3.11.09

Kauft nicht beim Siedler!



Wenn keine Überraschung mehr geschieht, wird der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf Antrag einer deutschen Behörde in Kürze eine explizit politische Entscheidung treffen und durch ein Urteil die israelischen Siedlungen in den umstrittenen Gebieten für illegal erklären sowie de facto Sanktionen gegen Israel verhängen.

Anlass für den bevorstehenden Entschluss des EuGH ist ein Antrag der deutschen Firma Brita GmbH auf Erstattung von Einfuhrgebühren in Höhe von 19.155,46 Euro. Diese Summe hatte der Hamburger Zoll kassiert, als das Unternehmen eine Ladung Sprudelgeräte des israelischen Herstellers Soda Club importiert hatte. Darüber wunderte man sich bei Brita, denn die Einfuhr israelischer Güter in die Europäische Union ist nach einem Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem jüdischen Staat vom November 1995 zollfrei. Das Hauptzollamt Hamburg-Hafen wollte dennoch von der zuständigen israelischen Zollbehörde ganz genau wissen, wo die Waren produziert wurden, und begnügte sich nicht mit der wahrheitsgemäßen Antwort, sie stammten aus einem „Gebiet unter israelischer Zollverwaltung“. Da Soda Club seine Erzeugnisse in der östlich von Jerusalem gelegenen israelischen Siedlung Ma’ale Adumim herstellen lässt, befanden die deutschen Beamten schließlich kraft souveräner Willkür, die Deklaration „Made in Israel“ sei unzutreffend, und belegten den Import mit einem Zoll.

Dagegen klagte Brita vor dem Finanzgericht Hamburg, das seinerseits – da die Angelegenheit unter das Europarecht fällt – den EuGH um eine so genannte Vorabentscheidung bat. Diese Entscheidung ist zwar noch nicht getroffen worden; am vergangenen Donnerstag veröffentlichte der EuGH-Generalanwalt Yves Bot jedoch seinen Schlussantrag, und diesen Plädoyers folgen die Luxemburger Richter in aller Regel. Bot bestätigte in seinen Ausführungen dem deutschen Zoll, richtig gehandelt zu haben, als er Abgaben für die Einfuhr der Sodageräte nahm. Er wolle daran erinnern, verlautbarte Bot, „dass die Grenzen Israels durch den Teilungsplan für Palästina festgelegt wurden, der am 29. November 1947 von den Vereinten Nationen angenommen wurde“. Nach diesem Plan seien „die Gebiete Westjordanland und Gazastreifen kein Teil des Gebiets Israels“; dort erzeugte Güter fielen daher nicht unter das Freihandelsabkommen zwischen der EG und dem jüdischen Staat. Auch auf das europäische Abkommen mit der PLO aus dem Jahr 1997 könne sich Brita nicht berufen, denn dazu hätten die palästinensischen Behörden den Ursprungsnachweis unterzeichnen müssen.

Sollte der EuGH erwartungsgemäß seinem Generalanwalt folgen, träfe er damit auf den Antrag einer deutschen Behörde hin eine originär politische und für alle EU-Staaten verbindliche Entscheidung: Er würde israelische Siedlungen in den umstrittenen Gebieten durchweg für illegal erklären, durch die Zollerhebung faktisch Sanktionsmaßnahmen gegen Israel ergreifen und damit ein Exempel statuieren, das für Israel weit reichende Folgen hätte – sowohl in politischer als auch in ökonomischer Hinsicht; schließlich ist die EU für den jüdischen Staat nach den USA der zweitgrößte Absatzmarkt. Die vormalige schwarz-rote Bundesregierung hatte das Vorgehen des Hamburger Zollamts ausdrücklich begrüßt: Eine Zollbefreiung für „Waren aus den besetzten Gebieten“ könne es nicht geben, hieß es Anfang Juni in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Bundestag. An dieser Sichtweise dürfte sich auch unter der schwarz-gelben Koalition nichts ändern. „Während die US-Regierung bislang nur rhetorisch Druck auf die israelische Siedlungspolitik ausübt, traut sich die EU bereits einen Schritt weiter“, frohlockte denn auch Christoph Schult auf Spiegel-Online.

Dass der EuGH-Generalanwalt den Teilungsbeschluss der Uno aus dem Jahr 1947 zur Grundlage seines Antrags machte, entbehrt übrigens nicht einer gewissen Pikanterie – und das nicht nur deshalb, weil die arabischen Staaten ihn bekanntlich rundweg ablehnten. Vielmehr könnten auf dieser Basis künftig auch Produkte aus anderen Orten des heutigen Israel nicht mehr zollfrei nach Europa eingeführt werden, beispielsweise wenn sie aus Akko, Nahariya oder dem Süden von Tel Aviv stammen, die im Teilungsplan einem prospektiven arabischen Staat zugerechnet worden waren. Womöglich sollte man den Generalanwalt auch an die Konferenz von Khartum aus dem Jahr 1967 erinnern, auf der die arabischen Staaten nicht nur das israelische Angebot ausschlugen, über die Rückgabe der im Sechstagekrieg von Israel eroberten Gebiete zu verhandeln – die zuvor von Jordanien (Westjordanland) respektive Ägypten (Gazastreifen) widerrechtlich besetzt waren –, sondern darüber hinaus ihr berühmt gewordenes „dreifachen Nein“ verkündeten: Nein zum Frieden mit Israel, nein zur Anerkennung Israels, nein zu Verhandlungen mit Israel.

Und schließlich ist es bemerkenswert, dass sowohl das Hauptzollamt Hamburg-Hafen als auch der EuGH-Generalanwalt mit der Entscheidung, Produkten aus den umstrittenen Gebieten die Zollfreiheit zu verweigern, sich faktisch die alte Position des berüchtigten Muftis von Jerusalem zu Eigen machten: Keinen Quadratzentimeter des heiligen muslimischen Bodens für einen souveränen jüdischen Staat. Denn die inzwischen rund 40.000 Einwohner zählende Stadt Ma’ale Adumim, der Sitz des Unternehmens Soda Club, gehört zu den wenigen israelischen Siedlungen, die sowohl nach dem Friedensplan des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton vom Dezember 2000 als auch nach den Vorstellungen der nicht nur hierzulande so euphorisch begrüßten Genfer Initiative bestehen bleiben und dem israelischen Kernland angegliedert werden sollten – im Austausch gegen den Palästinensern zu überantwortende israelische Ländereien nahe dem Gazastreifen und im südlichen Westjordanland. Dass es zu diesem Tausch bis heute nicht kam, liegt daran, dass die palästinensische Seite noch jede Friedensverhandlung torpedierte und neuerlich zum Terror griff – nötigenfalls im allerletzten Moment.

Das wird nun auch noch belohnt – von einer deutschen Zollbehörde (mit Billigung der Bundesregierung) und aller Voraussicht nach zudem vom Europäischen Gerichtshof. Wenn es nicht so schrecklich hilflos wäre, müsste man glatt geneigt sein, diesen „Kauft nicht beim Juden aus den Siedlungen“-Aufruf mit einem massenhaften Erwerb von Sprudelgeräten der Firma Soda Club zu beantworten und dem Mineralwasser europäischer Provenienz vollständig zu entsagen. In jedem Fall braucht’s aber ein Gläschen Yarden-Wein vom israelischen Golan zur Beruhigung der Nerven. Le chaim!