27.5.08

Lobbyist gegen Israel

Es war womöglich nur ein Zufall, aber die Koinzidenz passte perfekt: Während Spiegel Online gestern vermeldete, dass der frühere amerikanische Präsident Jimmy Carter in einer Rede tags zuvor die Existenz von israelischen Atomwaffen verkündet und ihre Zahl auf 150 geschätzt hat, publizierte die Süddeutsche Zeitung in ihrer Montagsausgabe einen Gastbeitrag des 83-Jährigen mit dem Titel „Die Tragödie der Palästinenser“, in dem er seine Gespräche mit der Hamas verteidigte und – wie auch in seiner Ansprache – Israel „eines schrecklichen Verbrechens gegen die Menschenrechte“ sowie „grausamer Misshandlung der Palästinenser im Gazastreifen“ bezichtigte. Solche Nachrichten kommen an in Deutschland; mit ihnen munitionieren sich die „Israelkritiker“ aller Couleur, und auch die Antiamerikaner schätzen den Erdnussfabrikanten als Stichwortgeber und Kronzeuge sehr. Hierzulande weniger bekannt und vermutlich auch kaum skandaltauglich sind die engen finanziellen und politischen Verbindungen des demokratischen Ex-Präsidenten zu arabischen Ölstaaten und dortigen milliardenschweren Kreisen, in denen der offene Judenhass ein festes Zuhause hat. Carter selbst und das von ihm gegründete Carter Center hätten vor allem aus dem saudi-arabischen Königshaus sowie von Scheich Zayed bin Sultan Al Nahayan – dem langjährigen Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate – und dessen Zayed Center hohe Zuwendungen erhalten, schrieb Alan Dershowitz bereits vor einem Jahr. Dershowitz ist Juraprofessor und war früher Carters Wahlkampfhelfer.

2001 gewann Carter sogar den Zayed Prize und damit eine halbe Million Dollar – offiziell für sein Umweltengagement. Aber die Geldströme seines „persönlichen Freundes“ sollten vor allem Carters Attacken gegen Israel und seine Parteinahme für die Palästinenser stärken, die Hamas ausdrücklich eingeschlossen: Scheich Zayed, der spendable Sponsor, ist ein glühender Antisemit; sein Zayed Center hält Juden für „die Feinde aller Nationen“, schreibt die Ermordung John F. Kennedys Israel und dem Mossad zu und leugnet den Holocaust. Das Preisgeld hat Carter – ein „trotzdem“ verbietet sich hier – gerne genommen, und es ist vermutlich unnötig, zu erwähnen, dass sein Carter Center zur Förderung des Friedens, der Gesundheit und der Menschenrechte weltweit sich nicht weiter darum kümmert, was man in den Emiraten und Saudi-Arabien unter Menschenrechten versteht. Schließlich beißt man nicht in die Hand, die einen füttert. „Einer der wesentlichen Prämissen für Carters Kritik am jüdischen Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik ist das Geld“, resümierte auch Alan Dershowitz. „Carter hat gesagt, dass Politiker, die von jüdischen Quellen Geld erhielten, beim Thema Nahost nicht mehr frei in ihren Entscheidungen seien. Carter hat argumentiert, dass die Reporter nicht ehrlich über den Nahen Osten berichten könnten, weil sie mit jüdischem Geld bezahlt würden. Deshalb wäre es nach seinen eigenen Standards fast schon ökonomischer Selbstmord, wenn Carter ‚für eine ausgewogene Position zwischen Israel und Palästina’ einträte.“

Und das tut er dann ja auch nicht, obwohl man das hierzulande ganz anders sieht. Dass Carters unablässige Tiraden gegen den jüdischen Staat eine Form von bezahlter Ideologieproduktion sind und dass der ehemalige US-Präsident schlicht ein prominenter und aggressiver Vertreter der arabischen (Öl-) Lobby ist, wendet jedenfalls niemand ein – am wenigsten diejenigen, die sich sonst bei jeder Gelegenheit über die Schädlichkeit von Lobbys auslassen, insbesondere natürlich über die der Israel-Lobby. Deren Tun und Lassen unterstellen die „Israelkritiker“ regelmäßig einem Allmachtsverdacht, wo sie es nicht gleich als festen Bestandteil einer jüdischen Weltverschwörung betrachten. Carter hingegen wird nicht als proarabischer (und antiisraelischer) Lobbyist oder gar als Judenhasser wahrgenommen, sondern vielmehr als Vertreter des „anderen“, „besseren“ Amerika gehandelt, als engagierter Freund von Frieden und Humanität sowie als selbstloser, mutiger Mann, der stets sein Gewissen sprechen lässt, komme, wer da wolle. Deshalb darf er sich auch in einer der führenden deutschen Tageszeitungen ausbreiten und Werbung in eigener Sache betreiben, mit einem Beitrag nämlich, den die Süddeutsche wortgetreu vom internationalen Zeitungszusammenschluss Project Syndicate übernahm.

Es lohnt sich kaum, Carters Philippika gegen Israel auseinanderzunehmen; zu offensichtlich ist seine ideologische Motivation. Für ihn ist der jüdische Staat ein veritables, alles palästinensische Leiden verantwortendes Monster, während ihm die antisemitische Hamas geradezu als Musterbeispiel einer demokratischen Regierungspartei gilt, deren vielfach bekundete Friedensbereitschaft von Israel jedoch böswillig ignoriert werde. Zu dieser Überzeugung sei er nicht zuletzt in persönlichen Gesprächen mit hohen Hamas-Funktionären gelangt, unter anderem mit dem Politbüro-Chef Khaled Mashaal in Damaskus. Carter war auch in Sderot, „einer Gemeinschaft von etwa 20.000 Menschen in Südisrael, die häufig von aus dem nahe gelegenen Gaza abgeschossenen rudimentären Raketen getroffen wird“. Und was meint der Friedensfreund dazu, dass eine ganze Reihe von Menschen von diesen „rudimentären Raketen“ deutlich mehr als rudimentär getroffen wurde? „Ich habe diese Angriffe als verabscheuungswürdig und als terroristischen Akt verurteilt, da die meisten der 13 Opfer während der vergangenen sieben Jahre nicht an Kämpfen beteiligt waren.“ Der Rest hat es dann wohl verdient. Da müssen die Hamas und der Islamische Djihad also noch ein bisschen an ihrer rudimentären Praxis feilen.

In Jimmy Carter haben die Feinde Israels einen wichtigen strategischen Partner und Lobbyisten, und dazu passen auch seine vorgestrige öffentliche Schätzung der Zahl der israelischen Atomwaffen sowie seine gleichzeitig geäußerte Forderung nach direkten Verhandlungen der USA mit dem Iran über das Atomprogramm Teherans. Der israelische Uno-Botschafter Dan Gillerman bezeichnete Carter unlängst als „Fanatiker“ und traf damit den Nagel auf den Kopf. Eine überregionale deutsche Zeitung aber gewährt ihm Platz für seine „Außenansicht“ genannte Propaganda, mit der Israel dämonisiert und delegitimiert wird, und sie schreckt dadurch nicht einmal vor einer dreisten Verharmlosung, ja, teilweisen Rechtfertigung der Raketenangriffe auf Israel zurück. Bezeichnend.

Foto: Jimmy Carter signiert sein antiisraelisches Buch Peace not Apartheid in Cambridge (Massachusetts), Januar 2007.