26.10.06

Hoppauf Hakoah!

Zu den traditions- und erfolgreichsten Sportvereinen Österreichs zählt immer noch der SC (früher SK) Hakoah Wien. Seine Ringer, Schwimmer und Wasserballer errangen internationale und olympische Titel; bekannt wurde der Klub jedoch vor allem durch seine Fußballmannschaft. Die Gründung der Hakoah erfolgte 1909, zum einen als Folge des gestiegenen Selbstbewusstseins liberaler Juden und zum anderen als Konsequenz aus dem wachsenden Antisemitismus, der es Juden immer schwerer oder sogar unmöglich machte, in anderen Vereinen Aufnahme zu finden. „Wann die g’winnen, gibt’s an Pogrom“, hörte man in den zwanziger Jahren auf den Tribünen so manches Wiener Fußballklubs; Hakoah war 1920 in die höchste Spielklasse aufgestiegen und spielte bereits unter Profibedingungen, als es professionellen Fußball in Österreich offiziell noch gar nicht gab. Hauptkonkurrent war zu jener Zeit der Lokalrivale Austria. 1925 errang Hakoah die österreichische Fußballmeisterschaft und war mit rund 5.000 Mitgliedern zeitweilig die größte Sportorganisation der Welt. Viele Juden in aller Welt sympathisierten und identifizierten sich mit ihr, darunter nicht wenige Schriftsteller und Intellektuelle wie etwa Franz Kafka und Friedrich Torberg.

„Die Machtübernahme der Nationalsozialisten bedeutete das Ende des Vereines und seiner Sportstätten. 1938 wurde der Platz im Prater ‚arisiert’, 1941 der Name Hakoah in Wien offiziell ausradiert“, schildert der Klub auf seiner Website die weitere Entwicklung seiner Geschichte. Einige Spieler wanderten nach Palästina aus; dort gründeten sie 1938 den Verein Hakoah Tel Aviv, der mit Maccabi Ramat Gan schließlich zu Hakoah Ramat Gan fusionierte und heute in der ersten israelischen Liga spielt. Nach der Niederschlagung des Nationalsozialismus füllten jedoch auch einige wenige Überlebende und Rückkehrer die Wiener Hakoah mit neuem Leben, obwohl die beschlagnahmten Spielstätten nicht zurückerstattet wurden. Heute umfasst der Verein die Sportarten Basketball, Karate, Schwimmen, Touristik & Skiclub, Tennis, Tischtennis und Wandern; eine Fußballabteilung ist nicht mehr dabei.

Zur Legende wurde Hakoah Wien insbesondere durch ein Spiel im Jahre 1923. Darüber berichtet Erik Eggers in der gestern erschienenen November-Ausgabe der Zeitschrift 11 Freunde in der Rubrik „Jahrhundertmannschaften“, und er weiß außerdem, dass der Klub nicht nur sportliche Prinzipien hatte, sondern auch der zionistischen Idee stark verbunden war. Da der Beitrag nicht online abzurufen ist, sei er hier vollständig dokumentiert.


Erik Eggers

Balltänzer und Muskeljuden


11 Freunde, Nr. 60 (November 2006)

Als Hakoah Wien 1923 den englischen Erstligisten West Ham United in dessen Stadion 5:0 schlug, brach ein neues Zeitalter an. Noch nie war ein Klub von der Insel dermaßen von Kontinentaleuropäern gedemütigt worden. Aber die Hakoah spielte nicht nur einen eleganten Fußball, sie sah sich auch als Kämpferin für die zionistische Sache.

Ein neues Zeitalter brach an mit diesem 3. September 1923, fand jedenfalls Walther Bensemann. Nachdem erstmals eine Mannschaft vom Kontinent auf der Insel gegen eine englische Profimannschaft gewonnen hatte, gegen einen Vertreter der Pioniere des Fußballs, sah der Herausgeber des Kicker in einem Kommentar endgültig die „Suprematie des englischen Fußballsports gebrochen“. Und der profunde Kenner des englischen Fußballs, der umgehend dem österreichischen Verband zum glorreichen Sieg gratulierte, stand nicht allein mit diesem Urteil. Laut der Münchner Zeitschrift Fußball beschäftigte der spektakuläre 5:0-Sieg des SC Hakoah Wien beim englischen Erstdivisionär West Ham United „alle Sportzeitungen der Welt“. In Wien feierte Felix Schmal, der berühmte Fußball-Kommentator, die „sportliche Heldentat“ unter dem schottischen Trainer Bill Hunter. Klar war: Die 15.000 Zuschauer im Upton Park waren, da die Hakoah „zum ersten Male den Löwen in seiner eigenen Höhle bezähmt“ hatte, wie Bensemann schrieb, Zeuge einer historischen Stunde des Fußballs geworden.

Die publizistische Wucht, die der Kantersieg entwickelte, ist angesichts der Unantastbarkeit und Überlegenheit des britischen Fußballs in der frühen Epoche des Fußballs verständlich. Auf der Insel, wo es seit 1888 professionellen Fußball gab, nahm man die Amateure vom Festland nicht allzu ernst; nicht umsonst war die Football Association wieder einmal aus dem Weltverband FIFA ausgetreten. Auch die Hammers hatten die Hakoah womöglich unterschätzt, denn der Erstliga-Aufsteiger sonnte sich noch im Ruhm des legendären White Horse Finals im neu erbauten Wembley-Stadion, wo man im Sommer den Bolton Wanderers nur knapp mit 0:2 unterlegen war. Wer war da schon dieses Team aus dem fernen Österreich? So hatte West Ham für das Freundschaftsspiel auch zahlreiche Stammkräfte nicht aufgeboten.

Diese Konstellation mag der Grund dafür gewesen [sein], warum die englische Presse das Debakel nicht allzu entsetzt reflektierte. Allein die Daily Mail teilte diese Gelassenheit nicht. Dass der Gastgeber nicht in bester Besetzung angetreten sei, urteilte die Tageszeitung harsch, „ändert nichts an der Tatsache, dass West Ham in einer Art und Weise zu Boden gezwungen wurde, die wir nur mit dem Prädikat ‚lächerlich’ bezeichnen können, und dass die Hakoah uns ein Spiel vorführte, das vielen unserer Ligamannschaften zur Nachahmung dienen kann“. Was den Beobachter vor allem nachdenklich gemacht hatte, war die Kombination aus herausragender Athletik und technisch überlegenem Stil, mit dem die Wiener ihren Gegner ausgetanzt hatten.

„Die Wiener sind kräftig gebaute Leute“, urteilte der Fachmann, „von eher teutonischem als jüdischem Einschlag; ihre Form zeugte von der Arbeit eines guten Trainers; ihre Spielweise verriet Durchbildung und Methode; von Rempelcomment und Kick-and-rush-System wollten sie nichts wissen. Ihre Kombination war glänzend, ihr Stellungsspiel verständig, und niemals sah man Raketen. Alle Bälle kamen flach, das Zuspiel erfolgte im vollen Lauf und ebenso das Stoppen der Bälle, und vor allem: sie waren außerordentlich schnell am Ball, so schnell, dass manche West-Ham-Leute im Vergleich bleierne Füße zu haben schienen.“ Und dann rühmte er ausführlich den blitzschnellen ungarischen Rechtsaußen Sandor Nemes, der allein drei Tore erzielt hatte.

Der Hinweis auf den „jüdischen Einschlag“ verriet, dass es sich bei der Hakoah um keinen normalen Sportverein handelte. Hakoah ist hebräisch und heißt „Kraft“ – keine zufällige Bezeichnung, denn mit aller Kraft wollte der 1909 gegründete Klub auf dem Sportfeld das weit verbreitete antisemitische Vorurteil entkräften, Juden seien körperlich unterlegen. Getrieben durch die Idee des „Muskeljudentums“, das Max Nordau 1897 erstmals auf einem zionistischen Kongress postuliert hatte, war die Hakoah „mehr als ein Verein; [sie] war ein zionistisches, ein nationaljüdisches Projekt“ – so der Soziologe Detlev Claussen in seinem Buch über den Fußballer Béla Guttmann, der 1922 aus Budapest zur Hakoah gekommen war und in Wien als extrem offensiv ausgerichteter Mittelläufer zu einem Star avancierte. Auch die Daily Mail wies 1923 auf diesen politischen Aspekt hin: „Der Klub wurde zu dem Zweck gegründet, den Sport bei der israelitischen Jugend zu propagieren, um diejenigen, die später nach Palästina gehen, körperlich so durchzubilden, dass sie den Erfordernissen anstrengender Pionierarbeit gewachsen sind.“ Der Fußball sollte mithin als Vorbereitung auf das große Ziel der zionistischen Bewegung dienen: die Staatsgründung Israels.

Vor diesem Hintergrund war die Fußballsektion der Hakoah „nicht weniger als die planmäßig aufgezogene Promotion der zionistischen Sache auf dem Feld des Leistungsfußballs“, wie der Autor Ludwig Tegelbeckers schreibt. Dass die Spieler vornehmlich aus politischen Gründen für die Hakoah Tore schossen oder verhinderten, darf indes bezweifelt werden, denn sie hatten – wie etwa Josef Eisenhoffer oder auch Guttmann – vor ihrem Engagement mit der nationaljüdischen Sache rein gar nichts zu tun. Sie spielten bei der Hakoah als Profis, weil dort in Zeiten der Inflation enorm viel Geld zu verdienen war – was die Wasserballer, Ringer oder Schwimmer im damals größten jüdischen Klub der Welt vehement kritisierten. Davon unabhängig identifizierten sich viele Juden, die nach dem ersten Weltkrieg knapp zehn Prozent der Wiener Bevölkerung ausmachten, stark mit den Erfolgen der Hakoah, weil dem Verein neben Guttmann noch fünf weitere jüdische Spieler aus Budapest angehörten. Denn die Siege der Hakoah widersprachen dem „schlechten Image vom dreckigen, schwachen Ostjuden aus dem Schtetl“ (Ckaussen), diesem verarmten osteuropäischen Areal, dem so viele Wiener Juden entstammten.

Und Siege feierte die Hakoah auch nach 1923 noch reichlich. Als in Österreich das Profitum eingeführt wurde, errang der Verein 1925 die erste Meisterschaft. Im gleichen Jahr bezwang er den tschechoslowakischen Spitzenklub Slavia Prag in einem legendären Spiel mit 6:5 – nach einem zwischenzeitlichen 1:5-Rückstand. Der Niedergang der jüdischen Elf begann 1926, als die inzwischen weltberühmte Mannschaft zu einer USA-Tournee aufbrach. Fast zehn Akteure blieben danach nämlich in Amerika, um dort harte Dollars zu verdienen, unter ihnen auch der Schlüsselspieler Guttmann. Diesen personellen Aderlass vermochte die Hakoah nicht zu kompensieren, 1929 stieg der Klub in die 2. Liga ab. Was blieb, war der spektakuläre 5:0-Sieg bei West Ham United. Jener historische Erfolg, mit dem eine neue Ära anbrach.

Zu den Bildern (von oben nach unten): Heutiges Vereinslogo des SC Hakoah Wien; Szene aus dem Spiel West Ham United – Hakoah Wien, das den Hakoah-Spieler Grünwald (Zweiter von rechts) im Zweikampf mit einem englischen Verteidiger zeigt; die Fußballmannschaft der Hakoah im Jahre 1925.