4.3.08

Die Libido der „Israelkritiker“

Es war so sicher wie das Allahu akbar in der Moschee, welche Reaktionen es in diesen Breitengraden geben würde, sollte Israel den immer stärkeren Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen nicht mehr einfach hinnehmen wie bisher, sondern sich nachdrücklich zur Wehr setzen. É voilà: Die Vereinten Nationen finden die jüngsten israelischen Maßnahmen gegen die Terrorbanden Hamas und Islamischer Djihad „unverhältnismäßig“ und „überzogen“, die Europäische Union äußert sich fast gleich lautend, und auch die deutsche Presse ergeht sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in den gewohnten Anklagen gegen den jüdischen Staat und seine Armee, die ein viehisches Gemetzel gegen unschuldige Palästinenser ins Werk gesetzt hätten. Der Grund für den Militäreinsatz Israels wird in der Regel bestenfalls am Rande erwähnt; demgegenüber stehen leidende Bewohner des Gazastreifens im Mittelpunkt, die nicht einmal mehr „die Kraft haben, sich zu empören“, weil sie „erschöpft von zu viel Trauer sind“, wie die Spiegel-Korrespondentin Ulrike Putz glaubt, die auch die Konsequenzen daraus vermeldet: „Ein Volk verschwindet im Untergrund“. Nur ein paar „Kämpfer“ – und nicht etwa Terroristen – des Islamischen Djihad halten nach Angaben der Reporterin umringt von spielenden Kindern die Stellung, als „menschliche Schutzschilde“ nämlich auf dem Dach eines Hauses, dessen Zerstörung die israelische Armee angekündigt habe.

Was eine deutsche Nahostkorrespondentin da mit kaum verhohlener Bewunderung schildert, markiert einen zentralen Punkt im Krieg zwischen den vom Iran unterstützten palästinensischen Terrororganisationen und Israel: Die Erstgenannten versuchen gezielt, sich die moralischen Schranken des jüdischen Staates zunutze zu machen. Sie besetzen das Dach des Hauses eines Terroristen, weil sie darauf zählen, dass es dann nicht bombardiert wird. Sie verschanzen sich in Wohngebieten und feuern von dort aus ihre Raketen ab, weil sie sicher sind, dass Israel nicht in diese zivilen Areale zurückschießt. Auf diese Weise entsteht eine Win-Win-Situation für sie: Greift die israelische Armee tatsächlich nicht ein, feiert die Hamas das als Sieg und verhöhnt ihren Feind auch noch als Schwächling. Geht die IDF jedoch militärisch gegen die Gotteskrieger vor, wird zunächst mit markigen Worten und in völliger Verdrehung der Tatsachen die angebliche Vernichtungsstrategie „der Zionisten“ beklagt, bevor man sich die unübersehbare Niederlage in einen Sieg zurechtlügt und die eigenen Eliminationsabsichten unmissverständlich bekräftigt. Dabei weiß die Hamas stets die Mehrheit der Westmedien auf ihrer Seite, denn natürlich stürzt die sich sofort auf die toten und verletzten Palästinenser und präsentiert die Bilder, die die Anklage gegen Israel untermalen sollen.

Ulrike Putz hat nun sogar den ultimativen Kniff gefunden, die Kassam- und Grad-Attacken gegen Israel nicht mehr verniedlichen zu müssen, sondern sie offensiv als nachgerade pazifistische Botschaft präsentieren zu können: „Wie die Hamas Israel zum Frieden bomben will“, lautet allen Ernstes die Überschrift eines gestern erschienenen Beitrags von ihr. Anschließend heißt es, ebenfalls gänzlich ironiefrei: „Die Hamas verstärkt ihren Raketenterror – und provoziert Vergeltungsschläge der Israelis. So will sie die Regierung Olmert zur Entscheidung zwingen: verhandeln oder Krieg führen? Jetzt signalisiert die Hamas Gesprächsbereitschaft.“ Und die Journalistin ergänzt: „Es war wohl ein Befreiungsschlag, ein Akt der Verzweiflung. [...] Der Angriff auf Ashkelon ist der Versuch, mit dem Spiel über die Bande einem Waffenstillstand mit den Israelis zu erreichen. [...] Die Hamas hat gezeigt, dass sie das Leben in einer israelischen Großstadt lahm legen kann, wenn sie nur will. Nun ist der Ball im Feld der Israelis.“ Man darf gespannt sein, wann Putz der Terrorcrew den heißen Tipp gibt, mit möglichst flächendeckenden und verlustreichen Selbstmordattentaten ihre Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft, ach was: ihren unbedingten Friedenswillen noch deutlicher zum Ausdruck zu bringen. Als finalen Befreiungsschlag, sozusagen. Es ist ja schließlich alles nur zum Besten des jüdischen Staates, den man bei allzu viel Herzweh halt auch mal mit unkonventionellen Mitteln dazu bringen muss, den Ball zurückzuspielen.

Derlei Demagogie – die selbst gestandenen Antiimperialisten Respekt abnötigen dürfte – ist nicht nur absurd, sie ist auch stramm antisemitisch. Der frühere stellvertretende israelische Premierminister Natan Sharansky hat vor vier Jahren in einem viel beachteten Aufsatz ausgeführt, wann die nicht nur hierzulande so überaus beliebte „Israelkritik“ nichts anderes ist als Judenhass. Dabei schlug er einen „3-D-Test“ vor, der jedoch nicht gänzlich neu sei, sondern im Grunde genommen „nur dieselben Kriterien auf den neuen Antisemitismus anwendet, die auch seit Jahrhunderten die verschiedenen Dimensionen des klassischen Antisemitismus identifiziert haben“. Diese „3 Ds“ sind: die Dämonisierung und Delegitimierung Israels sowie die Anwendung von Doppelstandards, das heißt: das Messen der Politik Israels mit anderen Maßstäben als denen, die an das Handeln anderer Staaten angelegt werden. Weshalb vor allem Ulrike Putz in diesem Test punktet, als gäbe es kein Morgen, und was die Libido der „Israelkritiker“ prägt, weiß Christian J. Heinrich in seinem Gastbeitrag für Lizas Welt.


Christian J. Heinrich

Moralische Demagogie


Seit sieben Jahren befindet sich Sderot unter Feuer; allein im Januar und Februar 2008 gingen 500 Raketen auf die israelische Grenzstadt nieder. 20.000 Menschen haben hier einmal gelebt; inzwischen hat ein Drittel von ihnen die Stadt verlassen und im israelischen Inland Sicherheit gesucht. Am letzten Februartag wurden gleich 50 Raketen auf Sderot abgefeuert; ein Einwohner wurde dabei getötet. Gleichzeitig wurde die israelische Großstadt Ashkelon von Palästinensern massiv unter Raketenbeschuss genommen. Ashkelon aber liegt nicht wie Sderot unmittelbar an der Grenze zu Gaza, sondern 17 Kilometer landeinwärts. Und es waren auch keine selbst montierten Kassam-Geschosse mehr, die dort einschlugen, sondern im Iran produzierte Grad-Raketen. Seit dieser von den Gaza-Terroristen betriebenen quantitativen wie qualitativen Eskalation sind die Israelis nicht mehr bereit, die Bombardierung ihres Landes mit immer mehr und immer präziseren Raketen hinzunehmen.

Doch erst als sich die Regierung in Jerusalem – nach Monaten ostentativer Zurückhaltung – zum überfälligen Schlag gegen die Hamas und ihre Infrastruktur entschloss, erst als der jüdische Staat zum Schutz seiner Bürger die sich absichtsvoll inmitten ziviler Wohngegenden verbergenden Terroristen ins Visier nahm, erst also, als es für die Terrorbanden (und damit auch für die als ihre menschlichen Schutzschilde fungierenden palästinensischen Zivilisten) gefährlich zu werden drohte, reagierte der UN-Sicherheitsrat mit einer Dringlichkeitssitzung. Äquidistanz simulierend, bedauerte man dort den „Verlust ziviler Menschenleben“ und forderte, „dass alle Parteien jegliche Akte der Gewalt sofort beenden müssen“. Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon bezeichnet Israels Militäraktion als „unverhältnismäßig überzogene Gewaltanwendung“. Nur das stille Erdulden des palästinensischen Terrors wäre wohl, so muss vermutet werden, von der Staatengemeinschaft weder als „unverhältnismäßig“ noch als „überzogen“ beurteilt worden.

Die im Falle einer weiteren Eskalation zwischen Israel und den Palästinensern bereits obligatorischen Statements der Vereinten Nationen sind zwar ohne jede politische Relevanz; dass sie erst im Moment der militärischen Reaktion Israels abgegeben wurden, entlarvt jedoch die Pose des angeblich neutralen Mittlers: Die Uno-Granden geben mit sorgenvoller Miene vor, schlichten zu wollen – als handelte es sich tatsächlich nur um einen „Konflikt“, wie allenthalben behauptet wird, und nicht um einen anhaltenden Krieg gegen Israel, gegen seine Existenz und seine Sicherheit. Die Uno beschweigt den vorangegangenen Rückzug der Israelis aus dem Gazastreifen, den Abbau aller jüdischen Siedlungen, die monatelange fatale Zurückhaltung von Regierungschef Olmert und Verteidigungsminister Barak trotz massiven Raketenbeschusses auf israelische Städte. Eben dies sind die doppelten Standards der Vereinten Nationen: Nicht der fortwährende Angriff auf den jüdischen Staat, sondern erst dessen Maßnahmen zur Selbstverteidigung motivieren Sicherheitsrat und Generalsekretär zur allgemeinen Mahnung, von der Gewalt abzulassen. Uno-Business as usual.

Derweil bleibt auch die Berichterstattung über den „Nahost-Konflikt“ im Rahmen des zu Erwartenden. Mit schrecklichen Bildern von angeblichen israelischen Gräueltaten gab sich die Dämonisierung Israels immer schon höchst moralisch. So berichtet beispielsweise Ulrike Putz – beim Spiegel zuständig für besonderes Einfühlungsvermögen in die palästinensischen Leiden – aus Dshabalija im Gazastreifen über Israels Militäraktion. Folgt man ihr, geht es den Israelis nicht um Schutz und Selbstverteidigung, sondern um eine „Vergeltungsaktion“. Rachsucht aber, das ist ein uralter Topos des Antisemitismus, wird Juden respektive Zionisten oft und gerne unterstellt. Die israelische „Vergeltungsaktion“, die Putz Sorgen bereitet, habe zu einem „blutigen Samstag in Gaza“ geführt; die Menschen dort „kreischen“, „schlagen sich ins Gesicht“, „weinen“ und „schreien“. Was ihnen geschieht, kennt keinen Kontext; Ulrike Putz sieht bloß Bilder eines Krieges zwischen zwei warum auch immer verfeindeten Parteien. Zwei – selbstredend palästinensische – Opfer werden von ihr mit nachgerade lustvoller Besessenheit zur Schau gestellt: „Eine Salve durchschlug die Fenster der Wohnung, traf den jungen Mann in die Brust, seine Schwester ins Gesicht [...] Iads Gesicht ist im Tode bläulich-weiß, das seiner Schwester von einem Tuch verdeckt. Nur wenn die um sie knienden Frauen es wegziehen, um Jaquelines Lippen zu küssen, ist das rohe Fleisch zu sehen, wo ihre Wange war.“ Diese drastischen Bilder sollen Distanz unmöglich machen, Affekte provozieren, zur reflexionslosen Parteinahme nötigen.

Die Gaza-Korrespondentin zitiert alsdann einen Onkel der Toten, dem sie ohne nähere Begründung bescheinigt, einen klaren Kopf behalten zu haben: „Es ist ein Massaker, was die Israelis hier heute anrichten.“ Was nur sollen die Palästinenser im Angesichts eines solchen „Massakers“ tun? Die Terroristen, die bei Putz vermeintlich neutral als „Kämpfer“ firmieren, wissen es: „Ein Dutzend maskierte Kämpfer des Islamischen Djihad stehen in der Deckung der Hauseingänge, Sturmgewehre im Arm. Anspannung liegt in der Luft, die israelischen Bodentruppen stehen wenige Blocks von hier.“ Anständige Kameraden sind das – sie vertreiben kleine Jungs, weil es für sie zu gefährlich werden könnte, und sie sorgen sich sogar um die Journalisten: „Macht, dass ihr wegkommt!“ Es folgen die israelischen Apache-Helikopter. Frau Putz serviert grammatikresistente Massaker-Prosa wie im Landserheftchen: „Die Bordkanonen donnern, der Himmel über Dshabalija füllt sich mit den weißen Wattewölkchen, die von abgeschossener Munition zurück bleibt.“ Am Ende „Blutlachen auf dem Bürgersteig“, im Krankenhaus „rot verschmierte Hosen und Jacken“, „weiße Turnschuhe [...], in Blut gebadet“, „Schusswunden im Bauch“, „tellergroßes, blutiges Loch im Oberschenkel“. Die netten Herren von der Hamas versuchen wenigstens, die Lage in den Griff zu bekommen, sorgen dafür, dass die Tragen zwischen den vielen Angehörigen durchkommen: „Rein mit Schwerverletzten, raus leer, aber bluttriefend.“ Und immer wieder „Leute, deren Gehirn bloß liegt, Männer mit multiplen Amputationen“.

Dieses Grauen also steht am Ende dessen, was Ulrike Putz – nicht anders als Hamas und andere Terror-Rackets – als israelische „Vergeltungsaktion“ denunziert. Sie führt „zwei Namen auf der Todesliste“ vor, präsentiert „Blutlachen auf dem Bürgersteig“. Sie muss nicht mehr explizit schreiben, dass es sich um konkrete schuldlose Opfer, Palästinenser wie Iad und Jaqueline, und um abstrakte schuldige Täter, anonyme Israelis in ihren Kampfhubschraubern, handelt. Ihrer Opfer-Täter-Konstruktion folgt die Delegitimierung dessen, was Israel zum eigenen Schutz zu unternehmen erst gezwungen wurde. Denn die libidinös ausgemalte blutige Geschichte aus Dshabalija impliziert: Nur Unmenschen können eine solche Barbarei an den Palästinensern begehen, nur Unmenschen lassen diese Bilder nicht ohne nachzudenken an sich heran, nur Unmenschen sind nicht bereit, der eingeforderten Parteinahme zu folgen.

Hattips: Malaclypse, Stefan G., Urs Schmidlin

Zu den Bildern: Das obere Foto entstammt dem Cover des Buches Mit Freud. Gesellschaftskritik und Psychoanalyse, herausgegeben 2007 von Renate Göllner und Ljiljana Randonic im Freiburger ça ira Verlag. Unteres Foto: In Beit Lahia im nördlichen Gazastreifen bergen Sanitäter einen Verletzten – ein Ereignis, dem die Presse augenscheinlich weit mehr Aufmerksamkeit widmet als den Folgen der Angriffe mit Kassam- und Grad-Raketen auf Israel.