23.1.10

Stern (nicht nur) des Südens



Nebenan, auf dem Weblog Verbrochenes, hat der geschätzte Kollege Bonde aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht und eine regelrechte Philippika gegen meinen Lieblingsverein in die Tasten gehackt. Der Zeitpunkt ist dabei natürlich kein Zufall: Heute spielen seine Bremer gegen die Bayern; fünf Stück würden die Gäste aus München bekommen, hatte er mir in einer E-Mail vollmundig angekündigt, woraufhin sich zwischen uns ein über Twitter ausgetragener kleiner, angenehm unfairer Battle entwickelte. Möglicherweise war es das, was ihn zu seiner unerhörten Tirade motiviert hat; vielleicht wollte er sich aber auch einfach nur für den Fall absichern, dass sein recht gewagter Tipp am Ende in die Hose geht.

Gleichwie: Bonde mag den FC Bayern nicht, und dafür bringt er eine Reihe von Gründen vor: Der Klub habe sich beispielsweise „an die deutsche Industrie verkauft“ und sei so zu einer „Institution für Werbung und Marketing“ mutiert. Das komplette Personal des Vereins sei zutiefst unsympathisch und politisch bedenklich; der Bayern-Vorstand verleide mit allerlei Schikanen den Gästefans außerdem nachhaltig den Besuch des Münchner Stadions. Die vermeintlich linken Ultras von der „Schickeria“ träten in Wahrheit als „arrogante Prollbewegung“ auf, und das übrige, eventorientierte Publikum in der Allianz-Arena zerstöre den Traum, „dass im Fußball und unter seinen Zuschauern irgendetwas zu erleben wäre, was es anderswo nicht gibt“ und „dass im Fußballumfeld vielleicht etwas gesellschaftlich Relevantes entstehen könnte“. Kurzum: Wer es mit diesem Verein hält, kann eigentlich nicht mehr alle Latten am Zaun haben.

Die ganze Suada ist eine etwas eigenartige Mischung aus einer Kritik der politischen Ökonomie, moralinschwangerem Hadern, Soziologismus und allerlei Befindlichkeiten. Im Gegensatz zu den handelsüblichen Abneigungen gegen den deutschen Rekordmeister ist sie zwar frei von jedwedem Ressentiment, bleibt aber in einem seltsamen Romantizismus gefangen und kommt – form follows function – in einem nörgeligen Ton daher, der so gar nicht zu den sonst so leichtfüßigen Polemiken des Autors passen will. Aber gut: Die Welt ist schlecht eingerichtet und Werder Bremen nur Sechster mit reichlich Rückstand auf die Spitze, da muss dann zur Not auch mal Ivica Olics unfairer Einsatz gegen Per Mertesacker als Beleg für die Schlechtigkeit der Bayern herhalten, selbst wenn es nicht lange zurückliegt, dass der Bremer Torwart Tim Wiese eben diesem Olic fast den Kopf abgetreten hat und dafür von Bonde gefeiert wurde.

Ein weiterer Grund, die Bayern nicht zu mögen, sei es, dass der Klub mit der Veräußerung von Anteilsscheinen an die Firmen Adidas-Salomon (zehn Prozent) und Audi (neun Prozent) eine Grenze überschritten habe und „gekippt“ sei wie zuvor schon der VfL Wolfsburg und Bayer 04 Leverkusen: von einem Verein, der für Geld Werbung mache, damit er erfolgreich Fußball spielen könne, zu einem Konzern, der einen Verein kaufe, der dann für ihn Werbung mache. Habe ich da etwas verpasst? Hält der FC Bayern München e.V. nicht mehr die Mehrheit der Anteile an der FC Bayern München AG? Ist nicht mehr Karl-Heinz Rummenigge deren Vorstandsvorsitzender, sondern Herbert Hainer oder Rupert Stadler? Und worin genau besteht eigentlich das Problem, sich solche Finanzquellen zu erschließen? Der Profifußball ist seit mindestens zwanzig Jahren ein lohnendes Marktsegment und damit einer Durchkapitalisierung unterworfen, die sich die ihr entsprechenden Organisationsformen gibt. Werder Bremen ist übrigens eine GmbH & Co. KGaA. Das ist natürlich etwas völlig anderes.

Dabei stellt sich der FC Bayern lediglich etwas geschickter an als seine Konkurrenten, und er konnte beizeiten auch auf eine bessere Infrastruktur zurückgreifen: Das große Olympiastadion etwa sorgte ab 1972 für höhere Einnahmen bei den Spielen, und das Management hatte ein feines Gespür für die Möglichkeiten finanzieller Akquise. Als erster deutscher Fußballklub dehnten die Münchner zudem ihre Werbung um Fans, Mitglieder und Sympathisanten auf das gesamte Bundesgebiet aus und brachen damit die so eherne wie abstoßende Regel, dass man gefälligst seine autochthonen Wurzeln zu bedenken und als Kölner zum „Eff-Zeh“ zu halten hat – oder als Bremer eben zum SV Werder. Darüber hinaus erschlossen sie sich durch ein innovatives Merchandising weitere Geldquellen. Das so gewonnene Kapital wurde akkumuliert und reinvestiert, nämlich in Beine und Steine. Daran ist nichts Ehrenrühriges.

Proletenromantik, ein Blut-Schweiß-und-Tränen-Ideal und eine volksgemeinschaftliche Vereinsidylle hingegen gab es beim FC Bayern glücklicherweise zu keiner Zeit; seit seiner Gründung war er ein bürgerlicher, metropolitaner und liberaler Klub, der sich stets international orientierte und dem das Motto „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ erfreulich fremd war. Die Nazis schmähten ihn als „Judenklub“, stoppten seinen sportlichen Aufstieg jäh (während Werder gleichzeitig vier Gaumeisterschaften gewann) und sperrten seinen jüdischen Präsidenten Kurt Landauer ins Konzentrationslager Dachau, von wo aus er ins Exil flüchtete. Die Ultras von der „Schickeria“, jene laut Bonde „arrogante Prollbewegung“, richten übrigens jährlich ein Fan-Fußballturnier aus, dessen Siegerpokal nach Landauer benannt ist.

Der Rest von Bondes Anwürfen: geschenkt. Wer mehr auf hemdsärmelige Sozialdemokraten steht als auf vermeintlich oder tatsächlich reaktionäre Kleinbürger, ist bei Allofs und Schaaf sicher besser aufgehoben als bei Hoeneß und Rummenigge; ein Unterschied ums Ganze ist das allerdings ganz gewiss nicht. Der Disziplinfanatiker mit den deutschen Sekundärtugenden namens Felix Magath wiederum war bekanntlich nicht nur bei den Bayern, sondern auch bei den Bremern unter Vertrag – bloß mit geringerem Erfolg – und scheidet als Argument gegen die Münchner somit aus. Das Publikum in der Allianz-Arena mag eventgeil sein; im Weserstadion ist es einfach nur stinklangweilig. Außerdem hat die demonstrative Penetranz, mit der sich ganz Bremen bei Heimspielen in eine einzige provinzielle Pro-Werder-Bewegung verwandelt, fast schon etwas Dörflich-Totalitäres. Dass in diesem Fußballumfeld „vielleicht etwas gesellschaftlich Relevantes entstehen könnte“, wie Bonde es ausdrückt, möchte ich lieber nicht hoffen. Und wer von Torsten Frings nicht reden will, sollte von Mark van Bommel besser schweigen.

Bleibt die von Bonde gestellte Frage nach dem „Wie kann man nur“. Ja, wie kann man nur Bayernfan sein? Als Kind bin ich es womöglich deshalb geworden, weil ich für mein Alter zu klein war, rote Haare hatte und mir montags nicht noch die Häme meiner Mitschüler zuziehen wollte, wenn mein Lieblingsverein schon wieder verloren hatte. Ich hätte es wie der Rest mit dem 1. FC Köln halten können, aber ich habe es kalt lächelnd vorgezogen, mich dafür anfeinden zu lassen, dass der von mir favorisierte Klub erfolgreicher ist als die Geißböcke. Im Übrigen hat die Kulturindustrie nun mal eine Menge Kompensationsmöglichkeiten für den schnöden Alltag hervorgebracht, und Bayern München gehört definitiv nicht zu ihren schlechtesten Angeboten. Außerdem bin ich froh, wenigstens eine Leidenschaft zu haben, die mein Leben seit mehreren Jahrzehnten begleitet und ihm auf diese Weise so etwas wie Kontinuität verleiht. Daran ändert weder der Verkauf von Anteilen des Vereins an Konzerne etwas noch ein Personal, bei dem ein Werderfan den Daumen senkt. Und selbst wenn wir heute Nachmittag tatsächlich fünf Stück kriegen sollten, wird das allenfalls eine Momentaufnahme sein.