26.12.08

Semantiker des Semitismus



Kürzlich hat Norman Paech, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, dem FDP-Generalsekretär Dirk Niebel eine Abmahnung geschickt: Niebel sollte einen Auszug aus einem von Benjamin Weinthal verfassten Beitrag in der Jerusalem Post, in dem es hieß, Paech vergleiche Israel mit dem nationalsozialistischen Deutschland, von seiner Website nehmen. Seine zunächst tatsächlich abgegebene Unterlassungserklärung hat der Freidemokrat inzwischen widerrufen. Und das aus gutem Grund, denn für Weinthals Einschätzung finden sich wahrlich genügend Belege: Paech warf Israel unter anderem das Führen eines „unzulässigen Vernichtungskriegs“ gegen den Libanon vor und fühlte sich beim Vorgehen der israelischen Armee an die „unseligen Vergeltungsbefehle der deutschen Wehrmacht erinnert“. Diese Vergleiche schien der „Völkerrechtler“ jedoch offenkundig vergessen zu haben, als er juristisch gegen Niebel zu Felde zog.

Norman Paech (Foto) hat allerdings durchaus keine Schwierigkeiten mit seinem Gedächtnis, sondern vielmehr mit Leuten, die ihm auf die Schliche kommen und seine „Israelkritik“ das nennen, was sie ist: ordinärer Antisemitismus. Darauf reagiert der Terrorversteher dann bevorzugt mit Gegendarstellungen oder Klagen – wobei jeder dieser Versuche, die gegen ihn gerichteten Vorwürfe zurückzuweisen, unweigerlich zu deren eindrucksvoller Bestätigung führt. Und wenn Paech mal nicht gegendarstellt oder klagt, lässt er sich von ihm gewogenen Medien interviewen – mit dem gleichen Ergebnis. Henryk M. Broder über einen Postkommunisten, der nicht nur mit der Wirklichkeit, sondern auch mit der Semantik nachhaltig auf Kriegsfuß steht.


Paech und die Semantik des Semitismus

VON HENRYK M. BRODER


Ob Norman Paech lügt oder nur die Unwahrheit sagt, ist ein feiner semantischer Unterschied, mit dem ich mich nicht aufhalten möchte. In jedem Fall hat er ein Problem mit Fakten. In einem Interview mit der Monatszeitschrift analyse & kritik (ak), die aus dem Arbeiterkampf des Kommunistischen Bundes hervorgegangen ist, sagte er vor kurzem Folgendes:
„Der Antisemitismusvorwurf ist als politisches Kampfinstrument entdeckt worden: Zum einen, um Antisemitismus aus seinem eigenen ideologischen Milieu zu eskamotieren (verschwinden zu lassen; Anm. ak) und als ungefährlich zu verharmlosen. So will Henryk M. Broder den Antisemitismus den Archäologen überlassen und nur noch den ‚modernen Antisemitismus’, den er mit jeglicher Israel-Kritik identifiziert, bekämpfen.“
Wie viele seiner Freunde und Genossen arbeitet sich auch Paech nicht am Antisemitismus, sondern am Antisemitismusvorwurf ab, der für ihn ein politisches Kampfinstrument ist. Soll heißen: Das Schlimmste, was einem passieren kann, ist nicht, ein Antisemit zu sein, sondern mit dem Antisemitismusvorwurf konfrontiert zu werden. Deswegen konzentriert sich der aktuelle Kampf gegen den Antisemitismus darauf, erstens die Machtergreifung der Nazis („Nie wieder ’33“) zu verhindern, zweitens die Israelis zu ermahnen, die Politik der Nazis nicht zu wiederholen, und drittens, für die „Opfer der Opfer“ Verantwortung zu übernehmen. Ob das schon Antisemitismus ist oder nur ein Versuch, die deutsche Geschichte auf dem Rücken der Israelis zu entsorgen, ist eine Frage der Definition.

Auf dem Wege zu einer Endlösung der Nahostfrage im Sinne der fortschrittlichen Linken (über eine Zusammenarbeit mit der Hamas und der Hizbollah bzw. über die Forderung nach einem binationalen Staat) muss also der Antisemitismusvorwurf abgewehrt werden, damit alles, was den Israelis in die Schuhe geschoben wird, als legitime „Israelkritik“ deklariert werden kann. Das ist auch die rhetorische Figur, deren Paech sich gerne bedient. Er weiß, dass ich den „modernen Antisemitismus“, soll heißen: Antizionismus, niemals „mit jeglicher Kritik identifiziert“ habe. Auch in der Rede vor dem Innenausschuss des Bundestages, auf die sich Paech beruft, habe ich genau zwischen Kritik, die sich auf das Verhalten bezieht, und Ressentiment, das auf die Existenz zielt, unterschieden.

Dass Paech mir das Wort im Munde umdreht, hat freilich einen guten Grund: Die einzigen, die nach dem Krieg behauptet hatten, alle Deutschen seien Nazis gewesen, waren nicht die Widerstandskämpfer, nicht die Überlebenden der Lager und nicht die Alliierten; es waren die Nazis selbst. Sie hatten ein Interesse daran, Deutschland post festum total zu nazifizieren, denn: Je mehr Deutsche Nazis gewesen waren, umso kleiner war der Anteil der Schuld, der auf den einzelnen Nazi entfiel. Wenn Paech nun behauptet, ich würde „jegliche Kritik“ an Israel als „Antisemitismus“ identifizieren, spielt er die gleiche Karte aus: Er flüchtet unter das Dach des Kollektivs. Wenn „jegliche Kritik“ an Israel als Antisemitismus diffamiert wird, dann ist der Israelkritiker das Objekt der Aggression und nicht Israel. Und je mehr „israelkritische“ Menschen unter diesen Verdacht geraten, umso besser steht der einzelne dar.

Wenn Paech nun sagt: „Wir sind immer gegen Antisemitismus eingetreten“, so ist das eine Plattitüde, für die er den Beweis schuldig bleibt, es sei denn, er meint seine heroische Mitgliedschaft im Auschwitz-Komitee. Indem Paech jeglichen Antisemitismus mit dem Nationalsozialismus identifiziert, schließt er alle weiteren Konnotationen aus. Auf die Frage nach dem Antisemitismus in der DDR antwortet er:
„Ich habe die staatsoffizielle Israel-Kritik der DDR immer als Solidarität mit den leidenden Palästinensern verstanden, in Bezug auf das, was auch von Uno-Organisationen berechtigterweise kritisiert wurde. [...] Das sind objektive Tatbestände. Dass diese von der DDR angeprangert wurden, hat nichts mit Antisemitismus zu tun. Allerdings kann und will ich nicht darüber urteilen, ob es in der Gesellschaft der DDR antisemitische Tendenzen gegeben hat – wie es sie in der Bundesrepublik gab und gibt.“
So blöd kann nicht einmal ein Postkommunist sein. Dass die Solidarität der DDR mit den leidenden Palästinensern primär darin bestand, dass sie palästinensische Terroristen ausbildete, ist für Paech nicht relevant, über „antisemitische Tendenzen“ in der DDR mag er sich kein Urteil erlauben, über das Essen in den HO-Gaststätten an den Transitstrecken vermutlich auch nicht. Vollends schräg aber wird es, wenn Paech sagt: „Wir haben das Existenzrecht Israels zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt. Wir haben die Staatsgründung 1948 und die Integration Israels in die Uno anerkannt. Die Grenzen von 1967 gelten für uns als unantastbar.“

Wen immer Paech mit „wir“ meint: Die LINKE kann es nicht sein, denn innerhalb der LINKEN tobt sehr wohl eine heftige Debatte über das Existenzrecht Israels an und für sich. Die ist zwar für die Existenz Israels so entscheidend wie die Haltung der Tele-Tubbies zur Unabhängigkeit des Kosovo; die Auseinandersetzung um die neue Judenfrage zeugt allerdings von der Zähigkeit des antisemitischen Urschleims, der das Ende der DDR und ihrer „staatsoffiziellen Israel-Kritik“ überdauert hat. Die Grenzen von 1967 gelten Paech als „unantastbar“, aber nur so lange, wie sie nicht von der Hamas angetastet werden, mit der Paech schon deswegen reden möchte, weil sie „durch demokratische Wahlen legitimiert“ sei. Das ist die NPD in Sachsen auch.

Paech müsste wissen, dass man nicht „Juda verrecke!“ brüllen muss, um seinen Vorbehalten gegenüber Juden Ausdruck zu geben. Es geht auch subtiler. Der „israelkritische“ Flügel der LINKEN muss das Existenzrecht Israels nicht infrage stellen, wenn einige Abgeordnete der LINKEN bei Hizbollah-Demos mitlaufen oder Israel einen „Apartheidstaat“ nennen. Das reicht, um die Botschaft zu kommunizieren.

Es gibt keinen Satz, den Paech nicht auf der Stelle relativieren oder in sein Gegenteil verkehren würde. Er sagt: „Wir lehnen die Raketenangriffe der Hamas selbstverständlich ab“, was so selbstverständlich nicht ist, denn: „Wir sehen auch, dass sie kein Äquivalent zur hermetischen Abriegelung des Gaza-Streifens und den Militäroffensiven Israels darstellen, die größtenteils zu Lasten der Zivilbevölkerung gehen.“ Soll heißen: Die Raketenangriffe sind schlimm, noch schlimmer ist aber die Abriegelung des Gaza-Streifens. Dass die Raketenangriffe nicht die Antwort auf die Abriegelung des Gaza-Streifens sind, sondern die Antwort auf eine angekündigte Entriegelung und damit mögliche Verbesserung der Lage sind, an der Hamas kein Interesse hat, das entzieht sich Paechs Kenntnis ebenso wie die Frage, ob es in der DDR „antisemitische Tendenzen“ gegeben hat. Erst wenn Israel den Hamas-Feuerwerkern die genauen Zielkoordinaten übermitteln würde, wären vermutlich die völkerrechtlichen Voraussetzungen für eine Entriegelung des Gaza-Streifens im Sinne von Paech erfüllt.

„Verharmlosung gehört zu seinem Repertoire“ schrieb der Stern in einer Geschichte über Paech et al., in der auch davon die Rede war, dass der Völkerrechtler fliegende Bomben, „die seit der Räumung des Gazastreifens auf israelische Städte abgeschossen werden“, als „Neujahrsraketen“ bezeichnet haben soll. Paech reichte das Copyright weiter. Es habe sich „um ein Zitat des früheren palästinensischen Generaldelegierten in Deutschland, Abdallah Frangi“, gehandelt, den er „in Ramallah getroffen hatte“. Paech nannte die von Frangi benutzte „Metapher“ immerhin eine „Geschmacklosigkeit“ und drehte dann den Spieß wieder um: „Man möge sich dann allerdings auch über die palästinensischen Opfer und die zerstörten Wohnhäuser, Anbauflächen und zivilen Einrichtungen in den palästinensischen Gebieten erregen, die das israelische Militär und die israelische Regierung zu verantworten haben.“ Und auf einer Kundgebung in Neukölln stellte Paech fest, Siedler seien „keine Zivilisten“, der Kampf gegen bewaffnete Siedler sei „völkerrechtlich Notwehr“.

Das sieht die Hamas ähnlich, geht allerdings einen Schritt weiter als Paech. Für sie sind alle Israelis Siedler, und ganz Israel ist besetztes Gebiet. Deswegen ist die Hamas nicht antisemitisch, sondern nur antizionistisch. Aber auch das ist nur ein feiner semantischer Unterschied, dessen Auslegung ich Norman Paech gerne überlasse.