Alpen-Absurdistan
Neues aus dem Land, in dem immer noch der Mythos gepflegt wird, man sei „das erste Opfer der Nazis“ gewesen: Das staatlich geförderte, rechtsradikale österreichische Wochenblatt Zur Zeit feiert seinen zehnten Geburtstag und erhält dabei herzliche Glückwünsche auch von der Sozialdemokratie, die ihrerseits das neueste Buch über die „Israel-Lobby“ vorstellen lässt, welches wiederum in einem Werbeprospekt von Zur Zeit neben anderen antisemitischen Schinken angepriesen wird. Der Bundesparteiobmann der FPÖ bekommt derweil von einem SPÖ-Politiker den Ritterschlag zum „aufrechten Deutschnationalen“.
Es war eine rauschende Party, die Zur Zeit kürzlich anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens feierte. Im österreichischen Fernsehen sah man Männer mit seltsamen Kopfbedeckungen und Schmissen im Gesicht, die in germanomanen Kreisen den Akademiker schmücken. Herbert Schaller, Rechtsbeistand von Neonazis und Redner bei der Teheraner Konferenz der Holocaustleugner im Dezember vergangenen Jahres, hielt eine Rede, und von seinem gleichgesinnten Kollegen David Irving wurde erst eine Videobotschaft an die Kameraden in Wien übermittelt, bevor man ihn auch schriftlich zu Wort kommen ließ (1). In der Jubiläumsausgabe der Zeitschrift zog Chefredakteur und Herausgeber Andreas Mölzer, der außerdem für die FPÖ im Europaparlament sitzt, kräftig vom Leder; er feierte sich und sein Propagandaorgan als Bastion der Pressefreiheit und attackierte die Gegner des Blattes. Der Journalist Karl Pfeifer beispielsweise wurde von ihm in bekannter antisemitischer Manier als „blinder Uralt-Schreiber aus dem Umfeld der israelitischen Kultusgemeinde“ diffamiert. (2)
Dennoch – oder gerade deshalb – ließen es sich zahlreiche Gratulanten nicht nehmen, dem Periodikum, das zunächst zwei Jahre lang die Österreich-Ausgabe der ultrarechten deutschen Zeitschrift Junge Freiheit war (3), herzlichste Glückwünsche auszurichten. Darunter war mit dem SPÖ-Mann Herbert Tumpel auch der Präsident der österreichischen Bundesarbeitskammer, an die jeder abhängig Beschäftigte seinen Pflichtbeitrag entrichten muss. „Ich schätze es, dass die ‚Zur Zeit’ auch darüber berichtet, was wir aus Sicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sagen“, ließ Tumpel ausrichten. (4) „Aktuell muss weiter alles gegen die nach wie vor zu hohe Arbeitslosigkeit getan werden – und wenn es neue Arbeitsplätze gibt, müssen dafür vor allem die Jungen ausgebildet und Arbeitssuchende geschult werden. Darüber wünsche ich mir eine faire Berichterstattung. Alles Gute zum zehnjährigen Jubiläum!“ So geht er wohl, der nationale Sozialismus.
Auf genau 136.889 Euro und 44 Cent beläuft sich der Zuschuss, den die österreichische Regierung der Zeitschrift zwischen 2004 und 2006 im Rahmen der Presseförderung zukommen ließ, und auch in diesem Jahr wird die Faschopostille weiterhin staatlich subventioniert. Dieses Geld kann sie dabei nicht zuletzt in die Werbung und den Vertrieb ihres Buchdienstes stecken, den sie gemeinsam mit der ebenfalls rechtsradikalen Zeitschrift Aula betreibt. Im neuen Katalog (5) findet sich dabei so ziemlich alles, was der moderne Deutschnationale braucht, von antiamerikanischen Verschwörungstheorien zum 11. September und David Irvings Erlebnissen und Gedanken in österreichischen Kerkern über Eva Hermans Buch Das Eva-Prinzip bis hin zu antisemitischen Pamphleten wie Judenfragen von Claus Nordbruch, Die Holocaust-Industrie von Norman G. Finkelstein oder Blumen aus Galiläa von Israel Shamir alias Jöran Jermas (für das ausdrücklich mit dem Hinweis geworben wird, das Buch sei in Frankreich verboten und der Verleger zu einer Haft- und Geldstrafe verurteilt worden).
Und der Buchdienst preist noch ein weiteres Werk an, das die Herzen der Antisemiten jeglicher Couleur höher schlagen lässt, nämlich Die Israel-Lobby von John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt. Im dazu gehörigen Werbetext heißt es, die „renommierten Politologen“ zeigten, „dass die US-Außenpolitik zunehmend beeinflusst wird“, und zwar „von einem losen Verbund proisraelischer Organisationen und Personen“. Deren „mächtigste Waffe“ sei „der Vorwurf des Antisemitismus gegenüber denen, die es wagen, sich kritisch zu äußern“. Das sieht man allerdings längst nicht nur bei den Rechtsaußen so: „Die Autoren fordern eine objektive Debatte über die Politik Israels“, befindet auch das sozialdemokratische Renner-Institut, und es kommt zu dem Schluss: „Dass sie dafür wütend angegriffen werden, bekräftigt ihre Thesen.“ Einen guten Grund zur Kritik dieser Schmähschrift mit Tradition kann es nämlich gar nicht geben, denn: „Fundiert und kompetent zeigen sie [Mearsheimer und Walt], wie die Lobby, ein loser Verbund von Individuen und Gruppen, arbeitet und welche Erfolge sie bereits erzielt hat.“
Was Zur Zeit Recht ist, ist einer Einrichtung, die 1972 „von der SPÖ als Träger der politischen Bildungsarbeit nominiert“ wurde, also definitiv billig, weshalb sie just gestern in Wien diese Neuauflage der Protokolle der Weisen von Zion im Rahmen der Veranstaltungsreihe Voices from America vorstellen und diskutieren ließ. Aber vielleicht war das auch nur konsequent. Denn Karl Renner – der Namensgeber des Instituts, der von 1918 bis 1920 österreichischer Staatskanzler und nach dem Krieg Bundespräsident war – hatte 1938 dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich zugestimmt und im August 1945 beteuert, die österreichischen Nationalsozialisten hätten doch recht eigentlich keinen Krieg gewollt, sondern „höchstens, dass man den Juden etwas tut“.
Bei so viel Einigkeit zwischen den Antiimps von links bis rechts wollte Caspar Einem nicht nachstehen. Schließlich wusste der Sohn einer geborenen von Bismarck und frühere Verantwortliche für den Geschäftsbereich Gas des österreichischen Mineralölkonzerns ÖMV schon immer, mit wem es die Deutschen und Österreicher eher nicht so gut können. Im Januar 2005 etwa warb der Präsident des Bundes sozialdemokratischer AkademikerInnen (BSA) in einem Interview mit Zur Zeit um Verständnis für die Weigerung der Sozialdemokraten, nach dem Zweiten Weltkrieg die jüdischen Intellektuellen ins Land zurückzuholen: Man habe halt „den Eindruck oder zumindest den Vorwurf vermeiden wollen, man wäre eine Judenpartei“. Und nun, kurz vor seinem Rückzug aus der Politik und seiner Rückkehr in die Wirtschaft, hatte er auch noch ein gutes Wort für den Bundesparteiobmann der FPÖ, Heinz-Christian Strache, übrig. Strache – von dem kürzlich noch ein Foto veröffentlicht wurde, auf dem er den so genannten Kühnen-Gruß entbietet – sei nämlich „ein aufrechter Deutschnationaler“, der anders als Jörg Haider halte, was ausgemacht worden sei. (6) Warum die SPÖ von Straches Partei dennoch die behaupteten „Welten trennen“ sollen, führte Einem nicht aus.
Gewiss: Sozialdemokraten sind keine Nazis. Aber warum das so ist, wissen sie bisweilen selbst nicht so genau. Vor allem nicht im Alpen-Absurdistan.
Anmerkungen:
(1) http://tinyurl.com/29wfjc
(2) Zur Zeit Nr. 43-44/07, S. 38
(3) http://tinyurl.com/29usum
(4) Zur Zeit Nr. 45/07, S. 17
(5) (Noch) nicht online verfügbar, liegt Lizas Welt jedoch vor
(6) Österreich, 13.10.2007
Herzlichen Dank an Karl Pfeifer für wertvollste Recherchen und Hinweise.