15.1.07

Pathologische Sesselpupser

Eine World without Zionism hätte Mahmud Ahmadinedjad bekanntlich gerne, und dazu bietet er von der Holocaustleugner-Konferenz bis zum Atomprogramm alles auf, wovon andere Judenhasser jeglicher Couleur nur träumen können. Sympathie ist dem iranischen Präsidenten deshalb allenthalben gewiss, von den offenen Antisemiten der NPD bis zu den Antizionisten dieser Welt zwischen Garmisch-Partenkirchen und Gaza.

Doch die Unterscheidung zwischen Antisemitismus und Antizionismus ist ohnehin überflüssig: „So, wie sich die Antisemiten in ihrer Wahnwelt an die Juden klammerten, klammern sich heute die Antizionisten an Israel“, schreibt Henryk M. Broder, und er sagt auch, warum genau das hierzulande „der Weg ins Rampenlicht für alle ist, die bei DSDS keine Chance hätten, in das Sechzehntelfinale zu kommen“, und wie diese sich ihr Tun auch noch versilbern lassen.


Henryk M. Broder

Zwischen Analphabetismus und Exhibitionismus


Die Rollenumkehr von Täter und Opfer ist nicht nur das Leitmotiv des Antizionismus. Darauf basiert auch der klassische Antisemitismus. Allein aus diesem einen Grund ist die qualvolle Unterscheidung zwischen Antisemitismus (böse Nazis!) und Antizionismus (brave Antiimperialisten!) reine Haarspalterei, ausschließlich dazu bestimmt, eine künstliche Distanz zwischen Antisemiten und Antizionisten zu konstruieren, die es in der Realität nicht gibt. Zum Repertoire der Rollenumkehr gehört auch, dass der Antisemit vom Juden verfolgt wird und dass er sich nur gegen das zur Wehr setzt, was der Jude ihm angetan hat, antun möchte oder demnächst antun könnte. Die Nazis behaupteten, das Weltjudentum habe dem Deutschen Reich den Krieg erklärt; aus ihrer Perspektive war Auschwitz nur ein Akt der Selbstverteidigung. Wer das für einen Witz hält, über den nicht einmal der normal verblödete Stürmer-Leser lachen könnte, sollte mal die Diskussionen über die Frage „Wer hat angefangen?“ nachlesen, die noch in den siebziger Jahren in der alten BRD geführt wurden, unter anderem von Wissenschaftlern wie dem ehemaligen NS-Wehrpsychologen Prof. Dr. Peter R. Hofstätter.

Aber der Antisemit behauptet nicht nur, dass der Jude angefangen hat und deswegen die Folgen seines Tuns hinnehmen muss; er möchte auch, dass der Jude es einsieht und sich in sein Schicksal fügt. Am besten, er soll kooperieren. Weswegen bei den heutigen Antisemiten Juden hoch im Kurs stehen, die sich als Kronzeugen für die Schlechtigkeit und Bösartigkeit des Judentums anbieten, Hajo Meyer zum Beispiel, früher Auschwitz, heute Heiloo/Holland, oder Gerard Menuhin, Kolumnist der Nationalzeitung, die ebenfalls den Antizionismus für sich entdeckt hat. Und wenn einer Tony Judt heißt und immer wieder mit akademischem Elan verkündet, die Gründung Israels sei ein Fehler gewesen, den man korrigieren sollte, dann ist ihm die liebevolle Zuneigung aller Antisemiten und Antizionisten sicher, die sich auf ihn berufen und sagen können: „Der Judt sagt es doch auch! Und er ist ein Jud!“ Selten war ein Name dermaßen Programm. Als Sigmund Freud Wien verlassen musste, wollte die Gestapo von ihm die Bestätigung haben, dass er gut behandelt wurde. Freud nahm ein Stück Papier und schrieb darauf: „Ich kann die Gestapo jedermann nur empfehlen.“ Und die Autogrammsammler von der Gestapo merkten nicht einmal, wie es gemeint war. Als Israel vor ein paar Monaten zum ersten Mal erklärte, es werde nicht abwarten, bis der iranische Präsident – nicht gedacht soll seiner werden! – seine Ankündigung wahr- und das zionistische Gebilde platt macht, meldete Focus online: „Israel droht Iran mit Selbstverteidigung“. Auch die Kollegen in München merkten nicht, was für eine tolle Pointe ihnen da gelungen war.

Hinter all dem steckt die tiefe Überzeugung, dass der Jud’ dafür verantwortlich ist, was der Antisemit tun muss. Rainer Werner Fassbinder lässt in seinem Stück über die Stadt, den Müll und den Tod einen Antisemiten diese Sätze sagen: „Und Schuld hat der Jud, weil er uns schuldig macht, denn er ist da. Wär er geblieben, wo er herkam, oder hätten sie ihn vergast, ich könnte besser schlafen...“ – was nebenbei auch beweist, dass Fassbinder kein Antisemit war, weil kein Antisemit zu solchen Reflektionen imstande ist. Der gemeine Antisemit hat ein pathologisch sauberes Gewissen, das nur Menschen haben, die das Unvermeidliche zum Wohle aller erledigen – wie Abdecker und Kammerjäger. Waren Juden in der NS-Propaganda Ratten, so trinken sie heute das Blut palästinensischer Kinder. Und so wie der Antisemit früher die Rattenplage bekämpfen musste, muss der Antizionist heute Spenden für Palästina sammeln, wo eine humanitäre Katastrophe droht und es an allem mangelt, nur nicht an Waffen und Munition.

Von August Bebel stammt der Satz, der Antisemitismus sei der „Sozialismus des dummen Kerls“. Was sicher noch immer richtig ist, auch wenn es schon zu Bebels Zeit promovierte Antisemiten gab. Heute ist der Antizionismus der dritte Weg zwischen Analphabetismus und Exhibitionismus, der Weg ins Rampenlicht für alle, die bei DSDS keine Chance hätten, in das Sechzehntelfinale zu kommen. Eine Ex-Nutte, die sich mit Hilfe des Internets zur „Publizistin“ befördert hat, fordert „die Installation eines paritätisch besetzten Rates, um die interstaatlichen Probleme“ zwischen Israel und Palästina zu lösen. Mit weniger gibt sie sich nicht ab. Ein anderer Bruchpilot – der beinahe ein weltberühmter Künstler geworden wäre, wenn er sich nicht der Lösung der Palästina-Frage verschrieben hätte – macht einen auf armen Hasen, hinter dem eine ganze Meute scharfer Hunde her ist: „Es kosten Geld und vor allem sehr viel Arbeitszeit. Es ist auch das Jagopfer eines Netzwerkes das Kritiker der israelischen Regierung jagt.“ Mag es mit der Rechtschreibung und der Zeichensetzung noch hapern, die Selbststilisierung als Opfer der Juden/Zionisten klappt schon ganz gut. Deswegen sind alle zur Hilfe für das Palästina-Winterhilfswerk aufgerufen: „Es wäre schön, wenn jede(r) NutzerIn ab und zu einen Euro (oder auch mehr) spenden würde.“ Wie hat es Wolfgang Neuss schon vor Jahrzehnten getrommelt: „Ich bin die Nonne Elisabeth aus Basel, ich bin eine Supernonne, meine Mutter war schon Nonne, meine Großmutter war schon Nonne. Schreiben Sie mir, schreiben Sie mir auf mein Konto!“

Und so entpuppt sich manches „Jagopfer“ der Zionisten als Schnorrer, dem es dank der Gnade der späten Geburt nicht vergönnt war, beizeiten einen bescheidenen Arisierungsgewinn zu machen, und der heute seinen Idealismus mit Kleingeld versilbern möchte. Während Juden, die sich gemeinerweise nicht aus der Geschichte verabschieden wollen, den Holocaust für ihre Zwecke missbrauchen und dabei alles recht finden, „um anscheinend einen neuen Weltkrieg zu provozieren“. Israel verhindert nicht nur die Bildung eines demokratischen, säkularen palästinensischen Staates – den die Palästinenser natürlich längst hätten, wenn es Israel nicht gäbe –, es hält auch die arabischen Länder davon ab, bei sich daheim demokratische Verhältnisse einzuführen, weil sie vor lauter Stress mit Israel dazu keine mentalen Ressourcen frei haben. Und natürlich bedroht Israel den Weltfrieden, den Nordkorea, Pakistan, Iran und China täglich aufs Neue garantieren. Träumten früher die Antisemiten von einer Welt ohne Juden, träumen die Antizionisten heute von einer Welt ohne Zionismus. Und so, wie sich die Antisemiten in ihrer Wahnwelt an die Juden klammerten, klammern sich heute die Antizionisten an Israel. So bekommt jeder Sesselpupser einen Fuß in die Tür zur Ewigkeit. Er muss nur den Satz „Nieder mit dem Zionismus!“ aussprechen können, ohne sich zu verhaspeln.

Die Rollenumkehr von Täter und Opfer ist nicht neu, aber immer wieder überraschend. Was den Antisemiten Recht war, kann den Antizionisten nur billig sein. Macht nix, die Rechnung kommt immer nach der Party.