Der „friedliche“ Judenhass
Es ist kaum zu fassen: Da finden in Deutschland und Europa die wohl größten antisemitischen Aufmärsche seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs statt, aber wenn man den Medien Glauben schenken darf, handelt es sich bloß um „friedliche“ oder doch zumindest „überwiegend friedliche“ und jedenfalls legitime Proteste gegen den Krieg in Gaza. Rufen Demonstranten zu Tausenden „Kindermörder Israel!“ oder „Tod Israel!“, machen sie folgerichtig nur ihrer „Wut“ Luft, werfen sie dem „zionistischen Verbrecherregime“ auf Pappschildern vor, einen „Holocaust am palästinensischen Volk“ zu verüben, verleihen sie damit lediglich ihrer „Empörung“ Ausdruck. Hier und da wird zwar mal eine israelische Fahne verbrannt oder „Juden raus!“ respektive „Scheiß-Judenschweine!“ gerufen, na gut, aber das sind dann halt Überreaktionen, die man irgendwo ja auch verstehen kann. Wie formulierte es die Nachrichtenagentur AP so unübertroffen in einer Meldung? „Der durch die israelische Offensive im Gazastreifen geschürte Hass droht sich in zunehmender antisemitischer Gewalt in Europa zu entladen.“ Sie sind es wie immer doch selbst schuld, die Juden. Warum lassen sie sich auch nicht einfach geräuschlos umbringen, statt sich gegen den Terror zu wehren?
„Unfriedlich“ wird es, folgt man der veröffentlichten Meinung hierzulande, erst dann, wenn den Judenfeinden mal jemand etwas entgegensetzt, wie bescheiden das auch immer sein mag. Zwei Beispiele vom vergangenen Wochenende: In Duisburg hatte ein Pärchen zwei Israelfahnen in die Fenster seiner Wohnung gehängt, an der eine von der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş organisierte Demonstration mit 10.000 Teilnehmern vorbei lief. Sofort wurden Hassparolen gerufen und Schneebälle, Steine sowie Messer gegen das Gebäude geworfen; einige Demonstrationsteilnehmer versuchten, das Haus zu stürmen. Das Pärchen beobachtete die Szenerie von der Straße aus und wurde schließlich Zeuge, wie die Polizei in seine Wohnung eindrang und die Israelfahnen entfernte – unter dem Jubel der Hamas-Fans und mit der Begründung, man habe die Situation „deeskalieren“ wollen. In Mainz wiederum beschimpften Teilnehmer einer 5.000 Personen starken antiisraelischen Demonstration einige Gegendemonstranten mit Israelfahnen als „Judenschweine“, bevor sie zur Jagd auf sie bliesen. Die Polizei sprach anschließend von „Provokateuren“ – und meinte damit die Gegendemonstranten, die es gewagt hatten, Israelfahnen zu zeigen, obwohl sie „keine Israelis sind“.
Wer in diesen Tagen einmal eine der zahlreichen, angeblich so „friedlichen“ antiisraelischen Aufläufe, die überwiegend von islamischen und palästinensischen Vereinen und Verbänden organisiert werden, aus der Nähe beobachtet und es nicht mit der Angst zu tun bekommen hat, wenn Tausende von Menschen „Kindermörder Israel!“ oder „Tod Israel!“ gebrüllt haben – oft genug gefolgt von einem „Allahu akbar!“ in der gleichen Lautstärke –, ist entweder abgebrüht bis dorthinaus oder Überzeugungstäter. Diese Manifestationen sind keine irgendwie zu legitimierenden Proteste gegen irgendetwas, sondern hasserfüllte judenfeindliche Zusammenrottungen von Menschen, die Israel einen „Kindermord“ vorwerfen, während sie im Zweifelsfall nicht das geringste Problem damit haben, wenn die Hamas die lieben Kleinen als menschliche Schutzschilde missbraucht oder zu „Märtyrern“ erzieht. Es handelt sich um eine lupenreine Projektion: Der Blutdurst, den sie den Juden vorwerfen, ist ihr eigener; hinter den Vorwürfen, Israel begehe ein „Massaker“, einen „Völkermord“ oder gar einen „Holocaust“ an den Palästinensern, verbirgt sich keine Besorgnis oder Erkenntnis, sondern die Sehnsucht, diese Vernichtung selbst zu exekutieren – an den Juden nämlich.
Das, was sich in Deutschland so stolz und selbstgerecht „Zivilgesellschaft“ nennt, mobilisiert seine Parteien und Verbände gerne mit einem heiligen „Wehret den Anfängen“ auf die Straße, sobald irgendwo ein Neonaziaufmarsch stattfindet. Wenn sich aber die Judenhasser muslimischer Provenienz in einer weit bedeutenderen Größenordnung versammeln, rührt der wiedergutgemachte Deutsche keinen Finger. Zum einen könnte er ja verdächtigt werden, „islamophob“ zu sein; zum anderen erkennt er in den antisemitischen Aufmärschen womöglich – in nur leicht zugespitzter Form – seine eigene „Israelkritik“ wieder. Grund genug also, entweder scheinbar äquidistant zu Hause zu bleiben oder sich gleich einer dieser „Friedensdemonstrationen“ anzuschließen: Anti-Nazi-Pfarrer Stoodt hat schließlich erklärt, dass Israel den Antisemitismus ja erst heraufbeschwört, und der Genosse Paech hat deklariert, der jüdische Staat habe kein Recht auf Verteidigung, die Palästinenser hingegen eines auf „Widerstand“, auch – qua „Verzweiflung und Ohnmacht“ – in Form von Kassam-Raketen.
Paul Spiegel, der verstorbene frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, er hatte einfach Recht, als er sagte: „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder.“ Dieser Tage wird das einmal mehr ganz besonders deutlich.
Das Foto entstammt einer antisemitischen Demonstration am vergangenen Samstag vor dem Kölner Dom. © Lizas Welt