Steilvorlagen und Schenkelklopfer
Es ist ein Jammer, dass sich kein einheimischer Kabarettist des ganzen wirklich brillanten, weil absurden Materials annimmt, das in Presse, Rundfunk und Fernsehen sowie im Internet kursiert. Hierzulande spaßt man lieber über Hartzvier und die Gesundheitsreform, verlacht den amerikanischen Präsidenten und die Bundeskanzlerin oder spöttelt über Gammelfleisch und Dieter Bohlen. All diese Schenkelklopfer sorgen jedoch bestenfalls für gepflegte Langeweile und bedienen ansonsten zielsicher die ohnehin vorhandenen Ressentiments; deren Protagonisten geben sich subversiv, wenngleich ihre vorgebliche humoristische Rebellion nichts weiter ist als purer Konformismus. Um das Thema Islam wird deshalb ein kilometerlanger Bogen gemacht: Bloß nichts und niemanden provozieren – wenn schon ein paar Karikaturen oder eine harmlose Papstrede ausreichen, um einen muslimischen Tsunami auszulösen, was wird dann erst los sein, wenn der Spaß im öffentlich-rechtlichen oder auch privaten Abendprogramm respektive auf den Brettern, die doch angeblich die Welt bedeuten, für Unterhaltung sorgen soll? Da verbrennt sich lieber niemand die Finger, obwohl dem Kabarett in seinen guten Zeiten kein Eisen zu heiß war, um es zu einer Waffe der Kritik zu schmieden. Doch das ist lange her. Dabei gäbe es so viel Stoff zu verarbeiten, dass selbst mäßig begabte Nachwuchskünstler berechtigte Hoffnungen haben dürften, nicht mehr für einsfünfzig die Stunde Laub rechen oder Fahrkarten kontrollieren zu müssen. Nachfolgend ein paar mehr oder weniger wahllos zusammengestellte Ideen der letzten Tage, mit denen Berufene problemlos eine neunzigminütige Vorstellung gestalten könnten.
Hosni Mubarak beispielsweise ist eine echte Fundgrube. Kein besonders guter Rhetoriker, aber ein, sagen wir, durchaus begabter Büttenredner. „Sollten wir Muslime nicht einen Teil der Verantwortlichkeit für die falschen Ideen über den Islam auf uns nehmen? Haben wir unsere Pflicht erfüllt, das Bild des Islam und der Muslime zu korrigieren? Was haben wir unternommen, um einem Terrorismus zu begegnen, der unter dem Deckmantel des Islam auftritt und das Leben von Menschen bedroht?“, fragte der ägyptische Präsident während des Ramadan in eine Runde von ägyptischen Beamten und islamischen Klerikern – und ließ sogleich die Pointe folgen: „Wir nehmen es nicht hin, dass unsere Heiligtümer im Namen des Meinungs- oder Pressefreiheit beleidigt werden, denn wenn unser Glauben nicht respektiert wird, entfacht das wütende Emotionen und Extremismus, und es führt uns zu ernsten Schritten.“ Mit denen die falschen Ideen über den friedlichen Islam dann umgehend korrigiert werden. Der Deckmantel kommt derweil in die Altkleidersammlung. Da guckt aber kein Kabarettist jemals hinein.
Der britische Daily Star hätte die Geschichte vermutlich gerne gedruckt, aber den hielt die National Union of Journalists (NUJ) schon davon ab, eine Satire namens „Daily Fatwa“ zu veröffentlichen, die neben einem „Seite 3 Burka Babes Special“ auch einen „Verbrenn’ eine Fahne und gewinn’ einen Corsa“-Wettbewerb sowie eine „Allah ist groß“-Kolumne umfassen sollte. Das Ganze „könnte als rassistisches Vorurteil und Provokation angesehen werden“, fand die NUJ; das Material „hätte die muslimische Gemeinschaft schwer verletzt“. Muslimische Kommentatoren begrüßten den Schritt der Vereinigung, das Vorhaben des Boulevardblatts zu unterbinden: Die Publikation hätte ähnliche Reaktionen wie die dänischen Cartoons auslösen können. Genau das wäre aber wirklich eine perfekte Steilvorlage gewesen – Ken Livingstone oder George Galloway geben als Muslimbrüder im Geiste eigentlich immer prächtige Witzfiguren ab. Schade um die verpasste Chance.
Doch auch in britischen Kreisen, in denen wohl eher die Times oder der Guardian gelesen wird als die Yellow Press, liefert man gerne das Material für Grotesken: Ein von der Regierung unterstütztes akademisches Forschungsprojekt, das die Hintergründe für den in den letzten zwanzig Jahren gewachsenen Einfluss islamistischer Gruppierungen in sechs ausgewählten Regionen und weiteren sechs Ländern eruieren sollte, wurde gestoppt: Forschungseinrichtungen fürchteten, ihre Wissenschaftler würden mit dem Vorhaben in akute Gefahr gebracht; darüber hinaus habe man den Eindruck, hier sollten Akademiker wie im Kalten Krieg als Spione dienen und „in eine Art islamischen McCarthyismus“ hineingezogen werden, „der schwer wiegende Implikationen für die akademische Freiheit“ habe. Was die in islamischen Staaten arbeitenden britischen Forscher nun mit letzterer anfangen, nachdem sie sie erfolgreich gegen die Counterinsurgency verteidigt haben, ist nicht bekannt.
Vielleicht nehmen sie sich ja derweil die Zeit, mal einen genauen Blick in die heilige Schrift des Islam zu werfen. Am ungestörtesten ist man dabei bekanntlich auf dem stillen Örtchen. Nur vergessen sollte man das Buch dort nicht, denn das kann bekanntlich böse Folgen haben. Und das neuerdings nicht nur in den Ländern, wo der Koran die größte Verbreitung findet, sondern auch in den USA: Dort wurde er in der Pace University kürzlich gleich zwei Mal auf der Toilette liegen gelassen. „Das unterscheidet sich nicht von einem brennenden Kreuz vor einem Haus oder einem Hakenkreuz an einem Spind“, fand Aliya Latif von der Muslim-American Lawyers Association. Und Omar T. Mohammedi vom American-Islamic Relations Council frohlockte: „Wir haben gestern mit dem New York Police Department gesprochen, und dort sagten sie, sie täten alles in ihrer Macht Stehende, um eine Verhaftung herbeizuführen.“ Koran + Klo = Knast. Nachgerade ein Elfmeter ohne Torwart für jeden halbwegs zielsicheren Kleinkünstler. Nur ist gerade mal wieder kein Schütze in Sicht.
Und schließlich wäre da noch Human Rights Watch, eine dieser so genannten Menschenrechtsorganisationen, die schon wussten, mit welch brutalen Waffen Israel im Libanon vorging, als noch nicht einmal die Tinte auf dem Papier der UN-Resolution 1701 getrocknet war: mit Streubomben nämlich, gegen die die Raketen der Hizbollah offenbar ein harmloses Kinderspielzeug waren. Jetzt, drei Monate später, ist die Organisation ernsthaft von der Erkenntnis „beunruhigt“, dass auch Nasrallahs Truppen diese Geschosse einsetzten. Zuvor hat sie die Hizbollah wahrscheinlich für ihre libanesische Dépendance gehalten.
Doch weit uns breit ist niemand in Sicht, der uns stilsicher mit diesen Perlen der Realsatire beglücken könnte. Also weiter mit Hartz und Ulla Schmidt, weiter mit Bush und Merkel, weiter mit Fleischskandalen und einem früheren Modern Talking-Barden samt seinen Gespielinnen. Weiter also mit den Anschlägen auf den guten Geschmack. Dass das Anschläge ganz anderen Kalibers dauerhaft verhindert, darf allerdings bezweifelt werden. Gut, dass wenigstens den Dänen die Ideen nicht ausgehen (Foto oben).
Übersetzungen: Lizas Welt – Hattip: barbarashm