9.9.09

Mutter, hol mich vonne Zeche!



Das Bochumer Amtsgericht hat am heutigen Mittwoch eine Studentin zu einer Geldstrafe von 300 Euro verurteilt, weil sie durch das Zeigen einer israelischen Flagge die Teilnehmer einer antiisraelischen Demonstration „provoziert“, eine „gefährliche Situation“ geschaffen und gegen das Versammlungsgesetz verstoßen haben soll.

Rund 1.600 Menschen waren am 17. Januar dieses Jahres einem Aufruf von vier Bochumer Moscheegemeinden gefolgt, gegen den jüdischen Staat auf die Straße zu gehen. Sie riefen Parolen wie „Kindermörder Israel“, hielten blutverschmierte Puppen in die Luft und führten Transparente und Plakate mit sich, auf denen unter anderem „Stoppt den Holocaust in Gaza“ und „Terrorist Israel“ geschrieben stand. Eine kleine Gruppe von fünf pro-israelischen Aktivisten begegnete der Demonstration in der Bochumer Innenstadt; im Gepäck hatte sie israelische Flaggen, ein Transparent und Flugblätter. „Wir wollten damit zu einer Kundgebung in Duisburg gegen einen dort stattfindenden antiisraelischen Aufmarsch“, erklärte Katharina M.*, 30jährige Studentin der Sozialwissenschaft, gegenüber Lizas Welt. Doch als man die israelfeindliche Manifestation in Bochum gesehen habe, sei spontan der Entschluss gefasst worden, mit der Abreise nach Duisburg noch einen Moment zu warten, „kurz gegen diese antisemitische und die Shoa relativierende Täter-Opfer-Verdrehung zu protestieren und dann zum eigentlichen Ziel zu fahren“.

Also hielten M. und ihre Mitstreiter eine israelische Flagge hoch – und hatten es unmittelbar darauf nicht nur mit pöbelnden Demonstranten, sondern auch mit der Polizei zu tun. Diese wollte den Protest gegen den antisemitischen Aufzug zunächst unterbinden (Foto), akzeptierte nach einer kurzen Verhandlung dann aber das Angebot der Gruppe, offiziell eine Spontankundgebung anzumelden – die, anders als eine geplante Versammlung, nicht spätestens 48 Stunden zuvor angekündigt worden sein muss. Die Gruppe entrollte ihr Transparent, verteilte einige Flugblätter, in denen zur Solidarität mit Israel aufgerufen wurde, und beendete ihre Aktion nach kurzer Zeit wieder. „Das Ganze lief eigentlich ohne große Aufregung ab“, erinnert sich M., die die Anmeldung übernommen hatte, „und die Polizei hat sich zum Schluss sogar bei uns dafür bedankt, dass wir so kooperativ waren“. Nichts habe darauf hingedeutet, „dass unser Protest noch ein juristisches Nachspiel haben wird“.

Doch die Staatsanwaltschaft leitete ein Strafverfahren gegen Katharina M. ein; sie sah in der Tatsache, dass die Gruppe Fahnen, ein Transparent und Flugblätter dabei hatte, einen Beweis für die fehlende Spontaneität der Kundgebung. Daraufhin kam es am 1. Juli zu einer Verhandlung vor dem Bochumer Amtsgericht, die jedoch abgebrochen wurde, „weil die Staatsanwaltschaft weitere Beweise gegen uns ermitteln wollte“, wie M. berichtet. Heute wurde der Fall deshalb vollständig neu aufgerollt – und endete mit einer Verurteilung der Studentin zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen à 20 Euro. Denn das Gericht glaubte nicht, dass es sich um eine spontane Versammlung gehandelt hatte, obwohl M. bekräftigte, sich gemeinsam mit den vier anderen auf dem Weg zu einer Kundgebung nach Duisburg befunden und die Materialien aus diesem Anlass dabei gehabt zu haben. Die Staatsanwältin jedoch war sogar der Ansicht, M. und ihre Gruppe hätten die antiisraelische Demonstration mit der Israel-Fahne „provoziert“, und die Richterin hielt der Angeklagten vor: „Das war keine ungefährliche Situation, die Sie geschaffen haben.“

Der Fall erinnert stark an das scharf kritisierte Vorgehen der Polizei in Duisburg nur eine Woche vor den Ereignissen in Bochum. Damals hatten Einsatzkräfte die Wohnung eines 25jährigen Studenten und seiner Freundin in deren Abwesenheit gestürmt und unter dem Gejohle von mehreren tausend israelfeindlichen Demonstranten zwei am Balkon und an einem Fenster befestigte Israelflaggen abgehängt – zur „Gefahrenabwehr“ und „Deeskalation“, wie es seinerzeit hieß. Und jetzt soll die Studentin M. sogar 300 Euro dafür bezahlen, dass sie im Wortsinn Flagge gegen einen antisemitischen Aufmarsch gezeigt hat. „Es ist ein absolutes Unding, dass ein spontanes Eintreten gegen Antisemitismus kriminalisiert wird – und das auch noch unter Berufung auf die Gefährlichkeit einer israelfeindlichen Demonstration“, sagte sie zu Lizas Welt. Eine Provokation sei das Zeigen einer israelischen Flagge „nur für Antisemiten – und für niemanden sonst“. M. schließt nicht aus, in die Berufung zu gehen.

* Der Name wurde auf Bitte der Betroffenen geändert.

Zum Foto: „Ich habe damals gesagt: Ich will heute keinen Polizeibeamten sehen, der seine Hand an eine Israel-Fahne legt“, ließ der als Zeuge geladene Einsatzleiter der Polizei das Gericht bei der heutigen Verhandlung in Bochum wissen. Ob es wohl ein polizeiinternes Verfahren wegen Befehlsverweigerung gegeben hat? Bochum, 17. Januar 2009.


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Die verurteilte Katharina M. ist dringend auf finanzielle Unterstützung angewiesen, um ihre nicht unerheblichen Prozesskosten begleichen zu können. (Steuerabzugsfähige) Spenden werden deshalb auf das folgende Konto von WADI e.V. erbeten:

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Verwendungszweck (nicht vergessen!): Bochumer Fahnenstreit
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