, die den Staat der Shoa-Überlebenden lieber heute als morgen dem Erdboden gleich machen und damit zu Ende führen würden, was die Deutschen dereinst nicht ganz zu Ende gebracht haben.

Man muss Angela Merkels Rede vor der Knesset aber auch nicht unbedingt gelesen haben, um große Zweifel daran zu hegen, dass ihren warmen Worten auch Taten folgen werden. Denn die Reaktionen in Israel zeigen das bereits. Zwar erhielt Merkel viel Beifall für ihre Solidaritätsadresse, aber es waren auch sehr kritische Töne zu vernehmen. Angesichts der deutschen Appeasement-Politik gegenüber dem Iran und der exzellenten wirtschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik zu den Mullahs glaubt man im jüdischen Staat nämlich nicht so recht daran, dass die deutsche Regierung tatsächlich zu nachdrücklichen Maßnahmen gegen die atomare Bedrohung Israels durch die Teheraner Theokratie willens und entschlossen ist. Und so eindringlich die Kanzlerin vor der Gefahr warnte, die vom iranischen Nuklearprogramm ausgehe, so immer gleich wie nachweislich wirkungslos sind die Rezepte, die sie dagegen anzubieten hatte: Verhandlungen, Sanktionen, UN-Resolutionen. „Deutschlands Handeln gegenüber dem Iran kann mit Merkels Reden über die Unterstützung Israels und die Verpflichtung zu seiner Sicherheit nicht in Einklang gebracht werden“, kommentierte Caroline Glick in der Jerusalem Post deshalb bereits vor Merkels Knesset-Ansprache. Generell hätten sich die Europäer angesichts des arabisch-islamischen Drucks dafür entschieden, diesen zu beschwichtigen, befand Glick: „Das tun sie, indem sie Israel angreifen, die Palästinenser unterstützen und die Entwaffnung oder politische Niederlage der Hizbollah im Libanon verhindern.“

In der Haaretz bezeichnete Benjamin Weinthal – ebenfalls bereits vor Merkels Rede – die deutschen Beziehungen zum jüdischen Staat als „Tango“: einen Schritt vor, einen zurück. Zwar gebe es durchaus einen vielfältigen kulturellen, politischen und intellektuellen Austausch zwischen beiden Ländern; gleichzeitig blieben Sonntagsreden gegen den Antisemitismus in Deutschland jedoch Lippenbekenntnisse. Und so könne etwa ein Wissenschaftler wie der unter anderem für die Bundeszentrale für politische Bildung tätige Ludwig Watzal weiterhin auf Staatskosten seine Attacken gegen Israel reiten, ohne dass ihm jemand in die Parade fahre. Weinthal wies zudem auf die große Lücke hin, die es zwischen den offiziellen Bekundungen von Politikern zu Israel und den diesbezüglichen Ansichten von „Otto Normalverbraucher“ gebe. Wie Recht er damit hat, zeigen zwei neue Umfragen: Nach einer Erhebung von Emnid und den Sendeanstalten Sat.1/N24 sind 52 Prozent der Deutschen der Ansicht, 60 Jahre nach der Gründung Israels und 63 Jahre nach der Shoa keine besondere Verantwortung oder Verpflichtung gegenüber dem jüdischen Staat zu haben. Und in einer Befragung des Spiegel äußerten 91 Prozent der Befragten, sie wollten im israelisch-palästinensischen Konflikt „neutral“ bleiben. Dass dieses Votum für eine vermeintliche Äquidistanz vor allem eine Weigerung ist, sich auf die Seite Israels zu schlagen und Partei gegen dessen Feinde zu ergreifen, liegt auf der Hand.

Nur drei Prozent übrigens bezogen in der Umfrage eine dezidiert proisraelische Position. Insofern ist Angela Merkel vor der Knesset zumindest gerade nicht als das aufgetreten, was sie zu sein glaubt: als Volksvertreterin nämlich. Ein Glück.