Die Kunst des Machbaren
Am heutigen Montagnachmittag findet in Berlin die Zweite Konferenz des Koordinierungsrats deutscher NGOs gegen Antisemitismus statt. Lizas Welt dokumentiert aus diesem Anlass das bemerkenswerte Grußwort des Vertreters von B’nai B’rith Europe mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.
© 2006 für das Foto: ADF Berlin
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
es gilt als unhöflich, auf eine Einladung zu einem Grußwort nicht mit freundlichen, die Versammelten und das eigene Voranschreiten lobenden und ermutigenden Worten zu reagieren. Doch ich bitte um Nachsicht: So positiv bin ich nicht gestimmt, um das Obligatorische zu leisten, und ich will Ihnen das begründen. Sie mögen meine Intervention als Defätismus missverstehen. Ich möchte aber uns, die wir vorgeben, der Aufklärung verpflichtet zu sein, daran erinnern, dass Aufklärung zuvörderst Selbstaufklärung ist, in aller Doppeldeutigkeit des Wortes: Ent-Täuschung. Oder, wie es Max Horkheimer fasste, nicht primär Wissensfortschritt, sondern Naivitätsverlust. Und zu diesem Naivitätsverlust gab es in den Wochen seit der letzten Koordinierungskonferenz hinreichend Grund.
Es waren Wochen großer symbolischer Gesten. Die Bundestagsdebatte zum 9. November gipfelte in dem Verdikt, dem Antisemitismus sei ein „Stoppsignal“ entgegenzusetzen, weil er sonst, wie schon in den 1930er Jahren, „wie der Dieb in der Nacht“ komme: „Er ermordet die Demokratie, und dann, am Ende, wird Deutschland im Innersten zerstört.“ Irritierend: Geht es zuvörderst um Deutschland? Der Bundestag beschloss, dem Judenhass zu wehren. Irritierend: Muss das Selbstverständliche immer wieder beschlossen werden? Der Hizbollah-Sender Al-Manar wurde in Deutschland angeblich verboten. Irritierend: Im Kabelnetz war er hierzulande eh nie zu finden, über Satellit funkt er munter weiter. Ebenso irritierend: Die antisemitische Terrororganisation Hizbollah selbst bleibt in Deutschland legal.
Und deshalb frage ich uns aus den Nicht-Regierungsorganisationen: Was nützen die wohlmeinenden Gesten des Parlaments? Was nützt uns ein neuer Antisemitismusbericht, ein Expertengremium des Bundestages? Gibt es nicht genügend Berichte, Experten und Gremien? Weiß man als entscheidungsmächtiger Parlamentarier nicht genug über den alten und den neuen Antisemitismus, um die richtigen – das heißt auch: praktischen – Schlussfolgerungen zu ziehen? Welche Erfolge erzielen wir Zivilgesellschafter mit all den Unterschriftenlisten, Kampagnen, Petitionen, Forderungskatalogen, Konferenzen, Kundgebungen, Demonstrationen, mit all unseren Presseerklärungen? Geben wir uns zufrieden mit großer Rhetorik? Feiern wir wirklich – wie Eike Geisel es einmal nannte – den „Triumph des guten Willens“? Werden wir zum zivilgesellschaftlichen Feigenblatt parlamentarischen Unwillens oder Unvermögens? Kurz: Ist Politik die Kunst des Machbaren oder doch nur des Symbolischen? Und wenn sie tatsächlich die Kunst des Machbaren ist, ist die konkrete Bekämpfung des alten und des neuen Antisemitismus etwa nicht machbar?
Und ich frage die hier vertretenen Parlamentarier der verschiedenen Parteien: Brauchen Sie wirklich all unsere Petitionen, Vorschläge, Forderungen? Sie wissen doch sicher selbst, wie man das Offensichtliche und Nötige tun kann. Wer von Ihnen wird rigorose, unilaterale Sanktionen Deutschlands gegen den Iran im Bundestag initiieren, um das zu erreichen, was über die Uno unmöglich scheint: den Mullahs die technologische und ökonomische Grundlage für ein Atomwaffenprogramm zu entziehen? Welche Fraktion wird die Bundesregierung im Bundestag konkret durch eine Beschlussvorlage unter Druck setzen, bei den Verhandlungen zur Vorbereitung der antiisraelischen Durban II-Konferenz nicht ein „μ” von den durch die französische EU-Ratspräsidentschaft festgelegten „red lines“ – den eigenen zivilisatorischen Mindeststandards – abzuweichen, notfalls auch die Reißleine zu ziehen und damit praktische Solidarität mit Israel zu zeigen?
Wer von Ihnen verlangte Konsequenzen, als ein Staatssekretär im Auswärtigen Amt jüngst im badischen Freiburg den iranischen Ex-Präsidenten Khatami hofierte, obwohl dieser eben nicht moderat, sondern schlicht vernichtungsantisemitisch ist und Israel als „eine alte, nicht heilbare Wunde im Körper des Islam“ bezeichnet, „die dämonisches, stinkendes und ansteckendes Blut besitzt“? Wer von Ihnen bringt eine Diskussion ins Parlament ein, um den „freundlichen“ Dialog mit den Teheraner Mullahs in Frage zu stellen? Wer von Ihnen kritisiert dabei die regierungsoffizielle Finanzierung und Förderung des Auftritts des ehemaligen iranischen Vizeaußenministers Mohammed Laridjani im Juli in Berlin, bei dem dieser das „Ende des zionistischen Projekts“ propagierte? Wer von Ihnen interveniert, weil Irans Vizeaußenminister Mehdi Safari im April auf Einladung der Bundesregierung mit hochrangigen Vertretern von Außen-, Innen- und Wirtschaftsministerium und mehreren Bundestagsabgeordneten zusammentraf, um den Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu verabreden? Warum wird die Moral hier anderen Erwägungen untergeordnet? Und wer von Ihnen bringt endlich eine Beschlussvorlage zum Verbot der Hizbollah in den Bundestag ein?
Kurz: Wissen Sie nicht längst, was Sie als deutsche Parlamentarier tun können, um dem mörderischen Antisemitismus des Teheraner Regimes und seiner global operierenden Kumpane in den Arm zu fallen?
Bevor wir nun als Akteure der Nichtregierungsorganisationen fortfahren, das Übliche zu tun – Entgegennahme von Grußworten, sodann: Verabredung von Kampagnen, Petitionen, Protestnoten –, rege ich eine Diskussion mit den Parlamentariern darüber an, warum das so Offensichtliche und Nötige eben nicht getan wird. Wo sind eigentlich die Hindernisse? Einen fragilen Restoptimismus schöpfe ich dabei aus der Erkenntnis, zu der es keiner Promotion in Politikwissenschaft bedarf: Politik erschöpft sich nicht im Symbolischen. Sie sehen also: Ich bin kein Defätist. Ich bin – wie Sie – der Wahrheit, der Reflexion, der Aufklärung und Selbstaufklärung verpflichtet. Nehmen wir diese Verpflichtung ernst.