18.8.06

Kiezmiliz

Haben Sie Kinder? Ja? Dann werden Sie vermutlich schon eine ganze Weile vor deren Geburt mit der Überlegung befasst gewesen sein, was da eigentlich später in den Pass eingetragen werden soll. Vielleicht haben Sie auch zu denen gehört, die ihren Nachwuchs mit einigem Stolz nach irgendeiner mehr oder minder konjunkturabhängigen Größe menschlichen Schaffens benamst haben. Manche dieser Patronagen sind dabei recht verräterisch. Männer beispielsweise aus der Generation der Sechzig- bis Siebzigjährigen, die auf Adolf hören, lassen durchaus gewisse Rückschlüsse mindestens auf die Neigungen der unmittelbaren Vorfahren zu. Schwieriger wird es schon bei Günther, gerne auch mal ohne „h“ – so heißen viele der männlichen, heute Dreißig- bis Vierzigjährigen: nach dem gleichnamigen Fußballer von Borussia Mönchengladbach, der immer wieder gerne erzählt, wie er sich in den Siebzigern mal bei einem Pokalendspiel selbst eingewechselt hat? Oder doch nach dem Mann mit der Pfeife, der immer so schöne und kluge Sachen schrieb und von dem man erst jetzt so richtig weiß, wo er das gelernt hat? Möglich ist beides. Mal sehen, wie viele Miroslavs, Bastiane und Lukasse demnächst geboren werden. Schließlich hat ja der Kaiser höchstselbst vermutet, das emotionale Hoch der Deutschen während der WM könne demografische Konsequenzen haben. Und der Mann weiß bekanntlich, wovon er spricht. Der Brauch, seinen Sprösslingen gleich mit deren Eintritt in die Welt ein Paket zu vermachen, das diese ein Leben lang mit sich herumschleppen, ist aber nicht nur hierzulande ausgesprochen populär, wie der Kurier vermeldet:

„Die neue Popularität von Hisbollah-Chef Scheik Hassan Nasrallah zeigt sich auch auf den Säuglingsstationen palästinensischer Krankenhäuser. Dort sind bei frischgebackenen Eltern die Namen ‚Nassrallah’ und ‚Hizbollah’ für ihre Babys derzeit besonders beliebt. Im Shifa-Krankenhaus in der Stadt Gaza etwa sind seit dem 12. Juli, dem Beginn der Kämpfe gegen Israel, ein Dutzend Kinder entweder ‚Nasrallah’, ‚Hisbollah’, ‚Beirut’ oder gar ‚Versprechen’ genannt worden – nach der Bezeichnung der schiitischen Miliz für ihre Militäraktion ‚Das wahre Versprechen’. Nahed Ghurani berichtet, seine Frau habe den Sohn ‚Nasrallah’ nennen wollen, ‚aber ich wollte ‚Hisbollah’ – um des gesamten Widerstands zu gedenken’. Seine Freunde hätten ihn zwar gewarnt, dass der Junge mit diesem Namen keine Arbeit finden und nicht ins Ausland reisen könnte. ‚Ich mache auch in Israel Geschäfte’, sagt der wohlhabende Obstimporteur, ‚aber ich habe auch nationalistisches Temperament’.“
So kann man das Bedürfnis, seinen Kurzen sozusagen den Djihad in die Wiege zu legen, natürlich auch formulieren. Die Zeitung berichtet weiter, Ahmadinedjad sei ebenfalls schwer im Kommen, wie es vorher einen Saddam- und Osama- respektive Ahmed-, Yassin- oder Scheich Yassin-Boom gegeben habe. Und wo man sich schon so um die lieben Kleinen sorgt und Sinn für, ja doch, Symbolik hat, wird man natürlich stinkewütend, wenn der jüdische Staat zur Selbstverteidigung greift und einer Bande von mörderischen Gotteskriegern Einhalt gebieten will. Da hilft es dann nur noch, uralte antisemitische, aber gewissermaßen pädagogisch wertvolle Zugpferde aus dem Stall zu holen. Und so bricht sich schon mal das im Galopp Bahn, was der nämliche kleine Mann in der Regel für Rache hält. Wie etwa kürzlich im türkischen Alanya, einem beliebten Badeort auch für israelische Touristen: „Für israelische Kindermörder kein Verkauf, kein Eintritt“, stand da auf einem Schild am Eingang eines Bekleidungsgeschäfts (Foto oben), die modernisierte Variante von „Verkauf’ nicht an Juden“ also. Der israelische Urlaubsgast Nimrod Buchman fotografierte diese Tirade, nachdem er den Laden gemeinsam mit seiner Freundin wieder verlassen hatte. Die Verkäufer hätten sie sofort als Israelis erkannt (!), auf den Libanon-Krieg angesprochen und zum Verlassen des Geschäfts aufgefordert, sagte er. Anschließend habe es auch noch Streit um das Foto gegeben. Dieser Vorfall sei nicht der erste seiner Art in den letzten Monaten gewesen, klärte ynetnews, das Internetangebot der israelischen Tageszeitung Yedioth Aharonoth, weiter auf.

Hierzulande hat man für so etwas ein wenig subtilere Methoden zu bieten: Man beruft sich für das, was man an Israel so alles auszusetzen hat, gerne auf Juden. Besonders gut beherrscht das die Linke, die ihren Antisemitismus hinter diesen Kronzeugen zu verstecken sucht, sich dabei im Laufe der Zeit aber immer dämlicher angestellt hat, weshalb nun schon länger einigen aufgefallen ist, dass da bloß ein antisemitisches Bedürfnis seine Kanalisation sucht. Aber das ficht die Aufrechten selbstmurmelnd nicht an. Und so machte beispielsweise ein so genannter Szene-Buchladen in Hamburg bereits in seinem Schaufenster überdeutlich, welche, sagen wir, Zielgruppe er sich vorstellt – und welche nicht. Etwas spröde, die Deko (Foto links*), aber stringent und eindeutig: Ausgestellt ist natürlich Felicia Langer nebst Norman Finkelsteins „Antisemitismus als politische Waffe“, und auch Sumaya Farhat-Naser darf mit ihrem „Thymian und Steine“ nicht fehlen. Dann platziert man noch Amir Gutfreunds „Unser Holocaust“ in der oberen Reihe, natürlich vor allem deshalb, weil der Autor der Ansicht ist, auch in Israel könne im schlimmsten Fall Ähnliches geschehen wie in Nazideutschland. Darf man selber ja nicht sagen.

Als Blickfang dient schließlich zweierlei: Zum einen ein Fotoband mit dem Titel „Vision: Palestine“, den die Agentur der Autorin so bewirbt: „Andrea Künzig war mit ihrer Kamera dabei, als Jassir Arafat 1994 nach dreißigjährigem Exil die Grenzen zum Gazastreifen überschritt und die pälestinensischen [sic!] Gebiete in die Selbstverwaltung übergingen. [...] Die politische Dimension des israelisch-palästinensischen Konflikts ist dabei als ‚Subtext’ immer vorhanden.“ Was man sich ziemlich gut vorstellen kann, wenn jemand nachgerade davon beseelt ist, den Meister bei seinem Weg über den Rubikon ins Bild zu setzen. Und zum anderen klebt da mitten im Schaufenster ein Ausschnitt aus der taz: „Vertreter des Zentralrats kritisiert Israel“, liest man schon von ferne; ordentlich sind per Hand Quelle und Datum hinzugefügt. Damit glaubt man sich dann quasi aus dem Schneider. Noch viel billiger geht’s allerdings nicht. Manchmal ist es schade, dass es eine Preisbindung für Bücher gibt. Aber nur manchmal.

Vielleicht ist es ja besser, keine Kinder in die Welt zu setzen. Dann muss man auch nicht befürchten, dass sie sich später irgendeiner Kiezmiliz anschließen. Und ihren Bälgern Namen geben, die diese irgendwann verfluchen könnten.

Update: Ein Accessoire im Schaufenster blieb zu Unrecht ohne Würdigung – der obligatorische Pflasterstein links neben dem Bildband. Das Miniaturmodell einer Katjuscha-Rakete lag zum Zeitpunkt der Aufnahme vermutlich noch beim deutschen Zoll. (Danke an Rosa für den Hinweis.)

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Hattip: Michaela, Olaf, Philipp & Valérie