6.3.08

Austrias Anschlussbilanz

In wenigen Tagen jährt sich die von den Nationalsozialisten „Anschluss“ genannte De-facto-Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich zum siebzigsten Mal. Am 12. März 1938 hatte Adolf Hitler Wehrmachtssoldaten und Polizisten in das Alpenland einmarschieren lassen, die dort vielfach mit Begeisterung empfangen wurden. Einen Tag später beschloss die austrofaschistische Regierung unter Arthur Seyß-Inquart das „Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“, und am 15. März verkündete Hitler auf dem Wiener Heldenplatz unter dem Jubel Zehntausender „den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich“. Dennoch hält sich in Österreich noch immer hartnäckig die Legende, das „erste Opfer des Nationalsozialismus“ gewesen zu sein. Diese Mär gehörte zu den Gründungsmythen der Zweiten Republik; es hat Jahrzehnte gedauert, bis sie überhaupt in nennenswertem Ausmaß in Frage gestellt wurde und es ganz langsam in Teile des öffentlichen Bewusstseins vordrang, wie groß der Umfang war, in dem sich Österreicher an den Verbrechen des Nationalsozialismus beteiligten.

Doch ähnlich wie in Deutschland glaubt man auch im Nachbarstaat, die viel beschworenen „Lehren aus der Vergangenheit“ inzwischen gezogen und die Geschichte hinreichend „aufgearbeitet“ zu haben. „Aber man muss fragen: Welche Lehren sind das?“, schrieb Simone Dinah Hartmann, Sprecherin des überparteilichen Bündnisses Stop the Bomb, Mitte Februar in einem Beitrag für die israelische Tageszeitung Jerusalem Post. Und sie befand: „Ganz sicher gehört die wichtigste nicht dazu, nämlich die Verteidigung des Existenzrechts Israels.“ Aktueller Hintergrund dieser Einschätzung ist vor allem der geplante Vertrag zwischen der österreichischen OMV – einem der führenden Erdöl- und Erdgasunternehmen Mitteleuropas, das zu knapp einem Drittel dem österreichischen Staat gehört – und dem iranischen Mullah-Regime. „Experten sind davon überzeugt“, so Hartmann weiter, „dass diese Summe dazu verwendet werden wird, das iranische Atomprogramm zu finanzieren und die aktuellen internationalen Sanktionen gegen den Iran zu unterlaufen“. Das würde insbesondere die existenzielle Gefahr für Israel weiter steigern.

Stop the Bomb organisiert seit Dezember letzten Jahres den Protest gegen das iranische Atomprogramm und insbesondere gegen den vorgesehenen Deal zwischen der OMV und der Teheraner Theokratie. Die Petition der Initiative wird mittlerweile von mehr als 3.400 Menschen unterstützt; zu den Erstunterzeichnern gehörten unter anderem Beate Klarsfeld, Leon de Winter und Elfriede Jelinek. Der Appell stieß auf breite Resonanz, auch in der internationalen Presse, und die Zahl der Kritiker des angestrebten, 22 Milliarden Euro schweren Abkommens stieg seitdem allmählich. Das sei auch dringend notwendig, urteilte Hartmann: „Der geplante OMV-Deal mit dem Iran würde Österreich und Europa zu langfristigen strategischen Partnern des iranischen Regimes machen.“ Und das sei unerträglich: „Der jüdische Staat wurde gegründet, nachdem Österreicher und Deutsche sechs Millionen Juden in Gaskammern umgebracht hatten“, sagte die Stop the Bomb-Sprecherin der Tageszeitung Die Welt. „Und nun helfen die Mörder und deren Kinder nicht den Opfern und ihren Nachkommen, sondern den Mördern von heute und morgen.“ Lizas Welt dokumentiert im Folgenden den ins Deutsche übersetzten und von der Autorin leicht überarbeiteten Aufsatz aus der Jerusalem Post, der die Dimensionen des OMV-Geschäfts verdeutlicht, das Geschäftsgebaren dieses Unternehmens unter die Lupe nimmt, die österreichisch-iranischen Handelsbeziehungen analysiert und die Reaktionen der österreichischen Politik resümiert.


Simone Dinah Hartmann

Österreich: Irans Tor zu Europa


Als Hitler im März 1938 in Österreich einmarschierte, waren es außergewöhnlich viele ÖsterreicherInnen, die ihn willkommen hießen und den „Anschluss“ an Deutschland begrüßten. Eine überproportional große Zahl von ÖsterreicherInnen diente der Todesmaschinerie der Nazis, um die „Endlösung“ der „Judenfrage“ ins Werk zu setzen. Trotz dieser Tatsachen stellte sich Österreich über 50 Jahre lang als erstes Opfer des Nationalsozialismus dar. Es bedurfte schon einer neuen Generation von HistorikerInnen und PolitikwissenschaftlerInnen, um 30 Jahre nach dem Prozess gegen Eichmann endlich zu der Einsicht zu gelangen, dass ÖsterreicherInnen in den Massenmord involviert waren. Während des letzten Jahrzehnts arbeitete Österreich daran, sich als Land zu präsentieren, das sich mit seiner Vergangenheit beschäftigt und die geeigneten historischen Lehren aus ihr gezogen hat. Aber man muss fragen: Welche Lehren sind das? Ganz sicher gehört die wichtigste nicht dazu, nämlich die Verteidigung des Existenzrechts Israels.

Im April 2007 unterzeichnete der österreichische Erdölkonzern OMV, der teilweise dem österreichischen Staat gehört, einen Vorvertrag mit dem Iran über ein gemeinsames Erdgasprojekt. Das Gesamtvolumen dieses geplanten Geschäfts soll 22 Milliarden Euro bei einer Laufzeit von 25 Jahren betragen. Experten sind davon überzeugt, dass diese Summe dazu verwendet werden wird, das iranische Atomprogramm zu finanzieren und die aktuellen internationalen Sanktionen gegen den Iran zu unterlaufen. Die OMV ist dabei nicht irgendein Unternehmen – sie ist die größte Mineralölgesellschaft in Mitteleuropa. Der österreichische Staat hält 31,5 Prozent der Anteile an ihr. Wolfgang Ruttensdorfer, der Generaldirektor der OMV, gehörte mehrere Jahre lang der österreichischen Regierung an – für die SPÖ, die schon immer über enge Verbindungen zur OMV verfügte.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die OMV auf problematisches Terrain begibt. Denn sie war es auch, die 1968 das erste Gasabkommen mit der Sowjetunion schloss. Die Gasimporte begannen unmittelbar nach der Niederschlagung des Prager Frühlings durch Panzer des Warschauer Pakts. 1980 unterzeichnete die OMV eine Vereinbarung mit Libyen als Teil eines internationalen Konsortiums und Ende der 1990er Jahre einen Kontrakt mit dem durch den Bürgerkrieg zerrütteten Sudan. Der damalige Pressesprecher des Unternehmens argumentierte seinerzeit, die OMV müsse trotz der Risiken im Sudan dort tätig werden, wo das Öl am billigsten sei und wo man keine amerikanische Konkurrenz zu befürchten habe. Im Jahre 2003 war die OMV schließlich der einzig verbliebene internationale Konzern im Sudan – die übrigen Mineralölgesellschaften hatten sich zurückgezogen, als sich die Krise zuspitzte und zehntausende Menschen von arabischen Milizen, die von der sudanesischen Regierung finanziert wurden, ermordet worden waren. Ende 2003 verkaufte die OMV ihre Anteile an asiatische Unternehmen.

Das Geschäft der OMV mit dem Iran ist die logische Fortsetzung der Verstrickung dieses Konzerns mit diktatorischen Regimes, die ihre eigene Bevölkerung unterdrücken und ermorden. Dennoch gibt es in Bezug auf den Iran Unterschiede: Die wiederholten Drohungen der Mullahs, Israel zu vernichten, und die Unvergleichlichkeit des Regimes hebt den Deal in den Rang einer existenziellen Frage – nicht nur für das jüdische Volk, sondern für die ganze Welt, die von der gewaltsamen Expansion der islamischen Herrschaft bedroht ist. Dennoch wird das Abkommen von allen im österreichischen Parlament vertretenen Parteien unterstützt. Sozialdemokraten, Konservative, Grüne und die extreme Rechte haben die Reihen fest geschlossen und verweigern sich Forderungen, die Verhandlungen mit dem Iran einzustellen. Ironischerweise machte der sozialdemokratische österreichische Kanzler Alfred Gusenbauer unlängst überdeutlich, dass die Menschenrechte hinter wirtschaftlichen Interessen zurückstehen müssten. Seine Regierung will sich deshalb nicht einmischen, trotz der fortgesetzten Repression, die vom iranischen Terrorregime ausgeht.

Die jüngste Kritik der deutschen Kanzlerin Angela Merkel – die sagte, Österreich sei dabei, mit dem Abschluss eines solchen Vertrags einen gefährlichen Präzedenzfall zu schaffen – wurde mit dem Verweis auf den privatwirtschaftlichen Charakter der OMV gekontert, obwohl der österreichische Staat der größte Anteilseigner des Unternehmens ist. Am 3. Februar jedoch unterschrieb mit Albert Steinhauser, dem Justizsprecher der Grünen, der erste Parlamentsabgeordnete die Online-Petition gegen den Deal zwischen der OMV und dem Iran. Es besteht die Hoffnung, dass er mit seiner Courage ein Vorbild für weitere Parlamentsmitglieder ist und dass diese endlich begreifen, dass es höchste Zeit zum Handeln ist.

Während des jüngsten Besuchs einer Delegation iranischer Parlamentarier im Dezember 2007 sprach Helmut Kukacka, konservativer Abgeordneter und Kopf der österreichisch-iranischen Parlamentariergruppe, über die guten bilateralen Beziehungen, die auch nach der Islamischen Revolution fortdauerten. „Österreich ist sehr daran interessiert, die Freundschaft zwischen den beiden Ländern zu stärken“, sagte er. Ein anderer Konservativer – Michael Spindelegger, der Vizepräsident des Nationalrats – lobte die iranische Delegation dafür, den Dialog fortgesetzt und vertieft zu haben. Es war jedoch vor allem bemerkenswert, was in der Diskussion nicht zur Sprache kam: der iranische Wunsch nämlich, Israel zu vernichten. So warf die Debatte ein Schlaglicht auf das österreichische Bewusstsein, das sich durch eine lange Geschichte des Vergessens und Verdrängens auszeichnet – bis zu dem Punkt, an dem Österreich sich weigert, etwas zu unternehmen, um einen weiteren Judenmord zu verhindern.

Österreich hat das iranische Mullah-Regime schon immer behandelt wie ein rohes Ei. 1989 wurde der Vorsitzende der Demokratischen Partei Kurdistan-Iran, Abdel Rahman Ghassemlou, in Wien vom iranischen Regime ermordet. Kein einziger Verdächtiger – darunter Berichten zufolge Mahmud Ahmadinedjad, wurde jemals vor Gericht für dieses Verbrechen zur Verantwortung gezogen. Stattdessen setzten iranische Diplomaten die österreichische Regierung unter Druck und forderten die Ermittlungen einzustellen, die sich auf das iranische Kommando konzentrierten, das am Ort des Mordes angetroffen worden war. Unmittelbar nachdem dieses Kommando Österreich verlassen hatte, wurden Haftbefehle erlassen, die jedoch ohne Konsequenz blieben.

Österreich hat stets versucht, seine Beziehungen in jedem Sektor der iranischen Wirtschaft zu verbessern. Mitten im irakisch-iranischen Krieg beispielsweise schickte die VOEST, ein staatliches Stahlunternehmen, 200 Kanonen via Libyen in den Iran. Und in den letzten Jahren verkaufte der österreichische Waffenkonzern Steyr-Mannlicher Präzisionsgewehre an den Iran. Nach Angaben des American Enterprise Institute macht der militärisch-industrielle Komplex elf Prozent des österreichisch-iranischen Handelsvolumens aus. Seit 2002 haben sich die österreichischen Exporte in den Iran verdoppelt, aber sie gehen immer noch nur in die Millionen, nicht in die Milliarden. Der geplante OMV-Deal mit dem Iran würde das ändern und Österreich sowie Europa zu langfristigen strategischen Partnern des iranischen Regimes machen. „Österreich ist für uns das Tor zur Europäischen Union“, so Ali Naghi Khamoushi, der Präsident der iranischen Handelskammer, im November 2006.

Im März 2008 wird Österreich offiziell das 70-jährige Jubiläum des „Anschlusses“ betrauern. Zwei Monate später wird es an den 60-Jahres-Feierlichkeiten des Staates Israel teilnehmen. Diese Ereignisse sollten Anlass zu einer moralischen Gewissensprüfung sein. Österreich muss seine moralische Rhetorik in konkretes Handeln umsetzen, wenn es unter Beweis stellen will, dass es seine Lektion gelernt hat. Diese Worte würden mit Inhalt gefüllt, und es würde zudem ein deutliches Zeichen gesetzt, wenn durch eine Aufkündigung des geplanten größten Ölabkommens aller Zeiten zwischen einem europäischen Unternehmen und den Mullahs zumindest der Versuch unternommen wird, die atomaren Ambitionen des Irans zu stoppen.

Übersetzung und Bildmontage: Lizas Welt