In memoriam Kurt Landauer
Es ist gewiss nicht so, dass sich niemand mehr an Kurt Landauer erinnert, jenen Präsidenten des FC Bayern München, der diesen Verein mit Unterbrechungen insgesamt 18 Jahre lang führte. Die Ultras der Schickeria München beispielsweise haben kürzlich zum vierten Mal ein Fan-Fußballturnier ausgerichtet, dessen Siegerpokal nach ihm benannt ist. Und der jüdische Verein Maccabi München lud für den heutigen Abend aus Anlass von Landauers 125. Geburtstag zu einer Gedenkveranstaltung, einem Vortrag sowie einem Zeitzeugengespräch mit Landauers Neffe Uri Siegel* auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau ein (in dieses Lager hatten die Nationalsozialisten Kurt Landauer 1938 verschleppt); er plant darüber hinaus eine Ausstellung über Landauer und wird zudem sein Vereinsgelände nach ihm benennen. Wie gesagt: Man kann nicht behaupten, dass der frühere Bayern-Präsident (Foto) in Vergessenheit geraten ist. Doch ausgerechnet jene, denen seine Würdigung eigentlich eine besondere Ehre und Verpflichtung sein müsste, nämlich die jetzigen Verantwortlichen des deutschen Branchenführers, halten sich damit seit jeher zurück. Zwar findet sich seit Dienstagabend (!) ein Porträt Landauers auf der Homepage des Klubs, und für den Vorstand respektive das Präsidium nahmen Karl-Heinz Rummenigge, Karl Hopfner sowie Fritz Scherer am Gedenkabend in Dachau teil. Zu einer eigenen Feierstunde aber mochte sich die Bayern-Führung nicht durchringen, und auch ansonsten spielt die Erinnerung an Landauer im Verein allenfalls eine untergeordnete Rolle. Dabei wäre der Klub ohne Landauers Pionierarbeit vermutlich nicht zu seiner gegenwärtigen Größe und Bedeutung gelangt, wie Heike Faller bereits vor sechs Jahren in der Zeit konstatierte:
„Kurt Landauer hat wie keiner vor ihm, so heißt es in der Chronik des FC Bayern, die Werte und Prinzipien verkörpert, die dem Verein 1932 zur ersten deutschen Fußballmeisterschaft verholfen haben und die ihn heute zum Rekordmeister machen. Dass er aus einer jüdischen Familie kam (wobei er weder gläubig war noch Zionist), passte in einen Klub, der um die Jahrhundertwende im Bohemeviertel Schwabing gegründet worden war. Die Ur-Bayern waren Ladenbesitzer, Studenten, Bürgersöhne, Juden wie Christen. Man scheint sich darin einig gewesen zu sein, dass Turnen spießig war und dass ein eleganter Fußballer das Spielfeld niemals ohne Krawatte betrat. Landauer war Leiter der Anzeigenabteilung bei den Münchener Neuesten Nachrichten, und es heißt, dass er ein altmodischer Kaufmann gewesen sei. Er weigerte sich, den Anhängern ein Stadion zu bauen, er investierte lieber in Spielergehälter. Schon in den zwanziger Jahren spielten beim FC Bayern Preußen und andere Ausländer. Und es war ein österreichisch-ungarischer Trainer, mit dem der Klub 1932 Meister wurde. (Mit einem 2:0-Sieg gegen die feldüberlegene Frankfurter Eintracht, der sich, typisch Bayern, aus einem Elfmeter und einem Alleingang zusammensetzte.)“Der FC Bayern war zu Kurt Landauers Zeiten ein weltoffener, liberaler Verein mit einer beträchtlichen Zahl an jüdischen Mitgliedern. Nicht wenige von ihnen beeinflussten, wie der Präsident, den Werdegang des Klubs entscheidend – beispielsweise die Fußballpioniere Josef Pollack und Gustav Manning, der Gründer der Fachzeitschrift kicker, Walther Bensemann, Jugendleiter Otto Beer und der von Faller erwähnte österreichisch-ungarische Coach Richard Dombi. Der 1900 gegründete Münchner Verein verstand sich als modern und metropolitan, und er hatte internationale Ambitionen. Bereits in den 1920er Jahren, als man andernorts noch Turnvater Jahn und dem Deutschtum huldigte, organisierte er regelmäßig Spiele gegen internationale Mannschaften und verpflichtete internationale Trainer. Das germanische Ideal des Amateurismus war dem FC Bayern und namentlich seinem Präsidenten fremd; die Spieler sollten nicht (nur) aus Gründen der Leibesertüchtigung gegen den Ball treten, sondern die Möglichkeit haben, mit dem Fußballspielen auch gutes Geld zu verdienen.
All dies trug dem Verein bald die antisemitische Schmähung als „Judenklub“ ein. Und als nur wenige Monate nach dessen erster deutscher Meisterschaft die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, verlor Kurt Landauer seine Arbeitsstelle bei den Münchener Neuesten Nachrichten – weil er Jude war. Im März 1933 trat er als Bayern-Präsident zurück; einen Tag nach der Reichspogromnacht 1938 sperrten ihn die Nazis in die Baracke Nummer acht des Konzentrationslagers Dachau. Einen Monat später kam Landauer frei; im März 1939 flüchtete er nach Genf. Dort unterhielt er gute Beziehungen zum FC Servette, gegen den der FC Bayern vor 1933 mehrmals zu Freundschaftsspielen angetreten war. Als der Münchner Klub 1940 erneut in Genf gastierte, stürmte die Mannschaft nach dem Schlusspfiff auf die Tribüne, um ihren alten Präsidenten zu begrüßen, was ihr nach ihrer Rückkehr massive Repressalien eintrug. Überhaupt war die Nazifizierung des FC Bayern – anders als beim Lokalrivalen TSV 1860 München – eine vergleichsweise zähe Angelegenheit: Die Nationalsozialisten bildeten im Verein lange nur eine Minderheit, die vor allem in der Skiabteilung vertreten war. Dem Klub standen noch viele Jahre Mitglieder vor, die den Nazis nicht als ausreichend loyal erschienen und die nicht über die nun notwendigen politischen Verbindungen verfügten. Erst 1943 kam mit dem Bankier Sauter der Wunschkandidat der NSDAP an die Spitze des Vereins, und erst jetzt änderte sich auch dessen Verhältnis zur Partei und zur Stadtverwaltung grundsätzlich.
Kurt Landauer überlebte den Zweiten Weltkrieg in seinem Schweizer Exil, vier seiner Geschwister fielen jedoch den Nazis zum Opfer: Eine Schwester wurde nach Polen deportiert, ein Bruder nach Majdanek, einer nach Litauen und einer ins Konzentrationslager Westerbork. 1947 kehrte Landauer nach München zurück und warb bei der amerikanischen Besatzungsmacht sofort um die Lizenz, den FC Bayern wieder aufbauen zu dürfen. Seiner Bitte wurde entsprochen und Landauer im selben Jahr erneut Präsident des Klubs. Diese zweite Amtszeit endete vier Jahre später, als er sein Amt an einen Handballer verlor. „Es heißt“, schrieb Heike Faller, „die Handballspieler seien eifersüchtig auf die Dominanz der Fußballspieler im Verein gewesen“. Zehn Jahre später starb Landauer im Alter von 77 Jahren; der Nachruf auf ihn wurde, wie Ronny Blaschke in der Berliner Zeitung berichtet, mit einem Kruzifix versehen: „Seine jüdischen Wurzeln wurden mit keinem Wort erwähnt. Dass er in den Jahren zwischen 1933 und 1947 nicht Präsident sein konnte, wurde mit ‚politischen Gründen’ erklärt.“
Einen „der großen Visionäre des deutschen Fußballs in den Jahren der Weimarer Republik“ nennt der FC Bayern seinen langjährigen Präsidenten nun auf seiner Website. Wäre es also nicht an der Zeit, Kurt Landauer ein Denkmal zu setzen – bevorzugt auf dem Klubgelände – und den morgen beginnenden zweitägigen Wettbewerb in München nach ihm statt nach einem Autohersteller zu benennen? Oder geht das erst zum Hundertfünfzigsten? Und wären nicht die Überlegungen des Münchner Politologen Thomas Hauzenberger ein Grund mehr, sich mit Landauers Biografie zu beschäftigen und eine Verbindung zur Gegenwart herzustellen? Hauzenberger – ein Sechz’ger-Fan! – schrieb vor einigen Jahren in einer wissenschaftlichen Arbeit: „Man könnte sich die Frage stellen, ob die Polemik, die notorisch gegen den FC Bayern vorgebracht wird, unwissentlich auf das Repertoire antisemitischer Topoi zurückgreift: das so genannte Bonzentum, der Vorwurf, dass die Erfolge der Bayern erkauft und nicht erkämpft sind, die Tatsache, dass der Verein kein eigenes Stadion in einem bestimmten Stadtteil besaß, was man wiederum mit dem Topos der jüdischen Wurzellosigkeit assoziieren könnte – weltläufig statt beheimatet.“ Dass die Chefetage des Rekordmeisters an der Klärung dieser Frage nicht interessiert ist, ist jedenfalls kein Grund, ihr nicht nachzugehen.
* Fotos und ein Audio-Mitschnitt finden sich bei probek.net.
Die Informationen zu Kurt Landauer und zur Geschichte des FC Bayern entstammen, sofern nicht durch Links anders ausgewiesen, dem ausgezeichneten Buch des Fußballhistorikers Dietrich Schulze-Marmeling, Die Bayern. Die Geschichte des deutschen Rekordmeisters (Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2006), das im November dieses Jahres in einer überarbeiteten Neuauflage erscheinen wird.
Herzlichen Dank an Wolfgang Müller für wertvolle Hinweise.