10.2.08

Gastspiel-Grotesken

Claus Peymann hatte sich alles so schön vorgestellt. Noch schnell mit dem Berliner Ensemble die Premiere von Shakespeares Richard III. aufgeführt, und dann nichts wie ab nach Teheran mit der Truppe, ins Land der Mullahs, zum „wichtigsten Gastspiel unseres Theaters in den letzten Jahren“. Doch ungeteilten Beifall gibt es für diese Exkursion dummerweise nicht: Ein Komitee gegen deutsche Kultur im Iran und anderswo hatte für vergangenen Freitag zu einer Protestkundgebung aufgerufen, die unmittelbar vor dem Beginn des Shakespeare-Stücks stattfinden sollte. Denn: „Peymann verweigert sich der Solidarisierung mit den von Folter, Verfolgung und Ermordung bedrohten unangepassten Frauen, Homosexuellen und allen, die sich nicht unterwerfen wollen. Er kolla­boriert mit einem Regime, das Juden vernichten will und zum Zweck der nachholenden Perfektionierung von Auschwitz an Atom­bomben arbeitet. [...] Die Ideologie des Kulturaustauschs auf der Grundlage der islamischen Zensur ist der freiwillige Verrat an der Aufklärung. Es geht nicht um Kunst, es geht um Gewalt, die umso reibungsloser funktionieren kann, wenn in Teheran die sorgsam drapierte Theaterkulisse die Realität verdeckt und in Berlin der Kunstgenuss davon ungestört bleibt.“

Den Vorwurf der Kollaboration mit dem Mullah-Regime konnte Peymann (Foto) jedoch einfach nicht verstehen: „Wir werden in Teheran für ein neugieriges, intelligentes, großstädtisches Publikum unsere Aufführungen spielen“, versicherte er treuherzig, und: „Wir werden dort so wenig für die Herrschenden und Staatsführer spielen, wie wir hier in unserem Theater am Schiffbauerdamm für Angela Merkel, Gerhard Schröder oder Klaus Wowereit Theater spielen.“ Ist ja auch alles irgendwo dasselbe, folgt man dem Intendanten des Berliner Ensembles. Und überhaupt gehe es ihm und den Seinen doch bloß um Kulturbereicherung: „Unser Gastspiel ist nicht der Ausdruck einer Solidarität mit der vorherrschenden politischen Meinung des Iran, [...] und es ist schon gar nicht eine Demonstration für oder gegen ein politisches System.“ Nein, man mag sich nicht einmischen, wenn Frauen wegen Verstößen gegen die islamischen Bekleidungsvorschriften öffentlich verprügelt und eingesperrt, „Ehebrecher“ gesteinigt und Homosexuelle hingerichtet werden. Und man hält ebenfalls den Mund, wenn der Präsident des Iran ankündigt, den jüdischen Staat Israel von der Landkarte zu tilgen. Schließlich ist „eine Demonstration für oder gegen das System ausschließlich eine Sache der Iraner selbst“. Und das zwangsläufig auch dann, wenn die gegen das System demonstrierenden Menschen verhaftet, gefoltert und ermordet werden.

Obwohl es offensichtlich ist, dass derlei vermeintliche Äquidistanz nichts weniger darstellt als die offene Kumpanei mit dem Terror der Mullahs, begreift Peymann seine Mission explizit als unpolitische – oder vielleicht doch nicht? „In einem vom Krieg bedrohten Land ein Anti-Kriegsstück wie die ‚Mutter Courage’ von Brecht zu spielen, hat eine besondere Bedeutung“, befand er nämlich. Und bekam darauf am Freitagabend von den rund 50 Demonstranten vor seinem Theater die passende Antwort: „Die Tatsache, dass es sich bei der islamischen Republik keinesfalls um ein vom Krieg bedrohtes Land handelt, sondern um ein Land, das bereits einen Krieg führt – sowohl nach innen gegen die eigene Bevölkerung als auch nach außen durch die Unterstützung von Terrorbanden wie Hamas und Hizbollah –, wurde von Peymann ignoriert“, schrieb das Komitee gegen deutsche Kultur im Iran und anderswo in einer Presseerklärung. „Stattdessen meinte er, man solle doch auch einmal über die ‚amerikanische Bombe’ reden.“ Schon bezeichnend, dass der Theatermann sich auf die Unabhängigkeit der Kunst beruft (von der die Iraner nur träumen können), sobald das Gastspiel seiner Combo als politische Stellungnahme für das iranische Regime kritisiert wird, um gleichzeitig dezidiert politisch zu werden, wenn es um die Gründe geht, warum er in einem angeblich „vom Krieg“ – vulgo: von den USA – „bedrohten Land“ ein Antikriegsstück zum Besten gibt. Das muss es wohl sein, was Peymann meinte, als er ausrief: „So lebendig ist Theater!“

Doch das deutsche Lehrstück war noch nicht zu Ende, als Peymann die Diskussion mit den Demonstranten schließlich abbrach, um Shakespeare auf die Bretter zu bringen. Vielmehr ging das Theater weiter – nicht nur auf der Bühne am Schiffbauerdamm, sondern auch und vor allem vor deren Eingangstoren. Lesen Sie im Folgenden, welche Groteske sich dort am Freitagabend wahrhaftig zutrug; Christian J. Heinrich hat das Geschehene protokolliert.


Christian J. Heinrich

Hochhuth und der Schäferhund

Ein deutsches Lehrstück


Personen: Journalist – Subjekt I – Subjekt II – Rolf Hochhuth (Foto rechts) – Denunziant – Kulturbürger – Demonstrantin

Szene: Der Abend des 8. Februar 2008; im Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm beginnt in wenigen Minuten die Premiere der Neuinszenierung von Shakespeares Richard III. Der Regisseur Claus Peymann diskutiert vor dem Gebäude mit einem Grüppchen Demonstranten über seine Absicht, in wenigen Tagen in Teheran die Brechtsche Mutter Courage aufzuführen. Die Diskussion endet, Peymann geht ab. Am Rande stehen zwei junge Menschen und unterhalten sich.

* * * * *

Journalist (hinter Peymann hereilend): Das ist... das gibt... das gab es lange nicht: Theater, Meute, Polizei! Shakespeare wird vom Mob bedroht!

Subjekt I (zu Subjekt II): Ich weiß nicht recht, mit Peymann diskutieren? Der Mann hält reichlich viel vom eig’nen Kopf, der meint zu wissen, was er tut; bei dem ist jedes Argument vergeudet. Die Mullahs aber freut sein Stück. Es warnt vorm Krieg. Kein Zweifel, wen sie da gemeinsam als Opfer halluzinieren.

Subjekt II: Vielleicht hast du ja Recht, doch wir selbst wollen es einmal versuchen. Sieh an, Rolf Hochhuth steht da vorn, ein gar nicht minderer Kerl. Man soll sich nicht mit Kleineren begnügen. Herr Hochhuth!

(Subjekt II läuft auf Rolf Hochhuth zu, legt freundlich den Arm um seine Schulter und wendet sich an Subjekt I.)

Subjekt II: Komm, mach ein Foto von uns zweien, das ist Rolf Hochhuth. Mann des Wortes! Mann der Tat!

(Hochhuth fühlt sich geschmeichelt und posiert vor der Kamera.)

Subjekt I: Ganz recht, ich will das Bild schnell machen, der Hochhuth ist doch wohlbekannt. Vor allem, weil der große Dichter sich Tapferkeit zu wagen wagt. (knipst)

Subjekt II (an Hochhuth): Genau so ist es, ein rechter Mann, der Redefreiheit fordert, wenn Auschwitz angezweifelt wird. Sie waren es doch, der David Irving beisprang, als der den Holocaust geleugnet?!

Hochhuth (irritiert): Nein. Ja. Ich mein’... was soll das? Herr Irving ist in Schutz zu nehmen! Er schrieb ein großartiges Werk!

Subjekt II (zu den ins Theater strömenden Menschen): Hört her, ihr Menschen der Kultur: Der hochbetagte Antifa nahm einen Nazi grad in Schutz. Denn David Irving, wie man weiß, gilt in den äußerst rechten Kreisen als einer, der Geschichte biegt, bis Auschwitz einem Kurort gleicht. Und das... ein großartiges Werk?

Hochhuth (sich vor den neugierigen Menschen rechtfertigend): Sehr wohl, und außerdem: Herr Irving hatte schwer zu leiden. Man muss doch einmal Nachsicht zeigen: Die Mutter – jüdisch! Darüber kam er nie hinweg.

Subjekt I (lacht höhnisch auf): Der Mann hat Recht, ich kenne das. Auch ich hab eine Mutter – sie: eine Jüdin, ich: ein Wrack. Auch ich kam nie hinweg. Das muss doch allerhand erklären. Und dann mein Schäferhund. Fürwahr! Auch der ein Jud’, und bissig!

(Hochhuth versteckt sich hinter den umherstehenden Menschen, als wäre der Hund tatsächlich in der Nähe, rückt den übergroßen Schlipsknoten zurecht, richtet verlegen die braune Pelzmütze.)

Denunziant (tritt vor): Holla, die Herren, wer sind denn Sie? Den alten Mann zu foppen! Das macht man nicht. Das ist zu dreist. Die Namen will ich wissen!

Subjekt I: Die Namen? Die sind ganz egal, allein die Sache gilt. Was ist davon zu halten: Ein großer deutscher Dichterfürst ergreift Partei für einen, der Auschwitz eine Lüge nennt? Da wüsst’ ich gern, was Sie wohl dazu denken.

Denunziant: Ich? Denken? Nun, das interessiert mich nicht, ich will nur Ihre Namen. Also heraus damit! Stehen Sie nicht mit Ihrem Namen ein, dann sind Sie Demagogen, verstecken sich und sind ganz feige, und alles ist gelogen.

Subjekt I: Als ob das Argument an Wahrheit und an Kraft gewönne, wenn nur ein großer Name dahinter stünde.

Subjekt II: Nun lass, wir wollen uns offenbaren: Max Müller dürfen Sie mich nennen, mein Freund ist Moishe Meier! (grinst)

Denunziant (empört brüllend): Ich sag’s doch: Lüge! Lüge!

(Empörtes Raunen unter den Umherstehenden.)

Subjekt II (leise, lächelnd zu Subjekt I): Wenn nur der Herr erahnen würde, dass unsere Namen wirklich so austauschbar und so banal sind wie die genannten.

Kulturbürger (springt dem Denunzianten bei): Ich bin empört, ich fass’ es nicht! Was Sie sich hier erdreisten! Das ist Provokation!

Subjekt II: Ein Schimpfwort wurde grad verwandt: „Provokation“, so heißt es hier. Das also lernen wir vor Brechts Theater!

Kulturbürger: Sehr wohl, das ist so geistig arm, den Hochhuth anzugeh’n. Der alte Mann verdient es nicht, dass Sie nach seiner Würde trachten!

(Zustimmung vieler Umherstehender.)

Subjekt II: Zur Würde doch gehört es, ganz und gar ernst zu nehmen, was der Dichter uns da sagte; er ist doch wohl noch mündig?! Zudem: Der Mensch hat jedes Recht, weise zu werden mit dem Alter. Und leider aber auch das Recht, recht dumm dabei zu werden. Die Frage aber bleibt, ob denn die Leugnung des Holocaust derart zu rechtfertigen ist.

Denunziant (macht einen Schritt nach vorn): Was soll die Frage? Bin ich jetzt etwa ein Holocaustleugner?

(Erschrockenes Raunen bei den meisten Anwesenden.)

Subjekt I: Gesten der Verteidigung dort, wo man gar nicht angegriffen wurde... Ob Peymann und die Mullahs, ob Hochhuth und der Irving: Die Frage bleibt, ob Judenhass gerechtfertigt wird.

Demonstrantin (eilt hinzu, spricht zu den Subjekten): Könnt ihr bitte etwas leiser sein? Die ganze Aufregung lenkt nur ab. Das ist nicht gut – die Presse schaut schon her, und auch die Polizei. Dabei wollen wir doch unsere Redebeiträge halten. Also bitte: Mäßigung!

(Die Demonstrantin entschwindet, Rolf Hochhuth drängelt sich für ein einziges Wort nach vorn.)

Hochhuth (zu den Subjekten): Arschlöcher!

Subjekt II: Linksfaschist!

Subjekt I (leise zu Subjekt II): Das war jetzt nicht sehr diskursiv.

(Beide Subjekte lachen, der Kulturbürger hyperventiliert.)

Kulturbürger: Sehen Sie, Sie wollen doch nur jeden Dialog verhindern! Würden die Israelis doch nur mehr mit den Palästinensern reden...

Subjekt I: Sie sind ganz außer sich! Doch wie äußern Sie sich zu unserer eigentlichen Frage: Toleranz für die Leugnung der Shoah? Für Islamisten in Teheran, für Nazis in Europa? Mithin: Wo bleibt Ihre Empörung gegen den Wahn, die Juden wieder morden zu wollen?

Denunziant: Ihre Namen haben Sie uns immer noch nicht verraten. Also verraten wir Ihnen auch nicht unsere Meinung.

Kulturbürger: Ja, denn Ihr Thema ist nicht unser Thema, dazu müssen wir uns nicht äußern.

Subjekt II: Die Bürger ohne Meinung. Bei Brecht schon hieß es: „Du darfst nicht neutral sein!“ Doch sind wir hier nicht in Andalusien, und ich sehe auch keine Frau Carrar. Ich vernehme nur allerlei herabgesunkenes Kulturgut: Viel Kultur, doch nichts daran ist gut.

Kulturbürger: Und überhaupt, was interessiert Sie das ganze Gerede vom Antisemitismus? Sie sind doch gar keine Juden...

Subjekt II: Na, wir können ja mal nachschauen!

(Subjekt I und Subjekt II öffnen Ihre Gürtelschnallen und trachten danach, die Hose zu lüften. Allgemeines, lautstarkes Entsetzen. Fast alle wenden sich zum Eingang des Theaters. Nur ein paar Neugierige warten ab, ob die beiden Subjekte Ernst machen. Machen sie aber nicht; sie verschließen die Gürtel wieder und gehen zu dem Häuflein Demonstranten fort. Es erklingen Redebeiträge.)

Subjekt I (leise zu Subjekt II): Nun sitzen die Bürger drinnen bei ihrer Kultur. Und die zivilisatorischen Restposten bleiben draußen.

Subjekt II: Schau da drüben, die Spree, ein hoher Pegel. Man wünschte sich, nicht uns, sondern denen stünde das Wasser derart hoch bis zum Hals.

Fotos: Daniel Fallenstein