20.11.07

Ende einer Menschenhatz

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Österreich ein weiteres Mal wegen seiner Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit verurteilt und gleichzeitig eine Entscheidung des Wiener Oberlandesgerichts aus dem Jahr 2002 kassiert. Das OLG hatte seinerzeit die Behauptung der rechtsradikalen österreichischen Wochenzeitung Zur Zeit und ihres Herausgebers Andreas Mölzer (Foto), „der jüdische Journalist Karl Pfeifer“ habe eine „Menschenhatz“ auf den Politologen Werner Pfeifenberger eröffnet und ihn dadurch in den Tod getrieben, als „zulässige Wertung“ eingestuft und eine Klage Pfeifers abgewiesen. Der zog deshalb vor den EGMR und bekam dort nun Recht.

Seinen Ursprung hatte das Verfahren dabei vor mehr als zwölf Jahren. Der damals an der Fachhochschule Münster lehrende österreichische Politikwissenschaftler Werner Pfeifenberger hatte 1995 dem Jahrbuch für politische Erneuerung der FPÖ einen Aufsatz mit dem Titel „Internationalismus gegen Nationalismus – eine unendliche Todfeindschaft?“ überlassen und in ihm stramm antisemitische Ansichten vertreten. (1) So schrieb er beispielsweise von einem „jüdischen Krieg“ gegen Deutschland, der „nicht im September 1939“ ausgebrochen sei und „nicht im Mai 1945“ geendet habe: „Er ist viel älter und wird als allgegenwärtiger Nachkriegskrieg bis zum heutigen Tage ausgetragen, mit anderen Mitteln, auf anderer Ebene, aber nicht weniger hasserfüllt und nicht weniger verderblich als vor einem halben Jahrhundert. Die Hasstiraden der Verleumdungskampagne gegen Kurt Waldheim sollten noch einmal jedermann deutlich vor Augen führen, dass dieser Weltkrieg noch lange nicht ausgestanden ist.“ Pfeifenbergers Ausfälle gipfelten in der Behauptung, „dass ‚Judäa’ kurz nach Amtsantritt der nationalsozialistischen Regierung nicht nur dieser, sondern ganz Deutschland den Krieg erklärte“.

Karl Pfeifer befand daraufhin in einem Beitrag für die Zeitung der Israelitischen Kultusgemeinde Wiens, Pfeifenberger wärme „die alte Nazi-Mär von der jüdischen Weltverschwörung langatmig auf“, nehme eine „klassische Täter-Opfer Umkehr“ vor und verwende „Nazidiktion“. (2) Der Politikprofessor wollte diese Einschätzungen nicht akzeptieren und versuchte, sie gerichtlich untersagen zu lassen. Damit scheiterte er jedoch, denn sämtliche Instanzen betrachteten Pfeifers Urteile als zulässige Äußerungen. In der Zwischenzeit war – vor allem durch die nimmermüden Aktivitäten studentischer Gruppen – auch die Leitung der Fachhochschule Münster auf die rechtsradikalen Auslassungen ihres Professors aufmerksam geworden; 1997 entband sie ihn von seiner Lehrtätigkeit. Nachdem die anschließende fristlose Kündigung durch das Land Nordrhein-Westfalen durch ein Gericht für ungültig erklärt worden war, wurde der Apartheid-Sympathisant Pfeifenberger 1999 an die FH Bielefeld versetzt, wo er nicht mehr lehren, sondern „nur“ noch forschen durfte.

Mittlerweile war gegen ihn in Österreich zudem ein Strafverfahren wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung eingeleitet worden. Noch vor der Hauptverhandlung, die Ende Juni 2000 stattfinden sollte, stürzte Pfeifenberger in den Alpen in den Tod. Mehrere Nachrichtenagenturen meldeten daraufhin, der Politologe habe Selbstmord begangen. Doch die rechtsradikale Zeitschrift Zur Zeit sah das erwartungsgemäß anders: Für sie war Pfeifenberger das Opfer einer „Jagdgesellschaft“ mit Karl Pfeifer an der Spitze. Denn der habe mit seinem Artikel aus dem Jahr 1995 „eine Menschenhatz eröffnet, die in der Folge bis zum Tod des Gehetzten gehen sollte“, schrieb Zur Zeit in einem Beitrag mit dem Titel „Tödlicher Tugendterror“, der unter einem Pseudonym veröffentlicht wurde. Unter dem Text befanden sich steckbriefartige Porträts von zehn Personen, die von dem Blatt für den Tod Pfeifenbergers verantwortlich gemacht wurden. Der Herausgeber der Gazette, Andreas Mölzer, startete zudem eine publizistische Kampagne gegen Pfeifer und bezeichnete ihn selbst in Bittbriefen an die Abonnenten als „mörderischen Hetzer“.

Der Wiener Journalist, der 1938 vor den Nazis fliehen musste, verklagte daraufhin Zur Zeit und Mölzer wegen übler Nachrede. Zunächst bekam er Recht; die Zeitung und ihr Chef wurden im März 2001 zu einer Zahlung von 3.650 Euro verurteilt. Doch das Wiener Oberlandesgericht kippte diesen Beschluss in mehreren Entscheidungen zwischen Oktober 2001 und August 2002: Zunächst befand eine Richterin – die eine harmlose Karikatur Jörg Haiders als Teufelchen noch für „grob ehrenrührig“ gehalten hatte –, der Vorwurf einer mörderischen Menschenhatz sei eine „zulässige Meinungsäußerung“; schließlich habe Zur Zeit bloß eine „Schlussfolgerung und Wertung“ vorgenommen und „keine Tatsachenbehauptung“ aufgestellt. (3) Danach revidierte der schon für die erste Instanz zuständige Richter plötzlich seine Meinung, stufte eine Beleidigung, die er wenige Monate zuvor noch mit einer Geldstrafe geahndet hatte, nun als „zulässige Kritik“ ein und sprach Andreas Mölzer frei. Schließlich bekräftigte das OLG Wien diese Urteile erneut: Zur Zeit und ihr Herausgeber hätten ihre Äußerungen über Karl Pfeifer auf ein „ausreichendes Tatsachensubstrat“ gestützt, das die „Wertung“, Pfeifenberger sei Opfer einer Jagd geworden, „für möglich erscheinen lässt“.

Pfeifer rief daraufhin den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an und bekam dort nun Recht: Der EGMR sah in dem OLG-Urteil eine Missachtung des Artikels 8 (Recht auf Schutz des Privatlebens) der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die von Zur Zeit und Andreas Mölzer erhobenen Beschuldigungen ließen sich auch nicht mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung rechtfertigen, befanden die Richter, denn der Journalist sei einer kriminellen Handlung bezichtigt worden, ohne dass die ihm gegenüber erhobenen, schwer wiegenden Anschuldigungen mit Fakten untermauert worden seien. Für den materiellen und immateriellen Schaden wurde ihm eine Entschädigung von insgesamt 15.000 Euro zugesprochen. Karl Pfeifer war erleichtert: „Ich bin dem EGMR dankbar, dass ich nicht mehr dieser Justiz ausgeliefert bin“, sagte er. Er kritisierte zudem die „Schlampigkeit und Einäugigkeit“ der österreichischen Behörden sowie die staatliche Förderung für Zur Zeit, die sich allein zwischen 2004 und 2006 auf rund 137.000 Euro belief.

Das Urteil, mit dem eine grobe Fehlentscheidung des Oberlandesgerichts in Wien korrigiert und die Hatz auf Karl Pfeifer beendet wurde, ist eine schallende Ohrfeige sowohl für die österreichische Justiz als auch für Andreas Mölzer und sein Organ. Pfeifer hatte den Beitrag eines rechtsradikalen Politikprofessors zutreffend als antisemitisches Pamphlet analysiert, nicht mehr und nicht weniger. Und selbst wenn Werner Pfeifenberger Suizid begangen haben sollte, weil er die Konsequenzen seines Wirkens nicht ertragen konnte oder wollte, so lag das allein in seiner Verantwortung. Dass österreichische Gerichte anschließend die antisemitischen Tiraden und Hetzjagden einer Faschopostille und ihres Herausgebers allen Ernstes für eine „zulässige Kritik“ hielten, ist eine weitere Groteske, an denen es dem Alpen-Absurdistan nicht mangelt. Das europäische Gericht hat demgegenüber die Grundrechte gestärkt und deutlich gemacht, wo die Grenze zwischen dem Recht auf das freie Wort und einer Hasspredigt verläuft.

Anmerkungen:
(1) In: Lothar Höbelt/Andreas Mölzer/Brigitte Sob (Hrsg.): Freiheit und Verantwortung – Jahrbuch für politische Erneuerung 1995, Eigenverlag, Freiheitliches Bildungswerk, Politische Akademie der FPÖ, Wien 1995
(2) Karl Pfeifer: Freiheitliches Jahrbuch 1995 mit (Neo-) Nazi-Tönen, in:
Die Gemeinde, Offizielles Organ der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, 3. Februar 1995
(3) Aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 15. Oktober 2001 (Az: 18 Bs 229/01, liegt Lizas Welt vor)