16.2.06

Koranrolle vorwärts

Was so ein Stück Papier alles anrichten kann. Nein, die Rede ist mal nicht von den Cartoons. Zumindest nicht direkt. Vielmehr geht es um ein ziemlich langes und schmales Stück Papier, genauer gesagt um das, was, zur Rolle geworden, auf so ziemlich jeder Toilette hängt. Wegen so eines an sich unspektakulären Gebrauchsgegenstandes steht nun am 23. Februar 2006, Station 13, der Kaufmann Manfred H. vor dem Amtsgericht in Lüdinghausen. Tatvorwurf vor allem: Ein Verstoß gegen den § 166 StGB („Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“), mit dem sich neuerdings auch die Kölner Georg-Weerth-Gesellschaft herumzuschlagen hat. Konkret lautet die strafrechtlich bewehrte Vorhaltung gegen Manfred H.,
„im Juli 2005 in Senden und anderen Orten öffentlich und durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3 STGB) den Inhalt des religiösen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft zu haben, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.“
Starker Tobak, ohne Frage. Geschehen war dies: H. hatte kurz nach den islamistischen Anschlägen in London „an ca. 15 Moscheen, Fernsehsender und Nachrichtenmagazine“ jeweils ein Stückchen Klopapier geschickt, das mit dem Stempelaufdruck „KORAN, DER HEILGE QUR-ÄN“ versehen war. Im beigefügten Anschreiben wurde für den Erwerb einer kompletten Rolle mit dieser Prägung geworben, und der Text dieses Briefes ist es wirklich wert, vollständig wiedergegeben zu werden:

„Hallo Mitbürger,
ganz nach dem Vorbild des Religionsgründers Mohammed haben islamische Terroristen einen Anschlag in London verübt. Er reiht sich in eine Vielzahl ähnlicher Anschläge, denen bereits Hunderte europäische und deutsche Männer, Frauen und Kinder zum Opfer gefallen sind. Der Koran, dieses Kochbuch für Terroristen, enthält viele Textstellen, die zu diesen Gewalttaten aufrufen. Die Täter vollziehen also das nach, was ihnen der Koran vorgibt und in den Moscheen gelehrt wird. Neuer Höhepunkt war auch der Mord an dem holländischen Filmemacher van Gogh, der nur dafür ermordet wurde, dass er seine bürgerlichen Grundrechte in Anspruch nahm. Die Opfer dieser Terroranschläge dürfen nicht vergessen werden. Deshalb beabsichtigen wir, eine Gedenkstätte für alle Opfer des islamischen Terrors der Vergangenheit und der Zukunft zu errichten. Sie soll durch Spenden finanziert werden. Wir haben deshalb Klopapierrollen mit dem Koranaufdruck versehen lassen, die käuflich zu erwerben sind. Ein Muster ist angefügt. Der Kaufpreis beträgt 4 Euro. Davon werden 2 Euro für die Errichtung des Mahnmahls verwendet. Wir bitten Sie, unser Anliegen zu unterstützen. Bestellungen können aufgegeben werden entweder per Mail oder per FAX.“

Eine ziemlich gute Idee, sollte man meinen. Aber die Staatsanwaltschaft Münster sah das gänzlich anders und erhob Anklage gegen Manfred H. Und dabei stand die Behörde auch noch unter erheblichem Druck, nachdem sich am 19. Juli 2005 die Islamische Republik Iran mit einer „offiziellen Verbalnote“ an das Auswärtige Amt in Berlin gewandt und um „sofortige Unterbindung der öffentlichen Beleidigung des heiligen Koran“ gebeten hatte. Kaum zu fassen – aber diese diplomatische Intervention spielte tatsächlich eine nicht unwichtige Rolle bei der Entscheidung, ob man H. nun wegen eines Vergehens bestrafen soll, das in Deutschland schon seit Jahren nicht mehr geahndet wurde.

Es passt, dass der Iran jüngst nach der Veröffentlichung eines Cartoons von Klaus Stuttmann im Tagesspiegel – der als Bundeswehr-Satire vorgesehen war und als angebliche „Beleidigung des iranischen Volkes“ endete – ebenfalls protestierte, diesmal gegen die in Berlin erscheinende Zeitung. Parallel dazu empfing Stuttmann wüste telefonische Beleidigungen und sogar Morddrohungen – inzwischen ist er vorübergehend aus seiner Wohnung ausgezogen –, und in Teheran attackierte ein rasender Mob die deutsche Botschaft, wobei er nicht vergaß, gleich noch die Karikaturen in Jyllands Posten mit in die Randale einzubeziehen. Stuttmanns Kollegen rufen derweil zur Solidarität mit dem Zeichner auf, und auch in den Medien ist man sich einig, dass der Cartoon schlicht missverstanden wurde und die Drohungen und Ausschreitungen zu verurteilen sind. Man fragt sich dann allerdings doch, warum ein solch klares Bekenntnis nicht schon bei den dänischen Propheten-Bildern möglich war.

Doch zurück zu Manfred H., der – man möchte sagen: ausgerechnet – jetzt in einer westfälischen Kleinstadt eine Art Präzedenzfall abgibt. Der Stimmung hierzulande folgend, wird man wohl eine Verurteilung befürchten müssen, denn die Islamversteherei hat Konjunktur und dürfte sich bis in die Rechtsprechung ausdehnen. Dann wäre ein in der Tat vorbürgerliches Gesetz reanimiert worden, das in die Sharia bestens passt, von halbwegs liberalen Geistern aber nur strikt zurückgewiesen werden kann. Ähnlich wie Stuttmann sah sich übrigens auch H. telefonischen Morddrohungen ausgesetzt (und darüber hinaus diversen Strafanzeigen). Aber mit so viel Zuwendung wie der Künstler wird er nicht rechnen können.

Dabei haben es durchaus Leute und sogar ganze Gruppen nicht an Unterstützung für ihn fehlen lassen. Bloß haben die deswegen jetzt auch ein Problem: Im Internet geistert die vollständige Version der Anklageschrift umher – und einmal bei der Sache, verfolgen die deutschen Behörden jetzt auch noch die Tapferen und Aufrechten, die den Schriftsatz – in der sicheren Annahme, nichts Unrechtes zu tun – im Netz veröffentlichten. Der dafür zuständige StGB-Paragraph trägt die Nummer 353d und beschäftigt sich mit der Bestrafung „verbotener Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen“. Der Spaß kann mit bis zu einer einjährigen Freiheitsberaubung enden, auch wenn eine Geldstrafe in den jetzigen Fällen bei einer Verurteilung wohl wahrscheinlicher ist.

Betroffen ist auch hier die Georg-Weerth-Gesellschaft aus Köln, denen auf dieser Grundlage – ohne Gerichtsbeschluss! – erst einmal die Homepage ausgeknipst wurde. Da sich der fragliche Text aber schon seit mehr als zwei Wochen gar nicht mehr auf deren Internetseite befand, dürfte der Zeitpunkt der Abschaltung wohl zuvörderst dadurch bestimmt gewesen sein, dass die Gruppe sich weigerte, auf Geheiß des polizeilichen Staatsschutzes einen satirischen Bildbeitrag zum Thema Mohammed-Karikaturen von ihrer Website zu nehmen, weshalb schließlich ein Verfahren nach dem bereits erwähnten § 166 gegen den Webmaster eingeleitet wurde. Die Seite ist inzwischen wieder online, aber die Vorwürfe der Religionsbeschimpfung und des Geheimnisverrats sind es leider ebenfalls.

Auch die Publizistin Gudrun Eussner sieht sich mit einem Ermittlungsverfahren nach § 353d konfrontiert. Wenigstens wurde ihr nicht gleich ohne jede Vorwarnung der Internetauftritt sabotiert; gleichwohl forderte der Staatsschutz sie jedoch auf, die Anklageschrift von ihrer Homepage zu nehmen. Und sie tat vorsichtshalber, wie ihr geheißen:

„Damit hoffe ich zusätzlich, ein klein wenig dazu beizutragen, die Regierung der Islamischen Republik Iran zu besänftigen, die sich der Koranverse auf Toilettenpapier wegen, am 19. Juli 2005, mit einer offiziellen Verbalnote an das Auswärtige Amt in Berlin gewandt hatte. Ich versichere darüber hinaus und ohne Aufforderung, daß ich kein noch so kleines Blättchen Papier in Händen oder gar sonstwo halte – erst recht keinen Koranstempel. Ich räume den Tatvorwurf ein, gegen § 353d Abs. 3 StGB verstoßen zu haben, zeige also Unrechtsbewußtsein, bitte aber ausdrücklich darum, mir abzunehmen, daß ich die Rechtslage nicht kannte und hier nur ein Verbotsirrtum vorliegt. Meine Meinung darüber, wohin die islamische Ideologie gehört, bleibt davon unberührt. Auch würde ich den Koran niemals für ein ‚Kochbuch für Terroristen’ halten, dazu liebe ich die gute Küche viel zu sehr, vor allem die französische und die asiatische.“
Politische Verfahren nach den genannten Paragraphen sind in dieser Qualität so neu wie grundsätzlich aus der Mottenkiste des Rechtsstaats. Wenn hiesige Kritiker des Islam auf dieser Basis möglichst zum Schweigen gebracht, zumindest aber in ihrer verdienstvollen Arbeit stark behindert werden sollen, dann zeigt sich darin die Adaption antiliberalen Gedankenguts. Immerhin ist es noch nicht so weit, dass die Angeklagten gleich der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verdächtigt werden, obwohl das für politische Strafrechtsprozesse weitaus typischer wäre. Aber man muss ja nicht gleich den Teufel an die Wand malen. Ein paar Cartoons tun es auch.