5.6.09

Peace, Love & Happiness?



Recht eigentlich betrachtet ist es noch zu früh, um über Barack Obamas Kairoer Ansprache* ein Urteil zu fällen. Denn eine Rede ist eine Rede ist eine Rede, aber – um es mal in Helmut Kohls unnachahmlich tapsiger Rhetorik zu formulieren – „entscheidend ist, was hinten rauskommt“. Eine Welt ohne Atomwaffen? Ein palästinensischer Staat, der friedlich mit Israel koexistiert? Gleiche Rechte und Chancen für Frauen allerorten? Eine islamische Kultur, die der Welt statt Hasspredigten, Bomben und Raketen „majestätische Bögen und hohe Gewölbe beschert, zeitlose Poesie und geschätzte Musik, elegante Kalligrafie und Orte der friedlichen Kontemplation“? Kurz: Globaler Friede, weltweite Freude und Eierkuchen für alle? Sollte dem eines schönen Tages tatsächlich so sein, wird zweifellos niemand zögern, Obamas Vortrag in der ägyptischen Hauptstadt als historischen Meilenstein zu qualifizieren. Allein: Es sind – um es vorsichtig zu formulieren – Zweifel angebracht, dass der „‚We are the world’-Singsang“ (Joachim Steinhöfel) des amerikanischen Präsidenten das Zeug zur Initialzündung hat.

Let’s face it: Obama ist nicht der Erste, der gegenüber dem Islam und seinen Adepten eine „Politik der ausgestreckten Hand“ verfolgt, wie man es auf Schwiemeldeutsch gerne formuliert. Vor allem in Israel ist eine solche Politik schon etliche Male versucht worden – mit dem immergleichen Ergebnis, dass, um im Bild zu bleiben, in die ausgestreckte Hand gebissen wurde. Auch deshalb sind im jüdischen Staat die Reaktionen auf Obamas Rede so kühl ausgefallen: Dort weiß man nur zu genau, dass beispielsweise ein Abbau von Siedlungen keineswegs – und schon gar nicht automatisch – zum Frieden oder auch nur zu mehr Sicherheit für Israels Bürger führt. Im Gegenteil hat die Hamas den kompletten Gazastreifen nach dem Abzug der israelischen Armee vor vier Jahren ruckzuck in eine großflächige Raketenabschussrampe verwandelt. Warum? Weil sie keine Zweistaaten-, sondern eine Kein-Staat-Israel-Lösung verfolgt – so und nicht anders steht es schließlich auch in ihrer Charta. Sie davon abbringen zu wollen, wie es dem US-Präsidenten vorschwebt, ist ähnlich erfolgversprechend wie der Versuch, ein Raubtier von den Vorzügen vegetarischer Kost zu überzeugen.

Darüber hinaus ist es bemerkenswert, welche historischen Ereignisse und gegenwärtigen Entwicklungen Barack Obama nicht nur vergleicht, sondern sogar gleichsetzt. Joachim Steinhöfel hat es in einem lesenswerten Kommentar auf den Punkt gebracht: „Der Holocaust war schlimm, aber das gelte auch für die Besetzung Palästinas durch Israel. Dem Präsidenten fehlen jegliche moralischen Kategorien. Kein Wort über die Kriege, die die Araber gegen Israel begonnen haben, kein Wort darüber, dass die Palästinenser 2000 das Angebot eines eigenen Staates ausgeschlagen und mit Terror (der Intifada) auf die ausgestreckte Hand der Israelis geantwortet haben. Die Palästinenser stellt Obama in der Rede als Opfer mit den schwarzen Sklaven in Amerika gleich. Als wären sie Sklaven Israels und die Juden die Unterdrücker. Die Palästinenser müssten der Gewalt abschwören und Israel anerkennen, Israel müsse mit dem Siedlungsbau aufhören. Es ist alles gleich schlimm und alles das Gleiche. Es gibt keine moralischen Unterschiede, egal ob man ein Haus auf umstrittenem Grund und Boden baut oder Zivilisten mordet und die Anhänger einer Religion vernichten will.“

Und selbst wenn man solche und andere mehr als befremdlichen Parallelisierungen – die besonders treuen Dienern des Propheten selbstverständlich noch nicht weit genug gehen – für den Moment mühsam schluckt und sich daran klammert, dass Obama den Muslimen ja auch die eine oder andere Konzession abverlangt hat: Es bleibt die Frage, was denn eigentlich geschehen soll, wenn die erwartete Gegenleistung verweigert wird – und das ist ja nun alles andere als auszuschließen. Konkret: Was passiert, wenn die Hamas Israel nicht anerkennt? Was ist, wenn der Iran die Kernenergie nicht nur friedlich nutzt? Was wird unternommen, wenn Frauen in islamischen Staaten die gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft weiterhin verweigert wird? Folgt dann die nächste freundliche Grundsatzrede? Oder gibt es Konsequenzen? Ein amerikanischer Präsident wird ja fraglos nicht so naiv sein, sich darüber keine Gedanken gemacht zu haben.

Vor drei Monaten gab es einmal eine Situation, in der das Entgegenkommen von Obamas Regierung unerwidert blieb, nämlich im Zuge der Vorbereitung der vom UN-Menschenrechtsrat veranstalteten „Durban II“-Konferenz. Damals hatten sich die USA zunächst entschlossen, den Beschluss der Bush-Regierung zu kippen und doch an den Verhandlungen teilzunehmen. Wenig später stiegen sie jedoch wieder aus, nachdem die Erkenntnis gereift war, dass die gesamte Veranstaltung nicht zu retten ist. Jennifer Rubin schimpfte seinerzeit über die Obama’sche „Wir haben alles versucht“-Attitüde, die „moralinsauer und unaufrichtig“ sei. In der Praxis sei die Politik der neuen US-Regierung zwar oft gar nicht weit von der ihrer Vorgängerin entfernt, doch um das nicht zugeben zu müssen, veranstalte der Präsident allerlei Trara und ergehe sich in selbstdienlicher Rhetorik. Liegt diese Strategie auch Obamas Rede in Kairo zugrunde? Ist die Ansprache mithin ebenfalls Ausdruck eines „Wir versuchen alles“, das im Falle des Scheiterns Maßnahmen nach sich zieht? Wird die ausgestreckte Hand also zur Faust, wenn sie nicht geschüttelt wird? Angesichts der Tatsache, dass die Vereinigten Staaten trotz des „Durban II“-Desasters nun dem UN-Menschenrechtsrat beitreten wollen, darf man daran zweifeln.

Barack Obamas Vision von Peace, Love & Happiness mag ja irgendwo sympathisch sein. Nur bleibt weiterhin offen, was Obama zu tun gedenkt, wenn sie von den maßgeblichen Kräften im islamischen Einflussbereich sabotiert wird. Eine Art Plan B sollte nicht erst am Sanktnimmerleinstag erkennbar werden – zumal eingedenk der Tatsache, dass allzu viele derjenigen, die da umworben werden, Freundlichkeit, Kompromisse und die Aussicht auf ein schönes Leben vor dem Tod schlicht für ein Zeichen von Schwäche und Dekadenz halten.

* Eine deutsche Übersetzung findet sich hier: [Teil 1] [Teil 2]