24.10.06

Pallywood in Frankreich

„Dies ist ein düsterer Tag für Frankreich. Das französische Justizsystem hat einen falschen Bericht für rechtsgültig erklärt.“ Philippe Karsenty, Inhaber von Media Rating – einer Website, die die Medienberichterstattung kritisch kommentiert –, war entsetzt. Ein Pariser Gericht hatte ihn vergangene Woche zu einer Geldbuße von 1.000 Euro sowie zur Zahlung eines symbolischen Betrags von einem Euro an den französischen Fernsehsender France 2 und dessen Israel-Korrespondenten Charles Enderlin verurteilt. Karsentys angebliches Vergehen: Verleumdung. Er hatte France 2 vorgeworfen, vor sechs Jahren einen Beitrag über den Tod des zwölfjährigen Jungen Mohammed al-Dura gefälscht zu haben. Dabei hielt die Staatsanwaltschaft Karsentys Recherchen für stichhaltig und plädierte für ihn – doch der Richter entschied anders. „Wenn das Urteil Bestand hat, sollten sich Juden fragen, welche Zukunft sie in Frankreich noch haben“, sagte der Journalist. „Die Justiz deckt die antisemitischen Lügen eines öffentlichen Senders. Das ist ein eindeutiges Signal, es ist ernst.“ Und das ist möglicherweise erst der Auftakt: Die Gerichte befassen sich noch mit weiteren zwei Verleumdungsklagen von Enderlin und France 2 gegen französische Juden, die den Fernsehsender wegen seiner antiisraelischen Berichte kritisiert hatten.

Die Bilder gingen seinerzeit um die Welt: Zwei Tage nach dem Beginn der so genannten Al-Aqsa-Intifada starb am 30. September 2000 ein palästinensisches Kind bei einem Schusswechsel zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten in den Armen seines Vaters – getroffen, so schien es, von israelischen Kugeln. Die Aufnahmen stammten von Talal Abu Rahma, einem palästinensischen Kameramann, der für France 2 arbeitete. Abu Rahma überzeugte seinen Auftraggeber – den Israel-Korrespondenten des Senders, Charles Enderlin –, eine 55 Sekunden dauernde Sequenz ohne weitere Verzögerung, das heißt ohne Prüfung des Materials, auszustrahlen. Enderlin, der selbst nicht vor Ort war, verkündete im Journal de 20 heures, dass israelische Soldaten den Knaben mutwillig erschossen, also ermordet hätten. Der Fernsehbeitrag verfehlte seine Wirkung nicht: „Der Tod des Jungen löst gewaltsame Proteste und auch weltweit eine riesige Empörung aus. Er steht exemplarisch für die Brutalität der israelischen Armee. [...] Briefmarken mit dem Konterfei ‚der bleibenden Ikone’ der Intifada II Mohammed al-Dura werden in Ägypten und Tunesien gedruckt, in Kairo wird eine Straße nach ihm benannt, eine wahre Hysterie bricht aus“, schrieb die Publizistin Gudrun Eussner. Das Kind wurde zum Symbol für den neuerlichen Aufstand der Palästinenser, der seine Berechtigung nicht zuletzt aus den scheinbar eindeutigen Bildern zog. „Kindermörder Israel!“ riefen die Demonstranten einmal mehr – und das weltweit.

Doch einige wenige stellten Nachforschungen an und hatten bald erhebliche Zweifel an der Unumstößlichkeit des Films: Die israelische Armee etwa, die sich zunächst für den Tod Mohammed al-Duras entschuldigt hatte, kam bei intensiveren Nachforschungen zu dem Ergebnis, dass der Junge durch palästinensische Munition getroffen worden sein könnte. In Deutschland wurde eineinhalb Jahre nach der Schießerei eine Dokumentation der Journalistin Esther Schapira ausgestrahlt, die den Titel „Drei Kugeln und ein totes Kind“ trug und die offizielle Version ebenfalls in Frage stellte. „Je mehr wir nachgefragt und mit den Betroffenen gesprochen haben, desto klarer wurde, dass die Bilder gar nicht so eindeutig sind, wie sie scheinen. [...] Das Mindeste, was man sagen muss, ist, dass es keine eindeutigen Beweise dafür gibt, wer geschossen hat. Viele Indizien deuten aber darauf hin, dass palästinensische Kugeln das Kind trafen. Der Einschusswinkel lässt darauf schließen. Auch ballistische Erkenntnisse sowie die Aussage des Pathologen, der das Kind untersucht hat, stützen diese Vermutung“, sagte Schapira in einem Interview mit der Wochenzeitung Jungle World und berichtete von nicht unerheblichen Behinderungen ihrer Recherchen durch die Palästinenser. Nach der Ausstrahlung des Beitrags erhielt sie antisemitische Hassmails mit teilweise handfesten Drohungen.

Gleichzeitig weigerte sich France 2 zunächst, das insgesamt 27 Minuten umfassende Filmmaterial des annähernd eine Stunde dauernden Schusswechsels zu Prüfungszwecken freizugeben und eine weitere, umfassendere Dokumentation des Vorfalls zuzulassen. Dennoch häuften sich die Ungereimtheiten und Widersprüche: Wer die Schüsse in Richtung des palästinensischen Jungen und seines Vaters abgegeben hatte, war in dem knapp einminütigen Ausschnitt aus den Aufnahmen des Kameramanns Talal Abu Rahma nicht zu sehen. Auch von Blut weit und breit keine Spur, obwohl die beiden al-Duras angeblich zwanzig Minuten lang mit offenen Wunden an ihrem Ort verharrten. Ein Krankenwageneinsatz war ebenfalls nicht dokumentiert, es gab keine Autopsie, und von den etwa zehn anderen am Tatort anwesenden Reportern diverser Agenturen konnte niemand das bestätigen, was der Kameramann von France 2 gesehen haben wollte. Dass noch nicht einmal gezeigt wurde, wie der Junge getroffen wurde, begründete Charles Enderlin mit einem Verweis auf das Gebot der Pietät. Vier Jahre nach der Sendung ließ sich diese Rechtfertigung jedoch nicht mehr halten: „Die beiden angesehenen Journalisten Denis Jeambar, Herausgeber der Zeitschrift ‚L’Express’, und Daniel Leconte, ein ehemaliger Mitarbeiter von France 2, [sichten] gemeinsam mit Luc Rosenzweig, einem ehemaligen Redakteur der ‚Le Monde’ und heutigen Mitarbeiter der israelischen ‚Metula News Agency (Mena)’, das gesamte Filmmaterial und stellen fest, dass es die von Charles Enderlin angeblich herausgeschnittene Szene von der Agonie des Mohammed al-Dura nicht gibt“, berichtete Gudrun Eussner in einem aufschlussreichen und lesenswerten Beitrag auf ihrer Website, der auch über die Auseinandersetzungen Jeambars, Lecontes und Rosenzweigs mit Enderlin aufklärt sowie weitere Reaktionen und das Desinteresse etablierter Medien an diesem Skandal schildert.

Noch früher, nämlich bereits im Oktober 2003, hatte der Historiker Richard Landes das Filmmaterial von France 2 in Augenschein nehmen können. Er kam zu dem Ergebnis, dass die ganze Szenerie von der palästinensischen Seite gestellt worden war – um zwei Tage nach Ausrufung der zweiten Intifada einen propagandistischen Coup zu landen –, dass Mohammed al-Dura sich noch bewegte, als der französische Fernsehsender ihn bereits für tot erklärt hatte, und dass auch andere vermeintliche Verletzungen schlichtweg eine Fälschung darstellten. Als Landes Enderlin mit diesen Erkenntnissen konfrontierte, habe er die lapidare Antwort bekommen: „Oh, das machen sie immer. Das ist ihr kultureller Stil.“ Der Tod Mohammed al-Duras sei gleichwohl nicht erfunden: „Dafür sind sie nicht gut genug.“ Landes – der von Philippe Karsenty (Foto) als Zeuge in seinem Prozess gegen France 2 berufen wurde – versuchte vergeblich, die Aufmerksamkeit der Mainstreampresse auf diesen Skandal zu lenken, und stellte schließlich Videobeiträge zu Mohammed al-Dura ins Netz; darüber hinaus sind auf der von ihm ins Leben gerufenen Website The Second Draft ausführliche Dokumentationen und Hintergründe zu den Geschehnissen vom 30. September 2000 abzurufen. Der Historiker vergleicht die Bedeutung des aktuellen Gerichtsverfahrens gar mit der Dreyfus-Affäre Ende des 19. Jahrhunderts.

Gemessen daran ist das Schlimmste zu befürchten, nachdem das Pariser Gericht in seltener und überraschender Abweichung vom Plädoyer der Staatsanwaltschaft den Media Rating-Chef Karsenty verurteilte. Damit hat die französische Justiz erdrückende Beweise und Indizien für ein neuerliches Pallywood absichtsvoll in den Wind geschlagen. Appeasement ist noch die harmloseste Bezeichnung für diese Art der Geschichtsklitterung. Sie ist ein Sieg für die Intifadisten und Djihadisten – mitten in Europa.

Hattip: barbarashm